Original : Deutsch (Schweiz), 2002
INHALT :
Sein eigener Schrei ist es, der Josef, bis vor kurzem Herr einer Hotelkette, überrascht: Sein Enkel John stellt die Krippenfiguren im Spiel anders auf, als es die Weihnachtserzählung vorschreibt – und aus der Heiligen Familie wird eine Szene intimer Gewalt. Das Erschrecken darüber deckt eine Geschichte auf, die nicht vergangen ist. Hat Josef vor bald fünfzig Jahren die Frau, die er zu lieben glaubte, umgebracht?
Diese Geschichte kann er keinem Sechsjährigen erzählen. Also schreibt er dem Enkel einen langen Brief, den dieser in zwanzig Jahren einmal erhalten soll. Dann wird er lesen können, wie Josef auf sein Leben zurückblickt – nicht mit Stolz und Gefühlen des Glücks. Aufgewachsen in einem Klima von falscher Moral und Kälte, flüchtet er aus dem Elternhaus, um sich in der eigenen Generation eine neue Familie zu suchen. Was ihm in den Milieus der fünfziger und sechziger Jahre zustößt, mündet in jene schreckliche Tat, die Josef aus der Bahn wirft. Er flieht in die Ferne, bis nach Ägypten...
(Quelle : Suhrkamp-Verlag, gekürzt)
BEMERKUNGEN :
Ist schon seltsam, dass oder warum man gewissen Autoren aus dem Wege geht. Ich hatte bei Muschg irgendeine Assoziation von « unverdaulich ». Tja, ich frage mich nun verdattert, ob das einfach am zungenbrecherischen Namen liegt, der Schwierigkeiten höchsten Grades vorgaukelt ? Und dann geriet ich eher zufällig in der Vorweihnachtszeit an dieses Buch, in dem eine Krippe und auch gewisse biblische Bezüge nicht ganz unbeabsichtigte Rollen spielen.
Aber einfach, spielerisch oder gar romantisch wird es dann doch nicht, das ist wohl wahr. Denn die Konstellationen, die wir sehen oder nachstellen (zB in der Krippe) spiegeln Erlebtes und Empfundenes. Und das will der alternde, ehemalige Unternehmensleiter und leidenschaftlicher Großvater nun für seinen Enkel John aufschreiben.
Es wäre ein schweres Unternehmen, die vielen Einzelheiten hier auch nur bruchstückhaft nachzuerzählen, aber eigentlich geht es um das Teilen eines Werdegangs, eines Lebens : wie man das Erbe von Generationen männlicher Tyrannen (?) und unterworfenen, leidenden Frauengestalten weiterträgt, wie eine puritanisch-protestantische Erziehung zum Abscheu seiner selbst und zum Mißtrauen gegen sich und andere führt. Zu Zwangsvorstellungen. Ist die Katastrophe nicht unvermeidlich, und selber zugefügtes Leid ? Wie dem entfliehen ? Kann man das ? Oder bleibt man « gefangen », selbst und gerade in seinem ererbten, erzwungenen, nur halb-ehrlichen, gequälten Lächeln ? Und wie, was, wer wird uns denn da – wenn überhaupt – herausführen können ? Wird es eine Befreiung geben, eine aus oder in Ägypten sogar, um bei den biblischen Bezügen, Bildern, Namen des Buches zu bleiben ?
Tja, und dieser Text erweist sich dann doch als teils harter, heftiger Tobak mit Passagen großer physischer und seelischer Gewalt und Rohheit- wohl nicht für jeden Leser… selbst wenn es zu einer Form der Erlösung kommt. (Dennoch) ein wertvolles Buch, das beeindrucken kann !
AUTOR :
Adolf Muschg wurde 1934 als Sohn von Adolf Muschg senior (1872–1946) und seiner zweiten Frau in Zollikon, Kanton Zürich/Schweiz geboren. Er studierte Germanistik, Anglistik sowie Philosophie in Zürich und Cambridge und promovierte über Ernst Barlach. Von 1959 bis 1962 unterrichtete er als Gymnasiallehrer in Zürich, dann folgten verschiedene Stellen als Hochschullehrer, unter anderem in Deutschland (Universität Göttingen), Japan und den USA. 1970 bis 1999 war er Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 1975 war Muschg Kandidat der Zürcher Sozialdemokratischen Partei für den Ständerat. Er wurde zwar nicht gewählt, äußerte sich nach wie vor regelmäßig zu politischen Zeitfragen. Adolf Muschg ist seit 1976 Präsident der Akademie der Künste Berlin, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Lesereisen führten ihn bisher nach Deutschland, England, Holland, Italien, Japan, Kanada, Österreich, Portugal, Taiwan, USA. Verschiedene Preise : Herrmann-Hesse-Preis, Büchner-Preis...
Er lebt in Männedorf bei Zürich.
(Quelle : Suhrkamp-Verlag)
Gebundene Ausgabe: 156 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (29. Juli 2002)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518413511
ISBN-13: 978-3518413517