Filmwirklichkeit und Buchwirklichkeit

  • Die Realität - Durch Recherche und Mühen in der Umsetzung sollte jedes Detail mit ihr vereinbar gemacht werden.


    Aber die Fantasy ...! Nein, darum soll es hier gar nicht gehen. Weder die besonderen Befugnisse der hochfiktiven Genres noch versehentliche Fehler, sondern bewusst in Kauf genommene falsche und verzerrte Darstellungen sind das Thema.


    Immer mit der Ruhe, es geht weder um böswillig ersonnene Lügen, noch um Verschwörungstheorien. Ja was denn nun dann?


    Bumm! Etwas explodiert im Fernsehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei ein realistisches Maß an Flammenbildung gezeigt wird, geht gegen null. Objekte, die durch die Gegend fliegen, wären in der Wirklichkeit fast immer zerfetzt worden oder einfach stehen geblieben. Selbst die Explosion an sich ist meist zweifelhaft: Die Bedingungen für eine Zündung sind häufig nicht gegeben. Faustschläge machen im Bilderkasten ein viel satteres Geräusch als sie es in Wirklichkeit je könnten. Fast alle Schwertkämpfe sind eher Tanzveranstaltungen. Und Wissenschaft? Wenn die wirklich so schnell und reibungslos zu betreiben wäre, wie der Flimmerkasten es erscheinen lässt, könnte ich mich vor Nobelpreisen nicht mehr retten (natürlich nicht wirklich, alle anderen Naturforscher hätten den Vorteil ja auch).


    Es geht also um eine (vermeintlich?) unterhaltsamere Realität. Die Verbreitung solcher Mittel führt dazu, dass die Realität den Betrachtern in Filmen unwirklich vorkäme.


    Puh, die Vorrede will gar kein Ende nehmen. Jetzt habe ich so viel über Fernsehen geschrieben, dabei soll es nach meinem hiermit erklärten Willen um Bücher gehen. Immerhin macht mir das die Frage leicht: Inwiefern sollten/dürfen Anpassungen dieser Art in Büchern verwendet werden? Kennt ihr gelungene/misslungene/strittige Beispiele? Wen ihr darin Probleme seht - Sind sie dann dramaturgischer oder moralischer (oder sonstiger) Natur?

  • "Faustschläge machen im Bilderkasten ein viel satteres Geräusch als sie es in Wirklichkeit je könnten."
    Ja, haha, man denke nur an die alten Bud Spencer-Filme! :lol:


    Lieber Martin, in Büchern entscheidet die Phantasie des Lesers über die Bilder, die sich in seinem Kopf formen. Ähnlich verhält es sich mit den vorgestellten Geräuschen. Dies ist von der Schreibweise des Autors - nüchtern oder wortreich - abhängig und steht somit im krassen Gegensatz zum Konsum der visuellen Medien. Dort kann man nur passiv aufnehmen aber nicht die eigene Imagination bemühen.

  • Dies ist von der Schreibweise des Autors - nüchtern oder wortreich - abhängig und steht somit im krassen Gegensatz zum Konsum der visuellen Medien.

    Das ist sicher richtig. Die Frage war aber, salopp ausgedrückt: Bewusste "Verbesserungen" der Realität durch den Autor - hui oder pfui.


    Ich möchte ein Beispiel anführen, um einen Anstoß zu geben:


    Wollte ich in einem meiner Bücher einen Physiker auftreten lassen, der seine eigene Sendung beginnt, würde ich ihn vielleicht folgendes sagen lassen:
    "Schönen guten Abend meine Damen und Herren. Strahlung- woher kommt sie?"


    Dabei kenne ich eine ganz andere Wirklichkeit: "Ähähä. ...D´s ja jetz nich ernst gemeint, ... aber ... so ähnlich. So ähnlich. Also ... .... wir leben auf diesem Planeten, weil ..." (Quelle im Spoiler)


    Die Realität gesprochener Sprache wird also systematisch glattgebügelt und es gibt kaum einen Autor, der sich nicht daran beteiligt. Es mag nicht jeder Professor die Sprache Normalsterblicher so hemmungslos (und so erfolgreich und gekonnt!) zur Wissensvermittlung einsetzen, aber das ändert nichts am Prinzip. Falsche Aussprache, Grammatik, "Ähs" und Umgangssprache werden spätestens in der Korrektur (fast) nur bei den als dumm charakterisierten Figuren zugelassen.

  • @Martin Hühn:
    Die bewussten Verbesserungen müssen dem Tempo der erzählten Geschichte gerecht werden. "Ähs" und "Uhs" sind absolut legitim, wenn ich eine zurückhaltende und zweifelnde Person im Buch darstellen möchte. Möchte ich aber einen tollen, gutgebauten "Hecht" vorstellen, bei dem die Mädels in Ohnmacht fallen, würde ich ihm eine flotte, kernige Sprache verpassen, ohne "ähs" ...
    Schöne Grüße :)

  • Natürlich darf man gewisse Dinge schönen, wenn ansonsten z.B. der Charakter der Person leiden würde. Gerade dein Beispiel mit den Ähs zeigt es deutlich, denn ein Fachmann sollte im Buch auch als solcher auftreten - zumal es auch im realen Leben Fachleute gibt, die flüssig reden können. Wenn sie ständig durch Ähs unterbrochene Sätze von sich geben, wirkt es eher wie hilfloses Gebrabbel. Es ist also nicht unmöglich. Aber man sollte es natürlich nicht übertreiben, indem man Dingen etwas eigentlich Unmögliches zugesteht. Niemand wird das Brechen eines Knochens mit einem Knacken assoziieren, das dem eines brechenden Tragbalkens entspricht (es sei denn, die Person ist ein Titan). Aber ein lautes Knacken darf es natürlich sein. Man kann auch einer geschwungenen Schwerklinge ein Singen unterstellen, wenn sie durch die Luft fegt, obwohl man das real kaum so hören würde. Leichte Übertreibungen fachen die Fantasie an. Und die Sache mit den Explosionen ... Alarm für Cobra elf wäre ohne diese nicht halb so spektakulär (nicht, dass ich das gucken würde) :lol:

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • Es freut mich, dass das Thema doch noch etwas an Fahrt aufgenommen hat. Divinas Beitrag verdeutlicht meiner Ansicht nach einige Aspekte.
    1.) Obwohl immer wieder verlangt wird, die Leute in Büchern sollten so sprechen wie echte Menschen wird eine Veränderung dessen erwartet. Im Allgemeinen dürfte das eher auf eine Verbesserung von Richtigkeit und Sprachstil hinauslaufen, gepaart mit einer Idealisierung der angenommenen Rolle des Sprechers. Zum Teil gibt es dafür zwingend erscheinende Gründe.
    2.) Akzeptierte und erwünschte Filmwirklichkeit und Buchwirklichkeit unterscheiden sich stark voneinander. In einem Buch kann das Schwert, das vom Schwingen singt, durchgehen oder sogar erwartet werden. In einer Filmszene bin ich mit dagegen sicher, dass ein singendes Geräusch dabei allenfalls nach einem Auftreffen auf eine harte Fläche nicht allgemein als Fehler wahrgenommen würde (vom mir selbst allerdings auch nur als malerische Beschreibung im Buch, nicht aber im Film).
    3.) Akzeptierte und erwünschte Buchwahrheiten unterscheiden sich nach individueller Perspektive sehr voneinander. Ein Schwert, das singend durch die Luft streicht? Für mich ist das weit von einer leichten Übertreibung oder Schönung entfernt.