Empathie vs. Grausamkeit

  • Mir ist nun leider kein passender Titel für das Thema, das mich beschäftigt, eingefallen, und ich habe auch keinen Thread dazu gefunden, außer vielleicht diesen hier, doch mein Anliegen geht noch darüber hinaus:
    Schon seit längerer Zeit fällt mir auf, dass ich Geschichten, in denen Menschen oder Tiere gequält werden, und dies auch noch in epischer Breite geschildert wird (wie der Todeskampf eines vergifteten Katers) einfach nicht mehr lesen mag. Nun will ich nicht behaupten, das hätte mich früher nicht aufgeregt, aber mit zunehmendem Alter sinkt meine Toleranzgrenze ganz rapide.
    Meine Antipathie bezieht sich aber nicht nur auf Belletristisches, sondern macht auch vor Sachbüchern nicht halt. Soeben habe ich eines abgebrochen, wozu mich die geschilderten Foltermethoden der Inquisition veranlasst haben (obwohl sich das Buch sehr gut angelesen hat), und das war nicht das erste dieser Art.
    Mich würde interessieren, ob auch andere, vor allem ältere Leserinnen und Leser dieses Phänomen an sich beobachten können, und sich von grausigen Inhalten, seien sie erfunden oder wahr, zunehmend distanzieren.

  • hon seit längerer Zeit fällt mir auf, dass ich Geschichten, in denen Menschen oder Tiere gequält werden, und dies auch noch in epischer Breite geschildert wird (wie der Todeskampf eines vergifteten Katers) einfach nicht mehr lesen mag. Nun will ich nicht behaupten, das hätte mich früher nicht aufgeregt, aber mit zunehmendem Alter sinkt meine Toleranzgrenze ganz rapide.

    Das geht mir genauso. Aber ich mochte solche Bücher wo Grausamkeiten, Folter und Ähnliches genüsslich und explizit geschildert wird, noch nie gern lesen. Um diese Bücher habe ich schon immer einen Bogen gemacht, auch früher schon, das hat zumindest bei mir mit dem Alter nichts zu tun. Ich mag auch solche Filme wie bspw. in der Machart von "Saw" nicht sehen, geht gar nicht. Splatterkram mag ich einfach nicht.

  • Splatterkram fand ich schon immer blöd (mit einigen wenigen Ausnahmen, Tarantino z.B.)


    Bei Büchern habe ich nicht generell ein Problem mit Gewaltszenen (sie können hier und da zur Handlung passen ... und abgesehen davon gibt oft das, was unausgesprochen bleibt, viel schlimmeres Kopfkino als Explizites), allerdings bin ich sehr viel wählerischer geworden. Thriller(serien) lese ich beispielsweise kaum noch, weil die ganze Psychopathen-Serienkiller-Ekel-Thematik für mich schon dermaßen ausgereizt und totgeritten ist, dass mir meine Zeit dafür zu schade ist. Daran finde ich nichts Spannendes und auch nichts Originelles mehr und weiß auch nicht, ob es wirklich sein muss, dass Autoren sich regelrecht überbieten, wer es noch ein bisschen perverser und noch ein bisschen ekliger hinkriegt.


    Was für mich gar nicht geht, sind detaillierte Vergewaltigungs- oder, noch viel schlimmer, Pädophilieszenen. So etwas möchte ich ganz einfach nicht im Detail lesen (hier fehlt mir jetzt ein Würg-Smiley).

  • Aber ich mochte solche Bücher wo Grausamkeiten, Folter und Ähnliches genüsslich und explizit geschildert wird, noch nie gern lesen.

    Mochte ich auch noch nie, aber mir fällt eben auf, dass ich darauf zunehmend sensibler reagiere. Was ich früher im Rahmen einer Handlung gerade noch so mitgenommen habe, kann jetzt ein Grund sein, das Buch abzubrechen.

    allerdings bin ich sehr viel wählerischer geworden

    Ja, das meinte ich damit. Was früher halt noch irgendwie ging, geht jetzt eben nicht mehr. Mir würde sehr oft eine Andeutung genügen, und ich müsste nicht weiter darüber nachdenken. Aber brutale Szenen, die sehr detailliert geschildert werden, verfolgen mich oft lange. Selbst wenn ich mir einzureden versuche, dass das alles nur erfunden ist, hilft es nicht, und leider ist ja vieles auch nicht nur erfunden, sondern war oder ist noch grausame Realität.


    ob es wirklich sein muss, dass Autoren sich regelrecht überbieten, wer es noch ein bisschen perverser und noch ein bisschen ekliger hinkriegt.

    Darüber habe ich mich kürzlich mit einer Kollegin unterhalten, die sehr viele Thriller liest. Sie hat sich auch darüber beklagt, dass die Bücher (auch von ihr geschätzten Autoren) auf Kosten einer differenzierten Handlung von Mal zu Mal grausiger werden und oft nichts anderes mehr zu bieten haben.
    Meine Abneigung beginnt sich mittlerweile z. B. auch auf Bücher über die Weltkriege (oder andere Kriege) auszudehnen, was ich schade finde, weil es doch unsere Geschichte ist.
    Vielleicht habe ich aber auch schon zu viel von all diesen Übeln gelesen, und sehne mich zunehmend nach den schönen Dingen in der Welt der Literatur (im Alltag sowieso). Zum Glück gibt es ja auch davon genügend, allerdings werde ich meine Bibliothek umgestalten müssen. Mit dem letzten Altpapierkontainer ist auf jeden Fall schon mal eine Menge früher erworbener Bücher verschwunden. Bei etlichen hätte ich wirklich nicht mehr sagen können, wie dieser Schrott in meine Regale kam.


  • Meine Abneigung beginnt sich mittlerweile z. B. auch auf Bücher über die Weltkriege (oder andere Kriege) auszudehnen, was ich schade finde, weil es doch unsere Geschichte ist.

    Das geht komischerweise noch eher, obwohl mir solche Geschichten viel näher gehen als erfundene Brutalitäten. Wohl auch, weil ich es wichtig finde, dass all das nicht in Vergessenheit gerät. Allerdings hatte ich auch einmal eine ziemlich lange Phase, in der Kriegsthemen überhaupt nicht gingen, wahrscheinlich weil ich eine Zeitlang zuvor zu viel über den Holocaust gelesen hatte.

  • Zu detailliert war mir derartige Szenen erst einmal, abgebrochen habe ich das Buch aber nicht, sondern nur besagte Stelle überflogen.
    Grundsätzlich habe ich aber nichts gegen Gewaltszenen oder auch Psychopathen, die Spaß an so etwas haben. Ich lese aber auch sehr oft Fantasy mit den aufrecht strahlenden Helden (aber nicht nur) und damit eine Figur als der strahlende Held erscheint, muss es auf der Gegenseite die Psychopathen geben. Sicher lässt sich darüber streiten wie detailreich man dann deren Missetaten beschreiben muss und da merke ich nur, dass ich je detaillierter es geschrieben ist um so mehr hasse ich diese Figuren, was aber wohl auch die Absicht des Autors damit ist, denke ich zumindest.

  • Mich würde interessieren, ob auch andere, vor allem ältere Leserinnen und Leser dieses Phänomen an sich beobachten können, und sich von grausigen Inhalten, seien sie erfunden oder wahr, zunehmend distanzieren.

    Ich lese mehrere Tageszeitungen, um zu wissen, was um mich herum vor sich geht, und dementsprechend beruflich und privat agieren zu können. Diese Nachrichten kann ich mir nicht aussuchen wie ein Buch, das ich in meiner Freizeit lese. Durch diese täglichen Informationen und die immer schneller werdende Informationsflut über die Verrohung des Alltags in unserer Welt habe ich eine Emotionsschranke aufgebaut, die mich auch beim Lesen von Sachbüchern oder Belletristik begleitet. Im Gegenteil stört mich eher weltfremdes Gesäusel in Büchern.

  • Ich stelle bei mir eine gewisse Abstumpfung zumindest gegenüber fiktiver Gewaltdarstellung fest - was ich nicht unbedingt positiv finde.


