Bruno Preisendörfer - Als unser Deutsch erfunden wurde

  • Über den Autor:
    Bruno Preisendörfer (1957 bei Aschaffenburg geboren) hat Germanistik, Politikwissenschaft und Soziologie studiert und bei verschiedenen Zeitungen gearbeitet. Seit knapp 20 Jahren ist er freischaffender Publizist und Schriftsteller mit eigener Internetzeitschrift (www.fackelkopf.de). Er hat bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht.
    (Quelle: Klappentext / literaturport.de)


    Buchinhalt:
    Martin Luther lag erst ein gutes Jahr in der Wittenberger Schlosskirche im Sarg, als im Frühling 1547 von den Türmen seiner alten Predigtkirche, der Stadtkirche St. Marien, die Aufbauten von den Türmen genommen wurden. Auf die freigemachten Plattformen sollten Kanonen gehievt werden, mit denen man die Landsknechte Karls V. vom Sturm auf die Stadt abhalten wollte. Letztendlich wurde die Stadt friedlich übergeben; Wittenberg wurde nicht geplündert. Luthers Leichnam wurde nicht aus dem Grab geholt und verbrannt, um noch posthum die Reichsacht an ihm zu vollstrecken – obwohl es Stimmen gab, die dies forderten. Die Türme bekamen neue Spitzhelme – und erst ein halbes Jahrtausend später (bei Restaurierungsarbeiten im Jahr 1910) fand man eine von Philipp Melanchthon handschriftlich verfasste Chronik der Zeit – einer Zeit, die bewegter, aber (für Deutschland) auch zukunftsformender kaum hätte sein können.


    Bruno Preisendörfer schaut Luther und vielen seiner Zeitgenossen über die Schulter, wir erleben ihr öffentliches Wirken, aber auch ihren Alltag. Mit Götz von Berlichingen überfallen wir Nürnberger Kauf leute und werden selbst von Nürnbergern belagert. Wir sehen den Fuggern in ihrem Augsburger Kontor auf die Finger und machen uns mit den Welsern bei der Ausbeutung Venezuelas die Hände schmutzig. Albrecht Dürer lernen wir beim Malen kennen, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung – bis wir mit ihr vor der Pest aus Wittenberg fliehen. Wir erleben, wie mühsam die Alltagsverrichtungen sind, vom Zubereiten der Mahlzeiten bis zum Beschaffen der Kleidung. Wir reihen uns in Landsknechte-Haufen ein, proben mit fränkischen und thüringischen Bauern den Aufstand, lauschen brav den Predigern und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht.
    (Quelle: Klappentext)


    Das Buch umfasst 472 Seiten. Der eigentliche Textteil mit 392 Seiten ist unterteilt in die Einleitung und 13 thematisch gegliederte Kapitel. Die 80 Seiten Anhang enthalten Quellen- und Bildrechtenachweise, Literatur- und Quellennachweise (insgesamt 32 Seiten) und dann vielfältige zusätzliche und hilfreiche Informationen über die damalige Sprache und Schimpfwörter, Bündnisse und Institutionen sowie Personen der damaligen Zeit, gebündelt in sog. Gruppenbildern.
    In den Text sind noch zwei Bildteile integriert. Auf den Vorsatzseiten ist ein alter Stich der Stadt Wittenberg abgebildet.


    Meine Meinung:
    Eine Zeitreise in die Vergangenheit ist immer spannend, erwartet den Leser doch stets eine fremde Welt, auch wenn es die unserer Vorfahren ist. In diesem Buch entführt uns der Autor in eine Welt des Umbruchs: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist im Niedergang, das Reich in Kleinststaaten zerrissen, die Menschen mehrheitlich gebeutelt durch Kriege, Hunger, Fron, Seuchen, Abgaben. Der kleine Mann ist unterdrückt und gegängelt in vielfältiger Weise bis er keinen anderen Ausweg mehr weiß als den Aufstand in den Bauernkriegen, aber auch die Reichen unterliegen den verschiedensten Zwängen ihrer Zeit. In diese Zeit fällt dann auch der große Bruch der katholischen Kirche, die Reformation mit all ihren kleinen und großen Folgen für die Menschen damals wie heute.


