Gregg Hurwitz - Orphan X

  • Verlagsinfo


    1. Gebot: Keine voreiligen Schlüsse


    Das schwarze Satellitentelefon klingelt. Am anderen Ende ist ein Mädchen, das von einem korrupten Cop verfolgt wird. Evan Smoak wird ihr helfen.


    4. Gebot: Es ist nie persönlich


    Evan ist ein Absolvent des Orphan-Programms, in dem Waisenkinder zu hocheffizienten Killern ausgebildet wurden. Nach Jahren des Mordens für die Regierung ist er in den Untergrund gegangen. Er hilft nun den Verzweifelten, die nicht zur Polizei gehen können. Dabei hält er sich strikt an seine eigenen Gebote. Doch diesmal muss er gegen eine Regel nach der anderen verstoßen, damit die allerwichtigste unangetastet bleibt:


    10. Gebot: Lasse niemals einen Unschuldigen sterben


    Meine Meinung


    Er bringt böse Menschen um, hat dabei aber seine Gebote, an die er sich strikt hält, hatte einen Mentor und man lernt ihn nach und nach durch Rückblicke in seine Kindheit und Jugend besser kennen: erinnerte mich natürlich sehr an die Serie "Dexter", die ich mit großer Begeisterung angeschaut hab!


    Aber mit diesen Parallelen ist es dann auch schon vorbei mit der Ähnlichkeit. Evan Smoke lernt man gleich zu Beginn recht gut kennen. Er hat zahlreiche sichere Häuser, um sich im Fall der Fälle vor Verfolgern verstecken zu können, aber sein Hauptwohnsitz ist einem etwas bieder anmutenden Apartementhaus in Los Angeles. Der Schein soll natürlich trügen, denn seine Wohnung ist mit sämtlichen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet, die man sich nur vorstellen kann! Der Autor zeigt einem das auch bis ins Detail, was mir manchmal auch etwas zuviel des Guten war. Genauso der exzentrische Geschmack an Spirituosen, sowie die verschiedenen Kampfarten aus aller Welt, die sehr ausführlich beschrieben werden. An manchen Stellen hätte man das auch etwas abkürzen können.


    Ansonsten geht es mit dem Tempo gut voran und die Handlung ist durchweg spannend. Der Schreibstil ist recht nüchtern, passt sich aber damit sehr gut dem Protagonisten an und bedingt durch die sachliche Tonlage die Ernsthaftigkeit der Ereignisse und die Härte der Realität.


    Evan gehörte dem Projekt Orphan an - was es damit auf sich hat, erfährt man auch nach und nach aus Rückblicken. Momentan ist er jedoch eine Art Auftragskiller, der Menschen hilft, die in Not sind. In großer Not, bei denen der Tod sozusagen schon anhand von Geldeintreibern oder ähnlichen vor der Tür steht.
    Je mehr man in sein Leben auftaucht, desto mehr versteht man seine geradezu wahnhafte Paranoia und im Grund ist er ein sehr einsamer Mensch, der nie gelernt hat, was soziales Leben eigentlich bedeutet.
    Die wenigen Momente, in denen er mit der "normalen" Welt in Berührung kommt, sind auf ein Minimum beschränkt. Dadurch wirkt er in diesen Situationen ungewollt komisch, ja manchmal kam seine Unbeholfenheit direkt witzig rüber, dann aber auch wieder traurig, durch das völlige Fehlen an einem vertrauten Umgang mit anderen Menschen. Das hat mich an ein, zwei Stellen doch berührt.


    Er musste lernen, niemandem zu vertrauen und alles, was er tut, abzuwägen - das ist auch gut so, denn bei seinem neuen Auftrag scheint plötzlich alles aus dem Ruder zu laufen. Evan ist gezwungen, seine eingefleischten Regeln zu brechen und auch ich als Leser wusste lange nicht, wem man glauben kann und was hinter der ganzen Chaos steckt, was da über ihn hereinbricht!
    Gewalt, Unterdrückung und viel Blut sind an der Tagesordnung, aber es artet jetzt nicht in einem Gemetzel aus - viele Szenen sind zwar brutal, aber im Vordergrund steht die Bedrohung, die Evan auf Schritt und Tritt folgt. Damit entwickelt es einen sehr subtilen Sog und ich war durchwegs von der Spannung gefesselt!


    Ein aufwühlender und an manchen Stellen dramatischer Thriller um einen Mann, der nur von seinen Prinzipien zu leben gelernt hat und dessen Routine auf einmal komplett auf den Kopf gestellt wird: ein Auftragskiller, der selbst ins Fadenkreuz gerät.


