Charles Dickens - Große Erwartungen (Start 04.02.2017)

  • Seid noch da oder seid Ihr alle aus der Runde ausgestiegen?

    Bin auch noch da, nur aufgrund einer bösen Erkältung etwas angeschlagen. Den Roman habe ich gestern beendet und werde auch versuchen noch etwas
    dazu zu schreiben. Auf jeden Fall ist >Great Expectarions< jetzt direkt gleichauf mit meinem Lieblingsroman von Dickens >A Tale of Two Cities<.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Seid noch da oder seid Ihr alle aus der Runde ausgestiegen? :ergeben:

    Ich bin auch noch da :ergeben: Bei uns war recht viel los gewesen und ich konnte noch nicht einmal in Ruhe ins Internet gehen. Ich werde mich auf jeden Fall noch ausführlicher melden.


    nur aufgrund einer bösen Erkältung etwas angeschlagen

    Gute Besserung!

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Morgen werde ich es schaffen auf eure Kommentare näher einzugehen. Bis eben hatte ich noch die Reste von einer Kiefer aus unserem Garten rausgeholt (längere Geschichte :roll: ).


    Wie weit seid ihr eigentlich alle? Ich traue mich sonst fast nichts zu schreiben, aus lauter Angst irgendjemand zu spoilern.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Oh Mann ich hab gerade von MEINEM Kiefer gelesen :shock::shock::shock:#-o

    ging mir auch so :lol:


    hach, ich fühl mich schon gleich nicht mehr so alleine hier im Thread O:-)@taliesin Gute Besserung :friends: ich war auch etwas angeschlagen die letzten Tage, aber Viren kommen bei mir nie durch :rambo:

  • Ich bin gerade dabei eure Beiträge nachzulesen und hänge gerade zwar noch auf Seite 13, aber ich muss jetzt erstmal zu den gesammelten Zitaten was schreiben, sonst vergesse ich wieder die Hälfte. Generell muss ich es mir bei einer Leserunde mal angewöhnen, mir irgendwo Notizen während des Lesens Notizen zu machen. Gerade wenn ich mal hinterher hänge, wäre das praktisch. Dann lese ich nämlich meistens erstmal für mich und hole, so wie gerade, hier im Forum dann mehrere Seiten nach. Sich dann an die einzelnen Kapitel im Detail zu erinnern, ist dann eigentlich nur noch begrenzt möglich.

    Das wirkt schon fast ein wenig schizophren aber ich mag Wemmick mit seinen leicht verschrobenen Einstellungen im Privaten, seiner direkten Art, seinem liebenswürdigen Umgang mit allen Menschen gleich welcher Abkunft.

    Ich mag Wemmick auch sehr gern. Ich fand das war eine große Überraschung, wie sich sein Charakter letztendlich entpuppt hat. Beim ersten Auftreten, hatte ich ihn nur als einen Handlanger Jaggers auf dem Schirm.

    Ich auch! Entweder ist sie völlig naiv oder Dickens setzt einen Gegenpool zu Herbert und sie ist der Typ Mensch, der das Leben tatkräftig anpackt und ihm entsprechend hilft.

    Ich bin ja schon fertig mit lesen und wenn ich mich jetzt richtig an sie erinnere, dann trifft das mit dem Gegenpool ganz gut zu.

    Ich stelle mir eine re-read von diesem Buch sehr spannend vor. Wenn man das Ende kennt und die eine oder andere Andeutung -mit diesem Hintergrundwissen- ganz anders einordnen kann.

    Ich hab mir das eigentlich auch schon vorgenommen. Möglicherweise dann auf deutsch. Wäre mal interessant zu sehen, was ich alles im Original übersehen habe.

    Dieser Gedanke kam mir auch. Was lernt Pip eigentlich bei Herberts Vater? Holt er da eine Art Schulbildung nach? So langsam müsste er doch einen Beruf erlernen. Da ist ihm Biddy um Meilen wieder voraus.

    Die Frage, was Pip eigentlich alles lernt, stelle ich mir schon von Anfang an. Interessant finde ich wirklich die hier vorherrschende Definition eines "Gentlemans". Quasi jemand, der gebildet ist, aber nichts tut, außer nicht selbst verdientes Geld zu verprassen. Wobei gebildet wahrscheinlich nur heißt, dass derjenige den Zugang zu Literatur hat und daher etwas belesen ist. Etwas wirkliches gelernt muss man nicht haben. Wahrscheinlich wäre das auch schon verkehrt, weil man dann wieder "gewöhnlich" wäre.

    Ich hab ja sogar die Spinnentorte überlesen (was jetzt allerdings auch nicht so schlimm war )

    :pale: Musst du mich daran erinnern?