    Bruno Preisendörfer nimmt den Leser bei dieser Zeitreise an die Hand und führt ihn vom Großen ins Kleine, indem er zunächst einen Überblick über die großen Gegebenheiten gibt und dann thematisch immer mehr ins Detail geht – von der Weltlage über die Herren und Geldleute, das Leben in Stadt, Burg und Land, Handwerk und Bauern bis hin zu einzelnen Aspekten des Lebens wie Glauben, Haushalt, Ernährung, Kleidung, Familie, Gesundheit und abschließend Alter und Tod. Dabei bilden die Figur Luthers sowie die Städte Nürnberg und Wittenberg die Eckpunkte, um die sich vieles dreht, was neben dem diesjährigen 500. Jahrestag der Reformation an der sehr guten Quellenlage liegen könnte. Durch diese Konzentration ist es dem Autor möglich, wirklich vom Großen ins Kleine hinein gute Einblicke in das Leben der damaligen Zeit zu geben und mit diversen Vorurteilen und Vorstellungen aufzuräumen oder sie auch zu bestätigen, je nach Vorwissen des Lesers. Der Figur Luthers wird dabei natürlich besondere Aufmerksamkeit zuteil und wir lernen einen durchaus zwiespältigen Menschen kennen: auf der einen Seite tief verwurzelt in den Vorstellungen seiner Zeit, auf der anderen sehr fortschrittlich und auch pragmatisch denkend, der aber genauso bereit war, aus politischem Kalkül seine Ideale hintenan zu stellen und den Machthabern zu Gefallen zu sein. Er wird von vielen Seiten beleuchtet, kommt nicht immer gut weg, aber auch seine überraschend menschlichen Züge werden nicht verschwiegen. Damit lädt der Autor durchaus ein, sich näher mit Luther zu beschäftigen.


    Die Informationsfülle ist groß, besonders in den ersten Kapiteln, aber der leichte und manchmal fast flapsige Stil Preisendörfers mit teils witzigen Vergleiche machen das Lesen leicht und auch spannend. Es ist ja auch nicht einfach, eine derart turbulente Umbruchszeit auf knapp 400 Seiten dem Leser näher zu bringen. Allerdings greift der Autor, besonders bei den Kapiteln über das alltägliche Leben, auch auf überlieferte Texte der Zeit zurück und zitiert diese, was manchmal beim Lesen Schwierigkeiten bereiten kann. Aber für mich tut das der Qualität des Buches, inhaltlich wie sprachlich, keinen Abbruch.


    Mein Fazit:
    Ein wunderbares Buch für den Einstieg in eine spannende Zeit europäischer Geschichte, aber auch Leser mit Hintergrundwissen kommen auf ihre Kosten. Ich kann es wirklich nur jedem empfehlen, der sich einmal näher mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschäftigen möchte.

  • Worum es geht
    Bruno Preisendörfer nimmt seine Leser mit auf eine interessante Reise in die Lutherzeit, als die Neuzeit noch jung war, und das Mittelalter immer noch seine langen Schatten warf.
    Es ist aber weniger der beginnende Umbruch der gesellschaftlichen Ordnung, der dem Zeitreisenden vor Augen geführt wird, es ist vielmehr ein kaleidoskopischer Blick auf die Lebensverhältnisse jener fernen Vergangenheit. Eindrucksvoll weiß der Autor von allen Ständen zu berichten, angefangen vom mobilen Kaiser, der mit seinem Tross durch die Lande zog, vom aussterbenden Ritterstand, von einer sagenhaft reichen Kaufmannsschicht, die alte Patrizierfamilien zunehmend unter Druck setzte, bis zu schlagkräftigen Studenten, aufrührerischen Bauern und einer neuen, aber immer noch sehr grausamen Gerichtsbarkeit.
    In jedem Kapitel begegnet der Leser aber auch dem wortgewaltigen Reformator Martin Luther (1483 - 1546), und lauscht teils fasziniert, teils irritiert seiner derben Wortwahl im fremd anmutenden Frühneuhochdeutsch.


