Lilli Beck - Wie der Wind und das Meer

  • 1945-1989. Während eines Bombenfliegerangriffs in München verliert der elfjährige Paul seine gesamte Familie und kann nur sich selbst und einen Koffer retten. In den Trümmern sucht er nach seinen Lieben, doch finden kann er sie nicht. So macht er sich mit seinen wenigen Habseligkeiten daran auf, einen Unterschlupf für sich zu finden und trifft dabei auf ein kleines 9-jährigwa jüdisches Mädchen namens Sarah. Sie hat ebenfalls durch den Angriff ihre ganze Familie verloren und aufgrund der Ähnlichkeit zu seiner Schwester tauft Paul sie Rosalie und nimmt sie mit sich. Fortan treten sie als Geschwister auf, denn sie wollen nicht allein sein und noch weniger soll jemand sie trennen. Erst landen sie bei der gutmütigen Marktfrau Agathe, doch bald werden sie von den Behörden in ein Waisenhaus verfrachtet, von dort werden sie irgendwann von einer Kaufmannsfamilie adoptiert. In all der Zeit leben Paul und Sarah wie Bruder und Schwester, bis ihnen irgendwann die Liebe dazwischen kommt. Doch ihre Lüge ist schon zu weit fortgeschritten – sie können sie nicht zurücknehmen. So müssen sich ihre Wege trennen…


    Lilli Beck hat mit ihrem Roman „Wie der Wind und das Meer“ einen wunderschönen und berührenden Roman vorgelegt, der den Lesern sehr ans Herz geht. Der Schreibstil ist herrlich flüssig und stellt den Leser ab der ersten Zeile als unsichtbaren Beobachter mitten ins Geschehen, wo er hautnah die ganze Geschichte miterlebt. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von 44 Jahren und über verschiedene Städte. Die verschiedenen Dialekte hat die Autorin in ihre Handlung einfließen lassen, so dass alles noch viel glaubhafter wirkt. Die Beschreibungen der Autorin sind so plastisch, dass man die in Trümmer gelegte Stadt regelrecht vor sich sehen kann ebenso wie die Bemühungen der Menschen, diese wieder aufzubauen oder sich durchs Tauschen oder Sammeln ihr tägliches Brot zu verdienen. Neben Neid und Missgunst ist in jenen Zeiten auch Warmherzigkeit sowie Großzügigkeit zu spüren. Die Menschen rückten näher zusammen und griffen sich unter die Arme. Ebenso werden die geschichtlichen und politischen Begebenheiten der jüngsten deutschen Vergangenheit wie z. B. der Mauerbau in die Handlung miteingebunden. Gleichfalls kann man den Wandel der Gesellschaft in den einzelnen Jahrzehnten wunderbar mit beobachten.


    Die Charaktere sind wunderbar detailliert gezeichnet und individuell ausgearbeitet. Sie wirken authentisch und sehr lebendig. Der Leser kann mit ihnen hoffen, bangen, mitfiebern und trauern. Paul ist zu Beginn ein sympathischer Junge, hilfsbereit und mit einem starken Willen ausgestattet. Je älter er wird, umso beschützender tritt er für Sarah ein. Allerdings wirkt er als Erwachsener gar nicht mehr so sympathisch, als er einiges anstellt, was man ihm so gar nicht zugetraut hätte. Sarah ist als junges Mädchen ebenso liebenswert, aber mit dem Erwachsenenalter trifft sie einige Entscheidungen, die andere sehr verletzen. Dadurch beginnt man, sie mit anderen Augen zu sehen. Agathe ist eine anständige ältere Dame mit viel Herz und flinker Zunge. Emma ist eine ehrgeizige Frau, die ihre Lebensplanung genau umsetzen will. Dabei geht sie Kompromisse ein, die ihr Leben nachhaltig verändern und ihre Träume in weite Ferne rücken lassen. Auch die anderen Protagonisten, die während des langen Zeitraums das Leben von Paul und Sarah kreuzen oder auch längerfristig teilen, stützen mit ihren Handlungen und Taten den Verlauf der Geschichte.


    „Wie der Wind und das Meer“ ist ein eindringlicher. Emotionaler und tragischer Roman über das Überleben in der Nachkriegszeit, über die Liebe und wie sehr Lügen das Leben von allen beeinflussen, wie sehr sie verletzen und zerstören können. Ein Buch, das einem noch sehr lange im Gedächtnis bleiben wird, weil man die Schicksale der Charaktere nicht vergessen kann. Absolute Leseempfehlung für eine wirklich tragisch-schöne Geschichte!


    Absolut verdiente :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Romane in denen der Krieg und die Nachkriegszeit eine Rolle spielen gab es in diesem Jahr einige. Selber las ich auch schon ein paar. Gefallen haben sie mir alle auf ihre eigene Art, wenn man es denn so ausdrücken darf. Gefallen am Krieg, an all den Toten und Verzweifelten, an die schwierigen Jahre danach kann man ja nicht wirklich empfinden. Trotzdem lese ich gerne Bücher über diese schlimme Zeit, denn abgesehen von den bekannten Gräueltaten, sind es vor allem die Menschen, die diese grauenvollen Jahre durchlebten, die mich interessieren. Ihre Geschichte interessiert mich, wie sie damit umgingen, wie sich die Zeit danach entwickelte. Also war ich ganz gespannt auf das neue Buch von Lilli Beck.


