Heimo Schwilk - Luther: Der Zorn Gottes

  • Kurzbeschreibung:
    So lebendig, so authentisch und differenziert ist Martin Luther noch nie beschrieben worden: ein großes Stück biografischer Literatur.
    Heimo Schwilk, der sich mit seinen großen Porträts von Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke einen Namen als Biograf gemacht hat, vergegenwärtigt die Lebensgeschichte Martin Luthers auf eine bisher so nicht zu lesende Weise. Psychologisch einfühlsam und vertraut mit der von radikalen Umbrüchen bestimmten Epoche des ausgehenden Mittelalters, zeichnet er ein Bild jenes Mannes, der mit seiner Neukonzeption der Theologie das kirchliche Leben, aber auch die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Zeit revolutionierte – mit Wirkungen bis in die unmittelbare Gegenwart.
    Heimo Schwilk macht die scheinbar weit in die Ferne gerückte Gestalt des Reformators lebendig und stellt sich quer zur verharmlosenden Aktualisierung des Reformators, der keineswegs als „Modernisierer“ zu vereinnahmen ist. Luther war kein Anwalt der Selbstbestimmung, der Autonomie des Einzelnen, seiner unbeschränkten Emanzipation und Mündigkeit. Diese Biografie provoziert und eröffnet einen neuen, frischen Blick auf den „Genius der Deutschen“, der als Bibelübersetzer und Sprachschöpfer erreichte, dass die Grundfragen des Glaubens erstmals in Deutschland von einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden konnten. (Quelle: Verlagswebsite)


    Autor:
    Heimo Schwilk, geboren 1952 in Stuttgart, war lange Jahre Leitender Redakteur der „Welt am Sonntag“ in Berlin. 2007 veröffentlichte er eine Ernst-Jünger-Biografie, die nicht nur in Deutschland ein Bestseller wurde, sondern 2014 auch in Italien "zur besten Biografie" gewählt und mit dem Premio Comisso ausgezeichnet wurde. Auch Heimo Schwilks große Biografien über Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke wurden im In- und Ausland hoch gelobt. 1991 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis für herausragenden Journalismus ausgezeichnet; 2014 erhielt er den italienischen Literaturpreis Premio Giovanni Comisso. Heimo Schwilk war Schüler der evangelisch-theologischen Seminare Maulbronn und Blaubeuren und studierte in Tübingen Germanistik, Geschichte und Philosophie. Er lebt in der Uckermark. (Quelle: Verlagswebsite)


    Allgemeines:
    - Erschienen im März 2017 bei Blessing
    - 464 Seiten in 13 Kapiteln, Nachwort des Autors, Quellenverzeichnis, umfangreiche Bibliografie sowie Bildnachweise und Personenregister
    - 35 s/w Abbildungen
    - Den Kapiteln vorangestellt ist jeweils ein kurzer Abriss des Inhalts, so dass man auch gezielt die ein oder andere Phase aus Luthers Leben suchen und nachlesen kann.


    Meine Meinung:
    Normalerweise lese ich kaum Biografien (was ich aber vielleicht jetzt ändern werde), aber im Luther-Jahr drängt es sich doch auf, sich eingehender mit dem großen Reformator zu befassen. Bisher war ich der Meinung, dass meine recht gute Allgemeinbildung auch einiges Wissen über Luther bereithält. Natürlich tut sie das – aber eben genau die Fakten und Fiktionen, die man landläufig immer wieder über ihn hört.
    Heimo Schwilk zeichnet ein Bild, das mich einigermaßen sprachlos zurückgelassen hat. Unbestritten sind die Verdienste Martin Luthers, der gegen den Ablasshandel zu Felde zog, gegen Korruption und Maßlosigkeit der römischen Kirche, der die Bibel ins Deutsche übersetzte und so dem einfachen Volk das Wort Gottes zugänglich machte. Ganz abgesehen davon auch seine wohl größte Leistung – die oft gar nicht als solche wahrgenommen wird – nämlich die Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Dies alles wird vom Autor dargelegt und gewürdigt.
    Aber darüber hinaus zeigt er uns den Menschen Luther, der ein Zweifler war, ein Getriebener und ein Fanatiker. Wir begleiten den jungen Mönch bei seiner verzweifelten Suche nach Gott, erleben, wie er Bestätigung findet und als Lehrer und Disputationspartner anerkannt wird und sind an seiner Seite, als er sich gegen den Papst aufzulehnen beginnt. Wir erleben seine Bestürzung über die Bauernaufstände, denen er gegenübersteht wie Goethes berühmter Zauberlehrling („die ich rief die Geister…“), aber auch seine unverrückbare Haltung in Sachen Hörigkeit der Obrigkeit gegenüber. Die gottgewollte Ordnung wird von ihm nie in Frage gestellt. Ebenso ist sein Frauenbild festgefügt und da ist keine Spur von Gleichberechtigung in seinen Gedanken. Dies muss ich an dieser Stelle durch ein Zitat belegen, das mich tief erschüttert hat: es geht darum, dass viele Frauen im Kindbett sterben:

    Zitat von Luther

    Wenn sie sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nicht, lass sie sich nur tot tragen, sie sind dazu da. […] Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden.


