Erik Neutsch - Spur der Steine

  • Ich lese derzeit das DDR-Buch schlechthin.


    Die Ausgabe ist von 1964 vom Mitteldeutschen Verlage (Halle/Saale) und ich habe es aus der Bibliothek meines Vaters. Es ist also eines der wenigen Bücher, die schon Jahrzehnte bei mir sind.
    Es war damals ein umstrittenes Buch. Ebenso wie später der Film, der nur ein paar Tage im Kino lief und dann verschwand.
    Es ist kein typisches Propagandageschwafel - nein es zeigt die Probleme beim Aufbau des Sozialismus auf. Es zeigt wie schizophren oft die Vorgaben der Partei waren. Einerseits wurden Pläne vorgegeben, die aber bei der Mangelwirtschaft nicht erfüllt werden konnten, woraus dann oftmals ein Chaos entstand.


    Die Geschichte spielt hauptsächlich auf der Baustelle des Chemiekombinates Schkona im Industrie-Dreieck um Halle, Schkopau und Leuna, nachempfunden der beiden großen Chemiekombinate Buna bei Schkopau und Leuna. Hier regiert Hannes Balla mit seiner Brigade. Bei Balla, so heißt es, kann man ordentlich Geld verdienen. Und er sorgt dafür, dass immer Material da ist. Und wenn sie es sich von anderen Brigaden klauen müssen.
    Die Strafe dafür folgt auf dem Fuß, als Werner Horrath, seines Zeichens Parteisekretär und noch neu auf der Baustelle, dafür sorgt, dass die Truppe bei der Prämienverteilung leer ausgeht.
    Auch Kati Klee, eine junge Ingenieurin, ist neu. Als Frau kämpft sie darum, auf dem Bau anerkannt zu werden.


    Horrath, der in Rostock verheiratet ist und zwei Kinder hat, beginnt mit Kati eine Liebesbeziehung, die Kati sehr ernst nimmt. Sie versuchen, sie geheim zu halten, doch ausgerechnet Balla sieht die beiden eines Abends. Diese Bombe möchte er am liebsten platzen lassen, aber er lässt es noch.


    Stattdessen stimmt er den neuen Plänen der Partei zu, nämlich eine dritte - die Nachtschicht - auf dem Bau einzuführen.


    Auch Ballas Eltern lernen wir kennen, die einen Hof bewirtschaften und sich verzweifelt dagegen wehren, von den Genossenschaften geschluckt zu werden. Die beiden Alten hoffen vergeblich, dass Balla den Hof übernimmt, doch der stellt sich sein Leben anders vor.


    Ich habe das Buch in jungen Jahren schon gelesen, habe aber nicht mehr in Erinnerung gehabt, dass der Schreibstil so schön ist. Ich weiß auch nicht mehr, wie die Geschichte ausgeht, bin also gespannt, wie es weitergeht.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)

  • Der Neutsch hat einen schönen Schreibstil. Er versteht es, Figuren zu zeichnen, denen man nahe kommt. Ob das nun Balla ist, Horrath oder die Kati. Aber auch die Nebenfiguren.


    Die Geschichte beginnt wohl Ende der 50er Jahre. 1958 wurde beschlossen, die Produktion in diesem Werk zu verdoppeln. Daher auch die Nachtschicht. Und egal, welche Schwierigkeiten es gibt - diese dritte Schicht beginnt im tiefsten Winter - der Parteisekretär Horrath lässt sie nicht gelten. Er verlangt den Männern, aber auch sich selbst, alles ab.


    Die Liebesgeschichte zwischen Kati und Horrath entwickelt sich zum Problem. Kati möchte, dass er sich offen zu ihr bekennt, möchte mit ihm unter Menschen gehen. Doch er schafft es nicht mal, seiner Frau etwas zu
    sagen. Sie haben aus Liebe geheiratet, er musste sich ganz schön anstrengen, bis sie das erste Mal mit ihm ausging.
    Kati weiß, dass ihre Mutter nicht damit leben könnte, sollte sie mit einem unehelichen Kind ankommen.
    Noch dazu würde er mit der Partei Probleme bekommen, die einen einwandfreien Lebenswandel ihrer Mitglieder fordert.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)

  • Über Erik Neutsch habe ich eine kleine Biografie zusammengefasst:


    Erik Neutsch wurde am 21. Juni 1931 in Schönebeck, Kreis Calbe a./S., preußische Provinz Sachsen, geboren.

