Leïla Slimani – Dann schlaf auch du/Chanson douce

  • Kurzmeinung

    Submania
    Sehr französisch, sehr tragisch.
  • Kurzmeinung

    Tessa
    Für mich ein seltsames,deprimierendes Buch.Der Schreibstil hat mir nicht gefallen
  • Original : Französisch, 2016


    INHALT :
    Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?


    Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement aufpasst. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, denen sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich. (Klappentext)


    BEMERKUNGEN :
    Was in dieser Kurzbeschreibung chronologisch erzählt wird präsentiert sich im Roman anders: Auf den ersten Seiten, ja, im ersten Satz steht der tragische Ausgang schon fest, ist also nicht Endpunkt allein, sondern schon Feststellung : die Kinder sind tot! Auch werden die Umstände kurz erwähnt, die Täterin. Nun wird es darum gehen, in den folgenden Seiten den Werdegang zur Katastrophe zu beschreiben: Wie konnte es dazu kommen ? Dabei geht es wohl nicht um Schuldzuweisungen wie eine « Abschiebung der Kinder hin zu einer Nanni », um eben sich beruflich entfalten zu können. Oder eine in sich von je grundperverse Kinderfrau. Aber was spielt alles rein ? Was bewegt die Protagonisten ?


    Rein chronologisch, von der Beschreibung der Ausgangssituation bei den Jungverheirateten bis hin zur Rekonstruktion des Verbrechens geht es auch jetzt nicht zu : Manchmal werden Kapitel eingefügt, gewissen anderen Schlüsselfiguren gewidmet, die eine Seite, einen Aspekt erhellen, aber zeitlich woanders angesiedelt sein können.


    Das junge Ehepaar Pierre und Myriam leben in der bescheidensten Wohnung ihres Hauses im Norden von Paris, nicht weit weg von Montmartre und dem Sacre-Coeur. Zu mehr reicht ein Einkommen nicht aus, wenn nun die ersten Kinder da sind und Myriam nicht arbeiten gehen kann. Dabei hat Pierre einen guten Job. Doch Myriam hat zunächst wie selbstverständlich mal ihren Rechtsanwaltsberuf an den Nagel gehangen, und freut sich, ihre Kinder begleiten zu dürfen. Doch langsam wechselt die innere Stimmung : das Gesichtsfeld schränkt sich immer mehr ein, manchmal empfindet sie ein inneres Gefängnis. Und Pierre macht es nicht leichter, wenn er müde von der Arbeit kommt und sie mit seinen Geschichten überlastet. Also sehnt sie sich auch nach beruflicher Tätigkeit, selbst wenn die Kinderfrau einzuplanen wäre und es letztlich finanziell nicht auf mehr rauskäme.


    Louise scheint ideal, krempelt das Leben der kleinen Familie um, wird unabdingbar. Doch verbirgt sich hinter ihrer Bereitwilligkeit, ihrem unglaublichen Einsatz etwas anderes, Dunkleres ? Eine Einsamkeit ? Die Suche nach Familienersatz ? Wie kommt es zur Explosion? Gibt es ein anderes Leben als das der stets bereiten, alles zulassenden Kinderfrau ? Welche geheimen Demütigungen hat sie erfahren, erfährt sie noch, auch von den ach so offenen und scheinbar dankbaren Hausherren ? Was steckt hinter gewissen Manien und Einsamkeit ? Wo sind Antribe, innere und äußere Wirklichkeiten, oft ignoriert von den anderen ?


    Ein beeindruckendes Buch, dass die selbst Mutter gewordene Autorin eventuell mit eigenen Fragestellungen angeht. Manchmal scheinbar distanziert, trocken, doch einfach packend und psychologisch ganz fein beobachtet: man kommt nicht los ! Nicht umsonst erhielt dieses Buch letztes Jahr im ersten Wahlgang den Goncourt-Literaturpreis, die höchste Auszeichnung!


    Ich liebe diese Erzählweise, die ohne deftige Schuldzuweisungen auskommt, aber auch die Abgründe darstellt. Nicht nur bei der Täterin, sondern auch in scheinbar wohlgemeinten Hinweisen oder lustig sich gebenden, aber doch dummen, Äußerungen.


    Hut ab ! Dieser Roman könnte viele hier ansprechen !


    AUTORIN :
    Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani wurde im Oktober 1981 in Rabat geboren und wuchs in Marokko auf. Ihr Vater war Banker, verstarb aber Mitte de 00er Jahre. Ihre Mutter war eine der ersten Ärztinnen des Landes, halb Elsäßerin, halb Algerierin. Slimani besuchte die Schule in Rabat. 1999 ging sie nach Paris und studierte Medien und Politik am Institut d’études politiques de Paris und an der ESCP Europe. Nach ihrem Studium besuchte sie das Cours Florent und versuchte sich kurzzeitig als Schauspielerin. Sie arbeitete seit 2008 als Journalistin für das Magazin Jeune Afrique, für das sie über nord-afrikanische Themen berichtete. »Dann schlaf auch du« wurde mit dem höchsten Literaturpreis des Landes, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet (siehe auch : http://www.luzernerzeitung.ch/…a-Slimani;art46444,881770 – und- siehe Bild : was für eine schöne Frau, oder ?) und in 30 Länder weltweit verkauft. Ihr ebenfalls preisgekröntes literarisches Debüt »Dans le jardin de l’ogre« wird derzeit verfilmt.


    Slimani ist verheiratet und Mutter eines sechsjährigen Sohnes und erwartet gerade ihr zweites Kind. Sie lebt in Paris, hat aber die doppelte Staatsangehörigkeit: die französische und die marokkanische.
    (Quellen : wikipedia.en +.de + fr ; Autorenbio bei amaz.de)


    Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
    Verlag: Luchterhand Literaturverlag (21. August 2017)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3630875548
    ISBN-13: 978-3630875545

  • Hier noch die Verlinkung zum französischen Original in der berühmten Gallimard-Ausgabe :


    Broché: 240 pages
    Editeur : Gallimard
    Édition : 18 août 2016
    Collection : Blanche
    Langue : Français
    ISBN-10: 2070196674
    ISBN-13: 978-2070196678

  • Danke @tom leo für Deine Rezension, die das auf den ersten Blick so eindeutige Thema differenzierter darstellt. Und endlich einmal kann ich eines der Bücher, die Du hier vorstellst, direkt auf die Wunschliste schieben. :)

  • Danke, Squirrel!

    Danke @tom leo für Deine Rezension, die das auf den ersten Blick so eindeutige Thema differenzierter darstellt. Und endlich einmal kann ich eines der Bücher, die Du hier vorstellst, direkt auf die Wunschliste schieben. :)

    Diese differenziertere Sicht auf das scheinbar so ganz Eindeutige spielt mit fast unmerklich kleinen Hinweisen auf eben zB die Demütigungen an, die sich hinter "guten Absichten" oder aber auch schon krasseren Vorurteilen etc verbergen.


    Tja, und ich habe in meinem SUB-Stapel halt mal ausversehen und zufällig eins der vielen guten Bücher erwischt, das doch tatsächlich auch schon auf Deutsch erschienen ist. Reiner Zufall, ehrlich! Aber vielleicht auch nicht: den Goncourt übersetzt man halt wie selbstverständlich: lässt sich damit doch eventuell ein Batzen Geld verdienen?!

  • den Goncourt übersetzt man halt wie selbstverständlich

    das spielt ganz sicher eine Rolle in der Entscheidung, welches Buch übersetzt wird oder nicht :wink: gleich ob Du es nun zufällig aus dem Stapel gegriffen hast oder nicht, freut es mich trotzdem, endlich auch mal die Möglichkeit zu haben, einer deiner Empfehlungen folgen zu können.

  • gute Idee, Umsetzung enttäuschend



    Außergewöhnliche Idee und Inhaltsangabe, die sehr neugierig machen.
    Leider ist die Umsetzung in meinen Augen alles andere als gelungen - das Buch hat 220 Seiten und wurde langweilig aufgezogen. Louise ist eine in meinen Augen dumme Person, sie wird einfach als dumm dargestellt. Man kann nur den Kopf schütteln, wieso ein Autor so einen Charakter wählt.
    Leider enttäuschend.

