Alles andere als ein Held

Buch von Rudolf Lorenzen, Lothar Müller

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Ein rundum perfektes Buch. Müsste vor der Blechtrommel gefeiert werden als deutsches (Nachkriegs-)Zeitbild!

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Alles andere als ein Held

Robert Mohwinkel ist kein Held. Im Gegenteil: Er versucht, wo immer es geht, sich ganz und gar anzupassen. In der Familie, in der Schule, in seiner Ausbildung zum Schiffsmakler im alten Hafen in Bremen, in der Wehrmacht, stets möchte der junge Träumer nicht auffallen und bleibt Mitläufer. Nur beim Tanzen blüht er auf, bleibt aber immer noch allzu steif. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich die Zeiten geändert haben und Duckmäuser alter Schule nicht mehr gefragt sind, wacht er auf. Doch selbst diesmal macht er es nicht wirklich richtig ... Der Roman 'Alles andere als ein Held' erschien erstmals 1959, ging allerdings trotz guter Kritiken neben Grass' 'Blechtrommel' und Bölls 'Billard um halb zehn' unter. Das lag nicht zuletzt daran, dass man in Deutschland so kurz nach dem Krieg von der allseitigen Anpasserei, den Verbrechen der Wehrmacht und den Betrügereien, auf denen sich das 'Wirtschaftswunder' begründete, nichts hören wollte. Als der Roman 2002 nochmals erschien, wurde er begeistert gefeiert und sofort in die SWR-Bestenliste gewählt. Das Buch erscheint, vom Autor nochmals durchgesehen und mit einem neuen Nachwort von Lothar Müller versehen, im Rahmen der Lorenzen-Werkschau im Verbrecher Verlag.
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Bewertungen

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Meinungen

  • Ein rundum perfektes Buch. Müsste vor der Blechtrommel gefeiert werden als deutsches (Nachkriegs-)Zeitbild!

