Graeme Macrae Burnet - Sein blutiges Projekt / His Bloody Project

  • Literarischer Thriller, psychologischer Thriller, raffinierter Thriller - wow, das muss ja ein Superthriller sein, wenn die Umschlagseiten dieses Buch mit solchen Begriffen gepflastert sind. Mein Fazit hierzu schon mal vorweg: Ja, es ist spannend, aber ganz sicher kein Thriller. Laut Wiki ist dieses Genre gekennzeichnet durch ein beständiges Spiel zwischen Anspannung und Erleichterung, wovon in diesem Buch nicht viel zu merken ist.
    Der Fall ist von Beginn an klar: Der 17jährige Roderick Macrae bringt drei Menschen um, was er auch ohne Zögern gesteht. Schriftlich hält er in der Haft fest, wie es dazu kam, ergänzt durch ärztliche Gutachten und der Prozessbeschreibung.
    Neben den Geschehnissen, die zu den Morden führten, beschreibt der Täter detailliert das Leben in einem kleinen schottischen Dorf im 19. Jahrhundert. Es ist ein armseliges Dasein, die Menschen sind als Pächter mehr oder weniger Leibeigene des Gutsherrn und erwirtschaften eher schlecht als recht ihren eigenen Unterhalt. Sie sind der Wilkür der Herrschenden ausgeliefert und missbraucht einer seine Macht, gibt es keinen Widerstand - das Schicksal ist gottgegeben und nicht zu ändern. Gleichmütig schildert Roderick, wie seine Familie den Launen des Constable (einer Art Aufseher) ausgeliefert war und in stummer Resignation alles hinnahm, da selbst das kleinste Aufbegehren umgehend drakonische Strafmaßnahmen nach sich zog und schon im voraus klar war, dass es keinen Erfolg hatte.
    Auch die ärztlichen Berichte sind erschütternd, denn sie zeigen überdeutlich die Arroganz der bürgerlichen Klasse gegenüber der armen Landbevölkerung. Zudem erhält man einen Einblick in die Anfänge der Kriminalpsychologie, wonach die meisten Kriminellen schon als Verbrecher geboren werden ('Verbrecherrasse'), was sich auch in vielerlei Anomalien und Missbildungen zeigt wie beispielsweise Taubheit, Blindheit, Klumpfüße usw.. Kaum vorstellbar, dass das Alles erst 150 Jahre her ist.
    Dieses Buch ist nicht nur die Schilderung eines Kriminalfalles und der Anfänge der Kriminalpsychologie, sondern auch ein detailliertes, düsteres Sittengemälde einer Zeit, die wohl kaum jemand kennt. Spannend, ein Thriller jedoch ist es nicht.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Der einzige Ausweg


    Der grausige Titel des Buches sollte nicht von der Lektüre abschrecken. Allerdings darf man auch nicht unbedingt einen Thriller erwarten, sondern eher die kriminalpsychologische Aufarbeitung eines Dreifachmordes.


    Schottland im August 1869: Der siebzehnjährige Roderick Macrae ermordet im abgelegenen und verschlafenen Bauerndorf Culduie seinen Nachbarn, den tyrannischen Constable Lachlan Mackenzie, dessen fünfzehnjährige Tochter und den dreijährigen Sohn. Nach diesem grausamen Blutbad lässt Roderick sich widerstandslos verhaften, leugnet die Tat nicht, zeigt aber auch keine Reue. Welche Gründe und Ursachen haben zu dieser schrecklichen Tat geführt? Im Gefängnis beginnt Roddy auf Anraten seines Anwalts Mr. Sinclair, der Roderick wohlgesonnen ist, sein Leben niederzuschreiben. Dabei bemerkt man als Leser die Intelligenz und große Sprachgewandtheit des 17-Jährigen. Wie passen diese Begabungen zu dem Sohn eines armen Bauern, der für ein paar Jahre die dörfliche Schule besucht hat und ansonsten nur auf den Feldern des gepachteten Landes geschuftet hat, um die Familie mitzuernähren?


