Fatma B. - Hennamond

  • HENNAMOND von Fatma B.


    1973 verließ Fatma Ostanatolien und ging mit den Eltern nach Deutschland. Als sie 18 Jahre alt war, eröffnete der Vater Fatma, er habe in der Türkei einen Mann für sie gefunden. Sie sei ihm versprochen, bald finde die Hochzeit statt. Glückwunsch. Und wütend über die entsetzte Miene der Tochter fügte er drohend hinzu: "Entweder heiratest du ihn - oder ich bringe dich um." Dann legte er seinen Arm um ihre Schulter, ganz wie ein liebevoller Vater, und lächelte. Sie würde schon gehorchen. Vergeben und vergessen war der jahrelange Kleinkrieg mit seiner Tochter - ums Kopftuchtragen, um Kontakte zu deutschen Jungs oder die Teilnahme an Klassenfahrten.
    Fatma dagegen hatte nichts vergessen. Nicht die väterliche Prügel-Pädagogik, mal mit der Faust, mal mit dem Gürtel, die das Mädchen mehrfach ins Krankenhaus gebracht hatte; und nicht die Demütigungen in aller Öffentlichkeit: Als der Vater sie einmal auf der Straße mit einem deutschen Klassenkameraden sprechen sah, trat er ihr mit solcher Wucht in den Unterleib, dass sie kaum mehr laufen konnte. Der Mitschüler wollte die Polizei rufen, bis Fatma ihm sagte, das sei schon in Ordnung.
    Und nun hatte dieser Vater sie lebenslänglich an einen Unbekannten in Ostanatolien versprochen. Fatma hatte Angst, dachte an Selbstmord, kaufte sich Schlaftabletten. Doch dann kam ihr eine Hoffnung: Vielleicht war ihr Auserwählter ja ein Traum-Mann? Sie begann sich ihren Künftigen als perfekten Partner zu träumen: liebevoll, mit warmherzigen Augen und großzügig. Die Tabletten blieben vorerst im Kleiderschrank.
    Stutzig wurde Fatma allerdings, als sie Liebesbriefe von ihrem Künftigen bekam. Darin besang er den Wohlgeruch ihrer Haare und den zarten Klang ihrer Stimme, obwohl er sie noch nie gesehen hatte.
    Das Träumen fiel Fatma zusehends schwerer. Und dann lernte sie auch noch jemanden kennen, der dem Mann ihrer Träume wirklich ähnelte: einen deutschen Zahnarzt. Sie verliebte sich. Im Sommer 1985 musste Fatma dennoch mit der Familie in die Türkei reisen. Sie sollte ihrem Bräutigam unter die Augen treten. Fünf Minuten durften sie eine Dorfstraße auf und ab laufen, aus der Ferne von Eltern und Schwiegereltern wachsam beäugt. "Er roch nach Tabak, hatte gelbe Raucherfinger und wirkte nicht gerade reinlich", erinnert sich Fatma.
    Außerdem waren seine Augen alles andere als warmherzig. Missbilligend schaute er auf den - offenbar sündhaft kurzen - Rock seiner Versprochenen. Der endete am Schienbein.
    Kaum zurück in der elterlichen Wohnung, flehte die Tochter ihren Vater an, er möge sie nicht zur Heirat zwingen. Das Familienoberhaupt antwortete mit Fausthieben. Weil die Mutter ihrem Kind beistand, bekam auch sie ein paar Schläge ab. Dann wurden Einladungen verschickt, für den "schönsten Tag in Fatmas Leben".
    Zwei Monate vor diesem Tag, im Mai 1986, kam die Braut nicht mehr zurück von der Arbeit in der Glühbirnenfabrik. Sie begann ein neues Leben in der Anonymität, zog zu ihrem deutschen Freund und heiratete ihn. Nur ihrer Mutter erzählte sie davon. Von ihr erfuhr sie nun, dass der Vater und die Brüder geschworen hatten, Fatma zu töten. Und tatsächlich: Eines Morgens blickte Fatma aus dem Küchenfenster und sah sie: Um das Haus herum standen ihr älterer Bruder und seine Freunde. Fast drei Wochen lang, Tag und Nacht, warteten sie auf Fatma. Die setzte keinen Fuß mehr vor die Haustür. Dann ging sie zur Gegenoffensive über: "Wenn Ihr mich nicht in Ruhe lasst, sorge ich dafür, dass Ihr abgeschoben werdet. Dann wird die Polizei Drogen in euren Autos finden", schrieb sie der Familie. Kurz danach waren die Rächer vor der Tür verschwunden. Einmal in der Offensive, ging Fatma noch weiter: Sie schrieb ihre Geschichte auf, die ein Bestseller wurde.


