Claudia und Nadja Beinert - Die Mutter des Satans

  • Kurzbeschreibung:
    Ein historischer Roman von den Zwillingen Claudia und Nadja Beinert über Margarethe Luther und wie sie ihren Sohn, den Reformator Martin Luther, prägte.
    In Zeiten von Pest, Aberglaube und Ablass: 1480 wird die junge Margarethe mit dem gleichaltrigen Hans Luder vermählt. Trotz der zunächst trostlosen Aussicht eines Lebens an der Seite eines Bergmannes ist die Ratsherrentochter 1483 über die Geburt ihres ersten Sohnes Martin sehr glücklich. Als Martin Luther sich Jahre später gegen den Willen des Vaters für ein Leben als Mönch entscheidet, ist Margarethe hin- und hergerissen zwischen Ehegehorsam und Mutterliebe. In den gefährlichen Jahren der beginnenden Reformation wagt sie einen gefährlichen Balanceakt und trifft den mittlerweile berühmt-berüchtigten Sohn sogar heimlich. Erst ihre bedingungslose Zuneigung und Liebe zu Martin – von Geburt an – machten aus Martin Luther den mutigen, unerschütterlichen Reformator, der uns bis heute überliefert ist. (Quelle: Verlagswebsite)


    Autorinnen:
    Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Erfurt und Würzburg.
    Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause. (Quelle: Verlagswebsite)


    Allgemeines:
    Erschienen im Februar 2017 als Hardcover bei Droemer Knaur
    448 Seiten in 5 Teilen.
    Personenverzeichnis, Glossar und sehr ausführliches Nachwort zu den historischen Fakten und Quellen. Außerdem sind noch drei von Luthers Lieblingsfabeln angehängt, die im Roman eine Rolle spielen.
    Erzählt wird auf zwei Ebenen: aus der Sicht Margarethe Luthers in der Ich-Perspektive und in der 3. Person in der Rahmenhandlung.


    Meine Meinung:
    Es gibt Romane, die mehr sind als nur einfache Unterhaltung, die den Leser beschäftigen und noch lange nachhallen. „Die Mutter des Satans“ ist so ein Buch. Im Lutherjahr ist es auch für uns Leser naheliegend, sich mit dem Reformator zu beschäftigen. Der Klappentext dieses Buches hatte mich neugierig gemacht, weil ich dahinter eben keinen Roman erwarten konnte, in dem der zum Helden erhobene Reformator im Mittelpunkt steht. Und so kam es auch. Martin spielt zwar eine nicht unwichtige Rolle in diesem Buch, aber er ist nicht die Hauptfigur. Das ist eindeutig Margarethe Luder, eine aufrechte und gläubige Frau und liebevolle und strenge Mutter. Ihr hartes Leben, ihre Aufopferung, Sorgen und Nöte, aber auch ihre kleinen und großen Freuden im Alltag stehen im Mittelpunkt. Dabei vermitteln die Autorinnen ein sehr eindrucksvolles Bild vom Leben im Mansfelder Land im 16. Jahrhundert. Vom Alltag der Menschen ebenso wie von den Gebräuchen der Bergleute, dem vorherrschenden Glauben und Aberglauben, von der Rolle der Frauen und Kinder.
    Ganz „nebenbei“ erfährt man als Leser noch unheimlich viel über Bergbau, die Pest und den Umgang der Menschen mit ihr und nicht zuletzt auch über die Malerei. Mächtig viel Informationen, die den Leser aber dennoch nicht erschlagen, sondern immer wieder ein Aha-Erlebnis hervorrufen.


    Besonders gut gelungen ist die Zweiteilung der Geschichte auf verschiedene Ebenen. Da sind die ganz persönlichen Erinnerungen Margarethes, die aus der Ich-Perspektive erzählt werden und den Leser so noch direkter ansprechen. Viele Gedanken und Gefühle fließen hier ein und bauen eine sehr emotionale Bindung auf. Wir lernen ihre Sorgen, Hoffnungen, Ängste und Zweifel ganz unmittelbar kennen und erleben, wie sie sich selbst verändert. Die Liebe zu ihren Kindern prägt sie und diese Liebe prägt andersherum auch die Kinder – auf ganz verschiedene Weise. Sie lebt kein einfaches Leben, aber es gelingt ihr immer, irgendwo noch einen Funken Hoffnung und Kraft zu finden, um auch die verzweifeltsten Situationen zu meistern. Sie hat mich unglaublich beeindruckt, diese Frau. Zerrissen zwischen der Liebe zu ihrem Sohn, der für die Menschen um sie herum zur Inkarnation des Satans reift, und der Zuneigung zu ihrem Mann, die über die Jahre gewachsen ist, findet sie zu Stärke und Mut, die für die damalige Zeit nicht selbstverständlich waren.
    Die andere Ebene der Geschichte bildet den Rahmen: Lucas Cranach soll Hans und Margarethe porträtieren. Dieser Teil der Handlung spielt zu einem Zeitpunkt, da alle Ängste und Nöte ausgestanden sind, die Reformation schon Fuß gefasst und die Bauern-Aufstände um Thomas Müntzer schon niedergeschlagen sind. Der berühmte Maler macht sich seine Gedanken um diese Frau, die da vor ihm sitzt und versucht, einen Zugang zu ihr zu finden, um ein wahrhaftiges und ehrliches Porträt schaffen zu können. Und so erleben wir mit, wie das Gemälde auf dem Cover entstand und warum es genau so aussieht. Auch dies ist mehr als interessant.


    Anfangs hat mich das Buch sehr betroffen und wütend gemacht, als ich miterleben musste, was aus Unwissenheit, aber vor allem auch aus Aberglauben heraus Kindern und Frauen angetan wurde. So musste ich wirklich immer wieder Lesepausen einlegen, um mich wieder ein bisschen zu beruhigen. Aber je mehr die Geschichte fortschritt, umso mehr nahm sie mich gefangen und am Ende, als Margarethe als „Mutter des Satans“ angefeindet wurde und die Lage für sie und ihr nahestehende Menschen immer gefährlicher wurde, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
    Die Beinert-Schwestern haben hier einen großartigen Roman um eine großartige Frau geschrieben, der mehr ist, als nur eine Erzählung über längst vergangene Dinge. Es ist ihnen gelungen, den Menschen hinter dem Reformator zu zeigen und uns nahezubringen, wie er zu dem wurde, was er ist. Und darüber hinaus bringen sie auch Lesern, die sich mit Luthers Thesen nicht so gut auskennen, die wichtigsten Ideen und Inhalte sehr verständlich nahe. Und wir erkennen auch, warum die eigentlich recht überzeugenden Ideen Luthers es so schwer hatten, sich durchzusetzen.


    Und ein Wort muss ich noch zum Ende des Buches verlieren: nie hat ein Schlusssatz die Bezeichnung „Happy End“ mehr verdient. Ich habe das Buch mit Tränen in den Augen zur Seite gelegt. Danke auch dafür! :pray:


    Ich habe mit diesem Buch eines der Jahreshighlights gelesen, da bin ich mir ganz sicher. Ich vergebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: und empfehle diesen hervorragend recherchierten Roman uneingeschränkt weiter. Nicht nur Freunde historischer Romane werden daran Gefallen finden, sondern auch alle, die mehr über Luther und seine Herkunft erfahren wollen.


    Fazit:
    Ein berührender und aufwühlender Roman über die Frau, die der Welt einen Reformator schenkte und über ein Leben zwischen Liebe und Angst, Verzweiflung und Hoffnung.

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


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  • @Hirilvorgul
    Danke für die sehr aussagekräftige Rezension, damit wird das Buch auf meiner Wuli von "auch sehr gern" auf "muss ich haben" upgegradet. Ich bin aber nach wie vor verwirrt, wie sehr die Einschätzung von Margarethe Luther in diesem Buch offenbar von der Darstellung in "Sturm in den Himmel" abweicht. Dort wird Martins Mutter sehr negativ geschildert, von ihren zahlreichen Schwangerschaften und Kindern überfordert und sehr streng. Auch wenn es damals als "normal" galt, seine Kinder zu züchtigen, waren die Luthers - besonders Margarethe - wohl selbst für die damalige Zeit sehr schnell mit dem Stock bei der Hand.
    Dass Martin Luther als Kind sehr hart angepackt wurde, habe ich im Laufe der letzten Jahre schon häufiger gelesen, da müsste eigentlich Wahres dran sein? :-k

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Dort wird Martins Mutter sehr negativ geschildert, von ihren zahlreichen Schwangerschaften und Kindern überfordert und sehr streng. Auch wenn es damals als "normal" galt, seine Kinder zu züchtigen, waren die Luthers - besonders Margarete - wohl selbst für die damalige Zeit sehr schnell mit dem Stock bei der Hand.
    Dass Martin Luther als Kind sehr hart angepackt wurde, habe ich im Laufe der letzten Jahre schon häufiger gelesen, da müsste eigentlich Wahres dran sein?

    Dass Margarethe eine liebevolle Mutter war, schließt Züchtigung nicht aus, die - wie du schon sagst - für die damalige Zeit völlig normal war. Die Kinder, auch Martin, wurden nicht in Watte gepackt. Das kommt auch in dieser Geschichte ganz klar raus. Und Zuneigung wurde früher auch anders gezeigt, als es heute üblich ist. Lass dich überraschen, wie die Autorinnen all das darstellen. Sie erklären in ihrem Nachwort auch recht ausführlich, was sie zu ihrer Sichtweise bewogen hat und das klingt für mich sehr schlüssig. Sie berufen sich u.a. auf Briefe Martin Luthers, in denen er voller Respekt, aber auch mit viel Zuneigung über bzw. an seine Eltern schreibt.

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  • Dass Margarethe eine liebevolle Mutter war, schließt Züchtigung nicht aus,

    Im Buch von Asta Scheib wirkte sie sehr lieblos und schlug schon wegen harmlosester "Vergehen" (Martin hatte eine Nuss aus der Speisekammer stibitzt) erbarmungslos zu. Das fiel mir schon schwer, mit dem Attribut "liebevoll" in Verbindung zu bringen.
    In der Hinsicht machte Hans Luther einen besseren Eindruck auf mich, der Martin zwar auch züchtigte, aber doch eher selten und viel maßvoller.

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  • Im Buch von Asta Scheib wirkte sie sehr lieblos und schlug schon wegen harmlosester "Vergehen" (Martin hatte eine Nuss aus der Speisekammer stibitzt) erbarmungslos zu. Das fiel mir schon schwer, mit dem Attribut "liebevoll" in Verbindung zu bringen.

    Das kann ich nachvollziehen. Die Beinert-Schwestern stellen sie dann doch sehr anders dar. Die wenigen Zeugnisse aus der damaligen Zeit lassen sich eben sehr verschieden interpretieren und so kommen verschiedene Bilder zustande. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Wie gesagt: ich kann die Erläuterungen der beiden Autorinnen sehr gut nachvollziehen und mag das Bild, das sie von Luthers Eltern zeichnen, sehr.

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  • Vielen Dank für diese schöne Vorstellung! Die passt ja wie die Faust aufs Auge zu unserer MLR-Zeitreise in die Lutherzeit.
    Ende August wollen wir eine Luther-Biografie lesen, da werde ich mir unbedingt vorher die Mutter vornehmen. Und meine Prioritätenliste sollte ich auch mal überdenken. [-X

  • Das fiel mir schon schwer, mit dem Attribut "liebevoll" in Verbindung zu bringen.

    Dazu fällt mir gerade noch etwas ein:
    Der Geschichte vorangestellt ist ein Brief Martin Luthers an seine schon alte und erkrankte Mutter (dieser Brief existiert wirklich). Der ist überschrieben mit:

    Zitat von Martin Luther

    An die tugendhafte Frau Margarethe Lutherin, Witwe zu Mansfeld, meiner herzlieben Mutter.

    Das klingt für mich schon nach Liebe zwischen Mutter und Sohn.

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  • Dazu fällt mir gerade noch etwas ein:Der Geschichte vorangestellt ist ein Brief Martin Luthers an seine schon alte und erkrankte Mutter (dieser Brief existiert wirklich). Der ist überschrieben mit:

    Das klingt für mich schon nach Liebe zwischen Mutter und Sohn.

    Es ist ja möglich, bzw. sogar wahrscheinlich , dass Luther die Behandlung, die er in seiner Kindheit erfuhr, als relativ üblich empfand. Die Beziehung zu seinen Eltern könnte sich aber auch gebessert haben, als er erwachsen war und nicht mehr geprügelt wurde.
    Es wäre interessant zu erfahren, ob und wieviel seine eigenen Kinder geschlagen wurden.

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  • @Hirilvorgul
    Ich habe gerade bei amazons "Blick ins Buch" reingelesen und dabei festgestellt, dass Luthers Geburt als Kaiserschnitt dargestellt wird, wofür es sicherlich keinen Beleg gibt, denn dann hätte zumindest seine Mutter nicht überlebt. [-(
    Das dämpft nun doch meinen Enthusiasmus, dieses Buch zu kaufen, da ich solche verfälschten Darstellungen in historischen Romanen nicht mag. Es lässt zudem erwarten, dass auch sonst mit den historischen Fakten sehr locker umgegangen wird. Erklären die Autorinnen im Nachwort, was sie sich dabei gedacht haben?

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  • Erklären die Autorinnen im Nachwort, was sie sich dabei gedacht haben?

    Ja, sie erklären es und sie gehen auch sehr genau darauf ein, was historisch belegt ist und was nicht. Also keine Sorge wegen lockerem Umgang mit historischen Fakten. Davon kann keine Rede sein.

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  • Uns allen ist sicher der Reformationstag ein Begriff und in manchen Bundesländern hoffe ich, nicht nur durch den Feiertag. Wir befinden uns 2017 im Lutherjahr, denn es ist 500 Jahre her, dass Martin Luther seine Thesen in Wittenberg anschlug. Aber wie viel weiß man eigentlich noch darüber, wenn man schon eine Weile aus der Schule raus ist? Also ich kann für mich sagen, bis auf das es 95 Thesen waren und die kirchliche Ordnung einen Umbruch erlebte, war bei mir nicht mehr allzu viel hängen geblieben.


    Nun ist dieser Roman, aber nur indirekt ein Buch über Luther, denn hier geht es um seine Mutter Margarethe. Als Leser verfolgte ich hier den Werdegang von Martin Luther von seiner Geburt bis zum Jahr 1527 aus Sicht der Mutter. Dieser Weg, den die Beinertschwestern hier wählten war sicher ein ungewöhnlicher, aber sehr eindrucksvoller. Wir erfahren dadurch nicht nur alle wichtigen Dinge über Martin, sondern auch über die Ehe und die Rolle der Frau in dieser Zeit. Ich habe viele geschichtliche Informationen erhalten und viel über Martin Luther gelernt, ohne das ich mit Jahreszahlen und Ereignissen erschlagen wurde.
    Die Autorinnen haben ein großes Talent Geschichte in Geschichten zu verpacken. Sie haben hier großartig recherchiert und durch wenige fiktive Elemente ein lebhaftes Bild der Familie Luther gezeichnet. Ich wusste viele Dinge dieser Zeit nicht und war erschrocken darüber, wie sich der Glaube den Menschen vor Luther darstellte.
    Margarethe Luther ist eine starke Persönlichkeit, die die ganze Zeit meine Sympathie und mein Mitgefühl hatte. Sie ist eine folgsame Ehefrau, aber auch eine liebende und herzliche Mutter. Die Schicksalsschläge, die sie ertragen musste bewegten mich sehr. Ihr Mann Hans war mir nicht immer sympathisch. Er ist das für diese Zeit typische Oberhaupt der Familie und kümmert sich um seine Arbeit. In manchen Szenen tat mir seine Frau regelrecht leid, wie er mit ihr umgeht.
    Aber was auch die Familie wegen Martin durchmachte wird hier eindrucksvoll geschildert. Man kann aber auch erkennen, dass Martin seine Familie nie vergessen hat und ohne seine Eltern vielleicht nie diesen Weg gegangen wäre.