    Letztlich läuft es für mich auf die Frage hinaus: Wie notwendig ist explizite Gewalt für die erzählte Geschichte? Und wie bewusst setzt ein Autor sie ein?
    In vielen Thrillern scheint es mittlerweile tatsächlich so zu sein, dass immer abstrusere Graumsamkeiten einen klugen Handlungsaufbau und sorgfältige Charakterisierung ersetzen. Das finde ich ebenso ermüdend wie überflüssig.


    Andere Geschichten würden vielleicht ohne extreme Gewaltdarstellung nicht funktionieren, etwa, weil der Autor den Leser ganz bewusst erst desensibilisieren möchte, um ihn dann doch wieder herauszureißen. Uhrwerk Orange ließe sich zum Beispiel weniger explizit nicht erzählen.
    Die Grenze ist da manchmal schwierig zu ziehen.


    Bei Sachbüchern gelten für mich dieselben Fragen. Ist es für ein Sachbuch über den Zweiten Weltkrieg wirklich notwendig, Grausamkeiten in allen Details zu schildern? Welchen Erkenntnisgewinn bringt das?


    Allerdings mag ich persönlich sogar einige Beispiele von Splatterhorror und Bizzaro-Fiction mit ins Absurde übersteigerter Gewalt. Wenn die Geschichte dermaßen ins Extrem geht, dass jeglicher Bezug zur Realität verloren ist, kann ich daran Spaß haben. Obwohl es im eigentlichen Sinne ja nicht notwendig ist.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Mir geht es da wie @Magdalena und @FreakLikeMe. Wenn die Gewalt total überzogen ist, macht sie mir nicht so viel aus. Allerdings stellt sich mir dann auch die Frage, inwieweit man Gewalt überhaupt überziehen *kann*, und das macht mir dann schon zu schaffen. Alles, was man sieht und liest, ist theoretisch ja auch in der Realität möglich. Gerade wenn man sich in den Social Medias umschaut, weiß man nicht, welche Bilder fake sind und welche echt. Und vielleicht regen Filme und Bücher zu Gräueltaten an, die man sich vorher nie hätte vorstellen können.


    Ich versuche, mich möglichst zurückzuhalten, nicht alles wissen zu müssen, und sehe auch keine Nachrichten mehr, um mich eher auf das Positive zu konzentrieren, was nicht bedeutet, dass ich dem anderen gegenüber bewusst die Augen verschließe. Ein gewisses Maß an Selbstschutz genehmige ich mir allerdings. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Alter zu tun hat, da die mediale Überflutung in meiner Kindheit noch nicht so groß war und die Grenzen zwischen Jugendbuch / Erwachsenenroman klarer gesteckt waren.

  • Nachrichten schaue ich auch nur selten. Manchmal muss ich mich bewusst aus dem ganzen Bombardement mit schlechten Nachrichten herausziehen, sonst kriege ich die Krise (und verliere den Blick auf das Schöne und Gute, das es ja auch gibt, und gar nicht so wenig).

