Donna Leon - Stille Wasser / Earthly Remains

  • Donna Leon: Stille Wasser Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall; Diogenes Verlag Zürich 2017; 352 Seiten; ISBN: 9783257069884


    Sensation in der Questura: Commissario Guido Brunett erleidet einen Schwächeanfall und landet im Krankenhaus. Dort wird er krankgeschrieben. Brunetti entschließt sich, in der Villa eines Verwandten von Paola eine Auszeit zu nehmen und sich in der Lagune zu erholen. Doch schon kurze Zeit später ist er in den nächsten Fall verwickelt.


    Oder? Liegt hier überhaupt ein Kriminalfall vor? Auch wenn es einen Todesfall gibt, gilt der offiziell als Unfall mit Todesfolge. Inhaltlich geht es um Umweltkriminalität, das Schicksal dreier Männer und die moralische Verantwortung von Unternehmen für zweifelhafte Vorgänge, die nicht justitiabel weil nicht nachweisbar und damit nicht gerichtsverwertbar sind. Schuld und Sühne - Leon greift hier ein klassisches Thema des Gesellschaftsromanes auf.


    In der ersten Hälfte erleben wir Brunetti fernab seiner gewohnten Umgebung, nämlich in der Erholungsphase in der Lagune. Der gewohnte Kosmos (Familie, Kollegenkreis) findet hier nicht statt.


    Das ändert sich erst, als ein guter Bekannter, mit dem sich der italienische Polizeibeamte angefreundet hat, tot aufgefunden wird.


    Damit beginnt der zweite Teil - nämlich die (inoffizielle?) Polizeiarbeit in Venedig. Brunetti kann auf die altbekannte Hilfe seiner Kollegen zurückgreifen. Doch auch hier gibt es nicht die dramatische Aktion. Wie nicht anders aus den früheren Kriminalromanen gewohnt, geht es ruhig und gesittet zu - gepflegte Unterhaltung eben.


    Fast schon barock kann man den Leon`schen Schreibstil nennen, gut recherchiert, detailverliebt und sehr gute Unterhaltung bietend. Die Autorin legt sehr viel Wert auf die genaue Zeichnung von Charakteren und teilweise auch von Orten. Man kann sich auch als nichtitalienischer Leser sehr gut in Orte, Lebensumständde und Lebensgefühl hineinversetzen. Viel Liebe zu Land, Leuten und Venedig ist hier erkennbar.

  • Gänzlich ungewohnte Töne schlägt Donna Leon zu Beginn der Geschichte an, (vielleicht tut ihr die Schweiz gut, denn sie wohnt schon länger im beschaulichen Bündnerland, hat somit das etwas hektischere Venedig hinter sich gelassen) ich als Leser lerne einen Commisario kennen welcher müde ist, der über eine Auszeit nachdenkt, der selber spürt wieviel Substanz die ständige Arbeit als Polizist ihn kostet.


    Jedoch einiges gefällt mir nicht, denn das Brunetti "linkisch" sein sollte ist schwer nach vollziehbar, schliesslich ist er seit fast 30 Jahren mit Paola der Tochter des Conte Falier einer der ältesten Familie Venedigs verheiratet, somit ganz sicher den Umgang mit gewissen Kreisen gewohnt. Dann diese "theatralische" Vortäuschung eines "Herzanfalles", (ich setze keinen Spoiler, denn dies kann man ebenfalls auf Amazon nachlesen) das passt ganz und gar nicht zu Brunetti den man doch eher als eine ruhige, besonnene (kann man sagen pragmatisch?) Person kennt.


    Wie dem auch sei, nun ist er also für zwei Wochen (somit kann man ein Burnout sicher ausschliessen) krank geschrieben, verabschiedet sich sowohl von seiner Frau wie auch im Büro von Patta, wobei man nebenbei erfährt dass dieser in drei Jahren pensioniert werden wird, sowie von seiner treuen Elettra, und begibt sich mit vier Büchern im Gepäck "Plinius" - "Sueton " - "Euripides" und "Herodot" in die "Ferien".
    Nochmals erlebt man als Leser eine Überraschung wie Brunetti auf dem Vaporetto seine Klassenkameradin der Grundschule Lucia mit ihren beiden etwa drei und fünfjährigen Enkelinnen antrifft.
    Auf der Insel Sant’ Erasmo angekommen wird er von Davide Casati in Empfang genommen und in die Villa (natürlich der weitläufigen Familie von Seiten Paolas gehörend) welches für die nächste Zeit sein Aufenthaltsort sein wird, geführt wobei sich herausstellt dass dieser Davide 1967 mit dem Vater von Brunetti eine Ruderregatta gewonnen hatte. Brunetti bewegt sich also schon in einer Umgebung in welcher nicht mehr so junge Menschen ihren Platz einnehmen. Somit lässt sich erahnen, etwas was mir in früheren Romanen noch nie auffiel, die Autorin spürt selbst dass sie ihren Brunetti etwas dem Alter gemäss auftreten lassen sollte.


