Toni Morrison - Gott, hilf dem Kind / God help the Child

  • Klappentext:
    Keine andere Autorin hat über die Jahrzehnte hin den Rassenkonflikt in Amerika so konsequent und leidenschaftlich beschrieben wie die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. "Gott, hilf dem Kind" setzt den mit "Jazz" begonnenen Zyklus fort, in dem Morrison die Situation der Schwarzen in den USA beleuchtet. Ein weiterer großer Roman der im Kampf gegen Rassismus engagierten Autorin.
    Lula Ann ist ein so tiefschwarzes Baby, dass ihre Mutter Sweetness bei der Geburt fast zu Tode erschrickt und der Vater die junge Familie auf der Stelle verlässt, weil er nicht glauben kann, dass dieses Kind von ihm ist. Sweetness erzieht Lula Ann zu Gehorsam und Unterwürfigkeit, nur nicht auffallen, aus Angst vor rassistischen Angriffen.
    Doch die heranwachsende Tochter sträubt sich gegen die verordnete Angepasstheit. Sie ändert ihren Namen, in Bride, kleidet sich in provokant strahlendes Weiß, macht Karriere bei einer Kosmetikfirma, verliebt sich in einen geheimnisvollen Mann und befreit sich auf ihre Weise von der Vergangenheit.
    Zwei starke Frauen, zwei verschiedene Lebensentwürfe, in dem Versuch, sich zu schützen und gleichzeitig zu behaupten. Ein Roman, der zur Weltliteratur gehört.
    (von der Rowohlt-Verlagsseite kopiert)


    Zur Autorin:
    Toni Morrison wurde am 18.2.1931 in Lorain, Ohio, USA, als zweites von vier Kindern eines schwarzen Arbeiterehepaares geboren. Nach dem Besuch örtlicher Schulen 1949 Beginn des Studiums an der Howard University in Washington, DC. Erste Erfahrungen mit dem Südstaaten-Rassismus während einer Tournee als Mitglied der Universitätstheatergruppe. Ab 1953 Anglistikstudium an der renommierten Cornell University bis zum Magisterabschluss 1955. Lehrtätigkeit, zunächst an der Texas Southern University (1955-1957), danach an der Howard University (1957-1964). Ehe mit dem jamaikanischen Architekten Harold Morrison, aus der zwei Söhne hervorgehen. Nach der Scheidung 1964 Rückkehr nach Lorain. 1965 Umzug nach New York und Lektorentätigkeit beim Verlag Random House. Schrieb Geschichten, aus denen sie schließlich ihren ersten Roman entwickelte. 1970 Debüt als Romanautorin.Zu ihren bedeutendsten Werken zählen u. a "Sehr blaue Augen", "Solomons Lied" "Menschenkind", "Jazz", "Paradies" und die Essaysammlung "Im Dunkeln spielen" über die Antinomien von weißer und schwarzer Kultur. Sie zählt seit langem zur Garde der bedeutendsten Autoren Amerikas. 1980 Mitglied des National Council on the Arts. 1981 in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Seit 1989 Professorin für afroamerikanische Literatur an der Princeton University, NJ. Auszeichnungen: National Book Critics' Circle Award (1978); American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur (1980); Cleveland Arts Award für Literatur (1980); Robert F. Kennedy Book Award (1988); Melcher Book Award (1988); Unitarian Universalist Award (1988); Nobelpreis für Literatur (1993); Commandeur des Arts et des Lettres, Frankreich (1993). (von der Rowohlt-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: God Help the Child
    Erstmals erschienen 2015 bei Alfred A. Knopf, New York
    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz
    Wechselnde Ich- und personale Erzähler
    Vier Teile, in Kapitel unterteilt, die je einer Figur zugeordnet sind
    204 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Lula Ann, das pechschwarze Mädchen, ist zu einer Schönheit herangewachsen. Sie hat ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und sich selbst neu erfunden als „Bride“, eine strahlende, erfolgreiche Frau, deren Markenzeichen ausschließlich weiße Kleidung samt Accessoires in dieser Farbe ist. Eine Liebesbeziehung ist erst kürzlich in die Brüche gegangen; warum, weiß sie nicht.
    Alle anderen Figuren der Handlung, die Mutter, die beste (weiße) Freundin (ein Miststück), der Geliebte gruppieren sich um die Protagonistin. Sie erzählen aus ihrer Vergangenheit, kommentieren die Gegenwart und führen ihre Geschichte gemeinsam mit ihr weiter.


