Timothy Snyder - Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand / On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century

  • Kurzmeinung

    Dietmar58
    "Aktionsplan" für den Erhalt der Demokratie
  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Aufrüttelnd u dringlich m. schön patriotischem, zivilgesellschaftl. Pathos gegen Totalitarismus. Phänomenal illustriert!
  • Inhalt (Quelle: amazon):
    Wir sind nicht klüger als die Menschen, die erlebt haben, wie überall in Europa die Demokratie unterging und Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus kamen. Aber einen Vorteil haben wir. Wir können aus ihren Erfahrungen lernen.


    „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam.“ So lautet die erste von 20 Lektionen für den Widerstand, mit denen Timothy Snyder die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika vorbereitet auf das, was gestern noch unvorstellbar zu sein schien: einen Präsidenten, der das Gesicht der Demokratie verstümmelt und eine rechtsradikale Tyrannei errichtet.


    Doch nicht nur in den USA sind Populismus und autoritäres Führertum auf dem Vormarsch. Auch in Europa rückt die Gefahr von rechts immer näher – als ob es das 20. Jahrhundert und seine blutigen Lehren niemals gegeben hätte. Snyders historische Lektionen, die international Aufsehen erregt haben, sind ein Leitfaden für alle, die jetzt handeln wollen - und nicht erst, wenn es zu spät ist.


    Beschreibung:
    Timothy Snyder, ein US-amerikanischer Historiker und Profesor an der Yale-University, ist davon überzeugt, dass sich ein Rückfall in düstere Zeiten in der Welt anbahnt, nicht zuletzt in den USA durch Donald Trump. Er legt mit seinem schmalen, gerade mal 127 Seiten umfassenden Bändchen eine politische Brandschrift vor, die provokant, eindringlich und hochpolitisch ist und in sehr einfacher, klarer Sprache verfasst ist. Er hält sich nicht damit auf, die politischen Entwicklungen Richtung Diktatur in seinem Heimatland wissenschaftlich und genau zu analysieren, sondern warnt engagiert davor, dass sich die USA wie auch andere Länder in Richtung einer neuen Diktatur verändern und zeigt auf, was seiner Meinung nach dagegen getan werden muss und von jedem getan werden kann.


    "Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können aus ihr lernen", so lautet seine Hoffnung. Mit vielen Verweisen auf die Vorgänge in der Vergangenheit, die zur Dikatur des Nationalsozialismus, zu Faschismus, Stalinismus und Kommunismus führten, versucht Snyder klarzumachen, dass sich Diktaturen nicht aus dem Nichts von jetzt auf gleich entwickeln, sondern meistens langsam und fast unmerklich entstehen und zu Beginn sich durch Kleinigkeiten etablieren, wie der Verunglimpfung bestimmter Gruppen, der Verbreitung von Propaganda und Symbolen, und der Mithilfe der breiten Bevölkerung, die sich langsam anpasst, ihre Rechte freiwillig aufgibt und damit die Diktatur erst wirklich ermöglicht. Man darf bestimmte Dinge nicht mehr tun - was soll's. Man verliert das eine oder andere "kleine" Recht - egal, Hauptsache, es geht einem weiter gut. Menschen in der Umgebung werden verfolgt, diskriminiert, unterdrückt - geht mich nichts an, die werden schon irgendwie selber schuld dran sein. Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit - was kümmert es mich, solange ich genug Geld und Konsumfreiheit habe. Die Mehrheit der Bürger duckt sich weg, schaut weg, will nichts hören, nichts sehen, nichts wissen. Und wundert sich dann, wenn sie selbst auf einmal von der Tyrannei betroffen und in das Verhängnis, wenn nicht sogar in den Untergang mit hineingezogen werden.