    Somit steht also einem ruhigen, beschaulichen Aufenthalt auf der Insel vor Venedig nichts im Wege faulenzen, essen, schlafen und lesen, wäre da nicht die Frage von Casati "Du bist doch Polizist, richtig?"


    Die ersten Tagen verlaufen jedoch in ruhiger angenehmer Atmosphäre indem Brunetti mit Davide mit dem "puparìn" durch die Lagunen rudert welcher ihm seine Bienenstöcke zeigt, wobei man als Leser, denn wie bekannt schreibt Donna Leon sehr detailverliebt, einiges über deren Lebensweise erfährt, über deren weltweites Sterben. Ein Umstand den natürlich Davide sehr beschäftigt. Nicht nur das täglich rudern welches Brunetti sehr geniesst, auch die schöne, grüne Gegend, der noch sehr gemächliche Tagesablauf sowohl auf der Insel wie in den Lagunen trägt sehr zu seinem Wohlbefinden teil. Somit erholt sich Brunetti, trotz der brütenden Juli Hitze sehr schnell ohne einen Gedanken an Arbeit und Questura zu verschwenden. Nur die abendlichen Telefonate mit Paola sind ihm sehr wichtig.
    Auch wenn er hin und wieder während seinen Gesprächen mit Casati spürt (denn Brunetti ist ein aufmerksamer Zuhörer) das etwas den Älteren quält, jedoch noch nicht bereit ist sich konkret dazu zu äussern, trübt dies überhaupt nicht seine Stimmung.
    Allerdings wie nun ein Unglück passiert, es einen Toten gibt ist Brunetti das, was er schon immer war, der Comissario.
    Obwohl von einem Unfall ausgegangen wird, beschäftigt Brunetti diesen sehr und er holt Viganello an Bord um sich gemeinsam näher mit den Umständen zu befassen. Dazu spricht er mit den Personen welche den Toten kannten und schnell kristallisiert sich heraus dass gewisse weit zurück liegende Ereignisse bis in die heutige Zeit ihre Schatten werfen.
    Wie schon in ihren anderen Romanen befasst sich auch in diesem die Autorin, welche wie bekannt eine Umwelt Aktivistin ist, mit dem Problem der Umweltverschmutzung welche das fragile Gleichgewicht der Natur und deren Bewohner insbesondere auch in den Lagunen Venedigs zerstört.


    Mein Eindruck
    Die Romane von Donna Leon kann man sicherlich schon lange nicht mehr als Krimi im eigentlichen Sinne betrachten, auch wenn es durchaus zu unerklärlichen Todesfällen kommt. Vielmehr sind es kritische, mahnende Geschichten in welchen die Autorin aufzeigt wie wenig der Mensch der Welt auf der er lebt, Sorge trägt, sie als Abfalleimer seiner überflüssigen Produkte benutzt, ohne Rücksicht auf die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.
    Wie schon erwähnt eine etwas ungewöhnliche Situation wie man als Leser erfährt dass auch ein Commissario wie Brunetti irgendwann, man könnte salopp sagen "die Schnauze voll hat", (obwohl sich Frau Leon niemals so ausdrücken würde) und sich seines Berufes überdrüssig ist. Dennoch bin ich nicht ganz glücklich denn sobald der Commisario "einen Fall" wittert ist er wie gewohnt in seinem Element, er widmet sich diesem in gewohnter Manier und in aller Frische, gemeinsam mit Viganello und Griffoni, es wird überhaupt nicht mehr erwähnt was zu Beginn des Romanes ausschlaggebend war weswegen er sich eine Ruhepause vom Alltag gönnen wollte.
    Ich fühlte mich ein wenig in der "Luft hängen gelassen" - irgendwie, ich weiss nicht, vielleicht hatte ich meine Erwartungen zu hoch gesteckt.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Ich habe das Buch in einem Rutsch verschlungen. Es lässt sich gut lesen, die Übersetzung ist gelungen.

    Der Roman unterscheidet sich sehr von anderen Brunettis. Nur scheibchenweise wird entschlüsselt, was passiert ist. Auch was 20 Jahre davor geschah. Es dauert bis zur letzten Seite bis der Leser erfährt, ob es Mord, Selbstmord oder ein Unfall war.

    Die zahlreichen negativen Rezensionen auf diversen Plattformen kann ich kaum nachvollziehen :study: :applause: