Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie

Buch von Alexander Wassiljewitsch Tschajanow, Krisztina Mänicke-Gyöngyösi, Maxim Gorki, Iwan Kremmew

Bewertungen

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie

    Autor: Alexander Wassiljewitsch Tschajanow
    Titel: Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie, übersetzt von Christiane Schulte
    Originaltitel: erschien erstmals 1920
    Verlag: Europäische Verlagsanstalt / Syndikat
    ISBN: 9783810801777
    Der Autor:
    Alexander Wassiljewitsch Tschajanow, geboren 1888 in Moskau und am 03. Oktober 1937 in Alma-Ata als angeblicher Spion hingerichtet, war ein russischer Agrarwissenschaftler. Er wurde nach der Oktoberrevolution 1918 Professor am Landwirtschaftsinstitut in Moskau, stellte sich allerdings gegen die Zwangskollektivierung und fiel so bei Stalin in Ungnade. Gegen ihn wurde 1930 ein Schauprozess geführt, dann kam er in die Verbannung nach Kasachstan, wo er nach Ablauf der fünfjährigen Haft erschossen wurde.
    1987 wurde er vom Obersten Gerichtshof der Sowjetunion rehabilitiert.
    Inhalt und Meinung:
    Alexej Kremnew stürzt aufgeregt aus dem Moskauer Auditorium Maximum: das soeben veröffentlichte Dekret vom 27. Oktober 1921 sieht vor, «die häusliche Verpflegung» zu verbieten, denn «die familiäre Behaglichkeit gebiert eigensüchtige Wünsche, die Freude des Kleinbesitzers birgt in sich die Keime des Kapitalismus». (S.20) Im vierten Jahr der Revolution scheint der Sozialismus uneingeschränkter Herrscher der Welt zu sein, teils in absurden Ausmassen. In Büchern wälzend, theoretische Abhandlungen studierend, fällt Alexej ein schweres Buch auf den Kopf. Die Uhren drehen sich schneller, er fällt in einen tiefen Schlaf und erwacht in einem Moskauer Krankenhaus, Jahrzehnte später... im Jahre 1984 (!)
    Man verwechselt Alexej mit einem amerikanischen Wissenschaftler, der geschickt wurde, um sich über die Ingenieuranlagen auf dem Gebiet der Bodenbearbeitung zu informieren. Der Leser erhält nun einen Rundumschlag, wie sich Moskau in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, technische Errungenschaften, und wie sich diverse sozialistische Strömungen zusammen geformt haben. Und spätestens hier ist es trotz zahlreicher Fußnoten hilfreich, über Bolschewiki, Rykow, Konowalow, Maslow, Prokopowitsch, Sereda, uvm Bescheid zu wissen. In der Erzählung kommen Unmengen russischer Namen vor – Künstler, Wissenschaftler, Politiker, die heutzutage vermutlich nur Experten russischer Geschichte kennen. Anfangs habe ich noch bei Wikipedia nachgeschaut, später habe ich mir das Studium erspart. Russische Agrarökonomie des frühen 20. Jahrhunderts ist kein Thema, in das ich mich weiter vertiefen wollte. Interessant zu lesen war es trotzdem: Städte wurden zerschlagen, es herrscht geplante Zersiedelung, Kultur wird nun überall gefördert, nicht nur in Zentren, man beherrscht das Wetter, ein Krieg mit dem an Hungersnot leidenden Deutschland ist dank technischer Überlegenheit in Stunden gewonnen, usw. Um es kurz zu sagen, dem Leser / amerikanischen Wissenschaftler wird hier ein bäuerliches Paradies aufgezeigt, und die Hürden dorthin anhand der geschichtlichen Entwicklung erklärt. Wie werden Steuern erhoben, Innovation gefördert, Familienpolitik, Planwirtschaft, unzählige Themen werden angesprochen.
    Im Grossen und Ganzen sicherlich kein «Pageturner». Man muss als Leser großes Interesse mitbringen und ein solides Wissen um die russische Revolution 1917 macht die Lektüre deutlich einfacher. Ich fand es spannend zu sehen, wie ein russischer Agrarwissenschaftler (der Autor) sich das Jahr 1984 wünschte / vorstellte – im Gegensatz zu George Orwells Vision von 1984.
    Was das Lesen vereinfachte waren übrigens zahlreiche, kurze Kapitel, die stets überschrieben waren mit Erklärungen wie «Fünftes Kapitel, das überaus lang, aber unbedingt notwendig ist, damit Kremnew das Moskau des Jahres 1984 kennen lernen kann.» oder «Neuntes Kapitel, das junge Leserinnen auch auslassen dürfen, das aber den Mitgliedern der Kommunistischen Partei zur besonderen Aufmerksamkeit empfohlen wird» Das letzte Kapitel ist übrigens eine mehrseitige Zeitungsausgabe mit diversen kurzen Artikeln, die den Leser über neue Bücher, einen Krieg, technische Entwicklungen, das Wetter, sportliche Ereignisse, etc informieren – nur Gutes ist dort zu lesen...
    Insgesamt betrachtet war diese Utopie vor hundert Jahren sicherlich eine Zukunftsvision, auf die man mit richtigen politischen Entscheidungen hinarbeiten wollte. 1920 war der Kommunismus / Sozialismus in Russland noch stark zersplittert, weswegen Tschajanow den Text auch unter Pseudonym veröffentlichte (Kremnew), und auch das Vorwort schrieb der sowjetische Diplomat und Publizist Watzlaw Watzlawowitsch Worowski (1871 - 1923) lieber unter Pseudonym. Den echten Namen darunter zu setzen, trauten sich die beiden Verfasser (aus guten Gründen) lieber nicht.
    Heutzutage ist der praktische Nutzen verschwindend gering, man kann es eigentlich nur noch als historisches Stück lesen.
    Zu guter Letzt noch ein Hinweis: der Text trägt noch den Titel «Teil I – Die Ankunft», ein zweiter Teil wurde nie publiziert und ist nicht auffindbar, wenn es ihn überhaupt gegeben hat. Aber es ist schon so, dass am Ende weitere Entwicklungen offenbleiben, und es keine abschließende Handlung gibt.
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Ausgaben von Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie

Taschenbuch

Seitenzahl: 130

Besitzer des Buches 1

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