    Graeme Macrae Burnet lässt in der ersten Hälfte des Romans hauptsächlich Roderick selbst zu Wort kommen, sodass man als Leser großes Mitleid für ihn und seine Familie empfindet. Seine Schilderungen werden durch Zeugenaussagen von Nachbarn, Dorfbewohnern, dem Pfarrer und dem Schulmeister ergänzt. So wird nach und nach deutlich, warum Roderick in der Ermordung des Constables Lachlan Mackenzie den einzig möglichen Ausweg sieht.


    Im zweiten Teil werden psychologische Gutachten, Aufzeichnungen aus Gerichtsprotokollen und Zeitungsberichte über Rodericks Prozess mit fiktiven Passagen verknüpft. Interessant, aber auch schockierend sind dabei die Erkenntnisse der Kriminalpsychologen, die z.B. einen Verbrecher an seinen körperlichen Merkmalen nachweisen wollen.


    Ein interessantes und lesenswertes Buch, düster und spannend, aber in meinen Augen kein Thriller.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • 1869: In dem schottischen Bauerndorf Culduie geschieht ein Dreifachmord, der Täter wird schnell gefunden, es ist der 17jährige Roderick Macrae, der die Tat zugibt. Der Roman stellt die Frage, wie es dazu kommen konnte und hat eine ganz eigene Herangehensweise, wie er dem Leser das Geschehen vermittelt.


    So erfährt man nicht nur von Roderick selbst, wie es zu den Morden kam, sondern kann – ganz unterschiedliche und widersprüchliche – Aussagen von Nachbarn und Bekannten über Roderick lesen, ebenso medizinischen Gutachten über die Opfer, den Bericht eines Psychologen, der Roderick begutachtet hat, und ist hautnah beim Prozess dabei. Hat man sich als Leser durch den Bericht des Täters, den ersten größeren Abschnitt des Romans, schon eine gewisse Meinung gebildet, und womöglich sogar etwas Sympathie, zumindest aber Verständnis entwickelt, wird dies schon an dessen Ende erschüttert – und durch die darauffolgenden Abschnitte noch ein bisschen mehr, da man noch einen anderen Blick auf die Geschehnisse erhält und sich die Frage stellen muss, was wirklich dahinter steckte, welches Motiv tatsächlich zur Tat führte.


    Mir hat diese Herangehensweise sehr gut gefallen, zumal der Autor sehr eingängig erzählt. Auch wenn man nicht wirklich von Spannung sprechen kann, so will man doch wissen, wie es zu der Tat kam und welche Konsequenzen sie haben wird. Nebenbei erfährt man noch Einiges über das Leben der vom Gutsherrn abhängigen Bauern,das kein leichtes war. Interessant ist auch der Blick auf die sich entwickelnde Kriminalanthropologie, die aus heutiger Sicht eher Kopfschütteln auslöst, der aber durch den Psychologen James Bruce Thomson, der tatsächlich existiert hat, authentische (und sehr herablassende) Züge verliehen werden.


    Nicht nur die Geschichte ist interessant und komplex, auch die Charaktere sind es, sie sind Wesen aus Fleisch und Blut, und in vielerlei Ausprägung vorhanden. Jeder ist ein Typ für sich, nicht alle sind sympathisch, manch einer löst Unverständnis aus und hin und wieder ist man als Leser einfach nur entsetzt, wie Menschen handeln und reagieren können.


    Der Roman wird als Thriller verkauft, in meinen Augen ist er aber alles andere als das. Eher kann man von einer psychologischen, vielleicht auch einer sozialen Studie sprechen, der Biographie einer Bluttat oder auch der Geschichte eines jungen Mannes, der sich womöglich nicht mehr anders zu helfen wusste. Es ist ein ungewöhnlicher, aber sehr interessanter historischer Roman, der uns die Lebensverhältnisse der abhängigen Bauern im schottischen Hochland ebenso nahe bringt wie die Entstehung einer schrecklichen Bluttat. Ich habe mich während des Lesens immer wieder gefragt, ob tatsächlich ein echter Fall dahinter steckt, denn der Roman ist wie ein Tatsachenbericht aufgebaut und die Namensgleichheit mit dem Autor scheint darauf hinzuweisen.


