Mozart / Schikaneder – Die Zauberflöte (Operntextbuch)
Der Operntext und sein Wert als Literatur – Zwischen Spott und Goethes Würdigung
Zunächst möchte ich mit einer kleinen Ausführung zum Operntext (dem sogenannten Libretto) als solchen anfangen, denn dieser wird in seiner Bedeutung und in seinem Wert als Literatur häufig sehr stark kritisiert. So wird – wie vielen anderen Operntexten auch – dem "Zauberflöten"-Text oftmals vorgeworfen, er diene lediglich der Musik, dazu verfolge er simple Bühneneffekthascherei und bediene rein zu simplen Unterhaltungszwecken den Modegeschmack seiner Zeit; dagegen erhebe der "Zauberflöten"-Text aber keinerlei Ansprüche einen tieferen Sinn zu verfolgen – habe also keinen literarischen Tiefgang.
Nun, ich sehe die Dinge hinsichtlich des "Zauberflöten"-Textbuches ganz anders – für mich ist es nämlich ein sehr vielschichtiger, zeitloser Text mit einer wunderschönen Botschaft. Doch an dieser Stelle kann ich sogar Goethe – unseren "Dichterfürsten" – für mich sprechen lassen. Dieser verteidigte nämlich den schon damals viel gescholtenen Schikaneder (Schikaneder war der Librettist/Textschreiber der "Zauberflöte" und somit offiziell hauptverantwortlich für den Text; wobei Schikaneder das "Zauberflöten"-Libretto eigentlich mit Mozart zusammen erdacht hatte). In Eckermanns Gesprächen mit Goethe erfahren wir:
Er [Goethe] gibt zu, daß der bekannte erste Teil [also Schikaneders „Zauberflöte“] voller Unwahrscheinlichkeiten und Späße sei, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse; aber man müsse doch auf alle Fälle dem Autor zugestehen, daß er im hohen Grade die Kunst verstanden habe, durch Kontraste zu wirken und große theatralische Effekte herbeizuführen. (Quelle: Johann Peter Eckermann "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens")
Und als Eckermann und Goethe über den "Helena"-Akt aus "Faust II" zu sprechen kommen, wünscht sich Goethe für diesen "Faust II"-Akt:
Wenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der ›Zauberflöte‹ und andern Dingen der Fall ist. (Quelle: Johann Peter Eckermann "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens")
Also Goethe weiß hier im "Zauberflöten"-Libretto scheinbar Dinge zu würdigen, die nicht jedem so leicht zugänglich sind. Goethe spricht sogar von einem "höhere[n] Sinn", welcher vielen Zuschauern zwar entgeht, aber jedoch dem "Eingeweihten" erschließt sich dieser "höhere Sinn". Das klingt doch reichlich rätselhaft und nach gehörig Tiefgang. Dazu wird die "Zauberflöte" von Goethe mit seiner künstlerischen Intention hinter der "Faust"-Dichtung verglichen – und die "Faust"-Dichtung gilt immerhin als eines oder sogar das bedeutendste Werk der deutschen Literatur.
Die Autoren als "Eingeweihte"-Freimaurer
Kommen wir nun zu den Autoren der "Zauberflöte": Mozart und Schikaneder. Der Hintergrund der beiden Autoren könnte uns auch auf eine Spur führen, wie der besagte "höhere Sinn" zu finden sein könnte. Mozart und Schikaneder waren nämlich beides Freimaurer – wie im übrigen auch Goethe. Und jetzt sind die Freimaurer keine bösen Weltverschwörer; wobei sie gerade durch ihre Nähe zu den Ideen der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution tatsächlich im 18. Jhd. gesellschaftliche Veränderungen diskutierten. Doch beispielsweise schaute Goethe sehr skeptisch auf die Revolution in Frankreich und so bildeten die Freimaurer keine Einheit gegen die Monarchie, sondern hatten auch Adel und Monarchen (Friedrich II. oder Karl August) in ihren Freimaurerorden. Statt böser Weltverschwörung orientierten sich die Freimaurer an Idealen, die mit der Aufklärung und mit Humanität zusammenhingen; und vor allem waren die Freimaurer ein moderner Mysterienbund. Wer Freimaurer werden wollte musste sich einer Einweihungsprüfung unterziehen, die sich an den Weiheriten der