    Snyder will den Leser unmittelbar ansprechen, auch emotional, und verzichtet dafür auf wissenschaftlichen Unterbau, auf Fremdwörter, lange Sätze, Anmerkungen und alles, was vom Kern seiner Botschaft ablenken könnte. Das mag manchmal platt und allzu zugespitzt erscheinen, und es hängt sicher von der Bereitschaft des Lesers ab, sich auf diese Weise unmittelbar mit einem Thema konfrontieren zu lassen, und von dem Wissen des Lesers über vergangene Zeiten. Denn wer sich schon einmal damit beschäftigt hat, wie Hitler, Mussolini, Stalin und andere an die Macht kamen, wie Massen manipuliert werden können und damit Dikaturen entstehen, die wie bei Hitler und Stalin Millionen und Abermillionen Tote zur Folge hatten, der wird viele Aussagen Snyders nicht nur teilen, sondern auch geistig nachvollziehen können. Ob die 20 Punkte Snyders auf der Rückseite des Büchleins, die "20 Lektionen aus dem 20. Jahrhundert", wie man als normaler Bürger handeln soll und handeln kann, um brandgefährliche Entwicklungen aufzuhalten, alle durchführbar sind, darüber lässt sich diskutieren und das wird jeder für sich anders entscheiden. Wichtig sind sie allemal und unbedingt.


    Fazit:
    Sehr lesenswert, einfach zu verstehen, ein dringend notwendiger und klarsichtiger Appell an alle, die nicht wieder nur zuschauen und in neue Diktaturen hineingezogen werden wollen.


    Viereinhalb Sterne von mir: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Ich möchte noch etwas ergänzen, ohne aber die Rezension, wie sie oben steht, nachträglich nochmals zu verändern.


    Snyder hat auf seiner 20-Punkte-Liste einen Punkt, der mir eminent wichtig erscheint: passt auf eure Sprache auf. Er nennt es "Achte auf gefährliche Wörter!" Eben habe ich einen Artikel in einer Zeitung gelesen, wie Trumps Regierung und andere, z.B. Erdogan, offenbar gezielt und bewusst Worte einsetzen, die eigentlich ungeheuerlich sind, an die wir uns aber wohl gewöhnen sollen. Man befinde sich in einem "Krieg" mit der Presse. Jeder, der gegen die Meinung der Regierung stehe, sei "ein Feind des Volkes". Man befinde sich in einem globalen Krieg. Andersdenkende werden als "böse Menschen" bezeichnet. Steve Bannon verkündete offen, er strebe die "Zerstörung des Staates" an, die Zerstörung des Establishments. Und so weiter und so fort. Wir kennen alle diese Tiraden aus den Medien.


    Ungeheuer gefährlich daran ist, dass sie durch die ständige Wiederholung langsam in die Köpfe der Menschen einsickern und man sich daran gewöhnt, es nicht mehr schlimm findet und nicht mehr entsetzt darüber ist. Auf einmal ist ein Mensch, der eine andere Meinung hat als ich, nicht einfach jemand, der anders denkt, sondern jemand, der böse ist. Auf einmal betrachtet man andere als Feinde, weil wir angeblich im Krieg mit ihnen stehen. Sprache verändert die Welt. Sprache verändert uns, unser Denken, unser Reagieren, unsere Gefühle.


    Ein solcher manipulativer, aggressiver Gebrauch von Sprache hat eine enorme Eigendynamik, und diejenigen, die eine solche Sprache permanent benutzen und gezielt einsetzen, wissen das. Deshalb ist Snyders Aufforderung, wir sollen auf unsere Sprache aufpassen, in meinen Augen von großer, hellsichtiger Bedeutung.


    Vielleicht ist das sogar einer der Punkte, die wir alle am leichtesten umsetzen könnten, ohne uns groß dafür anstrengen zu müssen. Aufpassen, was man wie sagt. Gegenreden, wenn jemand Menschen als "böse" bezeichnet, die schlicht nur eine andere Meinung vertreten. Die Dinge beim Namen nennen. Wir befinden uns nicht im Krieg mit den Medien, mit dem Globalismus, mit sonstwem, sondern wir müssen uns damit auseinandersetzen, darüber diskutieren. Man darf sich nicht durch Sprache in einen gedanklichen Krieg, mit wem oder was auch immer, zwingen lassen!


    Gerade für uns hier, die wir gern und viel lesen und mit Sprache umgehen, ist das etwas, was wir täglich machen können und wo man auch aktiv "Widerstand gegen die Tyrannei", um Snyders Titel nochmals zu zitieren, leisten kann.

  • Bin mir nicht sicher ob mir die Lektion 14 gefallen will, zwar ist es richtig das presse nicht umsonst sein kann aber letztendlich stellt für mich das Internet die ein zigste Meistumfassenste Informationsquelle dar die heutzutage existiert.
    Zwar ist es wichtig und richtig darauf zu achten was man für ein Bild von sich im web hinterlässt und man wird sicher beeinflussbarer aber das Internet ist heutzutage das letzte tool mit dem man über seiner selbst übergreifende also seiner selbst erweiternde Informationen und Ideen gewinnen kann.
    Etwas was ich nicht missen kann und möchte.

