Stephan Orth - Couchsurfing in Russland

  • Kurzmeinung

    Lavendel
    Bunter und unterhaltsamer, aber auch informativer Einblick in den Alltag in Russland.
  • Autor: Stephan Orth
    Titel: Couchsurfing im Russland - Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde
    Seiten: 250
    ISBN: 978-3-89029-475-9
    Verlag: Malik


    Autor:
    Stephan Orth wurde 1979 geboren und arbeitet als Redakteur im Reiseressort bei Spiegel Online. Seit 2003 ist er bereits als Couchsurfer unterwegs, hatte Besucher aus aller Welt und traf Gastgeber in mehr als dreißig Ländern. Orth ist Autor mehrerer Bücher und Reisereportagen, die mehrfach mit dem Columbus-Preis ausgezeichnet wurden.


    Inhalt:
    Das erste Russland-Buch ohne Bären und Balalaikas! Was ist Propaganda, was ist echt? Über keinen Teil der Erde ist die Informationslage verwirrender als über Russland. da hilft nur: hinfahren und sich sein eigenes Bild machen. Zehn Wochen lang sucht Bestsellerautor Stephan Orth zwischen Moskau und Wladiwostok nach kleinen und großen Wahrheiten. Und entdeckt auf seiner Reise von Couch zu Couch ein Land, in dem sich hinter einer schroffen Fassade unendliche Herzlichkeit verbirgt. (Klappentext)


    Rezension:
    So riesig das Land, so stark seine Gegensätze. Stephan Orth macht sich auf, um fernab der Politik die russische Seele zu suchen, und den Vielvölkerstaat zu erkunden. Beginnend am "Arschloch der Welt" quartiert er sich in Tschetschenien ein, erlebt den schwierigen Alltag der Menschen auf der Krim, bei Studenten in St. Petersburg und blickt nach Japan in Wladiwostok. Wie auch schon in seinem erfolgreichen Reisetagebuch über das "Couchsurfing im Iran" macht sich der Spiegel-Online Reporter auf, um Vorurteile vor allem für sich selbst zu widerlegen. Entstanden ist dabei ein eindrucksvolles Portrait von den Menschen des Landes.


    Russische Politik und Propaganda a la RT sind das eine, die russische Bevölkerung ist das andere. Vor allem tief gespalten in ihrer Meinung zur Staatsführung. Je nach wirtschaftlicher Lage mal fern, mal näher zum Kreml. Ein Land zwischen Energie-Krise am Weltmarkt und Sanktionen aufgrund der Krim-Krise, versucht sich selbst zu finden. Stephan Orth beschreibt diesen Prozess aus nächster Nähe, reist mal hier und mal dort hin, revidiert viele seiner Vorurteile, sieht die Probleme des Landes, aber auch Menschen, die ins Gelingen verliebt sind. Mal mit, mal ohne Wodka. Aber immer mit dem Willen zum Leben. Denn, Moskau ist oft genug sehr fern. Korruption und Erfindungsreichtum dagegen nah.


    Ein amüsanter Reisebericht der ganz anderen Art. Unterteilt in kurzweilige Kapitel, beschreibt der Autor seine Art zu Reisen, ihre Unwägbarkeiten und erstaunlichen Wendungen, vor allem aber die Geschichte der Menschen, die er trifft. So, dass man fast selbst geneigt ist, es ihm nachzutun. Stephan Orth erzählt, wie es ist, seine Vorurteile und bedenken über Bord zu werfen, manchmal alle Pläne kurzerhand umzuschmeißen und zu ändern und findet sie, die russische Seele, schon auf den ersten Stationen der Reise.


    Und drinkt immer tiefer in sie ein. Fernab der Politik zeichnet Orth auch hier wieder ein überaus positives Bild der Menschen und ihrer Trennlinie zu den Machthabern im Kreml. Die negativen Punkte a la Beeinflussung der Bevölkerung in allen Lebenslagen werden nicht ausgespart, Putin-Gegnern und Befürwortern auf den Zahn gefühlt. Privat entdeckt der Autor ein ganz anderes Russland als das, welches immer über die westlichen Nachrichtenbildschirme flimmert. Alleine dafür ist "Couchsurfing in Russland" schon lesenswert. Und vielleicht findet ja auch der Leser die vielgerühmte russische Seele.

