Laurent Gaudé – Ecoutez nos défaites

  • Original : Französisch, 2016


    Der neue Roman von Laurent Gaudé !


    INHALT :
    Ein Agent des französischen Geheimdienstes, nach jahrelangem Dienst langsam etwas überdrüssig, erhält den Auftrag, in Beyrouth einen ehemaligen Angehörigen der amerikanischen Eliteeinheiten ausfindig zu machen, der verschiedenster Machenschaften und Schiebereien beschuldigt wird. Assem trifft auf seinem Weg in Zürich eine irakische Archäologin, Mariam, die ihrerseits Museumsschätze vor den Bombardierungen und den Zerstörungsaktionen des IS zu retten sucht.


    Parallel dazu werden Etappen aus dem Leben grosser historischer Gestalten eingeschoben : der Unionsgeneral Grant, der die Konföderierten im Sezessionskrieg schlägt ; Hannibal auf seinem Zug nach Rom ; Haile Selassie, der sich in Äthiopen gegen den faschistischen Eroberer empört…


    BEMERKUNGEN :
    Ein auf den ersten Blick komplex wirkender Roman mit zumindest sechs Perspektiven und Aktionsorten auf circa vier verschiedenen Zeitebenen in fünfzehn numerierten und nach Ortsnamen betitelten Kapiteln von 10 bis 30 Seiten Länge In ihnen kommt es zudem noch zu einigen anderen kleinere Rückblicken geschichtlicher Art. Jeder Miniabschnitt von meist nur ein bis drei Seiten spielt auf einer der unten ausgeführten Ebenen.


    In der (mehr oder weniger) Jetztzeit treffen einander Assem, der französische Geheimagent, und Mariam, die irakische Archäologin, in Zürich, bevor sie nach einer gemeinsam verbrachten Nacht voller Nähe und Ahnungen die Wege wieder auseinanderführt. Assem erhält am Folgetag den Auftrag, Sullivan, einen ehemaligen amerikanischen Elitesoldat, ausfindig zu machen und einzuschätzen. Und falls dieser denn wirklich schuldig wäre, ihn zu « eliminieren ». Mariam wird zurückkehren nach Bagdad, und sorgt sich um die geplünderten, zerstörten archäologischen und geschichtlichen Schätze der Hochkulturen des Landes. In der dritten Perspektive wird von der Sicht jenes Sullivans erzählt, und wie er beim Todeskommando auf Ben Laden dabei war.


    Auf der anderen Seite historische Einwürfe nah dran an den Hauptpersonen in gewissen historischen Geschehnissen :
    - Grant in seinen teils menschenverachtenden Schlachten, wenn auch anscheinend für die « gute Sache » (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/…rant#Der_B.C3.BCrgerkrieg )
    - Hannibal auf seinem Siegeszug in Richtung Italien, der Tausende eigener Soldaten opfert, aber auch bei den Römern unglaubliche Massaker anrichtet (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Hannibal#Krieg_gegen_Rom )
    - Haile Selassie, der « Negus », der äthiopische Kaiser. Sein spärlich bewaffnetes Heer hat keinerlei Chancen gegen die rücksichtslosen Angriffe der italienischen Faschisten. Aber ist der Verlierer hier der moralische Sieger ? (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Haile_Selassie )


    Hinter diesen anscheinend verschiedenen Fäden kommen wir immer wieder auf gewisse Grundthemen, -motive : Wo ist tatsächlicher Sieg, wenn er durch derlei Massaker gegangen ist ? Birgt mancher Sieg nicht Untergang und Sinnlosigkeit in sich ? Und andererseits : Ist manche Niederlage, Krankheit, Verlust, mancher Riss nicht Öffnung hin auf eine Entfaltungsmöglichkeit ? Eingeständnis einer Angewiesenheit, einer Schwachheit, die das Existenzielle und das Eigentliche mehr ausdrückt und näherbringt? Was macht wirklich Sinn ?


    Wie so oft bei Gaudé, treffen mythische, geschichtliche und epische Elemente auf konkrete Ereignisse der Jetztzeit. Er setzt sie in Bezug, bringt sie zum Klingen. Hier sehe ich den Autor aber in einer stilistischen und inhaltlichen Reife und Facettenhaftigkeit, die bislang also für mich das beste Werk von ihm ausmachen. Manche Überlegungen - in der Weise von Fragen, Möglichkeiten, Öffnungen - verweisen uns auf ein eigenes Nachdenken, laden echt zur Besinnung ein. Insbesondere im ersten Drittel sind solch direkt angesprochenen Überlegungen sehr bemerkenswert.


    Grosse Klasse !


    « ...die Gewissheit, dass es keinerlei vollständigen und frohen Sieg geben kann. »


    Siehe auch hier im BT nach weiteren Rezis von schon übersetzten Büchern des Autors. Dieses wird wohl hoffentlich bald folgen?!


    AUTOR :
    Laurent Gaudé wurde 1972 in Paris geboren, ist ein französischer Schriftsteller, der 2002 den Prix Goncourt des lycéens, und 2004 den Prix Goncourt für « Die Sonne der Scorta » erhalten hat, seinem wohl erfolgreichsten Buch. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.



    Taschenbuch: 281 Seiten
    Verlag: Actes Sud (17. August 2016)
    Sprache: Französisch
    ISBN-10: 233006649X
    ISBN-13: 978-2330066499

  • Wie ich sehen darf sind Dank :flower: der Rezension von @tom leo weitere BT'ler auf diesen Autor aufmerksam geworden.
    Es gibt das erwähnte Buch zwar noch nicht auf deutsch jedoch mein Glück :wink: italienisch und ist somit weit oben auf der Wunschliste gelandet.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter