John Casey - Der Traum des Dick Pierce / Spartina

  • Der Autor: Der Schriftsteller, Übersetzer und Hochschullehrer John D. Casey wurde 1939 in Worcester, Massachusetts/USA geboren. Er studierte am Harvard College, der Harvard Law School und der University of Iowa. Für seinen Roman „Der Traum des Dick Pierce“ erhielt er 1989 den Natinoal Book Award. Der Autor lebt mit seiner Familie in Charlotteville, Virginia/USA, wo er an der University of Virginia englische Literatur lehrt. Er schrieb bisher die folgenden sechs Romane: An American Romance (1977), Testimony and Demeanor (1979), Spartina (1989, dt. Der Traum des Dick Pierce), Supper at the Black Pearl (1996), The Half-life of Happiness (1998) und Compass Rose (2010) sowie ein paar Sachbücher.


    Im November 2017 wurden unterschiedliche Stimmen laut, die Casey sexuelle Belästigung von Studentinnen in den Jahren 2012 bis 2014 vorwarfen: Unsittliches Berühren, abwertende Rede, manipulatives Verhalten, Bevorzugung männlicher Studenten. (sieheenglische Wikipedia). Meist sind die fiktionalen Gestalten ihren Schöpfern wohl überlegen... :|


    Klappentext (Zsolnay-Verlag, kurz): Mit dichten, stimmungsvollen Bildern schildert John Casey, herausragender Newcomer der amerikanischen Literaturszene, die Einsamkeit eines stolzen, enttäuschten Außenseiters. Dick Pierce führt das harte Leben eines Fischers an der Küste von Rhode Island, bedrängt von widrigen Umständen, getrieben von seinen unbezähmbaren Leidenschaften. Doch er gibt nicht auf …
    „John Casey ist ein Autor, den ich sehr bewundere. Mit 'Der Traum des Dick Pierce', einem wunderbaren, ruhigen, poetischen Roman, hat er eine bislang unentdeckte Seite Amerikas zum Vorschein gebracht. Eine umwerfende Leistung.“ (Paul Theroux)


    Klappentext (Zsolnay-Verlag, lang): Der Roman „Der Traum des Dick Pierce“ gehört zu den eindrucksvollsten literarischen Werken, die die amerikanische Literaturszene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Auf faszinierende Weise schildert der Autor in dichten, stimmungsvollen Bildern die Einsamkeit eines stolzen Außenseiters. Der Protagonist Dick Pierce steht in einer Reihe mit den literarischen Gestalten Joseph Conrads und Ernest Hemingways. Dick Pierce bringt sich und seine Familie mehr schlecht als recht mit Fischfang durch. Er ist vierzig, enttäuscht und unzufrieden und hat das Gefühl, im Leben versagt zu haben. Immer wieder ist er angeeckt, und das harte Leben als Fischer an der Küste von Rhode Island hat ihn zum eigensinnigen Einzelgänger werden lassen, mit einer unbändigen Wut auf das eigene harte Schicksal und all jene, die es im Leben so viel leichter haben. Aber er gibt nicht auf. Sein großer Traum ist es, irgendwann ein eigenes großes Boot zu besitzen. Diesen Traum verfolgt er hartnäckig und zielstrebig. Als keine Bank ihm mehr einen Kredit gewähren will, lässt er sich auf Drogenschmuggel ein und entgeht nur mit knapper Not einer Verhaftung. Schließlich bekommt er das Geld von zwei Frauen. Mit einer der beiden verbinden ihn nicht nur geschäftliche Interessen, sondern auch eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Als er sein Schiff, die „Spartina-May“, endlich vom Stapel lassen kann, gerät er in einen Hurrikan. Ein unerbittliches Kräftemessen mit den Naturgewalten beginnt …


    Die Originalausgabe des Romans erschien 1989 unter dem Titel „Spartina“ bei Alfred A. Knopf in New York. Die erste Auflage der deutschen Übersetzung aus dem Amerikanischen von Peter Hiess und bearbeitet von Edith Walter erschien 1992 beim Verlag Paul Zsolnay in Wien unter dem Titel „Der Traum des Dick Pierce“. Diese hartgebundene Ausgabe umfasst 392 Seiten. "Spartina" meint übrigens Schlickgräser, die in den Salzmarschen an der Küste wachsen. Spröde, biegsame, aber auch schöne Pflanzen.