  • Ich kenne nur "Couchsurfing im Iran", dass es auch ein Buch über Russland gibt, wusste ich gar nicht. Danke für die Rezension und den Lesetipp! Kommt gleich auf meine WuLi. :)

  • Inhalt:
    "10 Wochen
    24 Gastgeber
    Gesamt: 21.583 km
    Flugzeug: 11.416 km
    Bus + Auto: 6.229 km
    Zug: 3.898 km
    Pferd: 40 km"


    Stephan Orth ist Journalist und reist seit 2004 als Couchsurfer durch die Welt.
    Auf couchsurfing.com kann man Menschen in aller Welt für ein paar Tage sein Sofa als Unterkunft anbieten. So lernt man wirklich die Menschen und die Kultur des jeweiligen Landes kennen.


    "Über kein Land der Erde ist die Informationslage derzeit verwirrender. Für mich heißt das: Es gibt kein Reiseziel, dessen Besuch gerade jetzt dringlicher erscheint."


    Er macht sich auf, von Moskau runter nach Tschetschenien im Kaukasus, weiter nach Wolograd, dem früherem Stalingrad. Er fliegt auf die Krim, nach St. Petersburg und von da weiter nach Jekaterinburg im Ural. Die Stadt Jelzins liegt mehr als 1400 km östlich von Moskau. Geographisch gesehen endet Europa 40 km vor Jekaterinburg.
    Es geht mit Auto und Bahn weiter Richtung Osten. In Scharowsk lebt der wiedergeborene Jesus. Das behauptet jedenfalls der Sektenführer der Sonnenstadt.


    "In Tibet umrunden Pilger 108-mal den Kailash, in Japan läuft man auf der Insel Shikoku zu 88 Tempeln, In Europa stapft man mit der Jakobsmuschel am Rucksack nach Santiago de Comostela.
    In Sibirien nehme ich den Zug 097C bis Krasnojarsk (neun Stunden, 42 Minuten), anschließend Bus 210 nach Tscheremschanka (zwei Stunden). Von dort sind es noch zwanzig Kilometer mit dem Auto nach Scharowsk, wo mein nächster Gastgeber wohnt. Von ihm aus will ich die fehlenden neunzehn Kilometer zur "Sonnenstadt" zu Fuß zurücklegen. Hat ja niemand behauptet, der Weg der Erleuchtung sei einfach."


    Vorbei am Balkansee, hoch nach Jakutsk, wo Putin jedem 1 Hektar Land schenkt, wenn er es nachweißlich bewirtschaftet.
    In Mirny, wo Diamanten gefördert werden, gibt es einen gigantischen Krater, den die Einheimischen selbst den Spitznamen "Das Arschloch der Welt" gegeben haben.
    Seine Reise endet in Wladiwostok, Nahe China und Nordkorea.


    Meine Meinung:
    Wie auch schon mit seinem ersten Buch "Couchsurfing im Iran" erzählt Stephan Orth kurzweilig von Land und Leuten. Er nimmt uns mit in ein Land, das wir nicht verstehen und wo wir auch unsere eigenen Presse nicht mehr trauen können, dass sie auch objektiv schreibt.
    Er fragt nach, warum 56 % der Russen den Untergang der UdSSR bedauern und warum Putin so beliebt ist. Er lässt sich erzählen, warum die Krimtataren im Referendum für Russland gestimmt haben und will wissen, was für Vor- und Nachteile es nun hat.


    "Viele Russen verstehen nicht, warum die Krim-Übernahme international für so viel Aufregung sorgte. Schließlich habe es doch ein Referendum gegeben, bei dem die Mehrheit für einen Anschluss an Russland war. Tatsächlich kamen in deutschen Medienberichten manche Details zu kurz, zum Beispiel die Ängste, die nach der Absetzung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Februar 2014 aufkamen. Als die Majadan-Protestierenden ihren Erfolg feierten, befürchteten viele, dass dies der Anfang einer extrem antirussischen Politik sei."


    Ein Russe ist nicht gleich ein Russe, erfahre ich. Da gibt es die slawisch-aussehenden Russen, die Tschechenen, die unter Moskau echt gelitten haben und jene, die weit im Osten leben. Da hat man es mancherorts nicht so gerne, wenn eine russische Frau zu sehr asiatisch aussieht.
    Natürlich ist nichts schwarz oder weiß, schon gar nicht in dem riesigen Russland.
    Vorurteile gibt es hier wie dort. Aber Stephan Orth schafft es, mich über meinen Tellerrand hinaus blicken zu lassen und so manches verstehe ich nun besser. Auch werde ich wieder erinnert, dass man die Geschichte eines Landes nicht vergessen darf, um das Land verstehen zu können.