    Mich hat der Roman begeistert und gefesselt, ich mochte ihn kaum aus der Hand legen und wurde regelrecht entführt an die Schauplätze der Handlung. Gerne vergebe ich volle Punktzahl und spreche eine Leseempfehlung aus.

  • Schockierender historischer Kriminalroman


    Wo fange ich nur an? Zuerst einmal hat es der Autor, Graeme Macrae Burnet, allein durch den Aufbau seines Romans „Sein blutiges Projekt – Der Fall Roderick Macrae“ geschafft, dass die Geschichte von Roderick aus sehr vielen Blickwinkeln betrachtet wird. Zum einen sind das die Zeugenaussagen der Bewohner von Rodericks Heimatort, dann sein eigener Bericht der Ereignisse und schließlich die Zusammenfassung des Prozesses und die Presseberichte der damaligen Zeit.


    Durch diesen Aufbau gelingt es Graeme Macrae Burnet eindeutig, einen Spannungsbogen aufzubauen, der bis zum Schluss des Romans erhalten bleibt. Es werden Fragen aufgeworfen, verschiedene Meinungen und Einschätzungen werden vorgebracht…
    Erzählt wird die Geschichte von Roderick Macrae, der in einem kleinen Dorf in Schottland ein Leben als Crofter führt und schreckliche Verbrechen in seinem Heimatort begangen hat: Roderick Macrae hat drei Menschen auf dem Gewissen.


    Und während man sich als Leser bemüht, auch nur ansatzweise zu begreifen, was genau Roderick zu diesem Punkt in seinem Leben gebracht hat und was seine eigentlichen Beweggründe für diese abscheulichen Morde waren, kann man den Roman kaum noch aus der Hand legen. Man ist, genau wie das Gericht, auf der Suche nach einer Erklärung für Rodericks Taten…


    Zusammenfassend kann ich eigentlich nur sagen, dass „Sein blutiges Projekt“ schockiert, spannend und hochdramatisch ist, den Leser aber auch fordert, sich selbst mit den verschiedenen Schilderungen auseinander zu setzen und ihnen einen Wahrheitsgehalt beizumessen. Dabei nimmt der größte Teil des Romans Rodericks eigene Schilderung seines bisherigen Lebens in Culduie, dem Dorf, in dem er geboren wurde, ein.


    Dabei schafft es Graeme Macrae Burnet, Roderick in dieser Erzählung eine eigene Stimme zu geben und die Erlebnisse tatsächlich gänzlich aus Rodericks persönlicher Sicht zu schildern.
    Insgesamt ist „Sein blutiges Projekt“ ein spannender Roman, der nicht zuletzt durch die schockierende Geschichte und den doch recht ungewöhnlichen Aufbau hervorsticht.


    Daher vergebe ich im Gesamturteil 5 von 5 möglichen Sternen.

  • Der 17-jährige Roderick Macrae erschlägt mit einer Schaufel brutal seine Nachbarsfamilie. Was hat den Jungen zu der Tat getrieben?


    Das Buch ist wie ein Bericht über wahre Tatsachen aufgebaut, beginnend mit dem Vorwort, in dem der Autor schildert, wie er Informationen über seinen Vorfahr aus diversen Archiven zusammengesucht hat. Allerdings erwähnt er in der Danksagung am Ende des Buches, dass einige Figuren auf tatsächlich existierenden Personen basieren, daher gehe ich davon aus, dass alle nicht explizit genannten Figuren (und damit auch die Handlung) frei erfunden sind. Die Geschichte beginnt mit den Aussagen einiger Augenzeugen, danach folgt der Hauptteil des Buches, der rund die Hälfte der Seiten umfasst: die Aufzeichnungen des Täters Roderick. Danach sind die Berichte des Rechtsmediziners sowie Prozessberichte zu finden.