    Ein ungewöhnlicher Roman, der einem bewusst macht, wie sehr man es von Autoren gewöhnt ist, dass mit dem Besonderen, dem Exorbitanten Eindruck geschunden werden soll. Immer höher, schneller, weiter. Wie sehr und wie oft man als Leser in stereotype Konflikte eingewoben wird, die einen überzeugen sollen, es doch mit großartiger Literatur zu tun zu haben. Denkste, ist aber nicht selten nur geschickte Politur. Nicht schlimm, oft unterhaltsam, aber eben doch Ware von der Stange.


    Ganz anders dieser Roman, der auf seine stille Art ein ganzes Bündel an emotionalen Verwerfungen, inneren und äußeren Konflikten behandelt. Und dabei im Großen und Ganzen weitgehend auf Klischees und Stereotypen verzichtet. Das merkt man gerade dann, wenn eine dramatische Situation einmal länger ausgespielt wird und man im Fahrwasser der eigenen Erfahrung mit „gehobener Unterhaltungsliteratur“ einfach nur den schlimmsten Ausgang annimmt. So weit ist man schon „literarisch verbildet“. Als wenn man nur so begreifen könne, was fiktive Figuren denken und empfinden!


    Alle Szenen in diesem Roman wirken nicht zwingend, sind aber formvollendet ausgestaltet. Nicht groß hingeschustert, um eine weitere Stufe der Kausalkette zu erreichen. Und scheinen so dann doch wieder zwingend – und vor allem authentisch. Es bedarf keines Polterns an der richtigen dramaturgischen Stelle (Konfliktverstärkung, Heulen, Zähneklappern und am Ende haben alle was gelernt und der Leser verdrückt ein Tränchen), um die Wirklichkeit mit ihren Pausen, Verzögerungen und Einbußen abzubilden. Die Gedankenfülle und Tiefe, mit der Hauptfigur Dick Pierce am Ende über sich, sein Leben und sein Verhalten nachdenkt, ist nichts weniger als beeindruckend. Wie sich da ein schlechtgelaunter Sturkopf - immer anrennend gegen die Umstände, mit Zorn auf Ungerechtigkeit und mit einem als Klassenhass getarnten, nicht eingestandenen Neid auf jene, die es ohne viel Dazutun einfacher im Leben haben -, wie sich dieser maulfaule Einzelgänger im Gefolge einer Dreiecksbeziehung während eines schweren Jahres, in dem es sich entscheidet, ob er seinen Traum eines eigenen Bootes verwirklichen kann oder wirtschaftlich untergeht, um in Armut oder als Lohnsklave zu enden, wie sich so ein schwieriger Charakter kurz vor der Mitte seines Lebens, wenn die Kinder bald aus dem Haus sind, die Bitterkeit aus seinem Gemüt und seiner Lebenseinstellung bürstet, ist bewundernswert. Der Höhepunkt eines ausgezeichneten Romans über einen Mann mit harter Schale, der zu wenig ein Spieler ist, um sein soziales Leben alleine zu meistern, auch gegen die Interessen der anderen, aber jedes Schiff durch schwere See steuern kann. Der lernen muss, seinen Frieden mit den Umständen zu machen. Der einen Schubs braucht und dann genügend Festigkeit, um seine Verantwortung gegen sich und die Seinen zu tragen. Und der bei aller stillen Einsicht am Ende dennoch eingestehen muss, dass seine betrogene Ehefrau das Leben doch noch besser trägt als er selbst. Eigentlich kann sich fast jeder eine Scheibe davon abschneiden - jeder von uns Nachdenklichen, deren Nachdenken allzu leicht im Grübeln und Haden erstarrt.