  • Dramaturgisch unnötige Grausamkeiten haben mich eigentlich schon immer gelangweilt. Splatterfilme gefallen mir trotzdem, wenn nicht der Selbstzweck regiert. Dabei stelle ich fest, dass sich der Bereich verschiebt, in dem ich "etwas kaum aushalten" kann - und das weniger vom Blutgehalt her, als vielmehr thematisch: Mich verstört inzwischen in weitaus stärkerem Maße als früher Willkür und Zufälligkeit von Gewalt, die somit quasi jeden treffen kann (vielleicht auch ein Zeitthema?!). Auch Ausweglosigkeit nimmt mich stärker mit als früher. Je älter ich werde und gewissermaßen "mengenmäßig" geübter im Umgang mit anderen Menschen, Lebenswelten und Ansichten - je mehr "Erfahrung" ich also mit Empathie sammeln konnte (und vielleicht auch noch unterstützt durch die Tatsache, dass ich nicht mehr nur für mich selbst, sondern auch noch für andere Menschen zu sorgen habe), desto leichter fällt es mir, mich in andere Gefühlswelten und Erfahrungen hineinzuversetzen, wodurch gute Erzählungen (wirkliche oder fiktive, aber vor allem wirkliche) nicht mehr bildhaft ausgeschmückt werden müssen, um mich zu berühren. Ansonsten habe ich aber auch nichts dagegen einzuwenden, gegen fiktionale Gewalt etwas abzustumpfen. Auf diese Weise kann ich mich bestimmten Themen, die in brutalen Medientexten verhandelt werden, überhaupt erst zuwenden. Aber natürlich nur - da schließt sich der Kreis - wenn nicht nur der Selbstzweck regiert. Da gibt es meist wenig Interessantes zu erfahren. Das Positive und Schöne verliere ich dadurch nicht aus den Augen. Wie heißt es doch: Die Dosis macht's?!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Ein krasses (fiktives) Beispiel war für mich der österreichische Film "Ich seh ich seh". Die Gewalt darin entwickelt sich nach und nach und erreicht ihren Höhepunkt, als die beiden Zwillingsbuben (genauer gesagt der eine Junge auf Geheiß seines verstorbenen Bruders) seiner Mutter den Mund mit Sekundenkleber verschließt. Die weiteren Szenen waren so schrecklich für mich, dass ich den Film nicht zuende sehen konnte, obwohl ich ansonsten nicht so zimperlich bin.

  • Bei mir ist es ähnlich und scheint auch mit dem Alter zusammen zu hängen. Allerdings ist es beim Fernsehen noch viel schlimmer. Wenn es allerdings so richtig splatterig und übertrieben ist, dann macht es mir fast nichts aus. Je mehr es in der Nähe meiner Realität ist, desto schlimmer. Wenn es um Kinder geht, komme ich gar nicht mehr damit klar.

  • Darüber habe ich mich kürzlich mit einer Kollegin unterhalten, die sehr viele Thriller liest. Sie hat sich auch darüber beklagt, dass die Bücher (auch von ihr geschätzten Autoren) auf Kosten einer differenzierten Handlung von Mal zu Mal grausiger werden und oft nichts anderes mehr zu bieten haben.

    Da fällt mir sofort Cody McFadyen ein. :-#
    Die ausufernden Exesse im letzten Buch fand ich auch echt nicht mehr schön. :thumbdown:




    Ich stelle bei mir eine gewisse Abstumpfung zumindest gegenüber fiktiver Gewaltdarstellung fest - was ich nicht unbedingt positiv finde.

    Ja, das hatte ich zum MacFadyen-Thema auch schon bei mir selber festgestellt.
    Ich hatte im ABS-Thread auch zu diesem Thema etwas gepostet - und zitiere die Stelle jetzt einfach nochmal hier, weil sie hier ja viel besser hinpassen. :wink:



    ..........................................




    Ich :study: gerade: 72 Minuten bis zur Vernichtung von Annie Jacobsen

  • und da merke ich nur, dass ich je detaillierter es geschrieben ist um so mehr hasse ich diese Figuren, was aber wohl auch die Absicht des Autors damit ist, denke ich zumindest.

    Also wenn ich Gewaltszenen einsetze, dann mit voller Absicht. Allerdings versuche ich immer, solche Szenen mehr im Kopf des Lesers abspielen zu lassen, als sie allzu detailliert zu beschreiben. Ich habe keinen Bedarf danach, aufgeplatzte Haut und spritzendes Blut zu beschreiben, es reicht, wenn der Leser anfängt, den krankhaften Bastard zu hassen und sich eine eigene Vorstellung von den Qualen macht, denen der oder die Prota ausgesetzt ist. Und das geht meist schon mit erheblich weniger Details. Für Szenen, die nur dafür gedacht sind, das Grausen bildhaft darzustellen, ohne gleichzeitig die Abartigkeit und Boshaftigkeit in den Vordergrund zu stellen, habe ich keinerlei Verständnis. Somit auch nicht für etwas, das dazu geeignet ist, gegen die "Gewaltbeschallung", wie @Hiyanha es ausgedrückt hat, abstumpfen zu lassen.


    Was mich als Leser angeht, bin ich mittlerweile dazu übergegangen, Bücher mit solchen extrem detailliert beschriebenen Grausamkeiten gar nicht mehr zu lesen. Ich glaube, das letzte Buch dieser Art war Stephen Kings "Sie". Danach hat es mir gereicht. Splatter mochte ich sowieso noch nie, aber insgesamt ist meine Akzeptanz von Gewaltszenen in Büchern doch im Laufe des Alters erheblich gesunken.

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • @Hiyanha So etwas, wie du beschrieben hast, meinte ich auch.


    Da lese ich zum Beispiel Bücher wie Matthew Stokoes Cows - und denke mir: Ist ja lahm, da hab ich schon Schlimmeres gelesen.


    Ich ertrage heute so viel an fiktiver Gewaltdarstellung ohne mit der Wimper zu zucken, dass ich mich damit manchmal selbst erschrecke.
    Und eine gewisse Freude am Splatter kann ich ja, wie gesagt, gar nicht abstreiten. Kennt jemand noch Fritzchen-Witze (wo wir gerade beim Alter waren :wink: )? "Blut spritzt, Knochen fliegen, Fritzchen freut sich"? So fühle ich mich manchmal bei Splatterfilmen oder den entsprechenden Büchern. Und manchmal frage ich mich halt schon, wie sich das auf mein Verhältnis bzw. mein Empfinden zu realer Gewalt auswirkt.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Wohl auch, weil ich es wichtig finde, dass all das nicht in Vergessenheit gerät.

    In keinem Fall sollen historische Fakten in Vergessenheit geraten, allerdings wiederholt sich die Literatur zu den jeweiligen Themen letztlich sehr oft, wie etwa bei meinem zuletzt abgebrochenen Buch "Als die Kirche Gott verriet" über die Foltermethoden der Inquisition. Das habe ich nun schon in so vielen Varianten gelesen, dass ich es einfach nicht mehr hören mag, und reagiere deshalb vielleicht übersensibel, wenn es schon auf den ersten 50 Seiten mit Daumenschrauben, Streckbänken und glühenden Zangen losgeht. Dann brauch ich mir nur noch ein altes, armseliges Kräuterweiblein und die Ausweglosigkeit ihrer Situation vorzustellen, und schon ist mir die Freude an der Lektüre verdorben.

    dass ich je detaillierter es geschrieben ist um so mehr hasse ich diese Figuren, was aber wohl auch die Absicht des Autors damit ist

    Ja, das denke ich auch, dass das Absicht ist, und deshalb täte ich mir mit solchen Büchern sicher leichter, wenn ich sie lesen würde. Da ginge ich ja mit einer gewissen Erwartungshaltung an die Geschichte heran, und wäre innerlich schon gewappnet.
    Am schlimmsten finde ich deshalb Bücher, die sich in einem recht harmlosen Gewand präsentieren, und mittendrin werde ich ohne Vorwarnung seitenlang mit dem Todeskampf eines armen tauben Katers konfrontiert, der aus völlig perversen Gründen vergiftet wird. Darüber kann ich mich fürchterlich aufregen, und war auch nahe daran das Buch an die Wand zu feuern. Tat ich nicht, dafür liegt es jetzt im Altpapierkontainer!

    Durch diese täglichen Informationen und die immer schneller werdende Informationsflut über die Verrohung des Alltags in unserer Welt habe ich eine Emotionsschranke aufgebaut, die mich auch beim Lesen von Sachbüchern oder Belletristik begleitet.

    Aber die Information mittels der Tageszeitungen ist schon anders zu werten als solche aus Sachbüchern. Nicht, dass die täglichen Nachrichten nicht schlimm genug wären (erst am Wochenende habe ich mich sehr über die Schilderung der Zustände in einem Flüchtlingslager in Belgrad aufgeregt, aber da habe ich doch die Hoffnung, dass gerade durch die Pressemeldung auch Abhilfe geschaffen werden könnte), aber die Schilderungen in Sachbüchern sind dann meist doch noch ausführlicher. Sicher ist das Leiden der Soldaten des 1. / 2. Weltkrieges und aller anderen Opfer auf allen Seiten vorbei, und doch erwacht es durch entsprechende Lektüre immer und immer wieder zum Leben.