    Gekonnt und routiniert erzählt Morrison die Geschichte einer Frau, in der ihre bevorzugten Themen, Rassismus und Gewalt gegen Frauen und Kinder, eine herausragende Rolle spielen. Die Personen sind glaubwürdig und lebensecht dargestellt, auch wenn ihnen wenig Raum zur eigenen Entfaltung zur Verfügung steht, auch wenn von ihnen nur die Stimme gebraucht wird, die von Bride und den Berührungspunkten ihrer beider Leben erzählt.
    Interessant und neu ist der „Rassismus innerhalb des Rassismus’“. Ein schwarzes Kind wird von seiner Mutter, einer hellhäutigen Farbigen, abgelehnt. Dieses Faktum spielt jedoch außer in der Mutter-Tochter-Beziehung keine weitere Rolle; im Gegenteil, denn gerade ihre sehr dunkle Hautfarbe mit Verbindung mit der weißen Farbe, in der sie sich ausschließlich kleidet, ermöglichen Bride ihre Karriere und ihr derzeitiges exponiertes Leben.


    Insgesamt aber wirkt der Roman überfrachtet.
    Sämtliche Kinder, die eine Rolle spielen, sind sexuell missbraucht worden, und auch den Erwachsenen passierte es irgendwann in ihrer Kindheit. Es ist ein schwerwiegendes Problem, doch wenn man auf 200 Seiten dauernd damit konfrontiert wird, stumpft man ab, bzw. rollt mit den Augen und stöhnt genervt auf, wenn wieder ein Kind von seinen Misshandlungen erzählt.
    Zweimal wird Bride aus unterschiedlichen Gründen so sehr schwer verletzt, dass es ihr Tod hätte sein können. Die Passagen, die die Autorin von der Genesung erzählt, hätte ein Mediziner gegenlesen sollen, denn Heilungswunder in solcher Schnelligkeit wirken äußerst fragwürdig.
    Die Prinzessin sucht den Prinzen … und die Liebe … und das süße Ende. Wems gefällt.


    (Was mich wundert: Woher will der Rowohlt-Verlag schon beim Erscheinen des Buches wissen, dass der Roman zur Weltliteratur gehört? :scratch::scratch: )

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Insgesamt aber wirkt der Roman überfrachtet.

    Hier knüpfe ich doch mal an. Es sind ja nicht nur die zahlreichen Vorfälle von Kindesmissbrauch und dem Rassismus - auch innerhalb der Familie und unterschiedlicher Hautschattierungen. Die mit diesen Themen belastete Kindheit der verschiedenen Personen führen dazu, dass sie auch als Erwachsene ein sonderbares Sozialleben mit Partner, Familie, Arbeitskollegen haben. Booker und Bride haben beide problematische Beziehungen zu ihren Eltern, um es mal so gut wie möglich spoilerfrei ausdrücken zu wollen. Ihre partnerschaftliche Beziehung bleibt doch recht oberflächlich, und auch wenn einige Rezensenten im Feuilleton das Buch als das hoffnungsvollste und optimistischste Werk von Toni Morrison bezeichnen, so konnte ich eigentlich keine richtige Entwicklung feststellen, oder gar ein "wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch heute noch glücklich zusammen".

    Andere Erzähler wie Brides Mutter und Brides Freundin sind ebenfalls in jeglicher Hinsicht belastet. Ich muss ja nicht die Personen mögen, um ein Buch gut zu finden, aber das Fehlen irgendeiner "normalen" Person, deren Motive ich persönlich nachvollziehen konnte, enttäuschte mich etwas.

    Die wechselnden Erzählperspektiven empfand ich als angenehm, es lockerte die belastenden Lektüre etwas auf. Es bleiben aber verschiedene Handlungsstränge, die einfach offen bleiben - vielleicht hätte mir das Buch besser gefallen, wenn es doppelt so umfangreich wäre, und die zahlreichen Themen vertieft worden wären. Aber so war es mir zu oberflächlich, mit schweren Themen gefüllt, aber am Ende eine Liebesgeschichte á la "Prinzessin rennt Prinzen hinterher".


    Zur Weltliteratur gehört dieses Werk sicher nicht; Toni Morrison aber schon. Viel habe ich von ihr noch nicht gelesen, aber "Sehr blaue Augen" ist ein Meisterwerk, welches ich jederzeit empfehlen kann.