    Die Aufzeichnungen von Roderick sind etwas schwierig zu lesen, da er immer wieder zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hin und her springt. Da das Buch mit der Schilderung der Tat beginnt, danach die Geschehnisse, die zu der Tat führten, ausführlich darlegt und sich am Schluss mit dem Gerichtsprozess befasst, ist dem Leser schon zu Beginn klar, was passieren wird. Leider dämpft dies die Spannung deutlich. Nicht einmal die Frage nach dem „Warum“ bleibt interessant, da Roderick diese schon gleich zu Beginn beantwortet und mit seinen Aufzeichnungen eigentlich nur noch mit Beispielen untermalt. Einen Fall aufzuklären gibt es hier nicht Daher blieb der grosse Lese-Sog leider aus.


    Der Schreibstil des Autors Graeme Macrae Burnet lässt sich flüssig lesen, auch wenn er oft etwas unpassend modern wirkt in einem Buch, das behauptet, zum grössten Teil bereits vor fast 150 Jahren geschrieben worden zu sein. Von den Figuren war mir leider niemand so wirklich sympathisch, ausser vielleicht der Anwalt, den fand ich irgendwie nett.


    Mein Fazit
    Da schon von Beginn weg alles klar ist, bleibt die Spannung aus.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • 1869, eine harte Zeit im Bauerndorf Culduie in Schottland. Die Bauern
    mussten ihren Lehnsherren von ihrem mageren Ertrag auch noch die Pacht
    zahlen. Dabei hatten sie selbst kaum genug zum Leben.
    Eines Tages werden der tyrannische Lachlan Broad, die 15jährige Tochter
    und der dreijährige Sohn ermordet aufgefunden. Täter ist der 17jährige
    Nachbar Roderick Macrae, der die Taten offen zugibt, sein Motiv jedoch
    nicht offenbart. Bis zu seinem Prozeß ist Roderick im Gefängnis von
    Inverness inhaftiert. Man versucht seine Beweggründe herauszufinden, zu
    verstehen, was ihn zu diesen Taten getrieben hat.
    Auf Anraten seines Anwalts Andrew Sinclair schreibt Roderick in der Zeit
    seiner Inhaftierung die Gedanken, Gründe und Abläufe seiner Taten auf.
    Für den Prozeß waren sie als Beweismittel jedoch nicht erlaubt.



    Mich hat die psychologische Ausführung des Buches sehr beeindruckt.
    Verhandlungen und Beweisführungen im 19. Jahrhundert waren schwierig und
    mühsam.



    Ein sehr eindrucksvolles Werk, was Graeme Macrae Burnet zu einem sogar auf die Shortlist geschafft hat.



    Mein Geschmack wurde mit „Sein tödliches Projekt“ absolut getroffen.

  • Sein blutiges Projekt – Eine gelungene Mischung aus Tatsachen und Fiktion


    Vorsicht, dieses Buch sollte man nicht mit falschen Erwartungen lesen, um es genießen und schätzen zu können. Wer sich einen klassischen fiktiven Thriller oder Ermittlungsarbeit erwartet, wird hier enttäuscht. Der Autor fügt reale Ereignisse, die vor rund 150 Jahren in Schottland stattgefunden haben, zu einem ausführlichen Protokoll zusammen, die er mit fiktiven Personen und einigen eigenen literarischen Ideen zusammenfügt. So ergibt sich eine ganz besondere Geschichte rund um einen Teenager, dessen Familie in ärmlichen Verhältnissen lebt und die als arme Bauern mehreren Herrschaften unterstellt sind.
    Im Heimatdorf dieses Teenagers, Roderick Macrae, geschehen drei bestialische Morde. Der Autor, Graeme Macrae Burnet (ob irgendwie verwandt oder einfach nur zufällige Namensgleichheit wird nicht angesprochen), lässt den Leser mit auf Spurensuche gehen, wie es denn zu den Taten kam, die Roderick angelastet werden. Im Gefängnis schreibt dieser ein Manuskript, gewissermaßen eine Autobiografie und zusammen mit den Augenzeugenberichten von damals und den Prozessakten leben die Beteiligten und die Ereignisse von damals wieder auf.


