Magnus Brechtken - Albert Speer

  • Der Verlag über das Buch
    Seit 1931 NSDAP-Mitglied und bald ein Vertrauter Hitlers, wurde Albert Speer rasch zum Architekten des Rassenstaates. Im Krieg engagierte er sich als Rüstungsminister unermüdlich für den totalen Kampf und die Vernichtungsmaschinerie. Gleichwohl behauptete er nach Kriegsende, stets distanziert, ja eigentlich unpolitisch und gar kein richtiger Nazi gewesen zu sein.
    Magnus Brechtken zeigt, wie es Speer gelang, diese Legende zu verbreiten, und wie Millionen Deutsche sie begierig aufnahmen, um sich selbst zu entschulden.
    Brechtken, renommierter Zeithistoriker und stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, beschreibt nicht nur, wie markant Speers Stilisierung als angeblich unpolitischer Techniker den historischen Tatsachen widerspricht. Auf der Basis jahrelanger Recherchen und vieler bislang unbekannter Quellen schildert er zugleich, wie Millionen Deutsche Speers Fabeln mit Eifer übernahmen, um sich die eigene Vergangenheit schönzureden, und wie sehr Intellektuelle, namentlich Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler, diese Legendenbildung unterstützten. Die verblüffende Biographie eines umtriebigen Manipulators - und zugleich ein Lehrstück für den deutschen Umgang mit der eigenen Geschichte.


    Der Verlag über den Autor
    Magnus Brechtken, geboren 1964, wurde an der Universität Bonn im Fach Geschichte promoviert und lehrte an den Universitäten Bayreuth, München und Nottingham. Seit 2012 ist er stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und Professor an der Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen der Nationalsozialismus, die Geschichte der internationalen Beziehungen und die historische Wirkung politischer Memoiren.


    Meine Gedanken zum Buch
    Den Namen Albert Speer habe ich bisher vor allem mit "Hitlers Architekten" in Verbindung gebracht, und mir sonst keine Gedanken über dessen weitere Rolle im Dritten Reich gemacht. Beeindruckend beschreibt der Autor den Aufstieg des - aus einem sehr reichen Elternhaus stammenden - jungen Mannes in der nationalsozialistischen Partei, seinen enormen Ehrgeiz, der ihn schließlich ins Zentrum der Macht und damit in die unmittelbare Nähe Hitlers rückt. Speer wird Rüstungsminister, sorgt durch seine verbissenen Bemühungen für die Verlängerung des Krieges, ist für den Tod unzähliger Zwangsarbeiter verantwortlich, bereichert sich persönlich in ungeheurem Ausmaß, versteht die Öffentlichkeit mit manipulierten Zahlen ohne konkrete Bezugspunkte in Erstaunen zu versetzen, um so eine nie stattgefundene Produktionssteigerung zu belegen und unermüdlich ein nie eintretendes "Rüstungswunder" vorauszusagen.
    Das Faszinierende am "Phänomen Speer" sind jedoch nicht diese biografischen Daten, sondern wie es dem einstigen Rüstungsminister einerseits gelang, in den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und andererseits ab 1966 seine eigene Legende nicht nur aufzubauen, sondern jahrzehntelang erfolgreich zu manifestieren.
    Am meisten hat mich jedoch verwundert wie willig nicht nur Journalisten, sondern auch Historiker (allen voran aus der angelsächsischen Welt) auf diesen Sperrschen Zug aufgesprungen sind. Dass einfache Leser wohl oder übel glauben, was ihnen vorgesetzt wird, will ich nicht pauschal verurteilen, überprüft doch auch heute kaum ein gutgläubiger Bürger den Wahrheitsgehalt seiner Buch- oder Zeitungslektüre mittels eigener Recherchen.
    Dass Speer aber selbst von Siedler und Fest als "Zeitzeuge" gehandelt und seine Aussagen niemals an den reichlich vorhandenen Quellen überprüft wurden, stimmt doch sehr nachdenklich. Sicher verstand sich Albert Speer vortrefflich zu präsentieren. Das gelang ihm schon während der Nürnberger Prozesse, in denen er sich als nahezu "Unbeteiligter" darzustellen verstand, als unpolitischer Bürger, der keine Ahnung hatte, wie er überhaupt in den Dunstkreis der Nazi-Elite gelangen konnte, und sich dies nur aufgrund seiner ungeheuren Begabung als Architekt und Baumeister zu erklären vermag. Speer ist im Gegensatz zu seinen verstockt wirkenden Mitangeklagten von Anfang an die Ausnahmeerscheinung; eloquent, höflich und mitteilungsfreudig repräsentiert er den noblen Nazi, den braven Arbeiter, der nur seinem Beruf verpflichtet war, und vom kriminellen Umfeld, in dem er sich tagtäglich bewegte, keinerlei Kenntnisse hatte. Erstaunlicherweise glaubten ihm seine Richter, und so liegt es nahe, dass Speer auch nach verbüßter Haftstrafe nicht von diesem Mythos abrücken wollte. Ganz im Gegenteil, dem "noblen Nazi" gelang es nicht nur, seine Legende mit Hilfe eines wohlwollenden Umfeldes jahrzehntelang aufrechtzuerhalten, sondern sich seine Publikationen und "Erinnerungen" auch noch vergolden zu lassen.
    Der erste Teil des Buches führt dem Leser einmal mehr sehr drastisch vor Augen, wie brutal das Naziregime agierte, wie sehr die einzelnen Akteure auf ihre eigenen Vorteile bedacht waren, während man im weiteren Verlauf der Lektüre nur noch über die Dreistigkeit staunen kann, mit der Speer nach Kriegsende zu Werke ging - und damit auch Erfolg hatte.
    Unverständlich bleibt dennoch die Gutgläubigkeit mit der seine Argumentationen und seine Darstellungsweise vor allem von professioneller Seite aufgenommen wurden. Aus diesem Grunde kann man die Arbeit des Autors nicht hoch genug schätzen, der mit diesem Buch das Bild zurechtgerückt und anhand des Quellenmaterials aufgezeigt hat, wie Albert Speer seine Karriere im Dritten Reich vorangetrieben, wie er gehandelt, und was er später behauptet hat. Das Buch ist trotz der vielen Fakten und Daten leicht und flüssig zu lesen, und meiner Meinung nach Pflichtlektüre für alle an unserer unmittelbaren Vergangenheit Interessierten.

