Christina Schwarz - Die Leuchtturmwärterin/The Edge of the Earth

  • Gertrudes Weg schien vorgezeichnet - die Tochter deutscher Einwanderer wuchs behütet in Wisconsin auf, besuchte eine gute Mädchenschule, und jeder dachte, sie würde eines Tages einen bestimmten netten Jungen heiraten. Doch dann begegnet sie Oskar wieder, der von einem kränklichen Kind zu einem attraktiven Mann herangewachsen ist. Er ist begeistert von den vielen neuen technischen Errungenschaften, die das ausgehende 19. Jahrhundert prägen, und wünscht sich nichts mehr, als einen funktionierenden Elektromotor zu entwickeln, den er für den Antrieb der Zukunft hält.


    Doch von futuristischen Ideen alleine kann man nicht leben, und so kommt es, dass er sich als Leuchtturmwärterassistent auf einer Insel vor der kalifornischen Küste bewirbt und sich Gertrude unmittelbar nach ihrer Hochzeit mit ihrem frisch angetrauten Gatten im Zug nach Westen wiederfindet. Das Inselchen, auf dem sie schließlich ankommen, ist winzig und karg, die einzigen anderen Menschen dort sind das Leuchtturmwärterehepaar und seine vier Kinder.


    Gertrude fällt es zunächst schwer, sich an dieses sehr reduzierte, einfache Leben zu gewöhnen. Sie ist viel allein, wenn Oskar Dienst hat, das Wetter kann rauh sein, manchmal dröhnt stunden- oder tagelang das Nebelhorn. Die Frau des Leuchtturmwärters ist schroff und pragmatisch, niemand, mit dem man schnell Freundschaft schließt.


    Die Kinder sind es, über die Gertrude Zugang zu den Geheimnissen und Besonderheiten der Insel findet. Zwar können sie kaum lesen und schreiben, kennen jedoch die Gezeiten, die Landschaft und die Tier- und Pflanzenwelt wie ihre Westentasche. Schließlich profitieren beide Seiten voneinander - Gertrude macht es sich zur Aufgabe, die Kinder zu unterrichten, die ihr im Gegenzug Flora und Fauna des Meeres und der Küste nahebringen.


    Gerade als sie sich doch so langsam eingewöhnt hat, bringt eine überraschende Entdeckung die Insel in Aufruhr. Oskars Forschergeist ist geweckt und regt sich in einer ganz neuen Richtung. Gertrude erkennt ihren Mann kaum wieder und hat zu Recht ein ungutes Gefühl.


    "Die Leuchtturmwärterin" ist ein einfühlsames Buch über eine Frau, in deren Leben sich nach der Heirat praktisch alles komplett ändert. Es ist eine ganz schöne Herausforderung, die die noch sehr junge Gertrude auf sich nimmt, als sie mit ihrem Mann, den sie eigentlich noch gar nicht richtig kennt, auf dieses entlegene Inselchen zieht, und wäre schon alleine ein Buch wert gewesen.


    Ihre persönliche Entwicklung war neben der tollen Atmosphäre, in der sowohl die Faszination des Meeres und der Leuchttürme als auch die Härte dieses Lebens spürbar werden, dann auch das, was mich an diesem Buch am meisten gefesselt hat: wie aus einem wohlbehüteten Mädchen eine gestandene Frau wird, die sich zu behaupten gelernt hat.


    Das Geheimnis, das sie entdeckt und das das ganze zwischenmenschliche Gefüge, das sich allmählich zu verfestigen begonnen hat, komplett durcheinander bringt, ist natürlich ein zusätzlicher Spannungsfaktor und verdeutlicht sehr gut die Überheblichkeit und den mangelnden Weitblick so mancher (Möchtegern-)Forscher aus jener Zeit.


    Trotz des etwas nichtssagenden deutschen Titels ein sehr schönes, ruhig erzähltes und dabei spannendes Buch, das zum Glück nicht in die Schmalz-Falle tappt, sondern angenehm zurückhaltend von einem besonderen Frauenleben erzählt.


    Ein Lob auch an die Übersetzerin Almuth Carstens, die ihre Sache sehr, sehr gut gemacht hat.

  • Danke für diese Vorstellung!

    Trotz des etwas nichtssagenden deutschen Titels ein sehr schönes, ruhig erzähltes und dabei spannendes Buch, das zum Glück nicht in die Schmalz-Falle tappt, sondern angenehm zurückhaltend von einem besonderen Frauenleben erzählt.

    Da stimme ich zu. Bei den -in Titeln klicke ich normalerweise garnicht an (nur Deinen Namen zu sehen gab den Ausschlag). Was soll das? Dabei gab der englische Titel eigentlich Stoff zu einer etwas anderen Überschrift!

