Julio Llamazares - Rosen aus Stein / Las rosas de piedra

  • Klappentext
    Von Barcelona bis Burgos, von Santiago bis Segovia - Spaniens Kathedralen gehören zu den schönsten Kirchen Europas. Julio Llamazares, Dichter, passionierter Reisender und einer der wichtigsten Schriftsteller seines Landes, führt uns durch bekannte und weniger bekannte Gotteshäuser und erzählt deren wechselvolle Geschichte. Dabei erkundet er entlegene Ortschaften wie das jüdisch geprägte Tudela und geht auch den Spuren des verschwundenen Königreichs Asturien nach. Er besucht Orte voller Geschichten und Geheimnisse, die nur der geduldigen Besucher hervorzulocken vermag - im Gespräch mit Sonntagsmalern, penetranten Fremdenführern und mitteilsamen Priestern. Llamazares ist weder Pilger noch Tourist, sondern ein moderner, melancholischer Wanderer, der über die Pracht, aber auch über Leere und Funktionslosigkeit der steinernen Giganten sinniert. Ironisch und illusionslos blickt er in seinem Buch über das "verschwindende" alte Spanien auf dessen Kathedralen wie auf Inseln aus einer anderen Zeit.


    Der Autor
    Julio Llamazares, 1955 in Vegamian, Provinz Leon, geboren, ist Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor. International bekannt wurde er 1988 mit dem Roman Der gelbe Regen. Llamazares schreibt Erzählungen, Chroniken, Reiseliteratur, Drehbücher und Reportagen. Außerdem hat er eine Anthologie über Madrid herausgegeben. Er lebt in Madrid und Leon.


    Meine Gedanken und Eindrücke
    Den neun spanischen Kathedralen, die Julio Llamazares seinen Lesern vorstellt, nähert er sich weder aus religiösen Motiven als Pilger noch als eiliger Tourist, sondern als aufmerksamer und interessierter Reisender. So bezeichnet er sich in seinem Buch auch selber, als Reisender, und spricht von sich stets in der dritten Person. Unwillkürlich fragt man sich zu Beginn der Lektüre, wie der Autor den jahrhundertealten steinernen Zeitzeugen mit ihrer imposanten Geschichte auf nur 174 Seiten gerecht werden will, und wird angenehm überrascht von der Herangehensweise an diese selbstgewählte Aufgabe.
    Der bekennende Atheist tritt weder als Kunstkenner noch Lehrmeister seinen Lesern gegenüber auf, sondern beschreibt einfühlsam, ohne Pathos und doch voller Respekt vor den gewaltigen Leistungen unzähliger, meist namenlos gebliebener Menschen, wie die Kathedralen, auf ihn wirken. Das beginnt schon mit dem Tag der Anreise, wenn er sich seinem Bestimmungsort nähert. Wir kennen die Jahreszeit, erfahren von den Wetter- und Straßenverhältnissen, dem sich ändernden Landschaftsbild, von der Stimmung, die ihn am Zielort empfängt, von hastenden, lärmenden, sogar in den Kathedralen telefonierenden und fotografierenden Menschen oder wohltuender Stille, von Erinnerungen, Begegnungen und sich daraus ergebenden Gesprächen.
    Wie zufällig Mitreisende begleiten wir ihn auf seinen Besichtigungen und Rundgängen durch und um die mächtigen Bauwerke, treten durch prachtvolle Portale, tauchen ein in die magische Aura jener heiligen Stätten, die mancherorts auf römische oder arabische Ursprünge zurückgehen, bewundern die filigranen Spitzengebilde mittelalterlicher Steinmetzkunst, stehen demütig staunend vor Wunderwerken der Glasmalerei, besuchen Kreuzgänge und Grabdenkmäler, interne Kapellen und Museen. Immer wieder ziehen wir den Reiseführer zu Rate oder schließen uns einer Führung an.
    Der Besuch der Kathedrale in Tudela scheitert an Bauarbeiten, die eigentlich längst abgeschlossen sein müssten, dafür eröffnen sich andere interessante Perspektiven.
    In Gerona dürfen wir uns an der Erschaffung der Welt erfreuen, die im 11. Jahrhundert stattgefunden hat, und besichtigen die breite, hundertstufige Freitreppe, an der Gott dereinst das Jüngste Gericht einberufen wird. Hier lernen wir den „Heiligen der Fliegen“ und seine Legende kennen, während wir in Santiago de Compostela dem „Heiligen der Kopfnüsse“ nach entsprechendem Ritus unsere Reverenz erwiesen, und unseren Nachmittagskaffee ungeplant mit unbekannten Toten getrunken haben.
    Manche Kathedralen, wie die von Barcelona, erinnern mit ihrer Betriebsamkeit und den vielen Preisschildern für die unterschiedlichsten Leistungen und Angebote zeitweise mehr an ein Geschäftslokal als an einen Ort des Gebetes oder der stillen Betrachtung.
    Gemeinsam ärgern wir uns über ungerechtfertigte Eintrittsgelder, wundern uns über leere Weihwasserbecken, sinken immer wieder erschöpft in einer Kirchenbank nieder, um in diesem Zusammenhang auch ganz ungewollt an der einen oder anderen Messe teilzunehmen. Der begeisterte Vater, der seinen kleinen Sohn während der Beichte mit einer Videokamera filmt, bleibt ebenfalls nicht unbemerkt.
    Erschlagen von so viel Stein, so viel Kunst, so viel Schönheit, gönnen wir uns stets eine ausgiebige Mittagspause, genießen die lokalen Spezialitäten, manchmal sogar in traditionsreichen Lokalen und – je nach Jahreszeit und Gegebenheit - auch die wärmenden Sonnenstrahlen.
    Viele neue Erkenntnisse wird der Liebhaber spanischer Kathedralen, die dem Reisenden oftmals wie Schiffe der Ewigkeit erscheinen, aus diesem schmalen Bändchen kaum gewinnen, und doch hat mich Julio Llamazares mit seiner Neugierde, seiner stillen Begeisterung, seiner spürbaren inneren Freude, seiner scharfen Beobachtungsgabe und seinem subtilen Humor verzaubert.
    Gefehlt haben mir lediglich Bilder, zumindest eines von jeder Kathedrale hätte ich mir nach jedem Kapitel oder im Anhang gewünscht (es lohnt sich auf jeden Fall, sie sich im Internet anzusehen). Alles andere hätte der Autor nicht besser machen können.