    Dieser Roman bewegt, regt zum nachdenken und hinterfragen an und lehrte mich auf jeden Fall wieder mehr geschichtliches Wissen über meine Heimat. Wenn ich demnächst nach Eisleben oder Mansfeld fahre, werde ich sicherlich einiges mit anderen Augen sehen. Ich bin zu tiefst bewegt und kann dieses Buch nur jedem ans Herz legen, der gerne historische Romane liest und im Lutherjahr mehr über Luther erfahren möchte.


    Bewertung: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Im Lutherjahr, 2017 jährt sich Luthers Thesenanschlag zum 500. Mal, wird der Buchmarkt sicher mit einigen Büchern zur Reformation und zum Reformator überschwemmt werden. Nadja und Claudia Beinert wählten einen sehr interessanten Zugang zu Martin Luther, sie versuchen ihn von Geburt an über sein Elternhaus, vor allem über seine Mutter, Margarethe Luder, und in Romanform erfahrbar zu machen.


    Die Autorinnen lassen Margarethe selbst erzählen, beginnend mit dem Tag der Geburt Martins, allerdings rückblickend und damit eher als allwissenden Erzähler, aber immer noch basierend auf den Emotionen und Gedanken einer Frau jener Zeit. Margarethe stammte aus guten Verhältnissen und machte durch ihre Heirat mit dem Sohn einer, wenn auch wohlhabenden, Bauernfamilie, einen gesellschaftlichen Abstieg. Dass sie überhaupt mit Hans Luder verheiratet wurde, lag aber wohl daran, dass ihr Vater Hans Einiges zutraute, und Hans Luder hat in seinem Leben tatsächlich eine Menge erreicht. Margarethe ist ein Kind ihrer Zeit, was Glauben und Aberglauben anging, aber auch das Unterordnen zunächst dem Vater, später dem Ehemann gegenüber. Trotzdem hatte sie natürlich auch eigene Bedürfnisse, die sie aber größtenteils zurückstecken musste. Die Autorinnen charakterisieren Margarethe als liebevolle Mutter, aber auch hier den Gepflogenheiten ihrer Zeit angepasst. Ihre Liebe zu ihren Kindern wird aber immer wieder greifbar.


    Neben Margarethes Erzählstrang gibt es einen weiteren, der einige Jahrzehnte später einsetzt, Martin hat sich als Kirchenreformer bereits etabliert. Hier ist Lucas Cranach der Ältere Mittelpunkt, erzählt wird aus seiner Sicht, jedoch in der dritten Person. Der Maler war ein guter Freund Martins und ist als Reformationsmaler berühmt geworden. Er hat nicht nur Bilder von Martin, sondern auch Porträts seiner Eltern gemalt, von seinen Sitzungen mit Margarethe erzählt dieser Teil des Romans, wir erfahren Martins Mutter mit Cranachs Augen und erleben mit, wie sie auch sein Denken beeinflusst. Dass das so entstandene Porträt Margarethe Luders, zumindest beim HC, das Cover ziert, ist eines der I-Tüpfelchen, die den Roman zu etwas Besonderem machen, Cover und Roman ( und das einleitende Zitat von Leon Battista Alberti) greifen ineinander – wahrlich perfekt.


    Lucas' Erzählstrang unterbricht Margarethes relativ selten, ein-, höchstens zweimal in jedem der fünf Teile, in die der Roman gegliedert ist, und immer gut zu Margarethes Gedankengängen passend. Mir hat gut gefallen, dass man als Leser Margarethe damit nicht nur als (junge) Mutter, Ehefrau und Mittelpunkt ihrer Familie erleben konnte, sondern auch als alte Frau, von außen gesehen. Mir hat das Porträt auch geholfen, mir Margarethe als Person vorzustellen. Man sieht, wie sie das Leben geprägt hat, man sieht aber auch eine starke Persönlichkeit.


