Ben Katchor - Der Jude von New York / The Jew of New York

  • Der Autor (Q: Wikipedia und Avant-Verlag): Der am 19. November 1951 in Brooklyn, New York geborene Ben Katchor ist ein US-amerikanischer Comic-Zeichner. Er wuchs in einem osteuropäisch geprägten Milieu auf, in dem Jiddisch noch Umgangssprache war. Seit Beginn der 1980er-Jahre schreibt er in Bildern über seine Heimatstadt New York, anfangs in Art Spiegelmans legendärem Magazin RAW. Seine Bildliteratur veröffentlicht er seitdem in meist wöchentlichen Comicstrip-Serien mit Titeln wie "Julius Knipl", "The Cardboard Valise", "Hotel & Farm" oder "Shoehorn Technique". Teile von ihnen sind in mehreren Büchern gesammelt in englischer Sprache erschienen. Neben seinen Comics schreibt er regelmäßig Musiktheaterstücke und Libretti u. a. für "The Slug Bearers of Kayrol Island", "The Friends of Dr. Rushower" oder "The Carbon Copy Building", für die er zum Teil auch die Bühnengestaltung übernimmt. Zudem hält er illustrierten Lesungen an Universitäten und Museen. Ben Katchor wurde als erster Comicautor mit dem sogenannten "Genius-Award" der MacArthur Foundation Fellowship ausgezeichnet. Katchor, der in New York lebt, unterrichtet an der Parsons The New School for Design.


    Inhalt (Klappentext): Besessen von einer utopischen Vision rief Mordecai Noah, ein New Yorker Politiker und Amateurdramatiker, im Jahre 1825 alle verlorenen Stämme Israels auf, sich zu einer Insel in der Nähe von Buffalo zu begeben, in der Hoffnung, dort einen jüdischen Staat zu errichten. Sein fehl geschlagener Plan, eine bloße Fußnote der jüdisch-amerikanischen Geschichte, ist der Ausgangspunkt für Ben Katchors brillant imaginiertes Epos, das sich einige Jahre später auf den Straßen New Yorks entfaltet.
    Ein in Ungnade gefallener koscherer Schlachter, ein Importeur religiöser Artikel und Strumpfwaren für Damen, ein Pilger der mit Erde aus dem gelobten Land hausieren geht, ein moderner Kabbalist, ein Mann mit dem Plan, den Erie-See mit Kohlensäure zu versetzen - dies sind nur einige der unglaublichen Charaktere, die sich durch Katchors Universum bewegen. Ihre Lebenswege verknüpfen sich in ihrem gemeinsamen Bemühen, einen Platz in der Neuen Welt zu finden, eben als diese einem wirtschaftlichen Rausch verfällt, der sie in die Zukunft tragen - oder bankrott zurücklassen kann.


    Die Graphic Novel "The Jew of New York" – Text und Zeichnungen von Ben Katchor – erschien 1998 als Fortsetzungsgeschichte in der US-Zeitung "The Jewish Daily Forward", bevor sie 1999 bei Pantheon Books in Buchform erschienen ist. Eine deutsche Übersetzung von Kai Pfeiffer erschien im April 2009 beim Berliner Avant-Verlag als "Der Jude von New York" in Klappbroschur. Diese Ausgabe umfasst 102 schwarzweiße Seiten. Andere deutsche Übersetzungen von Katchor sind rar gesät. Eine deutsche Ausgabe von "Julius Knipl", die der Avant-Verlag im Klappentext von "Der Jude von New York" als in Vorbereitung angekündigt hat, hat bisher noch nicht das Licht der Öffentlichkeit erreicht.


    Ein absolut eigenständiges Buch. :thumleft: Was Comic doch alles sein kann! :applause: Und was habe ich da eigentlich gelesen? Irgendwo fand ich notiert, es sei ein „Buch der Ideen“, was gar nicht so verkehrt ist: Eine übergroße Anzahl an Figuren taucht auf und mit ihnen lauter Formen, Klischees und Seltsamkeiten jüdischen Lebens. Eine riesige Wundertüte, ein Vexierbild, alle Geschichten geben sich die Klinke in die Hand. So zufällig, frei fließend die Dramaturgie der Geschichten wirkt, so clever konstruiert ist das Buch, um nicht in lauter Einzelteile auseinanderzufallen. Nein, ich war extrem neugierig und immer überrascht, was als nächstes passiert und wohin ich hier noch gelenkt werde.