    Ein Zitat noch, was ich ganz witzig fand und welches deutlich macht, wie unterschiedlich die Denkweisen sind.
    Ein Gastgeber erzählt: "Aber eine Sache war lustig: Die Eltern der Deutschen hatten panische Angst, als sie ihnen mitteilte, dass sie nach Russland reisen will. Die Leute haben echt komische Vorstellungen, weil sie Russland nur aus dem Fernsehen kennen."
    "Manche Russen haben auch komische Vorstellungen von Europa, weil sie es nur aus dem Fernsehen kennen", sage ich.
    "Mal ehrlich, wenn du die Wahl hättest, von wem sollte Europa lieber erobert werden, von Russland oder von den radikalen Muslimen?"
    "Ich würde es vorziehen, überhaupt nicht erobert zu werden."
    "In Russland leben ganz verschiedene Menschen und Kulturen zusammen, man respektiert sich. Es gibt keinen Grund, vor solch einem Land Angst zu haben."
    "Wie weit sind denn die Europa-Eroberungspläne?"
    "Ach Quatsch, war doch nur so ein Gedanke."


    Ein sehr interessantes Buch, das ich jedem empfehlen kann, der Russland besser verstehen will.
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  • Der Autor und Redakteur bei Spiegel online, Stephan Orth, reist für zehn Wochen nach Russland. Als Couchsurfer übernachtet er bei Einheimischen, quer durch Russland. Und lernt dabei Land und Leute so richtig kennen, zementiert und / oder dementiert dabei auch so einige Klischees über Russland, die Politik, Land und Leute.


    Eines vorneweg: ich war noch nie in Russland und so war ich doch gespannt, was mich erwartet. Und nun nach dem Lesen frage ich mich, als was ich dieses Buch ansehen soll. Reisebericht ? Reiseführer ? Reiseerlebnisse in Romanform? …oder Satire?

    Der Autor reist von Wohnung zu Wohnung, von Couch zu Couch und trifft durchwegs interessante Menschen. Die sich stundenlang Zeit nehmen um mit ihm zu diskutieren und Wodka zu trinken. Schnell wird klar, dass er vor allem bei privilegierten Menschen übernachtet. Und so sind diese Übernachtungen und Diskussionen eine Momentaufnahme, die ein Russland ohne grosse finanzielle Probleme darstellen. Diese Passagen waren durchaus auch mal kritisch, vor allem gegenüber der russischen Politik, der eigenen Lebenssituation und der Regierung. Mal wird in der Küche der Gastgeber, mal auf einem Ausflug oder bei einem Kneipenbesuch, diskutiert. So sagt der Autor von sich selbst, dass unterwegs sein, für ihn keine Sache von Spass bedeutet. Sondern er dies als Suche nach Erkenntnis versteht. Stephan Orth nimmt kein Blatt vor den Mund und so thematisiert er auch mal die Westmedien, die alles aus, von und in Russland schlecht machen.

    Ich habe viel Neues erfahren. Wie zum Beispiel, dass der Alkoholverkauf in Russland zwischen 23 Uhr und 8 Uhr verboten ist. Und wie findige Russen, dieses Verbot elegant umgehen. Oder, dass es Zeitcafés gibt, in denen nach Aufenthaltsdauer und nicht nach Konsum bezahlt wird. Stephan Orth klammert auch negative Erlebnisse nicht aus und so wirkt sein Reisebericht durch und durch authentisch.

    Den Schreibstil habe ich als humorvoll und ansprechend empfunden …. ab und zu ausufernd in Details. Zeitweise haben mich nämlich diese Details und die Infos zu Russlands Geschichte, Bauwerken und Örtlichkeiten fast erschlagen. Viele Passagen lesen sich wie ein Geschichtsbuch und waren mir zu zäh. Da habe ich mich ab und zu gelangweilt und so habe ich mich ertappt, diese Stellen grob zu überlesen. Toll sind hingegen die eingefügten und zahlreichen Fotos, die immer wieder auflockern. Schlussendlich habe ich etwa ein Drittel der Lektüre grob überlesen, weil so viele Details erwähnt werden, die ich ohne Bezug zu dem Land als langweilig und zu sehr Insider empfunden habe.


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