  • Bei den -in Titeln klicke ich normalerweise garnicht an (nur Deinen Namen zu sehen gab den Ausschlag). Was soll das? Dabei gab der englische Titel eigentlich Stoff zu einer etwas anderen Überschrift!

    ich hab ehrlich gesagt aufgegeben, über Sinn oder Unsinn deutscher Titel nachzudenken :roll:


    Danke für die schöne Rezension @Magdalena, das Buch setze ich mir mal gleich auf die Wunschliste. Das hört sich genau nach meinem Beuteschema an :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Danke für das Kompliment, lieber @tom leo! :wink:


    Das Cover ist zum Glück auch nicht so kitschig, da hätte ich vielleicht trotz des Titels zugegriffen, zumal ich Leuchtturm(wärter)geschichten auch einfach faszinierend finde. Aber ja, "Am Rand der Welt" oder so wäre ein guter Titel gewesen. Darauf wird im Buch sogar ein- oder zweimal Bezug genommen.


    EDIT: ich könnte mir vorstellen, dass das wirklich was für Dich ist, @Squirrel! Kennst Du ihren Erstling "Novemberkind" (im Original "Drowning Ruth")?

  • Ich kann mich zwar an überhaupt keine Details mehr erinnern, weil die Lektüre schon sehr lang her ist (das war sogar noch komplett vor meiner Bücherforenzeit, die 2002 begonnen hat, und ich glaube, ich habe es sogar noch in der Ausbildung gekauft, also um 2000 rum), aber ich weiß noch, dass es mir sehr gut gefallen hat. Ich habe es auch noch und möchte es demnächst noch mal lesen.

  • Danke für die Auskunft, denn die Rezensionen geben nicht so viel her. Was sich ja ändern kann, wenn Du das Buch nochmals liest :) Die Thematik ist jedenfalls auch interessant.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Meine Wunschliste ist nun auch um 1 größer geworden. :)


    Doch "Rand der Welt" im Titel ist schon ausgelutscht. Es gibt den grünen Rand der Welt (Thomas Hardy), ein Café gibts dort (John Strelecky), es gibt ein Leuchten, Sprünge, Augen, Lachse, Bären, Freiheit, Theologie und sogar einen toten Hund ...


    Meiner Ansicht nach gibt es unpassendere Titel (sag ich mal einfach so aufgrund von @Magdalenas Informationen); nur dieses blöde -IN am Ende verursacht halt blöde Assoziationen. :(


    Ich muss @tom leo Recht geben, was -IN-Bücher und @Magdalena angeht. :lol:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Doch "Rand der Welt" im Titel ist schon ausgelutscht. Es gibt den grünen Rand der Welt (Thomas Hardy), ein Café gibts dort (John Strelecky), es gibt ein Leuchten, Sprünge, Augen, Lachse, Bären, Freiheit, Theologie und sogar einen toten Hund ...

    Auch wieder wahr. (Das Café hätte ich jetzt allerdings am ENDE der Welt gesucht ... ) Thomas Hardys grüner Rand ist auch wiederum eine bescheuerte Übersetzung, der heißt ja im Original "Far From the Madding Crowd".



    Zitat von Marie

    Meiner Ansicht nach gibt es unpassendere Titel (sag ich mal einfach so aufgrund von @Magdalenas Informationen); nur dieses blöde -IN am Ende verursacht halt blöde Assoziationen. :(

    Ja, schade eigentlich!

    Zitat von Marie

    Ich muss @tom leo Recht geben, was -IN-Bücher und @Magdalena angeht. :lol:

    Hihi, Ihr seid ja süß! :kiss: Wobei man im Deutschen eigentlich wirklich nicht nach dem Titel gehen darf. Da gibt es so viel Murks, das geht auf keine Kuhhaut.

  • nur dieses blöde -IN am Ende verursacht halt blöde Assoziationen.

    Es gibt auch ein paar lesenswerte Titel nach diesem Muster, z.B. "Die Buchdruckerin" von Sabine Weiß. Glücklicherweise kann man heute bei amazon die Bücher anlesen ("Blick ins Buch"), dann weiß man, womit man es zu tun hat.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Es gibt auch ein paar lesenswerte Titel nach diesem Muster,...

    ja, absolut! Deswegen sollte ich es immer wieder mal versuchen. Ein Titel auf -in, der mich gefesselt hat ist :-, :

  • :totlach: Was aber ist ein Alad? :-s

    Wusstest Du das nicht? (Schwer auszusprechender) Kindername für grünen Salad!


    Einige behaupten auch, dass es (in dieser maskulinen Form) der ausschliesslich von Männern gebrauchte und geschickt maskierte Karnevalsausruf in der Kölner Gegend sein soll. Halte ich für ein Gerücht, aber wer weiß?