    Der Ansatz, Martin Luther durch seine Mutter zu erfahren, gefällt mir sehr gut, zumal Margarethes Leben interessant ist und dem Leser zusätzlich einen Blick in das Leben der Menschen der damaligen Zeit bietet. Darüberhinaus erfährt man viel über Luthers Heimatstadt Mansfeld, die vom Erzabbau lebte, Martins Vater war Hüttenmeister. Den Beinert-Schwestern gelingt es sehr gut, auch diesen Aspekt anschaulich darzustellen, man kann Mansfeld und die allgegenwärtigen Ascheflocken regelrecht vor sich sehen.


    Wer meine Rezensionen verfolgt, weiß, dass ich mit dem Debüt der Schwestern nicht sehr glücklich war, mittlerweile bin ich froh, dass ich ihnen trotzdem noch eine Chance gab. Mir scheint, die beiden Autorinnen werden mit jedem Roman besser, „Die Mutter des Satans“ ist in meinen Augen ein wahres Lesehighlight, das mich Martin Luther und seiner Familie näher bringt, nebenbei die Gründe für seine Kirchenkritik greifbar macht, Negatives nicht ausblendet, und mich vor allem auch mit dem gesellschaftlichen und religiösen Hintergrund jener Zeit konfrontiert. Zu Fakten und Fiktionen und zu weiteren Hintergründen gibt es ein sehr gutes und ausführliches Nachwort, das man unbedingt lesen sollte. Ein Überblick über die Charaktere, mit Kenntlichmachung historischer Persönlichkeiten, findet sich direkt zu Beginn. Daneben gibt es ein Glossar, drei Fabeln, Fabeln spielen im Roman und in Luthers Leben eine Rolle, sowie einen Brief Luthers an seine Mutter.


    Ich bin begeistert und vergebe gerne volle Punktzahl und eine Leseempfehlung. Wer sich für Martin Luther und die Reformation interessiert, bekommt hier einen etwas anderen Zugang, und wer gerne gut recherchierte historische Romane liest, sollte unbedingt zugreifen. Mich hat der Roman auch nach dem ich ihn zu Ende gelesen hatte, noch weiter beschäftigt und zudem angeregt, mich ein bisschen mehr über seine Hintergründe zu informieren.

  • @Hirilvorgul @Nici's Buchecke @PMelittaM
    Nachdem ihr so übereinstimmend begeistert seid, bin ich wieder ins Wanken gekommen. Eigentlich wollte ich mir das Buch am Dienstag kaufen, habe es dann aber wegen der Kaiserschnittszene (s.o.) doch nicht getan.
    Aber bei drei 5 Sterne Rezensionen komme ich wohl nicht daran vorbei. Ich habe Margarethe gerade aus einer der hiesigen Buchhandlungen abgeholt und hoffe, dass wir Freundinnen werden.


    Nur eine der Buchhandlungen hier hatte es vorrätig :roll: .

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  • Ich habe Margarethe gerade aus einer der hiesigen Buchhandlungen abgeholt und hoffe, dass wir Freundinnen werden.

    Das hoffe ich auch sehr. Es ist immer schwierig, ein Bild, das man sich einmal von einer Figur gemacht hat, zu ändern. Aber ich denke, dass das Buch auch abseits von Margarethe einiges bereithält, das dich gut unterhalten kann.