  • Chronologie eines menschlichen Absturzes


    Das Buch beginnt mit der Tötung zweier Kinder durch ihr Kindermädchen. Im weiteren Verlauf wird geschildert, wie sich das Drama entwickeln konnte.
    Die Mutter der Kinder bekommt die Chance zum Wiedereinstieg in ihren Beruf als Rechtsanwältin (der Vater arbeitet als Musikproduzent) geboten und ergreift diese. Da beide Eltern berufstätig sein wollen und die Kinder noch sehr klein sind ergibt sich der Wunsch nach einem Kindermädchen. Nach einigen mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen finden sie Louise. Scheinbar ein Traum - zu schön um wahr zu sein! Louise betreut nicht nur die Kinder, sondern wird so etwas wie die gute Seele des Haushalts, während die Eltern sich jeder für sich beruflich "entfalten".
    Der Rest des Buchs beschreibt den Weg bis zur Eskalation. Steinchen für Steinchen wird aus der (fast) perfekten Mauer entfernt, die Louise umgibt. Beleuchtet wird dabei nicht nur das frühere Leben von Louise, sondern auch ihr Weg in die absolute Einsamkeit. Wenn man das Buch liest, sind auch im Vorfeld schon deutliche Risse erkennbar, die teils aus Bequemlichkeit, teils aus Unachtsamkeit ihrer Mitmenschen nicht zur Kenntnis genommen werden. Dadurch, dass man schon von Anfang an weiß, worauf es hinausläuft, erkennt man die Zeichen wahrscheinlich wesentlich besser.


    Leila Slimani fügt in einem meiner Meinung nach sehr sensiblen und berührenden Schreibstil die einzelnen Schritte bis zu der Tötung der Kinder mosaikartig zusammen. Ein Buch das nachhaltig beeindruckt und m. E. auch so verstanden werden kann, dass mehr Aufmerksamkeit und Mitmenschlichkeit im täglichen Leben durchaus eine gute Idee sind - nicht nur, wenn es solche Taten zu verhindern gilt.
    Der Schreibstil ist sehr gut zu lesen, wenn auch nicht herausragend. Aber in dieser Hinsicht bin ich zugegebenermaßen in letzter Zeit etwas verwöhnt worden.
    Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung! Nur einen Krimi oder gar Thriller darf man hier nicht erwarten, nur weil 2 Kinder ermordet wurden.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Nach dem Kommentar von Meriva_3010 überlegte ich hin und her, ob ich dazu was sagen sollte oder nicht. Deine Meinung finde ich nun sehr hilfreich, und danke Dir dafür, @Diamondgirl. Ich denke ebenso, dass die Ausschau nach einem "reinen Thriller oder Krimi" eben an diesem Buch vorbeigehen. Die feinen Beschreibungen der Vereinsamung, der verborgenen Aburteilungen auch, sind sehr gut und treffend. Vielleicht kommen hier noch andere Reaktionen? Herzliche Einladung an die nun entsprechend Vorgewarnten!