    Wie auch in ihrem vorangegangen Buch “Glück und Glas” beginnt auch “Wie der Wind und das Meer” in den letzten Kriegsmonaten. Über München fallen die letzten Bomben um noch zu zerstören, was noch nicht zerstört wurde. Paul, seine Mutter und seine kleine Halbschwester harren im Schutzkeller ihrer Unterkunft aus, in der Hoffnung, dass das Haus auch diesem Bombenangriff stand hält. Doch es wird zerstört. Nur Paul entkommt den Inferno. Nur ein Koffer ist ihm geblieben. In ihm die Dokumente über seine Herkunft und die seiner Familie. Auch Sarah hat ihre Eltern bei diesem Bombenangriff verloren. Das Mädchen ist Jüdin und hat sich bisher zusammen mit ihren Eltern vor den Nazis verstecken können. Als Paul auf sie findet, erzählen sie sich ihre Geschichten. Da Sarah seiner kleinen Schwester sehr ähnlich sieht, beschließen die beiden sich als Geschwister auszugeben und sich gegenseitig zu beschützen. Das Leben ist schwer, Überleben in den Bombentrümmern ist alles. Irgendwann begegnen sie der Blumen Oma, sie wird ihre Retterin. Doch die Behörden schlafen nicht. Auch nicht in den wirren Zeiten nach der Kapitulation. Paul und Sarah kommen in ein Kinderheim und werden später adoptiert. Alles könnte so schön sein, wären da nicht die Gefühle und die Liebe, die in den beiden Menschen erblüht. Doch niemand darf von die Liebe wissen, denn offiziell sind sie Geschwister …..


    “Der Wind und das Meer” hörte sich vom ersten Moment nach einer netten Geschichte an. Und das ist es im Endeffekt auch gewesen. Auch wenn der Krieg und die harten Zeiten danach in die Handlung mit eingeflossen sind, konnte sie mich emotional nicht wirklich packen. Ich weiß aus Erzählungen meiner Großmutter und meiner Mutter wie schwer es war, welche Zerstörung herrschte und welche Entbehrungen die Menschen durchleben mussten. Das weiß ich alles und das hat mich mental immer betroffen gemacht. Leider kam dieses Gefühl beim Lesen dieser Geschichte so gar nicht durch. Natürlich, es war interessant zu lesen, wie sich die Menschen veränderten, der Wideraufbau, all die Dinge, die in den Jahren nach dem Krieg Deutschland und die Welt geprägt haben. Der Kalte Krieg, der Mauerbau, Contergan, die Hausbesetzer Szene und vieles mehr. All das war interessant zu lesen und hätten durchaus mehr ausgeschmückt werden können. Doch hauptsächlich ging es natürlich um Paul und Sarah, dessen erste Jahre sich zäh dahinzogen ohne mich wirklich zu berühren. Die Jahre bei den Adoptiveltern waren dann wiederum sehr ausgeschmückt und Paul und Sarah entdeckten in dieser Zeit ihre Liebe. Paul und Sarahs Liebe bot leider keine Überraschungen, alles war ziemlich vorhersehbar.


    Mein Fazit:



    Wären die zeitlichen Entwicklungen – wirtschaftlich, politisch und wissenschaftlich – nicht gewesen, wäre es für mich persönlich nur eine seichte Genre-typische Geschichte gewesen. Sprachlich ganz nett gemacht, mit den Dialekten, die für Lockerheit und das ein oder andere Schmunzeln sorgen. Die Charaktere fand ich als Kinder überzeugender als im erwachsenen Stadium. Da waren sie mir eher unsympathisch. Vor allem Sarah verwirrte mich etwas.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Während der elfjährige Paul im Jahr 1945 nach einem Versteck in den Trümmern sucht, findet er ein kleines Mädchen. Sie heißt Sarah und hat bei dem Fliegerangriff die Familie verloren. Auch Paul hat seine Familie verloren. Die Kleine sieht seiner Schwester sehr ähnlich. Um nicht alleine zu sein, beschließen sie, sich als Geschwister auszugeben. So wird aus der Jüdin Sarah Pauls Schwester Rosalie. Das hilft in diesen schlimmen Zeiten, aber viele Jahre später entsteht aus dieser Notlüge ein riesiges Problem.

    Dies ist eine Geschichte, die einem unter die Haut geht. Obwohl diese Geschichte voller Dramatik steckt, lässt sie sich doch wunderbar flüssig und leicht lesen. Der Autorin ist es gelungen, einen ganz nahe an die Protagonisten heranzubringen, so dass man mit ihnen fühlt. Auch die jeweilige Zeit ist gut und lebendig dargestellt und man erlebt, wie sich das Leben im Laufe der Zeit verändert.

    Paul und Sarah sind durch die schlimmen Kriegsjahre und das, was sie erleben mussten, gewieft und stark geworden. Nachdem ihre Familie nicht mehr da ist, finden sie sich und halten einander fest. Selbst als sie adoptiert werden, geben sie ihr Geheimnis nicht preis. Wozu auch? Aber dann verlieben sie sich in einander und ihre Lüge zieht weitere nach sich, denn Geschwister dürfen sich nicht so lieben. Wie werden sie mit den daraus resultierenden Folgen fertig werden? Werden sie eine Möglichkeit finden, gemeinsam durchs Leben zu gehen? Man wünscht sich, dass alles gut wird für die beiden, doch es wird ihnen einiges abverlangt und vor allem Sarah verändert sich dadurch. Ihre Entscheidungen konnte ich dann nicht immer so nachvollziehen.

    Aber auch die anderen Personen sind sehr schön dargestellt.

    Es ist ein sehr emotionales und interessantes Buch.