    Jean van der Vlugt

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Alles andere als ein Held

    Der Autor (Quelle: Schöffling): Rudolf Lorenzen wurde 1922 in Lübeck geboren. Er war zunächst Schiffsmakler und arbeitete dann als Grafiker und Werbeberater. Seit 1955 lebte er als freier Schriftsteller in Berlin. Werke in Auswahl: „Alles andere als ein Held“ (1959), „Die Beutelschneider“ (1962), „Grüße aus Bad Walden“ (1981), „Cake Walk oder eine katalanische Reise in die Anarchie“ (1999). Er starb im November 2013 in Berlin.
    Klappentext (Quelle: Schöffling): „Alles andere als ein Held“ erzählt das Leben von Robert Mohwinkel. Der Junge aus bescheidenen Verhältnissen durchläuft Gymnasium, Hitlerjugend und eine Ausbildung zum Schiffsmakler, um schließlich in den Krieg zu ziehen. Als Soldat übersteht er Bomben und Lazarett mit List und Drückebergerei. Er ist eben alles andere als ein Held. Zurück von der Front muss Robert sich im veränderten Nachkriegsdeutschland zurechtfinden. Doch nichts ist mehr wie es war. Erst dem beginnenden „Wirtschaftswunder“ ist es vorbehalten, was das Dritte Reich nicht vermochte. Er kehrt zurück in eine veränderte Welt, seine unscheinbare „große“ Zeit ist vorbei. Auf diesem dramatischen Tiefpunkt beschließt der überkorrekte Büroangestellte, sein Glück zu korrigieren – und das gelingt ihm mit anerzogener Perfektion, die er nun erstmals nicht für einen „Brotherren“, sondern für sich selbst entwickelt. Rudolf Lorenzen stellt seine Zeit mit den Mitteln der Ironie und Satire bloß: Dass Robert Mohwinkel die Obrigkeiten durchschaut, ihrer Gewalt instinktiv ausweicht und sie damit entlarvt – das macht ihn zu einem frappierend modernen Helden. Robert Mohwinkel ist ein klassischer Verlierer, aber noch nie ist ein Held in der deutschen Literatur auf sympathischere Weise am Alltag gescheitert. Sebastian Haffner über den Roman: „Ich bin gar nicht sicher, ob „Alles andere als ein Held“ nicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Autors ist.“ Kein anderer Autor hat das Kriegs- und Nachkriegsdeutschland packender, realistischer und gleichzeitig amüsanter geschildert als Rudolf Lorenzen. Die raffiniert benutzte Alltagssprache und die Poesie des Banalen machen „Alles andere als ein Held“ zu einem großen wieder zu entdeckenden Roman der deutschen Literatur.
    Deutsche, englische, tschechische und niederländische Ausgaben:
    Die deutsche Erstausgabe erschien 1959 unter dem Titel „Alles andere als ein Held“ im Ullstein Verlag in Berlin, Frankfurt am Main und Wien (574 Seiten). 1982 erschien eine (auf Wunsch des Verlages neu bearbeitete (das heißt stark gekürzte)) Taschenbuchausgabe als Ullstein-Buch Nr. 20185 bei Ullstein in Frankfurt am Main und Berlin (351 Seiten). 2002 erschien die ungekürzte Originalfassung als Hardcover mit Schutzumschlang in der Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung in Frankfurt am Main (622 Seiten) sowie als Lizenzausgabe bei der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt am Main. 2004 erschien eine ungekürzte Taschenbuchausgabe als Piper-Buch Nr. 3938 bei Piper in München und Zürich (621 Seiten). 2007 wurde der Roman im Verbrecher-Verlag in Berlin als Hardcover neu aufgelegt (681 Seiten). 2014 wurde er ebendort im Rahmen der Rudolf-Lorenzen-Werkschau, vom Autor nochmals durchgesehen und mit einem neuen Nachwort von Lothar Müller versehen, als Leinenausgabe mit Leseband und E-Book neuaufgelegt (701 Seiten). Die englische Übersetzung von Michael Bullock erschien 1961 unter dem Titel "Anything But a Hero" bei Barrie and Rockliff in London und 1961 bei St. Martin's Press in New York (518 Seiten), neu aufgelegt im September 2007 bei Kessinger Publishing in Whitefisch, Montana (527 Seiten). Die tschechische Übersetzung von Tomáš Dimter erschien 2005 unter dem Titel "Všechno, jen ne hrdina" bei Prostor in Prag (572 Seiten). Die niederländische Übersetzung von Wil Boesten erschien 2006 unter dem Titel "Allesbehalve een held" bei der Uitgeverij De Arbeiderspers in Amsterdam und Antwerpen (507 Seiten).
    Mein Eindruck:
    Ein rundum perfektes Buch! Müsste noch weit vor der im selben Jahr 1959 erschienenen „Blechtrommel“ gefeiert werden als das zu bewahrende literarische Zeitbild des Kriegs- und Nachkriegsdeutschlands. Eine Mentalitätsgeschichte des deutschen Wesens.