    Wie es mir gefallen hat
    Besonders interessant finde ich die thematische Aufbereitung des Buches, in dem nicht chronologisch über die großen historischen Ereignisse der Zeit berichtet, sondern der von der Endzeitstimmung beherrschte Alltag in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird. Wie lebte es sich als Handwerker in der Stadt oder als Bauer auf dem Land? Wie funktionierte die Nahrungsversorgung der Bevölkerung? Was kam auf den Tisch der Armen und Reichen als es weder Kartoffeln noch Tomaten gab? Was trugen die Menschen auf dem Leib, welchen Wert hatte die Kleidung, und wie wurde sie gepflegt?
    Mit unserem kompetenten Führer besuchen wir die Wohn- Schlaf- und Badestube reicher Bürgerhäuser, erfahren, was Küche und Keller zu bieten hatten, und dürfen sogar einen Blick in die sorgsam gehütete Truhe der Hausfrau werfen.
    Bruno Preisendörfer berichtet aber auch sehr lebendig und anschaulich vom Ehestand, von der Kindererziehung, von Geburtsnöten und Krankheiten, von Badehäusern und Balbierern, von Huren, Kloaken und Läusen, von Alter, Tod und Auferstehung, kurz, vom Leben in seiner ganzen Vielfalt.
    Es gibt kaum einen Bereich des Daseins, der nicht zur Sprache kommt, und zu jedem hat auch Martin Luther etwas beizutragen. Dass er sich in seinen Predigten, Tischreden und Briefen eines rüden Umgangstons bediente, wäre noch das geringere Übel; manche seiner Aussagen sind für den modernen Leser mehr als fragwürdig, und können nur unter Berücksichtigung jenes fernen Zeitgeistes zur Kenntnis genommen, schwerlich aber akzeptiert oder gar verstanden werden. Dennoch ist der Reformator als Mensch des Mittelalters an der Schwelle zur Neuzeit eine interessante Persönlichkeit, der näher zu kommen sich gewiss lohnt.
    Die Lutherzeit war, das führt uns unser Reiseführer immer wieder deutlich vor Augen, eine blutige und brutale Epoche, dominiert von Kriegszügen, inneren Unruhen, Hungersnöten und Seuchen. Im leichten Plauderton geleitet der Autor seine Leser durch diese fremd anmutende Welt unserer Vorfahren, und vermag zudem durch Belesenheit und reiches Detailwissen zu begeistern. Zeitzeugen lässt er so oft wie möglich selber das Wort ergreifen, und räumt auch mit manchem Vorurteil auf, etwa dem, dass Luther den Leuten für seine Bibelübersetzung aufs Maul schaute. Der Hinweis, der Zeitreisende müsse die Vergangenheit so betrachten, als läge sie noch in der Zukunft, ist ein für diese Lektüre sicher sehr hilfreicher Ratschlag.
    Mir hat Bruno Preisendörfers informatives und auch illustratorisch schön gestaltetes Buch mit seinem umfassenden Anhang sehr gut gefallen, vermag es uns die Zeit vor 500 Jahren doch äußerst eindrucksvoll und anschaulich nahe zu bringen.
    Einzig das Zitieren vieler Schriftstücke im heute schwer verständlichen Frühneuhochdeutsch hat meinen Lesefluss etwas gehemmt, konnte meiner Begeisterung aber keinen Abbruch tun. Für so viel kompakte und gut aufbereitete Wissensvermittlung kann es natürlich nur die volle Punktezahl geben.

  • Da es hier schon zwei so schöne Rezensionen gibt, gebe ich einfach meiner Faulheit nach, verzichte auf eine "ordentliche" Rezension und kopiere einfach meinen Kommentar aus dem Leserundenthread hier herüber, da ich zumindest eine Leseempfehlung für dieses gut gegliederte, gut recherchierte und locker geschriebene Buch abgeben möchte:
    Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen, den Anhang habe ich jedoch wegen der dort extrem kleinen Schrift kaum genutzt. Selbst die Lektüre des Haupttextes gestaltet(e) sich für mich anstrengend, was teilweise der ebenfalls relativ kleinen Schrift, aber auch den ausführlichen Passagen im Deutsch der Lutherzeit anzulasten ist. Nach diesen ganzen Zitaten ist es ein Wunder, dass ich die Rechtschreibung noch halbwegs beherrsche.
    Als Leser von gut recherchierten historischen Romanen war mir vieles schon bekannt, dennoch habe ich das Buch gern gelesen. Luther nahm glücklicherweise keinen übertrieben großen Raum ein. Immerhin konnte ich verifizieren, dass der kürzlich von mir gelesene Roman "Sturm in den Himmel" von Asta Scheib offenbar viele historisch überlieferte Details eingeflochten hat, so z.B. die Tatsache, dass der arme Luther wegen seines "Nussdiebstahls" aus der heimischen Speisekammer von seiner Mutter unbarmherzig bis auf´s Blut geprügelt wurde.
    Ich vergebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: (einen halben Stern Abzug für die manchmal zu ausufernden Passagen im altertümlichen Deutsch) und eine Leseempfehlung an Alle, die Zeit, Ruhe und eine gute Lesebrille (oder Adleraugen) haben.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Meine Meinung:


