Am Rande des Fringe Festival in Edinburgh flippt ein Mann nach einem harmlosen Einparkrempler völlig aus und prügelt den Unfallverursacher mit einem Baseballschläger halb tot. Nur dem beherzten Taschenwurf eines Augenzeugen ist es zu verdanken, dass der Mann von seinem Opfer ablässt, doch die Verfolgung des Täters gestaltet sich schwierig, weil sich die Zeugenaussagen widersprechen und sich niemand sein Autokennzeichen gemerkt zu haben scheint.
Der "Taschenwerfer", Martin Canning, ein sonst sehr zurückhaltender, ja regelrecht ängstlicher Mensch, hat indessen noch ein ganz anderes Problem: in der Tasche war sein Laptop mit dem Manuskript für seinen neuesten Roman aus seiner erfolgreichen, wenn auch äußerst trivialen Krimiserie, mit dessen Abgabe er sowieso schon im Verzug ist.
Auch der ehemalige Polizeibeamte Jackson Brodie, der wegen seiner schauspielernden Freundin eher unfreiwillig auf dem Festival ist, wurde Zeuge des Vorfalls, gerät aber kurz darauf selbst in den Fokus der Ermittlungen.
Und dann ist da noch Graham Hatter, der es als Bauunternehmer zu ordentlich Geld gebracht hat, aber nicht immer mit sauberen Mitteln. Jetzt liegt er auf Leben und Tod auf der Intensivstation, nachdem ihn beim Sex mit einer Prostituierten ein Herzinfarkt ereilt hat, und seine Frau behält das erst einmal für sich und informiert nicht einmal ihre Kinder ...
Es dauert etwa hundert Seiten, bis dieser Krimi aus Schottland endlich "abhebt". Bis dahin stehen mehrere Handlungsstränge scheinbar zusammenhanglos im Raum, es geht teilweise sehr (zu?) tief ins Detail der persönlichen Vergangenheit einiger Figuren, und trotz der angenehmen Sprache mit der einen oder anderen literarischen oder musikalischen Anspielung fragt man sich, ob da wirklich noch was kommt, wofür es sich dranzubleiben lohnt.
Die Antwort ist ja. Als die Fäden ganz allmählich zusammenzulaufen beginnen und es auch noch zu weiteren Gewalttaten kommt, die bei Brodie den Wunsch wecken, den Hintergründen nachzugehen, gewinnt das Buch deutlich an Fahrt und kann diese auch bis zum Ende halten. Immer wieder rückt ein neues Fitzelchen Information ins Blickfeld und findet seinen Platz im Gesamtbild, bis man schließlich auf der allerletzten Seite begreift, wie gut dieser Krimi konstruiert ist.
Das eine oder andere wiederkehrende Symbol wird vielleicht ein bisschen überstrapaziert, manche Figuren wirken einen Tick überzeichnet, und Brodies Freundin geht einem ziemlich schnell auf den Wecker, aber davon abgesehen mausert sich das Buch nach dem ein wenig zähen Anfang zu einem spannenden und originellen Krimi vor der bunten Kulisse des Fringe Festival.
Ob ich die Brodie-Reihe unbedingt weiterverfolgen muss, weiß ich nicht so genau, aber ich bin definitiv neugierig auf die genrefreien Romane der Autorin geworden, weil mich ihr Schreibstil generell sehr angesprochen hat.