    Der Roman erhielt 1989 den National Book Award for Fiction. Schön, dass damit der ruhige Tonfall und die tiefgründige Charakterzeichnung honoriert wurde, ein Tonfall, der nicht auf dicke Hose macht. Manche Leser werden sich allerdings fragen, was in diesem Roman denn überhaupt besonders Berichtenswertes passiert, so fein ist die Bedeutung in die Geschichte eingeschrieben. Weiß Gott nicht überwürzt. Gerade der Verzicht auf äußeres Konfliktgedöns sollte Freiraum für den Leser schaffen, die Charaktere genau beobachten zu können. Lass das manche langweilig finden. Ich finde es ausgesprochen klug, präzise und versöhnlich mit dem Menschsein.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Eine englische Ausgabe unter dem Originaltitel "Spartina", unter anderem 1998 als Vintage-Reprint erschienen.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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  • der ruhige Tonfall und die tiefgründige Charakterzeichnung

    Das sehe ich ebenso. Dieses Buch besticht einfach durch seine stille Aneinanderreihung ebenso überwiegend stiller Szenen. Dennoch ist das Buch spannend: gelingt ihm der Bau des Schiffes? wird er Kapitän und sichert so das Leben seiner Familie? übersteht dieses besondere Schiff den Hurrikan?

    Der Autor/Erzähler muss eine Menge von Schiffen, Fischerei und Nautik verstehen!


    Der Protagonist hat es schwer: der Familienbesitz musste verkauft werden, um Arztrechnungen bezahlen zu können, und er muss mehr oder weniger hilflos zusehen, wie sich auf seinem ehemaligen Land die Reichen und Schönen ansiedeln. Es nagt an seinem Stolz, für sie arbeiten zu müssen, um über die Runden zu kommen.

    Seinen Traum, sein Schiff, nennt er "Spartina", und er selber kommt mir ebenso vor wie ein solches Schlick-Gewächs. In einer Szene zeigt sich besonders augenfällig seine enge Verbindung mit dem Wasser und dem Land, als er sich im Schlick wälzt und fast eins wird mit der Natur. Seine außerordentliche Nähe zum Wasser und sein großes Verständnis für Nautik und Natur lassen ihn als Fischer durchaus erfolgreich sein, aber immer wieder muss er Rückschläge einstecken. Diese Rückschläge sind teils unverschuldet, teils liegen sie aber in seiner herben, gelegentlich unfreundlichen und groben Art, mit Menschen umzugehen.

    Mit dem neuen Schiff gerät er in einen Hurrikan, und er selber gerät an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeiten. Und so erlebt er schließlich den Hurrikan wie eine Katharsis: "seine Bitterkeit" (S. 385) wird mit dem abfließenden Wasser hinausgeschwemmt und er muss "sich nicht mehr dauern den Kopf darüber zerbrechen..., wie er Brot auf den Tisch bekam" (S. 385).


    Und so endet diese Geschichte eines einsamen und eigenwilligen Mannes versöhnlich mit einem schönen Bild: "Er fühlte sich wie die Salzmarsch, der Salzweiher bei Hochwasser, überfließend" (S. 392).

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • drawe Ja, ein wirklich hervorragendes Buch! Fein, dass es Dir gefallen hat.:winken: Und Danke für das Teilen des versöhnlichen Schlussbildes. Das ist wirklich schön!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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  • ein wirklich hervorragendes Buch!

    … mit unendlich vielen Facetten des Menschlichen, die der Erzähler hier ausbreitet, und jede Figur klar konturiert.

    Und sehr sehr schöne Beschreibungen des Wassers.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).