    Nachdem es hier so schöne Rezensionen gibt, hier meine Meinung über das Buch, welches ich in einer sehr schönen Leserunde gelesen habe. Das Buch hat mir sehr gut gefallen, bis auf die doch relativ häufigen Passagen des altertümlichen Deutsch (da bin ich mit @€nigma einer Meinung). Ansonsten musste ich, die vielen Informationen ordnen, was aber auch gut gelang, weil es nicht nur um Martin Luther geht, sondern allgemein um die Lebensverhältnisse zu dieser Zeit, da flossen viele Informationen in mein Kopf, aber mein Kopf saugte das Wissen auch mit Interesse auf. Es ist aller Wahrscheinlichkeit nach aber auch was anderes solch ein Buch in einer Leserunde zu lesen und zu diskutieren, als wenn man das Buch in einer Schule lesen muss und mit ganz anderen Dingen sich beschäftigt. Ich denke, mein Interesse an weiteren Sachbüchern ist gegeben und ich freue mich auch weitere zu lesen. Der Autor hat das Buch sehr gut geschrieben (bis auf besagte Passagen) und ich habe auch Interesse an seinem anderen Werk "Als Deutschland noch nicht Deutschland war", welches er zuvor schon geschrieben hatte und im März 2017 als Taschenbuch erscheint.


    Fazit:


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: 13 Gebote (Mortimer Müller) 274 / 426 Seiten

    :study: Einfach Mensch sein (Sy Montgomery) 0 / 208 Seiten


    SUB: 857

  • Danke für Eure tollen Rezis und Kommentare!


    Natürlich verbindet man die Ausarbeitung der deutschen Sprache mit Luther und seiner famosen Übersetzung. Nun vermisse ich zur Erklärung des Titels und diesem konkreten Thema dennoch hier noch weitergehende Hinweise. Gibt es solche?

  • Nun vermisse ich zur Erklärung des Titels und diesem konkreten Thema dennoch hier noch weitergehende Hinweise. Gibt es solche?

    Das haben wir doch alle miteinander glatt vergessen. :-?
    Es gab damals jede Menge deutsche Dialekte, während Bücher und offizielle Schriften (auch die der Kirche) in der lateinischen Sprache verfasst waren. Ein einheitliches Deutsch gab es noch nicht.
    Mit Martin Luther und seiner Bibelübersetzung wurde das Neuhochdeutsche allmählich auch zur Schriftsprache, und ist somit Grundlage für das Deutsch, das wir heute sprechen. Luther orientierte sich bei seiner Übersetzungsarbeit an der Meißner Kanzleisprache, an keinem der zahlreichen anderen Dialekte, und schaute dem Volk auch nicht aufs Maul, wie häufig geglaubt wird.
    So wurde uns das von unserem Herrn Preisendörfer erklärt, und ich hoffe, Du bist mit der Erklärung zufrieden, lieber tom.

  • Mit Martin Luther und seiner Bibelübersetzung wurde das Neuhochdeutsche allmählich auch zur Schriftsprache, und ist somit Grundlage für das Deutsch, das wir heute sprechen. Luther orientierte sich bei seiner Übersetzungsarbeit an der Meißner Kanzleisprache, an keinem der zahlreichen anderen Dialekte, und schaute dem Volk auch nicht aufs Maul, wie häufig geglaubt wird.

    vielleicht noch als Zusatz: Luther war es bei seiner Bibelübersetzung wichtig, das möglichst viele Menschen in Deutschland diese Übersetzung lesen können. Das gab für ihn den Ausschlag, auf die Kanzleisprache zurückzugreifen. Hat nicht Preisendörfer sinngemäß gesagt, Luther habe den Menschen nicht aufs Maul, sondern aufs Ohr geschaut? :-k

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Autor: Bruno Preisendörfer
    Titel: Als unser Deutsch erfunden wurde
    Seiten: 472
    ISBN: 978-3-86971-126-3
    Verlag: Galiani Berlin


    Autor:
    Bruno Preisendörfer wurde 1957 in Kleinostheim/Unterfranken geboren und ist ein deutswcher Schriftsteller für Sachbücher und Belletristik. Nach der Schule und verschiedenen Stationen in Süddeutschland arbeitete er zunächst als Angestellter in einem Obdachlosenheim. Anschließend studierte er Germanistik, Politikwissenschaften und Soziologie. 1982 zog er nach Berlin, wo er das Studiom abschloss. 1997 promovierte er. Von 1987 bis 1997 arbeitete er in verschiedenen Ressorts eines Zeitungsmagazins, nevor er 1995 redaktionsleiter wurde. Als Redakteur arbeitete er zudem für die Zeitschrift "Freibeuter". Heute arbeitet er vor allem als freier Schriftsteller. Der Autor ist mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit den NDR Kultur-Sachbuch-Preis, 2016.