    Auch wenn, besonders im Prozess-Abschnitt, sehr viel immer wiederholt wird und die Geschichte dadurch schon etwas langatmig wirkt, ist die Idee und die Umsetzung doch sehr besonders und eine ganz eigene Herangehensweise. Realität und Fiktion ergänzen sich so gut, dass man sie nicht unterscheiden kann (der Autor erklärt aber, was von ihm stammt) und so wie sich die Geschichte liest, kann sie sich wohl tatsächlich ereignet haben.


    Als „Thriller“ würde ich das Buch nicht bezeichnen, dazu ist die Spannung doch eine ganz andere, denn sie ergibt sich nicht aus einer Tätersuche oder grausigen Andeutungen. Spannend ist vielmehr zu sehen, wie damals, 1869, die Menschen im schottischen Hochland gelebt haben. Zudem erfährt man wie Disziplinen, die uns heute bei der Verbrechensaufklärung selbstverständlich erscheinen, damals erst in ihren Anfängen steckten und auch noch teilweise sehr abstruse Theorie vertreten wurden, als es darum geht, ob ein Täter denn nun zurechnungsfähig ist oder nicht.
    Zusätzlich birgt dieser Roman die Möglichkeit, die eigenen Grundsätze und Moralvorstellungen zu prüfen. Wie hätte ich in dem Prozess entschieden? Was hätte ich an Rodericks Stelle getan? Was ist nötig, um Machtmissbrauch beweisen zu können? Somit bleibt das Buch auch nach dem Ende im Gedächtnis und macht durchaus nachdenklich.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Verlagstext

    August 1869: Ein verschlafenes Bauerndorf an der Westküste Schottlands wird von einem brutalen Dreifachmord erschüttert. Der Täter ist rasch gefunden. Doch was trieb den 17-jährigen Roderick Macrae, Sohn eines armen Pächters, dazu, drei Menschen auf bestialische Weise zu erschlagen? Während Roddy im Gefängnis auf seinen Prozess wartet, stellen die scharfsinnigsten Ärzte und Ermittler des Landes Nachforschungen an, um seine Beweggründe aufzudecken. Ist der eigenbrötlerische Bauernjunge geisteskrank? Roddys Schicksal hängt nun einzig und allein von den Überzeugungskünsten seines Rechtsbeistandes ab, der in einem spektakulären Prozess alles daransetzt, Roderick vor dem Galgen zu bewahren. Sein brillanter Spannungsroman offenbart Graeme Macrae Burnet als außergewöhnliche neue Stimme im Genre des psychologischen Thrillers. Mühelos versetzt er den Leser mitten ins Schottland des 19. Jahrhunderts und zu den Anfängen der Kriminalpsychologie. Kunstvoll verquickt er dabei Rodericks eigene Aufzeichnungen mit Gerichtsunterlagen, medizinischen Gutachten und der Prozessberichterstattung. Während er die Annahmen der Leser über die eigentlichen Tathintergründe immer wieder raffiniert ins Leere laufen lässt, enthüllt sich die dunkle Wahrheit erst in einem fulminanten Gerichtsdrama.


    Der Autor

    Graeme Macrae Burnet, geboren 1967 in Kilmarnock, Schottland, studierte Englische Literatur in Glasgow. Er schreibt seit seiner Jugend und wurde 2013 mit dem Scottish Book Trust New Writer’s Award ausgezeichnet. Sein Debütroman The Disappearance of Adèle Bedeau, der in seiner schottischen Heimat zum Kulthit wurde, erscheint im Europa Verlag im Herbst 2017. Er lebt und schreibt in Glasgow.