    Natürlich ist eine Biografie immer subjektiv geprägt durch die Sichtweise des Autors. Aber Schwilk belegt alle Zitate, so dass man seinem Bild durchaus Glauben schenken kann. Eine umfangreiche Beschäftigung mit Luther und seinem Werk merkt man jeder Zeile des Buches an. Am Ende schaut man staunend auf das Leben des Mannes, der in diesem Jahr in aller Munde ist und erkennt, dass auch der größte Genius einen kleinlichen Charakter nicht überwinden kann. Zum Ende seines Lebens ist er nur noch ein unleidlicher Fanatiker, der in seiner Verbohrtheit auch all seine Freunde vor den Kopf stößt. Die einzigen, denen er immer in Liebe verbunden ist, sind seine Katharina und die Kinder, die er sehr liebt und mit mehr Zuneigung behandelt, als ihm in der Kindheit zuteilwurde.


    Mich lässt dieses Buch sehr nachdenklich zurück. Schwilk schmälert Luthers Lebenswerk keineswegs. Er öffnet nur die Augen für den Menschen Martin Luder, der über seiner rastlosen Suche die Zusammenhänge in der Welt um sich herum vergisst und mit seinen radikalen und unumstößlichen Ansichten auf vielfältigen Widerstand trifft. Für Luther gibt es kaum Kompromisse: einmal Feind, immer Feind und auch vom Freund zu vermeintlichen Feind ist es oft nur ein kurzer Schritt.
    Auf der anderen Seite zeigt der Autor aber eben auch jenen gottesfürchtigen Mann, der jedermann die Erlösung verspricht, der nur von tiefem Glauben erfüllt ist. Derjenige, der aus tiefem Herzen glaubt, bedarf keines priesterlichen Segens, keiner Beichte noch Buße oder edler Werke, um Gottes Gnade zu erlangen. Und kurz dürfen auch der Lautenspieler und Dichter aufblitzen.


    Leider kommt Luthers Kindheit und auch seine Ehe mit Katharina von Bora ein bisschen zu kurz weg, aber schon so wartet der Autor mit einer Fülle an Begebenheiten und Informationen auf, die ein gründliches Lesen erfordern. Ich empfehle diese Biografie auf jeden Fall. Wer sich eingehender mit Martin Luther beschäftigen will, sollte hier zugreifen, auch wenn ihn keine leichte Lektüre erwartet. Von mir gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: , weil mir die eben erwähnten zwei wichtigen Aspekte in Luthers Leben zu kurz gekommen sind. Dennoch bin ich sicher, dass ich mich noch öfter mit diesem Buch beschäftigen werde.


    Fazit:
    Wir alle meinen den Reformator zu kennen. Aber wer weiß schon, was für ein Mensch sich hinter dem Weltveränderer verbarg? Schwilk hilft uns, einen Blick auf diesen zu erhaschen – fundiert und gut erzählt.

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Deine Rezension gefällt mir gut und gibt mir zu denken - vielleicht sollte ich trotz meines negativen Eindrucks bei der Messe dieser Biografie eine Chance geben? :-k

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • @Hirilvorgul Mir hat Deine Luther-Rezension sehr gut gefallen, obwohl ich mir eine andere anschaffen werde. Aber man kann bei dieser Persönlichkeit ruhig mehrere Autoren zu Wort kommen lassen.
    Das Zitat, das Du gewählt hast, ist mir im LR-Buch "Als unser Deutsch erfunden wurde" von Bruno Preisendörfer auch untergekommen. Da habe ich ein mir bisher unbekanntes Gesicht des Reformators kennengelernt, und beschlossen, unbedingt eine Biografie lesen zu wollen.
    Diese soll es werden (angedacht als MLR Ende August - ist das richtig @Squirrel?)

  • Deine Rezension gefällt mir gut und gibt mir zu denken - vielleicht sollte ich trotz meines negativen Eindrucks bei der Messe dieser Biografie eine Chance geben?

    Unbedingt.

