Catherine Lowell - Die Kapitel meines Herzens/The Madwoman Upstairs

  • Samantha Whipple hat gerade ihr Studium in Oxford begonnen und hat einigermaßen Probleme, sich dort einzuleben. Es spricht sich in Windeseile herum, dass sie die letzte noch lebende (entfernte) Verwandte der Geschwister Brontë ist, und sie genießt deshalb die zweifelhafte Ehre, in einem fensterlosen, ungemütlichen Turm untergebracht zu werden, wo angeblich schon andere Berühmtheiten gewohnt haben. Mit zwischenmenschlichen Beziehungen tut sich Sam generell ein wenig schwer, da sie von früher Kindheit an alleine von ihrem einzelgängerischen Vater, einem Schriftsteller, großgezogen wurde, der sie auch noch zu Hause unterrichtet hat und ihr das Bewusstsein für das Erbe ihrer berühmten Vorfahren von Anfang an eingeflößt hat.


    Sam hat ihren Vater über alles geliebt, der ums Leben kam, als sie fünfzehn war, doch als plötzlich rätselhafte Buchgeschenke und kryptische Hinweise auftauchen und sie sich darum von neuem mit ihrer Familiengeschichte beschäftigen muss, wird ihr klar, dass es ziemlich viel gab, wovon ihr der Vater nie erzählt hat.


    Mit ihrem Literaturprofessor Orville, der sich streng, unnahbar und unerbittlich in der Benotung zeigt, verwickelt sie sich immer wieder in Streitgespräche über die Brontës und andere Dinge und hofft bei aller Antipathie, dass er ihr helfen kann, das Mysterium um die angeblichen Schätze aus dem Nachlass der Schwestern, die nie gefunden wurden, zu lösen.


    Eine literarische Spurensuche rund um die Brontë-Schwestern, angesiedelt in einem altehrwürdigen britischen College, garniert mit Familiengeheimnissen und einem grantigen, aber gutaussehenden Professor - das klingt ganz nach meinem Beuteschema.


    Dass die Dialoge hölzern wirken, Samantha eine unzugängliche Protagonistin ist, die sich hauptsächlich dadurch charakterisiert, dass sie so ziemlich alles blöd findet, und man sich durch einiges (pseudo?)literaturwissenschaftliche Geschwafel kämpfen muss, war ich zunächst hinzunehmen bereit, weil Catherine Lowell einige spannende Fragen bezüglich der Urheberschaft und des autobiographischen Gehaltes der Brontë-Romane aufwirft.


    Leider hat sich das Durchhalten nicht gelohnt. Sam benimmt sich immer bescheuerter und unlogischer, und während die Auflösung ihrer familiären Verstrickungen noch halbwegs interessant ist, steht am Ende all der Rätselei um den "Schatz" der Brontës eine äußerst banale Schluss"pointe", und die wirklich reizvollen Denkansätze werden allesamt nicht zu Ende geführt. Hinzu kommt noch ziemlich viel von dem, was eine Figur im Roman einmal als "intellektuellen Narzissmus" bezeichnet, nämlich seitenweise Dialoge, in denen auf trockene und uninteressante Weise über Literaturtheorie schwadroniert wird.


    Positiv hervorzuheben ist das umfangreiche Literaturverzeichnis am Ende des Buches, das sogar Angaben zu den deutschen Übersetzungen mit einschließt, und eine nette kleine Anspielung auf "Jane Eyre" im Epilog. Zudem habe ich Lust bekommen, die mir noch nicht bekannten Brontë-Romane kennenzulernen (und sei es nur, um festzustellen, ob "Agnes Grey" wirklich so furchtbar langweilig ist, wie hier behauptet wird).


    Mit viel gutem Willen, weil ich bis etwa zur Hälfte des Buches wirklich neugierig auf die Auflösung war, und es sich trotz des Professorengequatsches weitgehend schnell und flott wegliest, gibt's von mir 3 Sterne.