    Inhalt

    Im Jahr 1869 soll der 17-jährige Kleinbauernsohn Roderick Macrae den Nachbarn der Familie und zwei weitere Personen erschlagen haben. Auf Wunsch seines Verteidigers Sinclair schreibt Roderick im Gefängnis von Inverness seine Lebenserinnerungen nieder, während er auf seinen Prozess wartet. Roderick folgt diesem Wunsch aus Achtung gegenüber seinem Rechtsbeistand, der nahezu der Einzige ist, der den Jungen wie einen Menschen behandelt. Roderick stammt aus einem Dorf mit 9 Häusern, das in Sichtweite der Isle auf Skye an der schottischen Küste liegt. Die Bauern sind Pächter eines Großgrundbesitzers, dem sie Hand- und Spanndienste zu leisten haben, der von ihnen jedoch sonst nicht weiter behelligt werden will. Die Gerichtsbarkeit wird von einem Constable ausgeübt, der Gemeinschaftsarbeiten organisieren und Konflikte schlichten soll. In Culduie übt Lachlan Mackenzie dieses Amt mit gnadenloser Härte aus. Speziell Rodericks Vater John wird in eine aussichtslose Situation getrieben, aus der es keinen Ausweg geben kann. Die unselige Verknüpfung von Großgrundbesitz und Ausbeutung ist so verfahren und durch Gleichgültigkeit der Herrschenden gestützt, dass es selbst der cleveren Carmina Murchison vor Gericht schwerfallen wird, die Vorgeschichte der Ereignisse in Worte zu fassen. Da Roderick sich schuldig an der Situation seiner Familie fühlt, tötet er Lachlan, um seinen Vater von den Widrigkeiten zu befreien, die er durch den Mann erleidet.


    Graeme Macrae Burnet legt im Kostüm eines True-Crime-Romans eine messerscharf formulierte Sozialstudie der Lebensbedingungen schottischer Kleinbauern vor. Dabei entlarvt er den Rassismus der zur damaligen Zeit herrschenden Klasse, der im Windschatten vorgeblicher Wissenschaftlichkeit auftritt. Ebenso wird die fragwürdige Rolle der Kirche demaskiert, die die feudalen Zustände stützte und einer verhungernden Bevölkerung nicht mehr zu bieten hatte als Kritik an ihrer mangelnden Gläubigkeit. Die Zeugenaussagen, die der Autor zusammenstellt, entlarven eher deren Urheber und ihre Schwächen, als dass sie zum Persönlichkeitsbild von Roderick beitragen. Die Begutachtung von Rodericks Zurechnungsfähigkeit wirkt wie purer Sarkasmus, wenn zu Zeiten eines ausgeprägten Aberglaubens das Mitglied einer Familie mit Verbindungen zur „Anderen Welt“ darauf untersucht wird, ob es über Dinge spricht, die nicht zu sehen sind.


    Der Roman besteht formal aus einem Vorwort von Macrae Burnet als Herausgeber, Rodericks Erinnerungen, Zeugenaussagen, der ärztlichen und psychiatrischen Begutachtung des Gefangenen und Zeitungsartikeln zum Prozess. Zusammen mit Fußnoten und einer Karte des Dorfes wirkt der Text dadurch sehr authentisch und glaubwürdig.


    Fazit

    Ehe ich herausfand, wie der Verteidiger Sinclair seine Verteidigungsstrategie aufgebaut hat, konnte ich der Erzählperspektive lange nicht trauen. Lese ich einen Psychothriller, einen historischen Krimi oder doch die Dokumentation eines realen Falles?, habe ich mich gefragt. Das Rätseln, ob ein einfacher Bauernjunge Rodericks Text geschrieben haben kann und was Sinclair mit dem Bericht bezweckt, sorgte für eine so hohe Spannung, dass ich das Buch mit einer kurzen Pause in einem Zug gelesen habe. Der raffinierte Plot, Rodericks feine Beobachtungsgabe und Burnets sozialkritischer Unterton ergänzen sich zu einem herausragenden, äußerst spannenden Roman.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow