Franzobel - Das Fest der Steine


  • Inhalt:
    "Spucken einem in Österreich an jeder Ecke Mittelalter und Barock entgegen, so gibt es hier in Argentinien fast nichts. Alles Indianische hat man zerstört, allenfalls ein paar Jesuiten-Estancias sind übrig. Die Plaza de Mayo hat nicht mehr zu bieten wie ein winziges Nebengässchen in Bad Wimsbach-Neydharting... Ein unbedeutendes burgenländisches Städtchen wie Pöllau hat so viel Kultur wie ganz Argentinien zusammen. Die Distanz ist ein Mikroskop. Je ferner etwas ist, desto mehr liebt man es" (Quelle: Buchrücken).


    Viel verrät einem der Klappentext da nicht über den Inhalt dieses über 600 Seiten umfangenden Werkes, der schwer zu beschreiben ist. Hauptsächlich begleitet der Leser das Leben des Österreichers Wuthenau, der nach dem zweiten Weltkrieg von Deutschland nach Argentinien geflüchtet ist, um sich ein neues Leben aufzubauen - genau so wie alle anderen Charaktere in diesem Buch, denn obwohl die Handlung in Südamerika spielt, laufen einem trotzdem nur Deutsche, Österreicher, Nazis oder Juden, über den Weg. Nach einem orgiastischen Zwischenfall nimmt die unglaubliche Geschichte der vielen Familien ihren unglaublichen Gang. Affären, Familiendramen, religiöse Sekten, Kapitalismus, Sex, Leichen, Kriminalinspektoren - all das bietet "Das Fest der Steine oder die Wunderkammer der Exzentrik".


    Positives:
    Anfangen möchte ich bei der Schreibweise des Autors: Franzobel ist bekannt für seine ausschweifende Erzählweise. Auf jeder Seite springen einem skurrile Wortneuschöpfungen und Wortverknüpfungen entgegen, ausufernde Beschreibungen, eine überwiegend elitär wirkende Sprache - aber genau das reizt mich an Franzobels Sprache. Er führt einem vor, wie gewählt und pointiert man sich mit der deutschen Sprache und der durch diese zur Verfügung stehenden präzisen Vokabularien ausdrücken kann. Oft bekommt man beim Lesen allein deshalb ein schmunzeln, manchmal musste ich auch erst im Lexikon das ein oder andere Wort nachschlagen, um es zu verstehen.


    Erzählt wird die Geschichte von zwei Personen in der Gegenwart, die aber nur an wenigen Stellen in dem Buch auftreten. In dem Buch kommen sehr viele Charaktere vor, meistens werden diese auch noch mit Kosenamen versehen oder heißen sogar verdammt ähnlich - ein fast schon heilloses Durcheinander entsteht, welches der Autor jedoch gekonnt umgeht, indem einem immer wieder Namen, Beziehungen oder Vorkommnisse kurz ins Gedächtnis gerufen werden, sodass man die Personen sofort wieder einordnen kann und flüssig weiterlesen kann. Die Personen in diesem Buch sind über ihr ganzes Leben über irrwitzige Zufälle auf der ganzen Welt miteinander verbunden und treffen sich an den unmöglichsten Orten wieder. Was manche vielleicht als übertrieben sehen würden, verleiht der Geschichte eine interessante Note und kommt, wenn man sich darauf eingelassen hat, wie selbstverständlich rüber. Am Ende werden alle angefangenen Erzählstränge zusammengeführt und zu Ende gedacht, sodass man nach dem Lesen eigentlich ohne allzu große Fragezeichen zurückbleibt.


    Negatives:
    Im hinteren Mittelteil kommt die flüssige und stringente Erzählung durch einige etwas zu aufgeblasene Nebenstränge etwas ins Stocken, wird aber gegen Ende wieder aufgegangen und auch sinnvoll in die Geschichte integriert - deshalb nur einen halben Stern Abzug.


    Fazit:
    Auf dieses Buch bin ich gestoßen durch das im Moment aktuelle Buch von Franzobel - Das Floß der Medusa - welches mich wirklich überzeugt hat und Lust auf mehr von diesem Autor gemacht hat. Das Fest der Steine habe ich verschlungen und mich sehr daran amüsiert. Gewöhnungsbedürftig dürften die oft witzigen aber makaberen Stellen sein, bei denen es ums "Furzen" oder "Scheißen" geht ("...einen ungeheuren arischen Herrenmenschen-Haufen würde er dem Globo in den Abort setzen, einen gigantischen braunen Wahnsinnskrapfen, dass es eine noch nie da gewesene Abflussverstopfung gäbe, der Strudel weder rechts- noch linksdrehte, sondern überlief, und darauf freute er sich schon."), gleichzeitig kommen in dem Buch auch nachdenkliche Stellen nicht zu kurz ("Dauernd gab es Vermisste, Tote, Unglücksfälle, Katastrophen, so dass der Tod etwas Alltägliches, Gewöhnliches bekam. Er hatte sich gemein gemacht, war ohne Exklusivität, fast ordinär. Für Trauer blieb da keine Zeit."). Für eine lange Zeit fragt man sich, was das alles mit dem Titel des Buches zu tun haben mag, doch je länger man liest, je tiefer man in die Abgründe der einzelnen Familien hineindringt, umso öfter kommen einem diese Steine über den Weg und wird deutlich, welches im Buch beschriebene Ereignis dieses Fest der Steine darstellen soll - ein "Fest", das das Leben aller Charaktere nachhaltig bestimmt hat.


    Empfehlung:
    Erschienen 2005, wahrscheinlich fast schon vergessen, bekommt das Buch ja vielleicht eine zweite Chance und wird von dem ein oder anderen hier gelesen. Ich empfehle es fortgeschrittenen Lesern, die sich nicht ekeln und Gefallen an sprachlicher Extravaganz haben. Denn nicht nur am inhaltlichen - vor allem am Sprachlichen wird man viel Spaß beim Lesen haben! 4 1/2 Sterne von mir!