    Der 1922 in Bremen als Sohn eines kleinen Prokuristen in eine Familie mit Angestellten- und Krämerseele hineingeborene Robert Mohwinkel genügt in keinen Punkten dem Bild eines „deutschen Jungen“ oder Hitlerjungen, wie es zu seiner ZEit geschätzt war: immer leicht kränklich, nicht belastbar, wird herumgeschubst und gedemütigt. Aus dem wird nie was werden! Dem jungen Mohwinkel wird nichts zugetraut! Er rettet sich in absolute Prinzipientreue und folgt der Aufrechterhaltung der Ordnung, wird Lehrling bei einem Schiffsmakler, zum Krieg einberufen, landet in russischer Kriegsgefangenschaft, kehrt heim nach Bremen, wo er seine Karriere als Angestellter in der alten Firma plant, aber freundlich hinauskomplementiert wird nach Bordeaux, um sich „im Ausland Erfahrung“ zu verschaffen, vertauscht bald seinen Angestelltenschemel mit der Hafenarbeit als Tallymann, bis er durch Schiebereien, die er in der Grauzone der Nachkriegszeit in Bremen immer abgelehnt hatte, sich eine stattliche Summe Geldes verschafft, die es ihm erlaubt in Lübeck sein eigener Chef als Schiffsmakler mit eigenem Küstenmotorschiff zu werden.
    Der Roman ist frisch wie nur was, überhaupt nicht verstaubt, nicht dröge realistisch, fern jeder metaphorisch verschwiemelten Innerlichkeit, bedient er auch keine manieristisch hochgestochene Intellektualität und literarische Noblesse. Der Roman ist ironisch und hintergründig, packend und alltagstauglich. Es ist die Entwicklungsgeschichte eines geborenen Verlierers und Außenseiters, eines Überangepassten, eines Mitläufers, der schnell lernt, an sich zu denken, an der sich die ganze Tragik des Durchschnittsdeutschen, die duckmäuserische, autoritätshörige Mentalität des Mittelmaßes ablesen lässt. Keine Lebensgeschichte, die einem eine kleine Moral verkaufen will, sondern das vollständige Wechselbad der Gefühle von Verdrängung, fehlender moralischer Reflexion hin zu Erkenntnis und fast spiritueller Einsicht, am eigenen Leib erlitten.
    Es ist auch ein Schelmenroman über einen, der sich stoisch durchmogelt, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront und als Kriegsgefangener in einem kasachischen Bergwerk stets versucht eine ruhige Kugel zu schieben, um sich nicht gemein zu machen mit dem Irrsinn, der schließlich mit dem Glück der Dummen entgegen aller Wahrscheinlichkeit durch die Maschen rutscht und im geschrubbten Vorzeige-Lazarettzug wieder nach Deutschland gekarrt wird. Es ist auch die Geschichte eines Tänzers, der lernt, sich von der Regelhaftigkeit der Tanzschritte frei zu tanzen, um seinen eigenen Rhythmus zu finden, auf dass er am Ende fern jeder Fremdbeeinflussung, ganz ohne Rachegedanken für erlittenes Unrecht und auch frei von allen angelernten Ressentiments zufrieden leben kann. Einer der erkennt, dass Ehrgeiz einen von der Zufriedenheit und einem glücklichen Leben entfremdet, da das gegenwärtige Dasein stets als unfertig entwertet scheint.
    Auf seinem Weg durch den Roman werden Mohwinkel, der zu intelligent ist, all die Demütigungen nicht zu bemerken, etliche vernichtende Erkenntnisse über die Mentalität seiner deutschen Mitbürger bewusst, die im Elternhaus und der Schule nie gelernt haben, mit Niederlagen umzugehen und sich daher verzweifelt und blind ans Gewinnen klammern, um nicht orientierungslos im Chaos zu versinken: die gebetsmühlenartig wiederholte Großartigkeit der Deutschen, hinter der ganz kleine Lichter glimmen. Mohwinkel kann bemerken, wie im Krieg die gemeinen Soldaten reihenweise von ihren eigenen Vorgesetzten - aufgeblasene und lebensfremd pedantische Offiziere - niedergemacht, aufgerieben und vor Kriegsgerichte gestellt werden, nur weil sie im Vorbeigehen zu lasch gegrüßt haben oder weil sich im Lauf ihrer Waffe ein wenig Rost breitgemacht hat, und erkennt doch später nicht, dass seine eigene Pedanterie inzwischen allen auf die Nerven geht und seiner beruflichen Karriere bald völlig im Wege steht - und so wird er abgeschoben und still gestellt. Alles, was Mohwinkel von seinen Eltern gelernt hat, jeder übertriebene Sauberkeitsfimmel, jeder Schlag auf den Nacken, wenn man nach Sternen greift, die vermeintlich nicht für einen an den Himmel gehängt wurden, stellen sich als falsch heraus.
    Umso schöner, dass es Mohwinkel gelingt, sich am Ende zufrieden neben seine nicht standesgemäße Geliebte zu legen. Schön, aber nicht beruhigend! All sein Geld vermögen, ihm ein Auskommen, aber kein Ansehen zu verschaffen. Der Außenseiter, der vom vorgeprägten Weg abweicht, wird nicht ernstgenommen. Manche müssen das auf die harte Tour lernen. Ein fantastisches Buch! Lorenzen ist definitives Futter für Jahresbesten- und Lieblingsbücherlisten!
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Ausgaben von Alles andere als ein Held

Hardcover

Seitenzahl: 704

Taschenbuch

Seitenzahl: 620

Besitzer des Buches 6

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