    Er stammte aus einer Arbeiterfamilie. Nachdem er die Oberschule besuchte und das Abitur bestand, trat er 1949 der SED und der FDJ bei. Anfang der 50er-Jahre studierte er Gesellschaftswissenschaften und Journalistik an der Universität Leipzig. Er verließ die Uni als Diplom-Journalist und arbeitete anschließend bis 1960 in der Kultur- und Wirtschaftsredaktion der Zeitung „Die Freiheit“ in Halle/Saale.


    Im Anschluss war Neutsch als Schriftsteller und Journalist tätig, trat 1960 dem Schriftstellerverband der DDR bei (von 1963 bis 1965 war er Vorsitzender des Bezirksverbandes Halle) und wurde 1963 Mitglied der SED-Bezirksleitung Halle/Saale. 1966 spielt er in dem mehrteiligen Fernsehfilm „Columbus 64“ von Ulrich Thein sich selbst. 1970/71 leistete er ein freiwilliges Jahr als Politoffizier bei der Nationalen Volksarmee.


    Erik Neutsch war vielseitig. Er schrieb Romane, Erzählungen, Kinderbücher, Essays, Gedichte und Drehbücher. Sie setzten sich durchweg mit gesellschaftlichen Problemen des real existierenden Sozialismus auseinander, waren aber stets parteitreu. Sein wohl bekanntester Roman und auch der größte Erfolg war das Buch „Spur der Steine“, in dem sich der Arbeiter Balla auf einer Großbaustelle vom Nonkonformisten zum angepassten Mitglied der sozialistischen Gesellschaft entwickelte. Mit einer Auflage von über 500.000 Exemplaren war es eines der erfolgreichsten Bücher der DDR-Literatur; die Verfilmung durch Frank Beyer mit Manfred Krug wurde 1966 drei Tage nach der Uraufführung vom Spielplan abgesetzt und erst 1989 nach der Wende wieder aufgeführt. Auch sein Roman „Auf der Suche nach Gatt“ wurde erst fünf Jahre nach Fertigstellung 1973 veröffentlicht.

    Sein erklärtes Hauptwerk war „Der Friede im Osten“, an dem er seit 1970 bis zum Lebensende schrieb. Das Schlußkapitel des 5. Bandes blieb unvollendet; den bis 1990 konzipierten 6. Band „Jahre der ruhigen Sonne“ konnte Neutsch nicht mehr verfassen.

    Seit 1974 gehörte er als ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR an; seit 1990 war er Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller.

    1994 erschien sein erster Roman nach der Wende: „Totschlag“. Darin geht es um die Folgen von ungelösten Eigentumsproblemen nach der Wiedervereinigung.


    Neutsch war zweimal verheiratet und lebte zuletzt in Halle-Dölau. Aus seiner ersten Ehe mit Helga Neutsch, geb. Franke, (verstorben 1996) hat er zwei Töchter: Marita Neutsch, geb. 1954 (Autorin von „Auf der Spur meiner Träume“) und Corinna Schmidt, geb. Neutsch, geb. 1962 (Autorin von „Lea wünscht sich einen Hund“).

    Marita Neutsch pflegt zur Erinnerung an ihren Vater einen Blog: http://erik-neutsch.de/


    Erik Neutsch starb am 20. August 2013 in Halle (Saale), Sachsen-Anhalt.


    Fünfzehn IMs behielten ihn im Auge, seine Stasi-Akte ist 500 Seiten stark. Es machte ihm bis zuletzt zu schaffen, dass er sich Mitte der 70er-Jahre an den Kampagnen gegen Stefan Heym, Wolf Biermann und Rainer Kunze beteiligte.

    Im 4. Teil von „Der Friede im Osten“ schloss er sich der DDR-Lüge an, dass die Nationale Volksarmee 1968 nicht am Einmarsch des Warschauer Pakts in der ČSSR beteiligt war – dafür schrieb er zumindest an Vaclav Havel noch einen Entschuldigungsbrief.


    Zitat

    „Ich für meinen Teil zog mir oft den Unmut gewisser Funktionäre zu, wenn ich meinte, statt des realen sollte man wieder mal den idealen Sozialismus auf die Fahnen schreiben, dessentwegen ich in die Partei eintrat.“

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

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