  • Dann schlaf auch du, Roman von Leïla Slimani, 224 Seiten, erschienen im Luchterhand Literaturverlag Beklemmendes Drama um den Tod zweier Kinder.
    Myriam und Paul, ein junges Paar, er Musikproduzent und sie Anwältin, haben zwei Kinder Mila und Adam, Myriam, die nach dem Studium sofort Mutter wurde und dann auch noch Adam bekam, fühlt sich als Hausfrau und Mutter überfordert und dabei doch nicht ausgelastet, eines Tages begegnet ihr ein Studienkollege und bietet ihr an, in seiner Kanzlei einzutreten. Die Eltern machen sich die Suche nach einem Kindermädchen nicht leicht, schließlich wird Louise eingestellt, die perfekte Nanny, sie ist eine Perle, die Kinder lieben sie, für Myriam und Paul wird sie unentbehrlich und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.
    Das Buch ist im auktorialen Stil verfasst. Obwohl der Prolog mit dem Satz „Das Baby ist tot“ beginnt handelt es sich bei vorliegender Geschichte um keinen Kriminalroman. Slimani beschreibt in klaren Worten und in einem nüchternen geradezu abgeklärten Schreibstil, rückblickend, das Leben der Familie, bis es zu dieser schrecklichen Tat kommt. In der Erzählung sind immer wieder Kapitel dazwischen gestreut, in denen der Leser Näheres über Louises Privatleben erfährt, über ihre Tochter, die sich schon sehr bald von zu Hause abgesetzt hat, über ihren Mann der ein Stänkerer und Faulenzer war und ihre Armut, ihr Dahinvegetieren in einer klammen schimmeligen Wohnung und die Probleme die die Schulden ihres Mannes verursachen.
    Nachdem ich die Leseprobe gelesen hatte, wollte ich dieses Buch auf jeden Fall haben, der Einstieg haut den Leser geradezu um und er will unbedingt wissen wie diese schreckliche Tat geschehen konnte. Leider lässt die Spannung im Lauf der Geschichte nach. An jeder Stelle des Buches dachte ich, wann kommt der Riss, ab wann zeichnet sich dieses schreckliche Ende ab, was ist der Auslöser, ja der Grund warum Louise derart ausrastet? Leider habe ich auf meine Fragen keine richtige Erklärung gefunden. Ich konnte mit keiner der Charaktere im Buch so richtig warm werden, Myriam, der ihre Karriere wichtiger war als ihre Kinder? Paul, den die Erziehung der Kleinen oder das Gefühlsleben seiner Frau kaum interessiert? Letztendlich Louise, die Täterin, die durchgeknallte Nanny, so perfekt wie sie den Haushalt der Familie führt, wie sie sofort Bezug zu den Kindern aufbaut, wie sie sich in der Familie als moderne Mary Poppins erweist, eigentlich kann ich nicht nachvollziehen wieso sie ihr Privatleben nicht auf die Reihe kriegt. Nach dem Tod ihres Mannes, ignoriert sie sämtliche Briefe und Mahnungen die bei ihr eintreffen. Ihre Einzimmerwohnung ist ein mieses Loch. Da frage ich mich, was Louise mit dem Geld für ihren Job getan hat? Ihre Schulden und ihre Wohnung hat sie damit wohl nicht bezahlt. Essen konnte sie mit den Kindern, sogar in den Sommerurlaub durfte sie mit. Und dennoch hat sie mit ihrem „letzten Geld“, Mila ein Eis gekauft. Die Hilfe die ihr Paul angeboten hat, hat sie auch abgelehnt. Da ist der Roman für mich ein wenig undurchsichtig, dort habe ich keinen Zugang gefunden, nichtsdestotrotz habe ich das Buch an einem Nachmittag durchgelesen. Am Ende hätte ich gerne noch gewusst, wie das Leben der Figuren weitergeht, wie Louise bestraft wird. Insgesamt von mir gutgemeinte 3 Sterne.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study::musik::montag:


    Und wenn mir alle Königskronen für meine Bücher und meine Freude am Lesen angeboten wären: Ich würde sie ausschlagen.
    François Fénelon

  • Man kennt Fälle aus der Zeitung, wenn ein Vater oder, seltener, eine Mutter seine / ihre Kinder tötet und meistens danach Selbstmord begeht. Man liest die Nachrichten fassungslos, kopfschüttelnd und fragt nur: Warum? Man rätselt über das Motiv, die Hintergründe und wird dennoch nicht begreifen, was im Täter vor sich geht.


    Ungefähr hundert Kinder werden jedes Jahr in Deutschland von ihren Eltern getötet, in etwa jedem dritten Fall nehmen sich Mutter oder Vater nach dem Mord an ihren Kindern selbst das Leben. "Mitnahmesuizid" oder "erweiterter Suizid" nennen Experten das. Wenn Mütter solche Taten begehen, glauben sie oft, ihre Kinder nicht allein lassen zu können. Bei Vätern spielen häufig Wut und Rachegefühle eine Rolle, weil die Partnerin sich getrennt hat oder trennen will. Hier kopiert