    Soviele Exzentriker auf einen Haufen – ein Unternehmer, der den Erie-See mit Kohlensäure anreichern und Mineralwasser direkt in die Wasserleitungen einspeisen wollte, ein Importeur von Seidenstrumpfhosen, ein antisemitischer Theaterautor mit Mundschutz, ein Mann im Taucheranzug als Pilger aus dem Gelobten Land oder ein Mann, der die Lautäußerungen aufschreibt, die Menschen rund um die Nahrungsaufnahme machen, um ein entsprechendes Spezial-Lexikon herauszugeben. Es geht auch um den Versuch, ein Neues Jerusalem, also einen jüdischen Staat vor den Toren New Yorks zu errichten (die von Mordecai Manuel Noah gegründete Siedlung Ararat, für die sich allerdings kaum jüdische Siedler interessierten), sowie um die Vorstellung, die Indianer Nordamerikas wären einer der Verlorenen Stämme Israels, außerdem um Indianer, die öffentlich im Theater hebräische Texte rezitieren, eine Sekte, die den Atem verherrlicht, einen Mann, der nur mit einem Bettlaken bekleidet in einer öffentlichen Grünfläche schläft, obwohl er ein Hotelzimmer gemietet hat, und und und. Also auch eine Ansammlung kulturhistorisch interessanter Kuriositäten, die aber dennoch das Zeitbild einer untergegangenen Lebenswelt nachzeichnen.


    Kritiker des Buches werfen ein, es erzählte ja gar keine "interessante" Geschichte und zöge aus der Bebilderung als Comic gar keinen erzählerischen Mehrwert. Das erste stimmt gewissermaßen, denn statt einer Geschichte hat man etliche Kleinsthandlungen, die sich meist aufeinander beziehen und so ein Alltags- und Zeitgeist-Geflecht ergeben. Das zweite ist schlichtweg Unsinn. :P An der "Wahl der Mittel" herumzumäkeln und einem Künstler quasi "vorzuschreiben", welche Ausdrucksform er zu wählen habe, ist schon ein anmaßendes Angeber-Argument. Der Comic bietet sich für das Sujet, das Ben Katchor beackern will, geradezu an, da es in dem Buch in vielen Fällen ja ausdrücklich um das Sichtbarwerden und das Bildhafte geht, um den Schritt an die Öffentlichkeit, um die allgemeine Meinung über jüdisches Verhalten, jüdische Sitten und jüdisches Äußere. Das, was sich im Alltag, auf der Straße oder in Zeitungsberichten öffentlich zeigt, und worüber die mehrheitlich christlich geprägte US-Gesellschaft zunächst einmal gerne den Kopf schüttelt. Form und Inhalt reichen sich die Hände, was ein wirklicher Glücksgriff ist.


    Für die Originalität, die Neuheit und Einzigartigkeit dieser Bildliteratur gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne. Als Roman hätte man sich bei der Fülle an Personal und Themen durch mehr als 1000 Seiten Beschreibung quälen müssen, die man hier in knackigen 100 Seiten serviert bekommt. Und alles liegt vor einem ausgebreitet: Die ganze Seltsamkeit des menschlichen Lebens als Jude in der Neuen Welt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine sehr ungewöhnliche Comic-Lektüre für Feinschmecker, fast schon ein kulturhistorisches Kompendium über die Parallelwelten eines vergangenen jüdischen Nordamerikas. Man sehe und staune! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


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    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Die hartgebundene US-Originalausgabe als "The Jew of New York" sieht so aus.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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  • Eine französische Übersetzung von Alexandre Suerte und Emma Sudour als "Le Juif de New York" zuerst 2001 bei der Association Daw Amok erschienen.

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