    pinkie

  • Hallo Pinkie!


    Das klingt sehr traurig, absolut authentisch. Solche Sachen werden selten so aufbereitet. Danke für die Vorstellung dieses Buches! Hennamond steht schon auf meiner Bücherliste.
    Es gibt schon noch ein paar ähnliche Bücher, ich glaube "Nicht ohne meine Tochter" heißt es. Hab ich allerdings noch nicht gelesen.


    Viele Grüße
    Süße

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


    Erinnerungen, die unser Herz berühren, gehen niemals verloren.

  • Hallo, Christine,
    wenn Dich dieses Thema interessiert, kann ich Dir folgendes Buch empfehlen:
    WO MEIN MANN ZUHAUSE IST von Barbara Yurtdas


    Eine Münchner Lehrerin zieht mit ihrem türkischen Ehemann und den beiden Söhnen in ein kleines Dorf in die Türkei. Sie erzählt tagebuchartig, wie sie sich dort einlebt, was sie empfindet, erzählt über Schwierigkeiten und schöne Momente. Ein spannendes, ehrliches, manchmal erschütterndes Buch.
    Das Buch ist schon ca. 15 Jahre alt, und es gibt auch einen Folgeband, da wohnt die Familie in Izmir.


    Und wenn Dich die Geschehnisse in Teheran interessieren, kann ich Dir AUF DEN SCHWINGEN DES ADLERS von Ken Follett empfehlen.


    Klappentext:
    "Teheran, 1978: Noch regiert der Schah, aber die islamischen Revolutionäre um Khomeini gewinnen immer mehr Einfluß. In dieser gespannten Situation werden zwei amerikanische Manager ohne Angabe von Gründen verhaftet. Damit die Gefangenen um jeden Preis befreit werden, schickt ein texanischer Multimillionär seine Adler in den Iran... "


    Sehr spannend geschrieben, man erfährt sehr viel über die damaligen politischen Verhältnisse und es ist ungemein spannend zu verfolgen, wie die Männer aus dem Iran geschmuggelt werden.



    pinkie

  • ... und finde es interessant, wie eine Kurdin in Deutschland das Leben hier und in Anatolien empfindet. Natürlich ist es sehr vatervorwurfsvoll eingefärbt, aber ist ja auch eine Biografie.


    Schön fand ich ihre Beschreibungen des bäuerlichen Lebens in Anatolien: detailliert, an manchen Stellen leicht verklärt, dann aber wieder knallhart realistisch. Es ermöglichte mir, sich vorzustellen, welchen Kulturschock die Gastarbeiter in Deutschland durchleben mussten.


    Ein Buch, welches man lesen sollte, aber es sollte nicht das einzige Buch zum Thema "Gastarbeiter, Moslems usw. " sein.


    Liebe Grüsse
    Bellydancer

  • Hallo,
    zu dem Thema fällt mir auch noch ein gutes Buch ein. Es geht zwar nicht um das Leben in Deutschland sondern in den arabischen Emiraten, aber trotzdem finde ich, dass in diese Kategorie auch ganz gut "Ich, Prinzessin aus dem Haus Al-Saud" passt. Auch in diesem biografischen Roman geht es um die Stellung der Frauen, die sich in allen Bereichen des Lebens Männern unterordnen müssen.


    Kurzbeschreibung von Amazon:
    Eine saudiarabische Prinzessin erzählt von ihrem Leben "hinter tausend Schleiern", einem Leben, das von einer starren Gesellschaftsordnung bestimmt wird, die sich seit vielen hundert Jahren kaum geändert hat, und in der Frauen nicht viel zählen.