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  • Während Margarethe dem Maler Lucas Cranach für ein Gemälde Modell sitzt, schweifen ihre Gedanken in die Vergangenheit ab und rekapitulieren über ihre Ehe, ihren Glauben und ihre Kinder, allen voran ihren Sohn Martin. Margarethe Luther, geborene Lindemann aus Eisenach, stammte aus gehobenem Elternhaus, denn ihr Vater gehörte als Jurist dem Rat an. Als sie 1480 mit dem Bergbauern Hans Luder unter ihrem Stand die Ehe eingeht und mit ihm nach Mansfeld zieht, erwartet sie dort ein hartes und entbehrungsreiches Leben. Nicht nur ist ihr Ehemann ein hart arbeitender Hüttenmeister, er führt auch im Hause Luther ein eisernes Regiment und ist gegenüber seiner Frau hart und unerbittlich, was in der damaligen Zeit wohl als normal galt. Margarethe ist sehr mit ihrem Glauben verbunden und findet immer wieder Trost in ihrem Gebet, hält sie doch ihr hartes Leben für ihr Schicksal. Sie muss über die Jahre viele Rückschläge einstecken, von ihren vielen Kindern hat sie einige früh zu Grabe tragen müssen. Aber ihr absoluter Liebling ist und bleibt ihr Sohn Martin, der sich erst einem Jurastudium verschrieb, um dann festzustellen, dass ihm die Kirche doch mehr am Herzen liegt und so zum Mönch wurde, weshalb er sich mit seinem Vater überwarf. Aber Margarethe hielt ständig weiterhin heimlich den Kontakt zu ihrem Sohn. Als Martin erst die Reformation der Kirche ausruft und dann die Pest ausbrach, muss er als Sündenbock für die Plage herhalten. Doch Margarethe kämpft für ihren Sohn, obwohl sie als seine Mutter großen Anfeindungen ausgesetzt ist und nicht alle Ansichten ihres Sohnes teilt.


    Die Autorinnen Claudia und Nadja Beinert haben mit ihrem Buch „Die Mutter des Satans“ einen sehr gut recherchierten historischen Roman vorgelegt, der viel Hintergrundwissen über die Mutter des Reformators Martin Luther bietet und trotz fiktiver Einschlüsse fast wie eine Autobiographie wirkt und eine Frau auferstehen lässt, über die man doch so wenig weiß. Der Schreibstil ist flüssig und schnell findet sich der Leser in einer düsteren vergangenen Zeit wieder, wo die Pest umging, der Aberglaube seinen Höhepunkt hatte und die Frau dem Manne untertan war, sich um Haushalt und die Kindern kümmern musste. Sehr gelungen sind die Verflechtung von belegten Tatsachen der Familie Luther mit dem täglichen mittelalterlichen Leben, den gesellschaftlichen Sitten und Gebräuchen und dem Standesdenken sowie der Rolle der Frau zur damaligen Zeit. Die Handlung wird aus der Sicht von Margarethe erzählt und hat Einschübe, wo auch der Maler Lucas Cranach zu Wort kommt, der mit der Familie Luther bekannt war, diese handeln aber mehr von seiner Malerei.


    Die Charaktere sind sehr lebendig gehalten und wirken absolut authentisch. Margarethe als Erzählerin ist eine gerechte und sehr gläubige Frau. Sie stammt zwar aus einem wohlhabenden Elternhaus, folgt nach ihrer wenig standesgemäßen Heirat aber ihrem Mann in eine Stadt, in der sie sich nie wohlfühlt. Der harte Arbeitsalltag und die vielen Geburten, dazu die Strenge ihres Ehemannes machen aus ihr eine eher nüchterne und gebeugte Frau. Einzig, wenn es um ihre Kinder und besonders um ihren Sohn Martin geht, hat man das Gefühl, als breche die Leidenschaft ein wenig aus ihr hervor. Ehemann Hans ist ein harter und oft unbeherrschter Mann, der Frauen für minderwertig hält, nur für den Haushalt und das Gebären brauchbar. Er ist ehrgeizig und extrem sparsam, doch es gibt Momente, wo er auch eine fast schon liebevolle Seite hat, die sonst nicht zu erkennen ist. Martin hat seinen eigenen Kopf und setzt sich über seinen Vater hinweg. Er ist überzeugend und leidenschaftlich in seinem Tun, die Beziehung zu seiner Mutter ist immer innig und von Liebe geprägt. Auch die Nebenprotagonisten wurden für diesen Roman sehr schön ausgewählt und mit Leben gefüllt.