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  • Ich habe der Biographie die Chance gegeben, bei Ihresgleichen zu sein ;)

    Danke. Ich wusste, dass es diesen Bereich geben muss, aber ich habe ihn auf meiner Rezensionen-Übersichtsseite einfach nicht gefunden. :scratch:

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  • trotz meines negativen Eindrucks

    Weshalb hattest Du denn einen negativen Eindruck? Nach der sehr gelungenen Rezi :thumleft: von @Hirilvorgul habe ich den Eindruck, dass Luther dort mit seinen Leistungen, aber auch seinen persönlichen Schwächen so dargestellt wird, wie er mir in guten historischen Romanen vorgestellt wurde. D.h. ohne die Lobhudelei, wie sie früher üblich war. Ich erinnere mich noch schwach an mehr oder weniger hitzige Diskussionen mit meinem verstorbenen Onkel (Pastor) während meiner Teenager-Jahre... :-, Damals durfte man offenbar nichts Kritisches über ihn sagen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Weshalb hattest Du denn einen negativen Eindruck?

    Die Diskussion kam in einem anderen Luther-Thread im Ich-lese-gerade-Bereich auf, ich zitiere mich mal selbst von dort :wink:


    Das ist jetzt schwierig in Worte zu fassen. Ein Autor muss ja nicht zwingend auch ein guter Redner sein, aber zum einen wirkte er sehr dröge und zum anderen vermittelte er mir unterschwellig den Eindruck, dass er nicht gerade eine spannende und wirklich auf dem aktuellen Forschungsstand stehenden Biografie geschrieben hat. Belegen kann ich das nicht wirklich, aber wenn heute ein Autor noch erzählt, Luther sei den Menschen ja bekannt durch die Worte

    dann fange ich schon an zu zweifeln, denn es ist mittlerweile doch bekannt, dass er diese Worte so nicht gesprochen hat - das ist Legende. Vielleicht habe ich ihn ja missverstanden, das kannst du mir dann ja erzählen, wenn Du das Buch beendet hast, aber ich hab meine Zweifel an diesem Buch. :-?

    Die Meinung zum Autoren behalte ich bei, aber Autoren müssen ja nicht zwingend Bühnenmenschen sein. Doch Hiris begeisterte Rezi lässt mich neu überdenken, welche Biografie (oder vielleicht auch zwei zum Vergleich) ich lesen möchte. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Doch Hiris begeisterte Rezi lässt mich neu überdenken, welche Biografie (oder vielleicht auch zwei zum Vergleich) ich lesen möchte.

    Da diese Biographien ja leider recht teuer sind, kann man nur zur Bücherei oder Onleihe raten. Hast Du eigentlich einen E-Book Reader?

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  • Da diese Biographien ja leider recht teuer sind, kann man nur zur Bücherei oder Onleihe raten. Hast Du eigentlich einen E-Book Reader?

    nein, ich habe und will auch noch immer keinen Reader. Der Tag wird kommen, an dem ich meine Bücher nicht mehr halten kann, aber bis dahin will ich das genießen :drunken: Hiri hat mir aber schon angeboten, mir die Biografie auszuleihen :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

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  • nein, ich habe und will auch noch immer keinen Reader. Der Tag wird kommen, an dem ich meine Bücher nicht mehr halten kann, aber bis dahin will ich das genießen

    :friends: Hach wie schön - jemand, der mich versteht und fühl wie ich :kiss:

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • :friends: Hach wie schön - jemand, der mich versteht und fühl wie ich :kiss:

    Ich verrate Euch ein Geheimnis, aber Ihr dürft es auf keinen Fall weitersagen... 8-[:-#

    :mrgreen:

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  • nein, ich habe und will auch noch immer keinen Reader.

    jemand, der mich versteht und fühl wie ich

    So nehmet auch mich zum Genossen an:
    Ich sei, gewährt mir die Bitte,
    In eurem Bunde der (die) Dritte!


    Meine Bücherei in unserm katholisch geprägten Landstrich hat offenbar vom Lutherjahr noch nichts mitbekommen, denn sie besitzt nur zwei Luther-Biographien aus den 1980er Jahren. Diese hier werde ich auf alle Fälle nächste Woche ins Wunschbuch schreiben.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte,
    In eurem Bunde der (die) Dritte!

    So lasst es mich wagen,
    meinen Mitstreitern Arm und Geleit anzutragen,
    lasst ziehen uns hinaus in die Welt
    als die, denen ein Buch noch viel gilt.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

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  • Meine Bücherei in unserm katholisch geprägten Landstrich hat offenbar vom Lutherjahr noch nichts mitbekommen, denn sie besitzt nur zwei Luther-Biographien aus den 1980er Jahren.

    :shock: Vielleicht ist das noch die späte Rache der Katholiken am bösen Luther?

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