    Auszug
    Kindheit

    Ali stieß mich zu Boden, aber ich weigerte mich beharrlich, ihm den rotbackigen glänzenden Apfel zu geben, den mir der pakistanische Koch geschenkt hatte. Ali lief vor Zorn dunkelrot an. Ich schützte die Beute mit meinem Körper, biß hastig große Stücke ab und schlang sie unzerkaut hinunter. Daß ich ihm sein männliches Privileg verweigerte, war ein schweres Vergehen, und ich wußte, daß ich bald die Folgen würde tragen...

  • Schön fand ich ihre Beschreibungen des bäuerlichen Lebens in Anatolien: detailliert, an manchen Stellen leicht verklärt, dann aber wieder knallhart realistisch. Es ermöglichte mir, sich vorzustellen, welchen Kulturschock die Gastarbeiter in Deutschland durchleben mussten. Ein Buch, welches man lesen sollte, aber es sollte nicht das einzige Buch zum Thema "Gastarbeiter, Moslems usw. " sein.


    Ich lese das Buch zur Zeit auch ( bin aber erst auf S.69 "Schule" Kapitel ) - und was ich bisher gelesen habe war doch sehr positiv: Vom Aufbau her interessant und mit den im Zitat angesprochenen verschiedenen, aber dadurch besonders wirkenden Stellen. Da liegen wirklich Welten dazwischen vom Lebensstandard, aber es wird den Lesern echt gut beschrieben. Anhand der vielen detaillierten Beschreibungen kann ich mir auch die Gegend und das Leben mit den Bedingungen gut vorstellen. Ab und an schweifen die Gedanken von mir aber auch zum türkischen Dorf, das bei dem Film "Zeit der Wünsche" auftaucht, ab. Ist übrigens ein sehr empfehlenswerter Film über Gastarbeiter ( auf DVD erhältlich; der Film verzichtet eigentlich nur auf die Sprachschwierigkeiten, ansonsten realistisch und nachvollziehbar, dazu gute Darsteller, aber auch tragisches Ende )


    Weitere Bücher mit dem Thema, die ich bis jetzt gelesen hab waren ...
    - Hülya Kalkan ( Ich wollte nur frei sein )
    - Inci Y. ( Erstickt an Euren Lügen )
    - Ayse ( Mich hat keiner gefragt )


    Rezensieren muß ich sie noch - und einige weitere Bücher dieses Themas liegen noch ungelesen bei mir rum ...

  • Gestern habe ich das Buch nun zuende gelesen - bei den im Oktober gelesenen Büchern ( Thread ) habe ich erwähnt daß das Buch auf alle Fälle vier Sterne bekommt aber auch mehr möglich ist, und ehrlich gesagt geht die Tendenz nun auf fünf Sterne. Das Buch ist sehr nachvollziehbar geschrieben. Obwohl mir das aus generellem Interesse ( andere Bücher / Filme ) an dem Thema nicht ganz neu war, wie sich das Dilemma dieser zwei Welten anfühlt habe ich dank Hennamond noch einen besseren Einblick bekommen ( auch dank der bereits erwähnten Einführung, zum Beispiel mit der intensiven Schilderung vom Leben auf dem Dorf )


    Der Führerschein und die Kur, von denen Fatma erzählt, waren nicht nur positiv dargestellt, Erfolgserlebnisse, sondern auch überzeugend: Ich bin der Meinung, daß die Freude darüber, daß sie besser als ihr Vater abgeschnitten hat ( der mehrmals durch gefallen war ) und daß sie durch die Kur endlich erstmaliges eigenes Leben kennen lernen durfte bei jeder Zeile ( nein sogar nahezu jedem Wort ) deutlich heraus zu lesen sind. Die generellen Auswirkungen aus dem Erlebten der Kindheit und Jugend begleiten und beeinflussen Fatma / Sonja bis zum Schluß des Buches - sie hat viel geschafft, aber nicht ganz ohne Nebenwirkung ...