antiken Mysterienkulturen orientierte. Hatte er die Prüfung bestanden, dann war er in den Bund eingeweiht – war also ein "Eingeweihter"! Vor diesem Hintergrund wären Mozart, Schikaneder und auch Goethe als Freimaurer eben solche "Eingeweihten". Es ist gut möglich, dass Goethe gegenüber Eckermann also einen solchen "Eingeweihten" im Sinne eines Mysterienbundes meinte, dem sich der "höhere Sinn" erschließt. Und eigentlich ist es kein großes Geheimnis mehr, dass Mozart und Schikaneder ihre positiven und allerdings auch ihre negativen Erfahrungen mit der Freimaurerei in der "Zauberflöte" verarbeitet haben. Hierzu wäre auch noch die Anekdote interessant, dass Schikaneder schon bald aufgrund seines extensiven Künstlerlebens mit Liebesaffären und ähnlichen Eskapaden von seinen Freimaurerbrüdern aus seinem Orden geschmissen worden ist. Und Schikaneder war nicht nur Librettist, sondern auch Schauspieler und Sänger sowie Theaterdirektor. So kam es, dass Schikaneder in seinem eigenen Theater bei Aufführungen der "Zauberflöte" die Rolle des Papagenos selbst spielte. Er hatte sich diese Rolle des Bonvivant, der immer nach Frauen Ausschau hält, förmlich auf den Leib geschrieben. Und nicht nur die Genußsucht teilt Schikaneder mit seinem Alter Ego Papageno, sondern Papageno hat ja auch so seine Schwierigkeiten mit den Eingeweihten von Sarastros Bruderbund. Also Freimaurer übersehen diese kritischen Nuancen gerne, doch die "Zauberflöte" ist keine reine und blinde Glorifizierung der Freimaurerei, sondern eine wertschätzende, aber auch kritische Auseinandersetzung.
Die Handlung
Die "Zauberflöte" zeigt den Kampf zwischen der Königin der Nacht und Sarastro, der den siebenfachen Sonnenkreis trägt und dem Bruderbund der Eingeweihten vorsteht. Sarastro raubt der Königin der Nacht die Tochter Pamina (in der Vorgeschichte). Als sich der junge Prinz Tamino in das Reich der Königin verirrt, sieht die nächtliche Monarchin in dem Prinzen eine Möglichkeit ihre Tochter zurückzubekommen. Über ein Bildnis ihrer Tochter erweckt sie in Tamino Liebe für die Entführte. Zusammen mit dem lustig-heiteren Vogelfänger Papageno an seiner Seite macht sich der junge Prinz in Sarastros Reich auf um dort seine Liebe zu befreien.
Doch es kommt alles ganz anders: In Sarastros Reich trifft Tamino zunächst auf Priester des Bruderbundes, die ihm eine andere Sicht auf den Konflikt zwischen Nacht- und Sonnenreich eröffnen. Tamino lässt sich immer mehr auf die Priester ein und wechselt schließlich die Seiten. Er versucht sich an den Einweihungsprüfungen von Sarastros Bruderbund, an deren Ende ihm Pamina als Lohn versprochen wird. Als die Königin von Taminos Abtrünnigkeit erfährt und somit ihren ursprünglichen Plan gescheitert sieht, macht sie sich selbst auf, um die Dinge in Sarastros Reich zu regeln...
Fazit
Das "Zauberflöten"-Textbuch bietet:
- kurzweilige Unterhaltung als märchenhaft-phantastisches Abenteuer mit Action, Liebe und Humor
- Raum zum "Selbst Denken" (die Figuren täuschen sich gegenseitig und den Zuschauer – was ist wahr und was nicht?)
- zeitgenössischer Diskurs in einer Zeit der Umbrüche und Gegensätze, der aber auch auf heutige Probleme übertragbar ist (Beispielsweise verglich Attila Csampai – Jahrgang 1949 – den Übergang Taminos vom Reich der Königin in Sarastros Sonnenstaat mit dem Übergang von Westdeutschland in die DDR bzw. auch andersherum. Also jedes System, jede Ideologie versucht sich natürlich dem neuen Besucher von seiner positiven Seite zu zeigen und nicht die Propaganda der Gegenseite zu bestätigen.)
- Schauspiel im Geiste und in den Bildern der antiken und freimaurerischen Mysterien
Sonstiges
- Herausgabe von Holzinger ist eine ungekürtzte Ausgabe (meine erste Reclam-Ausgabe hatte willkürliche Kürzungen und auch aktuellere Ausgaben lassen keine Besserung erkennen)
Gesamtbewertung