    Aber Miss H. tritt nicht so offen auf in ihrer Beziehung zu Pip. Seinen Aufenthalt bei den Pockets hat Jaggers in die Wege geleitet. Nur die entfernten Verwandten wie Camilla wissen, dass Pip auch schon als Kind im Haus Satis war und da ist er ja nicht grad positiv aufgefallen. Warum sollten sie ihn als potentielle Erbschaftskonkurrenz ansehen?

    Ich bezieh mich jetzt auch nur auf Camilla & Co.: Miss Havisham tritt zwar nicht offen auf, aber die Verwandten wissen ja von Pips ursprünglicher Herkunft und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit in deren Augen, dass sich für Pip ein anderer Gönner als Miss Havisham gefunden hat? Daher ist sie ja auch für Pip die nächst liegende Lösung. Aus der Sicht von Camilla & Co. muss Pip wirklich als Konkurrenz gesehen werden, denke ich.

    Das sie Miss H nicht mit Zärtlichkeit und Liebe begegnen kann, wen wunderts. Und sie erklärt sich Miss H sehr deutlich. Ein phantastischer Dialog entbrennt. Ganz großes Erzählkino Estella hat ihre Lektion gelernt und zwar viel besser wie von Miss H beabsichtigt. Wenn man ein wenig mit dem Gedanken spielen darf, die Erwartungen von Miss H Estella gegenüber hätten sich da wohl nicht ganz so entwickelt wie gewünscht.


    Und letztendlich trifft es Miss H tief. Alle Pläne, alle Wünsche, alle Vorstellungen sind mit einem großen "Puff" geplatzt. Sie hatte wirklich geglaubt, dass sie Estella so behandeln konnte, so erziehen konnte, ein derartigen Weltbild vermitteln konnte, ohne das es Konsequenzen gäbe. Konsequenzen die sie selbst betrifft.

    Du triffst es auf den Punkt. :thumleft:

    Und trotzdem schafft sie es wieder, mich mit ihrer Ehrlichkeit Pip gegenüber zu verblüffen. Er ist der einzige, den sie (zumindest laut ihrer Aussage und ich glaube ihr das sogar) weder täuscht noch umgarnt. Ich frage mich gerade, warum eigentlich ausgerechnet Pip?

    Ich habe da bei Estella das Gefühl, dass sie in Pip den einzigen sieht, der weiß wieso sie so ist wie sie ist. Beide kennen sich von klein auf und auch Pip wurde von Miss Havisham schon als Kind stark beeinflusst. Jetzt wo Estella erwachsen ist, hatte ich das Gefühl, dass sie versucht sich weniger von Miss Havisham manipulieren zu lassen. Auch wenn sie insgesamt das tut, was Miss Havisham von ihr erwartet, bei Miss Havishams Plänen um Pip scheint es ihr zu weit zu gehen. Ich vermute das liegt daran, weil sie eben weiß, wie es ist von Miss Havisham von klein auf manipuliert zu werden. Estella und Pip sitzen da irgendwie im selben Boot.



    Die nächsten Seiten werde ich später noch angehen, jetzt muss ich erstmal zum Sport. Nur noch kurz: Insgesamt fand ich es wieder überragend, wie sich im letzten Teil eines Dickens Roman die Ereignisse überschlagen können. Wo man am Anfang von Band 2 noch dachte: "Jetzt wird's ruhiger.", konnte man das in Band 3 wirklich nicht mehr sagen.

    "I see you laugh. Very well, for simplicity’s sake, let us assume I am the center of creation. In doing this, let us pass over innumerable boring stories: the rise and fall of empires, sagas of heroism, ballads of tragic love. Let us hurry forward to the only tale of any real importance." His smile broadened. "Mine." (Kvothe in The Name of the Wind)

    2019: :study: 11 Bücher mit 3.997 Seiten

    :musik:12 Hörbücher mit 18.360 Minuten

  • Musst du mich daran erinnern?

    An was? An die Spinnentorte? Die Torte mit den Spinnen? Oder das Krabbelgetier in, an und um der Torte? :-k
    (falls es dich beruhigt, beim Schreiben läuft mir gerade auch ein Schauder über den Rücken :pale:
    und ich konnte dennoch nicht widerstehen :twisted: )

    Ich hab mir das eigentlich auch schon vorgenommen. Möglicherweise dann auf deutsch. Wäre mal interessant zu sehen, was ich alles im Original übersehen habe.