    „Die Mutter des Satans“ ist ein sehr gut recherchierter historischer Roman mit autobiographischen Zügen, der Margarethe Luther eine Stimme verleiht und dem Leser die Mutter des weltberühmten Reformators Martin Luther näher bringt. Absolute Leseempfehlung für ein wirklich gelungenes Buch!


    Geschichte wird hier lebendig für wunderbare :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
    _____________________________________________


    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • @Hirilvorgul
    Ich habe jetzt die ersten 170 Seiten gelesen, der Erzählstil gefällt mir sehr und ich fühle mich bestens unterhalten, aber ich bin immer noch der Meinung, dass diese Darstellung von Margarethe Luther nur in mancher Hinsicht (Zurückhaltung, Verschlossenheit bei Lucas Cranach) zutreffend und ansonsten zu idealisiert, bzw. "modernisiert" ist. Das bezieht sich nicht nur auf die Kaiserschnittgeburt und das mehrfach überstandene Kindbettfieber, sondern auch auf Margarethes Umgang mit dem Baby Martin. Erstens wäre im 15.Jahrhundert wohl keine Mutter auf die Idee gekommen, ihr Baby über die notwendige Versorgung hinaus morgens im Bett ausgiebig zu beschmusen (das ist ein Phänomen der Neuzeit), zweitens hätte die hart arbeitende Frau wohl gar keine Zeit dafür gehabt, selbst wenn sie es gewollt hätte.
    Da mich die Thematik der Lutherschen Familienatmosphäre immer noch umtreibt, habe ich ein bisschen recherchiert und bin dabei auf Folgendes gestoßen, das eher die Darstellung von Asta Scheib zu stützen scheint:


    Luther spricht in seiner Rückschau davon, dass sich seine Eltern herzlich liebten, den Kindern ein ­gutes Vorbild waren, wenn auch sehr streng. So habe ihn die Mutter einmal um einer Nuss willen so gestäubt, dass das Blut floss. Die strenge Erziehung nennt er u. a. als Grund für seinen Klostereintritt. Auch wenn er den Eltern zugesteht, sie hätten es herzlich gut gemeint, vermisst man in seinen persönlichen Bekenntnissen ein inniges Verhältnis, das über die Sohnespflicht hinausgeht.

    Quelle: Mitteldeutsche Kirchenzeitungen.de



    Ich werde mich wohl noch nach einer Luther-Biographie umsehen müssen.

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  • Ich werde mich wohl noch nach einer Luther-Biographie umsehen müssen.

    Darüber habe ich auch schon nachgedacht.
    Genau werden wir es es aber wohl eh nicht erfahren können, denn im Nachhinein unterliegt alles einer gewissen Interpretation.

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  • Darüber habe ich auch schon nachgedacht.Genau werden wir es es aber wohl eh nicht erfahren können, denn im Nachhinein unterliegt alles einer gewissen Interpretation.

    Ja, das ist klar. Aber ich bin bei historischen Romanen ein richtiger Korinthenkacker und bei einem (gelungenen) Kaiserschnitt im Jahr 1483 klappen mir die Fußnägel hoch. Man kann den Schwestern Beinert für die Zukunft nur "Das Jahrhundert der Chirurgen" von Jürgen Thorwald oder auch den Ackerknecht zur Medizingeschichte empfehlen. :wink:
    Auch wenn sie - wie sie es im Nachwort sagen - das Besondere an der Geburt Martins zum Ausdruck bringen wollen, hätte es dazu keines fiktiven Kaiserschnitts bedurft. Es hätte völlig gereicht, dass Martin einen dicken Kopf hatte und seiner leidgeprüften Mutter in einer ungewöhnlich langen Geburt die Hölle auf Erden bereitet hat. Immerhin hat es Margarethe ja irgendwie zuwege gebracht, ihn zu gebären, selbst wenn sie dabei schon dem "Forstmann" in die Augen gesehen hat...

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