Süßer König Jesus

Buch von Mary Miller, Alissa Walser

Bewertungen

Süßer König Jesus wurde insgesamt 4 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,1 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Süßer König Jesus

    Die Autorin (Webseite der Autorin): Mary Miller ist eine am 9. Juni 1977 in Texas geborene und in Jackson, Mississippi, aufgewachsene US-amerikanische Autorin, die an der University of Southern Mississippi Literatur studierte und heute mit Ehemann und Hund in Oxford, Mississippi, lebt. Von ihr stammen etliche Kurzgeschichten, von denen einige auch schon 2012 auf Deutsch in der Literaturzeitschrift „Krachkultur“ veröffentlicht wurden.
    Werke:
    Big World (2009, dt. Big World, Kurzgeschichten)
    The Last Days of California (2014, dt. Süßer König Jesus, Roman)
    Always Happy Hour (2017, Kurzgeschichten)
    Biloxi (2019, Roman)
    Klappentext (Metrolit): Zwei Lolitas [das Wort würde ich nicht auf die Goldwaage legen] auf dem Rücksitz eines Fords: Jess, immer auf der Suche nach Süßigkeiten und einem Jungen, der sie liebt, und Elise, heimlich schwanger. Am Steuer: die religiös-fundamentalistischen Eltern auf ihrem Road-Trip von Alabama nach Kalifornien, dem Weltuntergang entgegen.
    Als hätten sich Jeffrey Eugenides' Selbstmord-Schwestern mit den Coen-Brüdern auf ein paar Drinks am Motel-Pool getroffen. [ein etwas lahmes Bild, wenn man sich als Verlag nicht traut, Größen wie Carson McCullers ins Spiel zu bringen.]
    „Mary Miller ist mit ihrem Debüt etwas ganz Besonderes geglückt: ein Roman, dessen Snapshots im Bewusstsein zünden als schaurig-schöne Erleuchtungen! Mit dieser Autorin wird fortan zu rechnen sein.“ (Peter Henning)
    Der Roman erschien im Jahr 2013 zuerst in der deutschen Übersetzung von Alissa Walser als „Süßer König Jesus“, bevor er 2014 im amerikanischen Original bei W.W. Norton in New York als „The Last Days of California“ herauskam. Die hartgebundene Ausgabe beim Berliner Metrolit-Verlag umfasst einschließlich eines kurzen Nachwortes von der Übersetzerin Alissa Walser 252 Seiten.
    Mary Miller ist wirklich eine gestochen scharfe Beobachterin menschlichen Verhaltens. Ihr gelingt ein sehr gut ausgeleuchtetes, leicht lesbares Bild der amerikanischen Familie in den substanzlosen Hüllen der spätkapitalistischen Konsumwelt. Vier Tage einer Reise entlang amerikanischer Highways mit Zwischenstopps in Tankstellen, Autobahnraststätten, Fast-Food-Restaurants und Motels. Eine seltsame Pilgerreise in einem Zwischenreich kurz vor dem Ende der Welt, wie wir sie kennen: In Erwartung der zweiten Wiederkehr des Messias, die die christlich-fundamentalistischen Eltern zweier Töchter in Kalifornien erleben wollen. Die heimatlichen Zelte sind abgebrochen und das ganze restliche Geld dieser Welt wird (dank Kreditkarte) noch schnell in Fast-Food-Restaurants durchgebracht. Falls der Weltuntergang und die „Erweckung“ nicht stattfinden, scheint ihre Freikirche einen Fond eingerichtet zu haben, um die Familien, die sich auf eine solche Weltuntergangs-Pilgerreise begegeben haben, finanziell unterstützen zu können.
    Der Roman hat mir während des Lesens außerordentlich viel Vergnügen bereitet. Und bei meinem Urteil über Bücher stütze ich mich doch sehr auf den direkten Ersteindruck beim Lesen. All das spätere Abgewäge und intellektuelle Einordnen und Bewerten erscheint mir oftmals eher zweitrangig, als ob dem Überschwang des momentanen Leseeindruckes (so er denn da ist) schüchterne Zügel angelegt werden sollen. Der Überschwang macht ja auch angreifbar, das mögen nicht alle Leser, jedenfalls wenn aus ihnen Rezensenten werden. Ich gehe also davon aus, dass ich diesen Roman viel besser bewerte als andere, die ihn zwar möglicherweise lesenswert, aber inhaltlich gerne auch etwas unterkomplex finden. Von Mittelungsprosa und braver Jugendliteratur lese ich da in Kritiken. Doch so nah, wie man an der Hauptfigur, der 15-jährigen Jess, dran ist, so wenig erwarte ich von ihr eine komplexe, existenzialistische Durchleuchtung der gegenwärtigen Gemütslage der westlichen Welt. Das ist einfach nicht ihre Aufgabe. Aber was sie als Erzählerin (und mit ihr die Autorin) eben doch schafft, ist ein scharfäugiges und pointiertes Bloßlegen menschlichen Verhaltens. Mein Favorit aus diesem Bereich ist eine Beschreibung von Jessicas Vater, als er einmal einen Raum mit einem Stöhnen betritt, als wollte er gerne auf seine körperlichen Gebrechen angesprochen werden. Hinter solch lakonischen Beschreibungen verbirgt sich eine tiefe Einsicht, was das Sozialgefüge der Menschen im Kleinen zusammenhält und mit welchem Kitt Familien aneinanderkleben, ein aus der Gewohnheit gewonnenes Sich-gehen-lassen in einem familiären Schutzraum, der spätestens dann, wenn die Kinder älter werden, auch schnell als einschnürend empfunden werden kann.
    Die jugendliche Wahrnehmung ihrer Lebenswelt durch die Teenage-Töchter ist derartig authentisch niedergeschrieben, dass es mir eine Freude ist. In keinem Moment hatte ich den Eindruck, hier würde Sprache künstlich auf jugendliche Weltsicht gepresst. Das ist keine Rollenprosa, sondern von einer fast dokumentarischen Genauigkeit und Beiläufigkeit, die manchmal droht, ein wenig ins Beliebige abzugleiten. Aber Überlandfahrten im Familienauto sind nun einmal nicht angefüllt mit ständiger, konzentrierter Welterkenntnis, sondern oftmals einfach auch nur eine langweilige Wiederholung vorbeihuschender Nichtorte, ein Warten auf Zwischenhalte, die aber auch nichts anderes zu bieten haben als Fast-Food und abwaschbare Plastikoberflächen. Die sinnlose Freude auf bestimmte Marken-Süßigkeiten, die der nächste Halt möglicherweise zu liefern vermag.
    Der Kontrast von apokalyptischer Endzeitstimmung und familiärer Tristesse, der Gegensatz von Anspruch und Lebenswirklichkeit der Eltern, sorgt für eine schön subtile Melancholie. Ist der Vater wirklich gerade mal wieder arbeitslos geworden? Dann ist der Aufbruch in eine ungewisse Zukunft ja ein weit weniger großes Opfer als es sich sonst darstellte, wenn die Karriereleiter derzeit stracks nach oben führt und in der Familie „alles in Ordnung ist“. In dem Zwischenreich der mehrtägigen Überlandreise zur religiösen Erweckung in Kalifornien, in dem die bigotte Heilserwartung der Eltern Züge einer Realitätsflucht annimmt, scheint die 15-jährige Jess genug Kraft für eigenes Selbstvertrauen zu schöpfen, um sich selbst im Leben der Erwachsenen zu verankern – in der Konfrontation mit Selbstzweifeln, dem Widerspruch von Selbst- und Fremdbildern, dem Brüchigwerden einer Fassade der Anständigkeit, mit der Erfahrung plötzlichen, sinnlosen Todes und der Übertretung von Geboten, mit Glaubensfragen, leiser Rebellion, dem Durchstreifen fremder Leben, mit Loyalität und erstem Sex. Und wie die Autorin das ganz ohne Wertung des Verhaltens der Eltern und der Kinder erzählt, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ein so sympathisches, lakonisches, fast filmisch vor einem ausgebreitetes, im Grunde ereignisarmes Buch, das aber dennoch trocken von den emotionalen Höhen und Tiefen der Pubertät in einem Ausnahmezustand zwischen Autobahn und Raststätten erzählt, mag ich – ohne jetzt lange fein abzuwiegen und den intellektuellen Wert des Gelesenen zu klären – mit nicht weniger als der Höchstpunktzahl bewerten. Eine Hinwendung zum Leben, die die eigenen Demütigungen und sozialen Leberhaken anzunehmen bereit ist. Was für einen pubertieren Teenager schon eine wichtige Erfahrung ist. Fünf Sterne.
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Ausgaben von Süßer König Jesus

Hardcover

Seitenzahl: 256

Taschenbuch

Seitenzahl: 256

E-Book

Seitenzahl: 255

Besitzer des Buches 8

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