    Ist es für ein Sachbuch über den Zweiten Weltkrieg wirklich notwendig, Grausamkeiten in allen Details zu schildern? Welchen Erkenntnisgewinn bringt das?

    Das ist genau das, was ich mich auch immer wieder frage. Leiden kann sich jeder normal empfindende Mensch ohnehin vorstellen, das muss man ja nicht in allen Einzelheiten dokumentieren.

    Alles, was man sieht und liest, ist theoretisch ja auch in der Realität möglich

    Genau das ist ja das Schlimme und macht mir oft sehr zu schaffen, auch bei erfundenen Szenarien. Schließlich könnte es tatsächlich möglich sein und war es ja vielleicht auch bereits.

    (und verliere den Blick auf das Schöne und Gute, das es ja auch gibt, und gar nicht so wenig).

    :thumleft: Und dem muss ich jetzt mal unbedingt gegensteuern. Glücklicherweise hat die Menschheit ja auch viel Gutes und Schönes hervorgebracht auf das ich nun mal mein Augenmerk richten werde.

    Mich verstört inzwischen in weitaus stärkerem Maße als früher Willkür und Zufälligkeit von Gewalt

    Und die haben mich als ahnungslosen Leser auch schon in den harmlosest anmutenden Geschichten überfallen ... Leider weiß man das vorher halt nicht, aber ich bin mittlerweile so weit, dass das für mich auch der Schlusspunkt des Buches ist, wenn es mit einer Andeutung auch getan gewesen wäre.

  • Viel schlimmer empfinde es aber beim PNP Spielen (DSA). Klar sicher ist es etwas anderes als ein Buch oder Film, aber doch irgendwo vergleichbar.
    Da hatte ich einmal meinen Charakter dann ziemlich dumm handeln lassen, wobei er auch fast gestorben wär, weil ich dem Spielleiter nicht mehr länger zuhören konnte und somit meinen Charakter einfach aus seinem Versteckt stürmen hab lassen um einzugreifen.

  • solche Szenen mehr im Kopf des Lesers abspielen zu lassen, als sie allzu detailliert zu beschreiben.

    Es gibt zum Glück viele Autorinnen und Autoren, die das so handhaben, und meinen Ansprüchen an Grausamkeit und Gewalt genügt das vollauf. Ich bin immer ganz erleichtert, wenn der Andeutung nicht noch ausführlichere Informationen folgen.
    Schlimm sind solche schrecklichen Szenen, in denen das Quälen und Leiden von Menschen und Tieren oft endlos lange beschrieben wird, immer in Büchern, bei denen man gar nicht damit rechnet.

    Ich ertrage heute so viel an fiktiver Gewaltdarstellung ohne mit der Wimper zu zucken, dass ich mich damit manchmal selbst erschrecke.

    Ist es aber bei dieser Lektüre nicht so, dass Du diese Brutalität schon erwartest? Dann kannst Du Dich darauf einstellen, und innerlich weißt Du ja, dass es nicht real ist.
    Anders ist das vielleicht schon bei Sachbüchern. Wenn eine uralte, völlig harmlose Frau in die Fänge der Inquisition geriet und ihr auf der Streckbank sämtliche Gelenke ausgerenkt wurden, wissen wir außerdem, dass das grausige Realität war. Und die honorige, hochintelligente Geistlichkeit stand dabei und hielt alles für gut und richtig. Da überkommt mich ja 400 Jahre später noch die kalte Wut und eisiges Grauen, wie es der wüsteste Thriller nicht hervorrufen kann.

    Bei mir ist es ähnlich und scheint auch mit dem Alter zusammen zu hängen

    Also trifft es auch Männer, lieber Klaus, und ist bei mir nicht bloß eine Erscheinung der Postmenopause. :-?