James Joyce - Ulysses

  • Ich bin mittlerweile ganz durch. Auch ohne Kommentare, aber mit Hörbuch und dazu rate ich definitiv. Lesen mit Hörbuch. Kommt auf die Erwartungshaltung an, es bietet viel, aber es ist definitiv nicht das leichteste Buch was man lesen kann. :friends:

    :study: 13 Gebote (Mortimer Müller) 274 / 426 Seiten

    :study: Einfach Mensch sein (Sy Montgomery) 32 / 208 Seiten


    SUB: 857

  • Und noch mein Senf dazu...


    Ich bin inzwischen auch durch.


    Ich hatte mich entschlossen, das Buch nicht philologisch zu lesen, also auf Kommentare, Anmerkungen, Erläuterungen etc. zu verzichten. Nicht weil ich arrogant bin, sondern weil ich der Auffassung bin, dass es einem Buch gelingen muss, den Leser auch so, pur, zu packen. Mir ist klar, dass mir viele Anspielungen und Bedeutungsfacetten entgangen sind, aber damit muss ich jetzt leben :-)
    Mich hat das Buch trotzdem fasziniert, und ich bin zwar durch, aber noch nicht fertig damit.


    Über Joyce' Sprachgewalt ist ja schon berichtet worden. Die fand ich gigantisch. Der Erzähler wechselt ständig seine Erzählweise, teilweise sogar schleichend im Kapitel, und es ist alles vertreten: chronikhafte Passagen, journalistische Formen, alttestamentarischer Stil, episches Erzählen wie im 19. Jhdt, Mundart, und Bewusstseinsströme ohne Ende, teilweise auch ohne Punkt und Komma, Wortspielereien, sprechende Namen, Anzüglichkeiten, Variationen, Querbezüge, Retrospektiven, Anspielungen und und und. Bei allem Respekt vor der sprachlichen Leistung (auch des Übersetzers!) fand ich diese Fülle gelegentlich überheblich, selbstverliebt. Manches wäre auch kürzer möglich gewesen...


    Homers Odyssee ist quasi die Hintergrundfolie, vor der der Roman spielt, und diese Folie sorgt auch immer wieder für Erheiterungen des Lesers - weil die heldenhaften Geschichten hier so auf das Alltägliche, Triviale, "Jedermannige" heruntergebrochen werden. Für Erheiterung - aber bei mir auch für eine gewisse Trauer.
    Was ist aus den Helden geworden!


    Die treue Penelope wird zu einer halbseidenen Frau, die ihren Mann verachtet, ihm ständig Hörner aufsetzt und ihm dennoch irgendwie treu ist, und an nichts anderes als Sex, Geld und Kleidung denkt.
    "Odysseus der Listenreiche" wird hier zu "Bloom dem Durchschnittlichen". Ein Außenseiter (was durch sein Jude-Sein noch verstärkt wird), dessen Irrfahrt nicht auf den Weltmeeren stattfindet, sondern in einer Großstadt. Er kämpft nicht gegen See-Ungeheuer, gegen einäugige Riesen und gegen rivalisierende Götter etc., sondern banal gegen den drohenden sozialen Abstieg und um das Überleben in einer wirtschaftlich (Hungerbilder!) und politisch schweren Zeit. Mit diesem Helden kann sich der Leser nur schwer identifizieren, weil er eben so alltäglich ist.
    Seine Irrfahrt durch Dublin ist daher auch nicht zielgerichtet wie Odysseus' Irrfahrten, sondern hängt von Zufällen ab. Ein Sinnganzes gibt es nicht mehr.
    Da gibt es nichts mehr, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Wirklichkeit präsentiert sich als zerrissen, facettiert in die Wahrnehmungen einzelner Personen (was, finde ich, wunderbar durch die verschiedenen Erzählweisen gezeigt wird), komplex und nicht mehr als Ganzes überschaubar. Dennoch lässt Joyce es sich nicht aus der Hand nehmen, kompositorisch die Kreise zu schließen, sehr souverän, finde ich.
    Nicht nur die Helden und ihre Ziele werden vom Thron gestoßen, auch die Inhalte der Gespräche bzw. Gedanken, in denen es um Alltägliches geht. Werte werden relativiert und sozialen Notwendigkeiten angepasst (Molly als Penelope). Das fand ich sehr desillusionierend, aber es entspricht unserer Wirklichkeit.


    Ich sagte es schon in der MLR: Für mich ist der Leser der eigentliche Held. Der Leser irrt wie einst Odysseus auf den erzählerischen Meeren einher, wird in die Irre geführt, verstrickt sich in gelehrte Diskussionen und merkt erst verzögert, dass er hier veralbert wird (Shakespeare-Gespräche im Elfenbeinturm der Wissenschaft), und dennoch muss der Leser wieder Fahrt aufnehmen.
    Es gäbe noch so viel zu sagen - - -
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Vielen Dank für Deine Eindrücke @drawe! Ich nehme mal an, Deine Motivation und Freude beim Lesen beruht auch darauf, dass Du Homers Odyssee gut kennst? Es war im MLR-Thread schön zu lesen, wie Du die Verbindungen zu den beiden Werken ziehen konntest. Ich hingegen habe keine Ahnung von der "Odyssee" und "musste "Ulysses" als eigenständiges Werk lesen - Respekt vor der Sprache, dem Variantenreichtum usw. - aber mein Eindruck verfestigt sich, dass man idealerweise Homers Odyssee kennen sollte, und dann kann man sich wohl auch eine kommentierte Ausgabe sparen?

  • dass Du Homers Odyssee gut kennst?

    Na ja - wie man halt ein Werk kennt, das man als Schüler zuletzt gelesen hat.
    Und in einer unglaublich beeindruckenden, aber stundenlangen Aufführung im Stuttgarter Schauspielhaus
    in der Übersetzung von Voß mal gesehen hat.
    Von "gut kennen" kann keine Rede sein.
    Allerdings bin ich sicher, dass die Lektüre kurzweiliger wäre, wenn man bei Odysseus
    etwas sattelfester wäre.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).