    Inhalt:
    Martin Luther hat mit seinen Wirken das Leben und denken, nicht zuletzt das religiöse Denken der Deutschen nachhaltig geprägt. Wie aber lebten der Prediger und seine Zeitgenossen, damals im 16. Jahrhundert? Wir schauen Handwerkern und Händlern über ihre Schultern, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung. Wir erleben Dürer beim Malen und die Fugger beim Wirtschaften. Vom Aufwachsen in der Lutherzeit bishin zur Beisetzung erleben wir den Alltag unserer Vorfahren und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht. Eine Reise in unsere Geschichte. (eigene Inhaltsangabe)


    Rezension:
    Vor allem für die jenigen, die glauben, dürfte einer der größten Deutschen kein Geringerer als Martin Luther sein. Der Württemberger Prediger, der das wuchernde und korrupte katholische Glaubenssystem in Frage stellte und damit einen ungeher großen Stein ins Rollen brachte, vermag uns heute noch zu faszinieren. Doch, wer war der Mann, dessen Wirken erst 2017 im großen Jubiläum Tribut gezollt wurde? Welche Veränderung brachte der Reformator in das Denken der Menschen, wie genau prägte er den künftigen komplizierten Glaubensmechanismus, der fortan das Leben im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bestimmen sollte?


    Wie lebten er und seine zeitgenossen, von Dürer bishin zu den umtriebigen Fuggern? Was aßen sie, auf welchen Stand waren Bildung oder gar die Medizin, in einer Zeit, in der die Pest wütete und Frauen haufenweise auf die Scheiterhaufen landeten? Wie wuchsen Kinder auf, wie unterschied sich das Leben von Bauern und Städtern, vom Erbadel bishin zu durch neue Wirtschaftszweige gewordenen Neureichen? Bruno Preisendörfer nimmt seine Leser mit, auf eine Zeitreise, in ein Jahrhundert, welches die Deutschen, die noch gar keine waren, nachhaltig prägen sollte.


    Es ist ungemein schwer, ein Sachbuch zu bewerten, welches in seiner Thematik gut recherchiert wurde, dessen Funke aber nicht überspringen möchte. "Als unser Deutsch erfunden wurde", wirkt wie ein Pädagoge, der zwar fachlich versiert ist, alleine keine Begeisterung entfachen kann, einen Sachverhalt so zu vermitteln, dass man auch gewillt ist, mehr zu erfahren. Zitate von Gedichten etwa, werden nur schwer lesbar im Fließtext untergebracht, welches weder den Augen förderlich ist, noch dem Verständnis. Absätze und eine Schreibweise, eben in Gedichtform, Zeile für Zeile, hätten hier gut getan. Auch das Einfädeln der Personenbiografien, die an das Werk selbst hintenan gestellt wurden, hätte den Erläuterung der Themen gut getan. Auch die breitere Fächerung des Inhalts ist hier nicht förderlich. Der Leser schweift ab, überfliegt, um zur nächsten interessanten Stelle zu gelangen, von denen es gleich wohl viele gibt.


    Den Vorsatz, einen Zeitrahmen von nahezu einem Jahrhundert und einem Stückchen mehr zu umfassen, versucht Preisendörfer redlich. Fachlich ist ihm das einigermaßen gelungen. Tatsächlich lässt die Grobheit eines Gesamtüberblicks die Detailliertheit vermissen, die die Konzentration auf einzelne Themen, eines Ausschnitts aus dieser Zeit, hätte bewirken können. Die gleiche Schwäche, wie beim Vorgänger, der thematisch in die Nachfolgezeit einzuordnen ist. Ein paar Seiten mehr, die Einwebung der hintenangestellten Biografien und eine verlegerische Entscheidung, Reime nicht als Fließtext unterzubringen, hätten hier geholfen. So aber bleibt der Eindruck eines Geschichtsbuches, welches die faszination für Luther und seine Zeitgenossen zwar versucht, zu erläutern, es aber nach dem Schließen des Buchdeckels nicht zu halten vermag.

  • dessen Funke aber nicht überspringen möchte.

    Das versteh ich gut, weil es mir ganz oft so ergeht. Bei diesem Buch war das zwar nicht der Fall, aber sonst widerfährt es mir laufend.

    Einzig das Zitieren vieler Schriftstücke im heute schwer verständlichen Frühneuhochdeutsch hat meinen Lesefluss etwas gehemmt

    Ja, das war auch mein "casus knacksus". Vielleicht wollte Bruno Preisendörfer dadurch mehr Nähe zur Lebenswelt des Martin Luther erreichen, dessen heutiges Bild ja sehr von den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts geprägt ist. Bei mir hat die Methode leider auch nicht funktioniert.