  • Ich habe vor einiger Zeit die Autobiographie gelesen. Da wurde mir auch teilweise ganz anders, wie er sich da als harmloser, netter Mensch darstellte. Ach, wenn er doch gekonnt hätte, wie er wollte.....
    Für mich ist Speer eine sehr zentrale Figur in diesem ganzen verbrecherischen System.

  • Für mich ist Speer eine sehr zentrale Figur in diesem ganzen verbrecherischen System.

    Ja, da hast Du ganz recht, lieber Klaus! Er hat sich ja auch schon als Hitler-Nachfolger gesehen für die Zeit "danach".


    Ich habe vor einiger Zeit die Autobiographie gelesen.

    Da wäre diese Biografie ja geradezu die ideale Ergänzung, unter dem Motto "Dichtung und Wahrheit" hautnah selber erleben.

  • Hallo Sylli,


    danke für Deine Rezension!


    Es fällt schwer, bei dieser Ent-Mythisierung ruhig zu bleiben. Speer hat sich erfolgreich inszeniert als guten Nazi, als
    unpolitischen Großbürger, der keine Ahnung vom Holocaust, vom Vernichtungskrieg etc. hatte.
    Da schildert er seine Bemühungen, den Krieg quasi abzukürzen - erstunken und erlogen, genau so wie sein
    angebliches Attentat auf Hitler bzw. die Vorbereitungen dazu.
    Und wie Du richtig schreibst, hat er sich das auch noch vergolden lassen. Seine Bücher haben sich recht gut verkauft.
    Klar: das hat jeder gerne geglaubt, dass er so ahnungslos war, jeder wäre doch gerne so ahnungslos gewesen.
    Ein überfälliges Buch, meine ich, das Speer als knallhart kalkulierenden Karrieristen zeigt.
    Sein Sohn ist neulich verstorben, Architekt wie er.


    anne

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ein überfälliges Buch,

    Ja, unbedingt, und toll recherchiert. Obwohl die Quellen auch schon vorher zugänglich gewesen wären. Hat sich bloß keiner die Arbeit gemacht, und lieber den "Zeitzeugen" Speer zitiert.
    Mich hat echt schockiert, dass der Joachim Fest auch auf diesen Zug aufgesprungen ist, fast hätte ich seine Hitler-Biografie gelesen. Da werde ich mich aber lieber an den Peter Longerich halten, und mir dessen 1200 Seiten-Schinken zu Gemüte führen. Brauch ich aber fast Urlaub dafür.
    Oh Herr, schick Zeit vom Himmel, bleibt auch in der Altersteilzeit mein tägliches Abendgebet! O:-)

  • Ich habe damals die Fest-Biografie gelesen, es gab ja nichts anderes, aber
    da hast Du schon recht: eine neuere sollte es schon sein. Wenn Du die Longerich-Biografie liest,
    wirst Du uns bestimmt mitteilen, was Du davon hältst!
    Ich selber würde mir lieber bisschen was von Götz Aly zu Gemüte führen, z. B. sein Buch "Hitlers
    Volksstaat"; ich schätze Aly sehr.
    Allerdings warte ich immer noch auf ein Buch über die Kunsträubereien, die auch nach dem Krieg
    noch lustig und munter weitergingen, zumindest in München. Es ist einfach schlimm.
    Viele Grüße!
    anne

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Also, auch wenn Ihr sicher recht habt, so ganz überflüssig ist die Fest-Biographie auch nicht. Klar hat er sich von manchem übertölpeln lassen. Aber sein Blick auf die Zeit ist nicht ganz obsolet. Gerade auch wegen ihrer literarischen Qualitäten bietet sie einen guten Überblick.