    In diesem Roman tötet nicht Vater oder Mutter, sondern das Kindermädchen, bei uns würde man Louise „Tagesmutter“ nennen. Sie steht Mira und Adam näher als die leiblichen Eltern, die einerseits dankbar sind, dass sie ihrer Berufstätigkeit nachgehen ohne Einschränkung durch häusliche Verpflichtung können, andererseits aber von zweierlei Furcht geplagt werden: Dass Louise kündigen könnte. Oder dass sie alles an sich reißt. Die Gefahr ist durchaus gegeben. Louise macht sich unersetzlich, ist immer da um die Kinder zu hüten oder sich um den Haushalt zu kümmern, ein Privatleben existiert faktisch nicht.
    Zwei weitere Tatbestände treffen aufeinander: Myriam und Paul, die Eltern, interessieren sich nicht für Louise als Mensch; ihr bisheriges Leben, ihre Pläne für die Zukunft, ihre Sorgen sind für die Arbeitgeber völlig außen vor. Louise Wohnung liegt in einem verwahrlosten Haus; nach jahrelangem schrecklichen Familienleben sehnt sie sich nach Menschen, die sie aufnehmen, akzeptieren und zu ihresgleichen machen. In übersteigerten Träumen sieht sie sich geliebt von Myriam und Paul – falls es ihr gelingen könnte, noch unersetzlicher zu werden.
    Ein paar Ereignisse, eigentlich alltäglich und irgendwie aus der Welt zu schaffen, bringen die Katastrophe ins Rollen.


    Leila Slimani erzählt Louises Geschichte emotionslos mit großer innerer Distanz – vermutlich konnte sie es als Mutter nicht anders. Aber anders als in anderen Büchern, in denen der Autor für die Handlung, der Leser für die Emotionen zuständig ist, überträgt sich die Distanz. Man liest, aber die Betroffenheit bleibt im Kopf stecken. Ob dies die Intention der Autorin war? Oder ist die Handlung so furchtbar, dass man sich mit einem innerlichen Schild wappnet?


    Den Sinn des deutschen Titels im Zusammenhang mit dem Inhalt verstehe ich nicht. Wieder so ein Fall, bei dem man den Originaltitel besser wörtlich übersetzt hätte.


    Louise ist eine in meinen Augen dumme Person

    Verzweifelt, verwirrt, allenfalls verstört, aber dumm???

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke für Deinen Kommentar! Zur folgenden Frage muss man kulturell eventuell ein klein wenig ausholen:

    Zitat von Marie

    Den Sinn des deutschen Titels im Zusammenhang mit dem Inhalt verstehe ich nicht. Wieder so ein Fall, bei dem man den Originaltitel besser wörtlich übersetzt hätte.

    "Chanson douce" IST der Titel eines bekannten französischen Wiegenliedes, das im Übrigens im französischen Original von Louise gesungen wird... Hört hier: https://www.youtube.com/watch?v=7nAS3HaCny8


    Dzer deutsche Titel ist insofern also sehr gut gewüahlt, handelt es sich eben auch um ein Wiegenlied. Kennen das noch alle? "Dann schlaf auch du"? Ich hörte es zwar nicht von meiner Mutter, doch in einem Rühmann-Film...: https://www.youtube.com/watch?v=0SYJdNvN10E

  • der Titel eines bekannten französischen Wiegenliedes

    Ja, das hat Google mir verraten, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass es sich bei "Dann schlaf auch du"

    auch um ein Wiegenlied

    bzw. eine Zeile daraus handelt. "Schlaf Kindlein schlaf" wäre deutlicher, aber wohl ziemlich unpassend.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Dzer deutsche Titel ist insofern also sehr gut gewüahlt, handelt es sich eben auch um ein Wiegenlied. Kennen das noch alle? "Dann schlaf auch du"?

    Ich kenne natürlich das LaLeLu-Lied, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es darin d'rum schlaf auch du heißt. Insofern habe ich das auch nicht mit dem Lied in Verbindung gebracht. Ich hätte, wenn ein Schlaflied genommen werden sollte, auch einen Titel wie von Marie vorgeschlagen oder irgend etwas aus Guten Abend, gute Nacht genommen. Aber mich störte der Titel auch nicht so wie er jetzt ist.


    Warum Louise dumm sein soll, hat sich mir auch nicht erschlossen. Aber das empfindet wohl jeder unterschiedlich.

