I.W. Gregorio - (male, female or...) None of the above

  • Inhalt
    Die 18-jährige Kristin hat vor einiger Zeit ihre Mutter an Gebährmutterhalskrebs verloren und lebt seitdem mit ihrem Vater alleine. Die beiden vermissen natürlich Kristins Mutter, haben sich aber mittlerweile soweit es geht arrangiert. Und Kristin führt ein nach Außen hin perfektes Highschool-Leben: sie ist hübsch, eine sehr erfolgreiche Hürdenläuferin im Schulteam, sie hat einen Freund aus dem Footballteam, ist eine gute Schülerin und insgesamt beliebt. Eben ein Teil der coolen Kids. Das ändert sich Knall auf Fall, als sie bei einem Arztbesuch erfährt, dass sie intersexuell ist. Intersexuell? Was soll das denn sein? Sie ist doch ein Mädchen, war schon immer eins und hat sich nie im falschen Körper gefühlt.
    Wie es so oft vorkommt, verwechselt auch Kristin Intersexualität zunächst mit Transsexualität. Im Gegensatz dazu weisen Intersexuelle aber tatsächlich Merkmale beider Geschlechter auf - männliche und weibliche eben. Kristin sieht also aus wie ein Mädchen und hat in der Pupertät wie alle anderen Brüste bekommen. Bloß ihre Periode hat nie eingesetzt, was sie immer auf das harte Lauftraining geschoben hat. Aber nein, es liegt schlichtweg daran, dass sie keine Gebärmutter hat, sondern innenliegende Hoden. Als sie das erfährt, ist es verständlicherweise schon schlimm genug für sie. Doch weil sich eine ihrer besten Freundinnen plappert, weiß es keine zwei Tage später auch die ganze Schule und aus der beliebten Kristin wird Kristin der Freak ohne Freund, ohne Clique und alles das noch bevor sie sich selbst mit der Diagnose auseinandersetzen konnte. Und nicht nur das: auch ihre Lauf-Stipendium fürs College steht auf dem Spiel, weil sie im Vergleich viermal so viel Testosteron im Körper hat als andere Frauen und daher vielleicht von ihrem Sport ausgeschlossen wird.


    Meine Meinung
    In nicht einmal einer halben Woche bricht also Kristins Welt zusammen. Aus meiner Perspektive heraus beschäftigt sich der Roman sehr einfühlsam mit den Themen Geschlechterrollen, und Geschlechterkonstruktion. Kristin macht in sehr kurzer Zeit eine sehr große Entwicklung durch und muss dies auch tun, um nicht zu zerbrechen. Das mitzuverfolgen ist sehr spannend und gleichzeitig auch sehr aufwühlend. Wie Kristin beginnt, an sich selbst und ihrer gesamten Identität zu zweifeln. Wie sie von ihren Mitschülern ausgestoßen und regelrecht gemobbt wird und sich so fühlt, als wäre sie gar kein richtiger Mensch mehr, weil sie nicht in das binäre Schema aus männlich und weiblich passt. Und wie sie langsam und mit Hilfe von einer Seite, mit der sie nie gerechnet hätte, beginnt zu akzeptieren, dass sie immer noch die gleiche Person ist und niemand außer sie selbst entscheiden kann, ob sie jetzt männlich, weiblich oder nichts der genannten ist.


    Von dieser Entwicklung war ich ebenso bewegt wie von den Reaktionen aus Kristins Umfeld erschrocken. Mehrmals habe ich das Buch angeschrien mit den Worten "Aber sie ist doch jetzt kein anderer Mensch ihr ignoranten Penner!" - leider trafen meine Beleidigungen logischerweise auf taube Ohren. Aber mit Kristin zusammen habe ich die Charaktere gefunden, die sie kompromisslos lieben und nicht als kaputte abnormale Fehlkonstruktion betrachten. Weil sie das auch nicht ist. Mich hat dieses Buch total abgeholt und mitgerissen, sodass ich es an einem Wochenende komplett durchgelesen habe - was bei mir eher selten ist.


    Auch, wenn ich den Schreibstil nicht so differenziert einschätzen kann, wie das bei deutschen Romanen der Fall ist, würde ich ihn doch als sehr geradlinig bezeichnen. Nicht kompliziert, dafür mit einigen Abkürzungen und Slang-Wörtern aus der amerikanischen Jugendsprache (oder das, was der Autor dafür hält) versetzt, sodass man ihm einerseits gut folgen kann und er andererseits versucht (und es für mich auch schafft) eine recht authentische Atmosphäre aufzubauen.


    Für alle, die sich ein bisschen mehr mit dem Thema Gender beschäftigen möchten, ist das hier ein wirklich toller Roman. Im Nachwort erzählt der Autor noch, wie er überhaupt dazu gekommen ist, eine solche Geschichte zu schreiben - und erklärt damit auch, wieso er ein Buch schaffen konnte, das mich noch länger in Gedanken begleiten wird. Ganz klare :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Vielen Dank für deine Rezi, @Caracolita! Das Buch ist direkt auf meine Wunschliste gewandert. Reine Jugendbücher sind eher nicht mehr so meins, es sei denn, sie versprechen einen wirklich außergewöhnlichen Inhalt. Das scheint hier definitiv der Fall zu sein. Ich bin sehr gespannt!

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


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