  • Nicht ganz das, was ich erwartet hatte.


    Meine Meinung:
    Als ich das Büchlein in den Händen hielt, hatte ich eigentlich ein kleine aber feine allgemeine Abhandlung zu dem Thema erwartet.
    Erhalten habe ich Ratschläge wie man sich am besten verhalten sollte oder eben nicht verhalten sollte (mit jeweils weiteren Ausführungen dazu).


    Einige Thesen empfand ich fast schon als sehr banal.
    Ok, man könnte nun einwenden, dass nur weil etwas banal sei, es deswegen noch lange nicht weniger wahr wäre.
    Ja, das mag sein, und dem würde ich ebenfalls zustimmen.
    Aber es war halt nicht unbedingt das, was ich von dieser Lektionen-Sammlung erwartet hatte.


    So manches Mal hätte ich mir eine bessere textuelle Überarbeitung gewünscht, sowohl bzgl. des Schreibstils als auch um für mich als Leser klarer zu machen, wer wann in welcher Situation gemeint war.


    Ehrlich gesagt konnte ich mich nicht so ganz des Eindrucks erwehren, dass das Büchlein schnell noch rechtzeitig zu Beginn von Trumps Präsidentschaft herauskommen sollte – um dann später, falls die Präsidentschaft von Donald Trump auf irgendeine Weise schief laufen oder aus dem Ruder laufen sollte, dass man dann später sagen könne, dass man es damals in diesem Büchlein schon vorhergesagt bzw. davor gewarnt habe.


    Textauszüge:
    Kapitel 7:
    „Sei bedächtig, wenn du eine Waffe tragen darfst.
    Wenn du im Staatsdienst eine Waffe trägst, möge Gott mir dir sein und dich beschützen. Aber denk daran, dass zu den Übeln der Vergangenheit auch gehörte, dass Polizisten und Soldaten eines Tages plötzlich irreguläre Dinge taten. Sei bereit Nein zu sagen.“
    Kapitel 13:
    „Praktiziere physische Politik.
    Macht will, dass es sich dein Körper in einem Sessel bequem macht und deine Gefühle sich vor der Mattscheibe auflösen. Geh hinaus. Bewege deinen Körper an unvertraute Orte mit nicht vertrauten Menschen. Gewinne neue Freunde und marschiere gemeinsam mit ihnen.“


    Drei Sterne habe ich aber dann doch vergeben, da die weiterführenden Erläuterungen doch so manche gute Stelle aufweisen konnten.
    „Hätten sich Juristen an die Norm gehalten, dass es ohne Prozess keine Hinrichtung gibt, hätten Ärzte die Regel akzeptiert, dass ohne Zustimmung des Patienten keine Behandlung möglich ist, hätten Unternehmer das Verbot der Sklaverei beachtet, hätten sich Bürokraten geweigert, den Papierkram in Sachen Mord zu erledigen, dann hätte sich das NS-Regime viel schwerer damit getan, die Gräueltaten zu begehen, für die es uns in Erinnerung geblieben ist.“ (S. 39)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Der amerikanische Historiker Timothy Snyder lehrt an der Yale University. Sein Werk über Hitlers und Stalins Krieg in Osteuropa "Bloodlands" gehört zu den Standardwerken dieser Domäne. In “Über Tyrannei“ setzt er seine profunden historischen Kenntnisse in einen direkten Bezug zur Gegenwart. Er lädt dazu ein, aus der Geschichte Europas zu lernen, so wie die Gründer der USA aus der Geschichte des antiken Griechenland und des alten Rom gelernt haben. Der Autor nimmt die Erosion des bisher Selbstverständlichen unter dem Präsidenten Donald Trump zwar ernst, aber er dämonisiert diesen nicht.
    "Über Tyrannei" ist weitgehend frei von folgenlosen Beschwörungen und Ideologien. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden nicht pathetisch verteidigt, sondern nüchtern taxiert, als das was sie sind: gefährdete, letztlich unvollkommene Staatswesen. Snyder zeigt auf, wie wichtig es für die Bürger in einer Demokratie ist sich in den politischen Diskurs mit einzubringen.



    Ein wichtiges Buch, das zum Nachdenken anregt.