    Der zweite Band "Projekt Orphan" erscheint im August 2017


    Fazit: 4.5 Sterne


    © Aleshanee
    Weltenwanderer

  • Noch so ein Buch, dass ich mir im März in Leipzig gekauft habe und das viel zu lange auf meinem SuB lag. Ich habe es eigentlich nur angefangen, weil es gerade noch bei meinen Eltern stand (ich hatte es meinem Vater geliehen) und ich dort noch zehn Minuten überbrücken musste. Dann musste es mit, denn ich war schon nach diesen wenigen Seiten völlig gefesselt.


    Evan Smoak ist ein unglaublich gut ausgearbeiteter Protagonist. Die Figur besitzt eine Tiefe, die dafür sorgt, dass der Leser immer sehr nah an Evan dran ist. Ausgebildet zum Killer, hat sein Ziehvater dennoch versucht, in Evan auch die Menschlichkeit zu bewahren und dies ist ihm gelungen. Eine sehr brisante Mischung, die Gregg Hurwitz hier meisterhaft darstellt.


    Aber auch die Nebenfiguren, allen voran Mia und ihr Sohn Peter oder die etwas schrullige Nachbarin sind sehr liebevoll ausgearbeitet. Keine der Figuren kommt zu kurz. Sie alle werden so eingeführt, dass ich schnell ihre Eigenarten kannte. Vor allem die Szenen mit Peter und dem Luftballon fand ich wirklich rührend.


    Die Geschichte an sich ist unglaublich spannend. Sie geht eigentlich eher nervenschonend los. Evan ist ausgebildeter Killer und hat sich in den Dienst der „guten Sache“ gestellt. Er beschützt Menschen, die seine Hilfe benötigen. So geht der erste Mord eigentlich recht einfach und sauber von statten. Dann aber dreht sich das Blatt und Evan gerät in einen gefährlichen Strudel, in dem er eigene Prinzipien über Bord wirft und nicht mehr weiß, ob er seinen Schützlingen noch vertrauen kann. Sehr schön schafft Hurwitz es, hier auch Evans Gewissensbisse darzustellen. Zu keiner Zeit kommt seine menschliche Seite zu kurz. Der Autor schafft es, durch rasante Szenen, das Tempo immer wieder anzuziehen. Diese wechseln sich mit Szenen zum durchatmen ab, nur um gleich wieder aufgrund einer Wendung, Evans Leben durcheinander zu wirbeln. Zu keiner Zeit wird es langweilig. Immer versucht man mit Evan zusammen das Puzzle zusammen zu setzen und zu erkennen, wer hinter allem steckt. Die Geschichte ist sehr gut durchdacht und alle Wendungen erscheinen glaubwürdig.


    So, nun ist dieses Buch natürlich vor allem eines: ein spannender Thriller. Aber, er hat mich auch zum Nachdenken angeregt. Evan bringt Menschen um. Nur Menschen, die vorher anderen etwas sehr böses angetan haben. Aber, rechtfertigt dies seine Taten? Für mich eine ganz schwierige moralische Frage, da man diese Frage wohl eigentlich mit einem klaren „Nein“ beantworten sollte. Selbstjustiz ist aus gutem Grund strafbar. Aber, ich muss gestehen, dass mir dieses „Nein“ hier schwer fällt. Ich habe bei diesem Buch tatsächlich angefangen mit mir selbst und meiner Moral zu hadern. Ich war nicht gerade unglücklich darüber, dass der korrupte Polizist, der eine Menge junge Mädchen zur Prostitution gezwungen hat, umgebracht wurde. Aber darf man sich darüber freuen? Steht es einem Menschen zu, über das Leben eines anderen Menschen zu richten? Dafür haben wir unsere Justiz. Mein Verstand sagt ganz klar, dass Evan trotz allem falsch handelt. Bevor ich dieses Buch gelesen habe, hätte ich diese Fragen alle auch mit einem klaren „Nein“ beantwortet. Die Art und Weise, wie Gregg Hurwitz Evan hier darstellt, macht es mir aber schwer, ihm sein Handeln vorzuwerfen. Evan ist einfach unglaublich sympathisch. Eines seiner Gebote lautet, dass niemals ein Unschuldiger sterben darf. Für mich ist dieses Buch aus genau dem Grund grandios geschrieben. Es bringt den Leser dazu, selber nicht mehr ganz genau zu wissen, was nun eigentlich richtig oder falsch ist. Genau wie Evan, wird der Leser in eine Geschichte gezogen, die plötzlich alles auf den Kopf stellt.


    Für mich ein absolut mitreißender Thriller, der durch einen sympathischen Killer den Leser zum verzweifeln bringt. Sehr gerne vergebe ich 5 Sterne.

    Gruß
    Yvonne

    Nicht die haben die Bücher recht lieb, welche sie unberührt in den Schränken aufheben, sondern, die sie Tag und Nacht in den Händen haben, und daher beschmutzet sind, welche Eselsohren darein machen, sie abnutzen und mit Anmerkungen bedecken.
    (Erasmus von Rotterdam)