  • Ich kenne natürlich das LaLeLu-Lied, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es darin d'rum schlaf auch du heißt. Insofern habe ich das auch nicht mit dem Lied in Verbindung gebracht.

    Ich hatte es mir gestern Abend tatsächlich nochmals angehört, und dann das "drum" gehört. Ich hatte es aber mit "dann" assoziiert und finde diese "Veränderung" des Buchtitels akzeptabel. Die Brücke, der Hinweis zum Wiegenlied bleibt mE bestehen. Wegen dieses kosmetischen Eingriffs würde ich nicht die Assoziation verbaut sehen.

  • 3 Dinge, die mir spontan zum Buch einfallen:
    ich werde nie verstehen, weshalb sich Leila mit Trema schreibt, wunderschönes Cover mit toll geriffeltem Papier, nein! die Frau hat nix mit den Slimanis auf Youtube zu tun!


    Das sagt der Verlag zum Buch:
    Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?
    Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen – eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.


    Meine bescheidene Meinung:
    Mal wieder ein Buch, bei dem es mir alles andere als leicht fällt, eine Rezension zu schreiben. Nicht, weil es besonders gut oder besonders schlecht wäre – im Gegenteil: ich weiß nicht, wo ich anfangen und wo aufhören soll…
    Die Handlung beginnt schon mal mit einem Paukenschlag und hat mich so sehr in ihren Bann gezogen, dass ich einfach weiterlesen musste. Dran glauben mussten auch noch gefühlte hundert Post Its, denn es gab Textstellen, die konnte man gar nicht zurücklassen, ohne sie nicht vorher markiert zu haben, wie zum Beispiel diese hier, die Louises Macht, die sie binnen kürzester Zeit erlangt hat, auf das Treffendste beschreibt:

    Zitat

    Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr perfektioniert Louise die Kunst, zugleich unsichtbar und unverzichtbar zu sein. […] Sie ist die Wölfin mit der Zitze, an der sie alle trinken, die verlässliche Quelle ihre Familienglücks. (S. 55)

    Zitat

    Louise hat einen Strauß Dahlien ins Wohnzimmer gestellt. […] Wir können unmöglich auf sie verzichten, denken sie. Sie reagieren wie verwöhnte Kinder, wie Hauskatzen. (S. 131)

    Slimani macht es dem Leser schwer, wenn nicht sogar unmöglich, Louise, Paul oder Myriam zu mögen und dies aus unterschiedlichen Gründen: bei Louise handelt es sich um etwas Offensichtliches, das ich jedoch nicht spoilern will, auch wenn es auf der ersten Seite schon ersichtlich ist.


    Bei Paul und Myriam war es in meinen Augen ebenso einfach: sie sind durch und durch Opportunisten. Sie möchten einfach alles auf einmal haben: Kinder, die behütet aufwachsen, regelmäßige Mahlzeiten bekommen und abends mit einer Gutenacht-Geschichte ins Bett gehen.


    Wer hier einhakt und sagt, dass das ja nun wirklich nichts Verwerfliches ist, kann ich bis hierhin zustimmen. Allerdings lechzen beide auch nach ihrer beruflichen Karriere und so wird es immer mehr Usus, dass Louise nicht nur die Nanny, sondern auch das Mädchen für alles gibt: neben dem Kinderaufpassen kocht sie, putzt, kauft ein und ermöglicht so allen Beteiligten einen reibungslosen Tagesablauf. Sie kommt morgens in der Früh, damit Myriam in die Kanzlei oder zu Gericht gehen kann und geht erst spät in der Nacht, wenn diese wieder den Weg in die Altbauwohnung im 10. Arondissement gefunden hat.


