Tess Harding ist eine der angesagtesten Schuhdesignerinnen Amerikas und lebt mit Mann und Kind in einer stilvollen Wohnung in Manhattan. Für ihren Erfolg arbeitet sie hart, was auch bedeutet, dass Partnerschaft und Familienleben viel zu kurz kommen. Gerade als ihr das endlich bewusst wird, passiert etwas Unfassbares - ihr Mann wird bei einem Raubüberfall getötet.
Der neunjährige Robbie kann den Verlust des Vaters, der seine wichtigste Bezugsperson war, überhaupt nicht verwinden, und Tess weiß sich nicht zu helfen, weil er die Mutter, die immer so wenig zu Hause war, nicht an sich heranlässt. Verzweifelt beschließt sie, nach Montauk zurückzukehren, den kleinen, malerischen Küstenort auf Long Island, wo sie ihre Kindheit verbracht hat und wo Ike, ihr Onkel und Ziehvater, heute noch lebt.
Während Tess sich dort sofort wieder heimisch fühlt und eigentlich ihren Frieden finden könnte, hasst Robbie das verschlafene Provinzkaff aus tiefster Seele und rebelliert gegen alles. Nur der Forscher Kip, der mit seinem Segelboot immer wieder von Montauk aufs Meer hinausfährt, findet einen Draht zu dem verstörten Jungen und begeistert ihn für die Suche nach einem Wal, der in den Gewässern vor Montauk lebt und zu einer äußerst seltenen Art gehört.
Der Klappentext ist, wie so oft, etwas irreführend. Kips Forschungen und der seltene Wal nehmen deutlich weniger Raum ein, als die Zusammenfassung vermuten lässt. Im wesentlichen ist "Als das Meer uns gehörte" die Geschichte einer Karrierefrau, die nach einem heftigen Schicksalsschlag versucht, wieder auf die Beine zu kommen, und erneut lernen muss, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Das Buch lässt sich gut an; gleich zu Beginn passiert die Katastrophe, die Tess' und Robbies Leben auf den Kopf stellt, und die Sprachlosigkeit beider angesichts des schlimmen Verlustes tut förmlich weh beim Lesen. Tess' Entscheidung, für eine Weile nach Montauk zu ziehen, ist nur folgerichtig, sie will und muss weg aus dem alten Leben, in dem sowieso nichts mehr ist wie zuvor, und dieses herrliche Fleckchen Erde mitsamt seinen Bewohnern wird so wunderschön beschrieben, dass man sich gut vorstellen kann, dass dort auch tiefe Wunden heilen können (und am liebsten selbst dorthin fahren möchte).
Auch die Szenen auf dem Wasser, besonders mit dem Wal in der Nähe, sind unglaublich berührend gezeichnet. Die Liebe zum Meer spricht aus jeder Zeile. Eine besondere Erwähnung verdient auch die ausgesprochen schöne Covergestaltung mit dem in Meeresfarben schillernden Schutzumschlag.
Sehr schade ist aber, dass sich mit dem Fortschreiten des Buches immer mehr Ungereimtheiten und Logikfehler einschleichen oder Szenen einfach komplett unrealistisch sind, zum Beispiel, was das Verhalten des Wales oder den Verlauf der Segeltörns angeht. Auch Robbie ist nicht nur plötzlich vaterlos und traumatisiert, sondern auch noch gehörlos, wobei sich das vollkommen relativiert, wenn er seine Hörgeräte in Verbindung mit seinem Cochlea-Implantat trägt. Es gibt noch mehr solcher Konflikt- bzw. Entwicklungspotentiale, die angerissen, aber nicht konsequent zu Ende gebracht werden, während an anderen Stellen die Dramatik nicht wohldosiert eingesetzt, sondern mit dem ganz, ganz dicken Hollywood-Pinsel aufgetragen wird.
Das ist wirklich ein Jammer, denn die Autorin versteht durchaus zu schreiben und Atmosphäre zu schaffen, aber eine richtig gute Bewertung (mit einem halben Extra-Punkt für die großartigen Schilderungen) ist unterm Strich leider nicht drin.