Amy Waldman - Der amerikanische Architekt/The submission

  • Autor
    Amy Waldman, Jahrgang 1969, leitete das Südasien-Büro der NEW YORK TIMES und war dort Korrespondentin für THE ATLANTIC. Ihre Erzählungen erschienen in THE ATLANTIC, im BOSTON REVIEW und wurden in THE BEST AMERICAN NONREQUIRED READING 2010 aufgenommen. Sie lebt in Brooklyn. (Quelle: Amazon)


    Inhalt
    Manhattan. Eine Jury soll den besten Entwurf einer Gedenkstätte für die Opfer des Terroranschlags vom 11. September auswählen. Nach langwierigen Beratungen und einem zähen Ringen um das richtige Konzept öffnen die Juroren den Briefumschlag, der den Namen des bislang anonymen Gewinners enthält – und sind schockiert. Eine heftige Auseinandersetzung um die Person des Architekten beginnt: Wer darf sich zum Fürsprecher der Trauernden erheben? (Quelle: Klappentext)


    Meinung
    Das Buch spielt zwei Jahre nach dem 11. September und viele Menschen finden, dass es an der Zeit ist eine Gedenkstätte zu bauen, denn „je länger das Gelände ungenutzt blieb, desto mehr wurde es zum Symbol der Niederlage, der Kapitulation, etwas, worüber „sie“, wer immer „sie“ sein mochten, sich lustig machen konnten. Eine Erinnerung daran, dass Amerika einen Teil seiner Größe eingebüßt hatte, und an seine neue Anfälligkeit für Angriffe fanatischer Banden.“
    Eine Jury, bestehend aus Künstlern, Kunstkritikern, Kuratoren, Politiken und einer Vertreterin der Hinterbliebenen, soll einen Entwurf auswählen. Nach langwierigen Diskussionen entscheidet sich die Jury für den Entwurf „Der Garten“, ohne zu wissen, welcher Architekt den Entwurf eingereicht hat. Aber als der Name dann verkündet wird, entbrennt erst recht eine heftige Diskussion. Der Name des Architekten lautet nämlich: Mohammad Khan. Ein Name, der nicht nur die Jury spaltet, sondern die ganze Nation. Kann man es den Hinterbliebenen zumuten, dass ein Muslim die Gedenkstätte baut bzw. man sie nach seinen Entwurf bauen lässt? Werden es die Terroristen nicht als Sieg für sich bewerten und den Garten als das „ParadiesfürMärtyrer“ ansehen? Darf man einen Gewinner seinen rechtmäßigen Sieg aberkennen? Was ist moralisch richtig und wer darf das überhaupt bestimmen? Solche und ähnliche Fragen werden in Waldmans Gesellschaftsroman aufgeworfen.


    In ihrem Buch präsentiert Amy Waldman verschiedene Personen mit unterschiedlichen Standpunkten: Familienangehörige der Opfer, Islamkritiker, streng gläubige Muslime, politische Aktivisten, Medienvertreter, Politiker... Alle haben unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche und projizieren diese auf die Gedenkstätte. Sowohl der Architekt (von Islamverbänden) als auch die Gedenkstätte (von Politikern) werden für persönliche Ziele instrumentalisiert. Für alle politischen, moralischen, religiösen Standpunkte bietet Waldman eine Gegenmeinung. Sie lässt alle Beteiligten zu Wort kommen, aber sie ergreift für keine Seite Partei. Wenn man als Leser denkt, dass man weiß, wo man persönlich steht, wird diese Sicherheit ein paar Seiten in Frage gestellt, denn plötzlich ist da ein Argument, das man nicht so leicht zur Seite schieben kann. So ähnlich geht es Claire, die man, neben dem Architekten Mo Khan, als Protagonistin des Buches bezeichnen kann. Sie hat beim 11. September ihren Mann verlorenen und ist ein Mitglied der Jury und Vertreterin und Sprecherin der Hinterbliebenen. Claire hat sich leidenschaftlich für Khans Entwurf stark gemacht, auch nachdem sie seinen Namen erfahren hat. Aber je länger die Auseinandersetzungen dauern und der Druck von allen Seiten immer größer wird, desto unsicherer wird sie. Der Architekt Mo macht es ihr und auch der Öffentlichkeit nicht gerade einfach mit seiner etwas arroganten, trotzigen Art und seiner Weigerung Fragen zu seinem Entwurf zu beantworten, zumindest die Fragen, die die Öffentlichkeit brennend interessieren. Als Leser hat man dafür Verständnis, denn Mo hat sich selbst nie als Muslim wahrgenommen, sondern einfach nur als Amerikaner und kommt mit dieser Situation überhaupt nicht zurecht. „Wir wissen, wer der Feind ist!``sagte oder vielmehr dröhnte Sarge. `Hören wir doch auf, so zu tun, als hätte der Kaiser Kleider an! Er ist nackt! Der radikale Islam – der nackte, radikale Islam – ist der Feind!´ Mo stand vom Sofa auf, schaltete den Fernseher aus – wohl wissend, dass das in der abgeklärten Welt, die er und Yuki bewohnten, einer Kriegserklärung gleichkam - und ging in die Küche, um sich ein Bier zu holen. Ein Muslim, der Alkohol trank, um mit dem Stress des Muslimseins zurechtzukommen: Er war sich nicht sicher, ob irgendjemand die Ironie verstehen würde.“ Es ist eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Die Medien,mit ihrer teilweise sehr tendenziösen Berichterstattung, machen alles nur noch komplizierter bis irgendwann die Lage eskaliert.


    In „Der amerikanische Architekt“ gibt es sehr viele Dialoge, was daran liegt, dass auch sehr viel diskutiert wird. Ich fand die Diskussionen aber sehr spannend und aufschlussreich. Dem Buch merkt man an, dass es von einer Journalistin geschrieben wurde. Die Sprache ist klar und prägnant. Es ist aber auch so, dass Emotionen und Charakterdarstellung etwas zu kurz kommen. Manchmal wirkt das Ganze etwas zu kühl und distanziert und einige Charaktere sind recht blass geblieben, während andere leicht überzeichnet sind, wobei ich mir beim letzteren nicht ganz sicher bin, ob es nicht so gewollt ist. Trotz dieser kleinen Kritikpunkte ist „Der amerikanische Architekt“ ein sehr lesenswertes Buch. Waldman zeichnet ein überzeugendes, realistisches Bild einer Gesellschaft, die zutiefst zerrissen und verunsichert ist und in der Vorurteile und Ängste die Diskussion dominieren und so leider wenig Raum für Kompromisse und gegenseitiges Verständnis bleibt. Es ist ein Buch, das dem Leser definitiv viel Stoff zum Nachdenken mitgibt.
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