    Zitat

    Paul verbringt seine Nächte im Studio, gierig nach Musik, nach neuen Ideen, nach Lachanfällen. […] „Louise ist doch da!“, sagt er seiner Frau immer wieder, wenn sie sich besorgt über ihre häufigen Abwesenheiten zeigt. (S. 116)


    Wer nun denkt: arme Louise – die wird ja komplett ausgenutzt! liegt nicht ganz richtig, denn tatsächlich ist dieses Arrangement eine absolute Win-Win Situation für alle. Trotzdem kann man sich des Eindrucks, dass Louise einfach nur ausgenutzt wird, nicht erwehren. Selbst die Tatsache, dass das Paar die ältere Dame mit in den Griechenland-Urlaub nimmt, hinterließ bei mir einen mehr als bitteren Nachgeschmack; so beschreibt Slimani Pauls Reaktion auf die Tatsache, dass Louise nicht schwimmen kann, folgendermaßen:

    Zitat

    Die Nanny ist beschämt zurückgewichen. Sie wollen gerade eine Erklärung von ihr verlangen, als sie langsam murmelt: „Ich habe Ihnen nicht gesagt, dss ich nicht schwimmen kann.“ […] Paul ist peinlich berührt, und dieses Gefühl macht ihn wütend. Er nimmt es Louise übel, dass sie ihre Bedürfnisse und ihre Schwäche mit hierhergebracht hat. Dass ihre Leidensmiene ihnen den Tag vermiest. (S. 69)


    Und ja, ich weiß: dazu gehören immer 2 Parteien: die, die es macht und die andere, die es mit sich machen lässt. Und auch wenn ich Louise nicht mag, tut sie mir leid, da sie einen sehr bedürftigen Eindruck auf mich macht, der sich auch durch die Macht, die sie ob ihrer aufopfernden und omniipräsenten Art erlangt hat, nicht übertünchen lässt: Sie lebt als Witwe, deren Tochter bereits vor Jahren das Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen hat, in einem schmuddeligen Einzimmer-Appartement am Rande von Paris.


    Auch hier schafft es Leïla Slimani wieder wortgewaltig und anschaulich, der Person Louise und auch der Stadt, in der sie lebt – Paris – ein hässliches Gesicht zu geben

    Zitat

    Die Einsamkeit hat sich aufgetan wie ein klaffender Riss, ind em Louise sich versinken sah. Die Einsamkeit, die an ihrem Körper, an ihren Kleidern haftete, fing an, ihre Züge zu modellieren und ihr die Gesten eines alten Mütterchens zu verleihen. […] Jeden Tag traf sie Schicksalsgenossen, Schwachsinnige, Clochards, Letue, die Selbstgespräche führten. (S. 98f)


    Zitat

    Das ist die Sorte Mann, die sie verdient. Der Typ,den keiner haben will, aber den sie, Louise, nimmt, so wie sie gebrauchte Kleidung nimmt oder schon gelesene Zeitschriften mit herausgerissenen Seiten oder sogar Waffeln, die die Kinder halb aufgegessen haben. (S. 140)


    Wie man unschwer sehen kann, ein nicht unbedingt lebensbejahendes Buch, eher eines, das nicht nur den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft legt und ordentlich darin herumstochert – nein, das reicht Leïla Slimani nicht – sie streut noch meisterlich eine Prise Salz hinterher. Das Paris, das der Leser durch Louises Augen sieht, erinnerte mich leider sehr oft an das Lied The Streets of London von Ralph McTell, welches – passenderweise – ursprünglich Streets of Paris hieß.
    Ich bin die ganzen 223 Seiten (die sich wie ein Vierfaches lasen) ein gewisses beklemmendes Gefühl nicht losgeworden, was nicht zuletzt an den letzten beiden Sätzen liegt:



    Zitat

    Kommt, Kinder. Ab in die Badewanne. (S. 223)


    Irgendwann möchte ich das Buch nochmal im Original (Chanson Douce) lesen – die Übersetzung kam mir manchmal was die Zeitenübersetzung anging, etwas holprig vor (wenn z. B. bei durchgängigem Präsens stellenweise und plakativ Plusquamperfekt benutzt wird).
    Ein gewaltiges Werk, das noch lange in einem nachhallt und einen im besten Fall das eigene Tun auch mal überdenken lässt und veranlasst, bei unserem Gegenüber vielleicht etwas genauer hinzuschauen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • ich werde nie verstehen, weshalb sich Leila mit Trema schreibt,

    Das Trema ist eine Aussprechhilfe. Im Französischen zeigt es auf dem i an, dass es sich nicht um ein Digramm handelt, d.h. beim e-i in Leïla wird es als 2 Laute (Lé-i-la) ausgesprochen, während in Leila nur als ein Laut (Lä-la).