    Bin dabei :totlach::ergeben:

  • Ein wenig konnte ich jetzt noch weiterlesen.

    ie ich oben ja schon geschrieben habe, ist mein Bild von Estella ein etwas anderes als Eures. Das mag wohl in meiner Person und meinen Erfahrungen aus dem gleichen Lebensalter herrühren, das Estella grade hat (aber ob ich damit richtig liege, wissen wir erst am Ende des Buches). Für mich ist Estella grade in dem Prozess, sich von Miss H zu lösen, zu emanzipieren. Wo sie in Frankreich war, welche Erfahrungen sie dort gemacht hat, wissen wir nicht. Wir sehen nur das Jetzt - Estella befindet sich im Alltag außerhalb von Miss H Einfluss und löst sich gerade, distanziert sich mit jedem Tag mehr von der Frau, die sie zu dem machte, was sie ist. Noch ist dieser Prozess nicht vollständig vollzogen - sie schreibt noch immer jeden Abend einen Brief - aber sie hat schon ein gutes Stück geschafft. Eine solche Erziehung, wie sie sie erleiden musste, schüttelt niemand über Nacht ab, das dauert. Noch dazu zu der damaligen Zeit, in der Frauen viel weniger Freiheit, Rechte, Möglichkeiten und eben auch Eigenständigkeit hatten als wir heute. Und finanziell ist Estella noch von Miss H abhängig.
    Ich empfinde Estella nicht als bösartiger als früher und ich glaube tatsächlich nicht, dass sie hasst. Sie schlägt allerdings momentan um sich - blind ihrer Erziehung folgend, was die Männer anbelangt, mit kühlem Kopf jedoch Miss H gegenüber. Ja, sie präsentiert ihr die Rechnung, kalt und hochmütig - aber für mein Gefühl nicht hasserfüllt, dazu ist sie emotional noch nicht in der Lage, sie weiß ja kaum, was Gefühle sind. Aber ich glaube, dass Hass noch kommen kann.

    Du bist aber nicht ganz alleine damit, ich sehe das im Prinzip genauso wie du.

    Musstet ihr auch so über Mr. Wemmick grinsen, als er immer wieder Miss Skiffin umarmen will?

    Oh ja. :loool:

    Magwitch selbst verlangt von Pip aber eigentlich nur, dass er sich wie ein Gentleman benimmt, französisch parliert und das Geld ausgibt.

    Da musste ich echt die Augen verdrehen, aber auch lachen. Da lässt sich jemand was auf einer Sprache, die er nicht versteht vorlesen. Aber irgendwie machte gerade das die Szene echt großartig.

    Pip kommt aus dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit gar nicht mehr raus und durchlebt ein regelrechtes Gefühlschaos - er ist angewidert von dem Mann, fürchtet sich vor ihm mit seiner rohen Art, hat gleichzeitig Angst um ihn, schämt sich wegen seines Benehmes Joe und Biddy gegenüber und sein Kartenhaus in Bezug auf Miss H als heimliche Gönnerin und Estella fällt in sich zusammen. Ganz schön viel zu knabbern für ihn.

    Ein wenig zu spät, diese Erkenntnis, aber können wir Pip dafür verurteilen? Ich denke, es passiert schon sehr oft, dass Menschen ihre Vergangenheit und die Menschen
    die diese Vergangenheit gestaltet und gefördert haben im Nachhinein vergessen oder gar verleugnen. Das bleibt immer aktuell, auch wenn es ein zweifelhaftes Licht auf das
    menschliche Wesen wirft.

    Als sich die Frage nach Pips Gönner geklärt hat, war ich zunächst hin und hergerissen. Zum einen dachte ich mir, Pip wirkt echt undankbar, aber zum anderen konnte ich seine Emotionen irgendwie auch verstehen. Sein Gedankenkonstrukt um eine mögliche Zukunft mit seiner geliebten Estella stürzt in sich zusammen. Zudem die wieder aufkommenden negativen Emotionen aus seiner Kindheit. Pip merkt hier auf einmal, dass man sich abhängig von der Person macht, die einen aushält und dass das nicht immer positiv sein muss. Solange er noch dachte, dass es sich bei der Person um Miss Havisham handelte, hatte er kein Problem mit dem Arrangement, schließlich wären mögliche Zukunftspläne auch in seinem Interesse gewesen. Jetzt muss er sehen, dass er all die Jahre falsch gelegen hat und sieht sich auf einmal in einer Situation, in der er sich völlig neue Gedanken darüber machen muss, bezüglich dem Plan seines Gönners für ihn und dass ihm dieser Plan möglicherweise gar nicht so zusagt. Aber jetzt hängt er schon mittendrin.


    So, ich springe jetzt ins Bett. Ich hoffe meine Gedanken sind nicht allzu wirr und nachvollziehbar, ich bin etwas müde. Ist ja auch schon spät. :)

    "I see you laugh. Very well, for simplicity’s sake, let us assume I am the center of creation. In doing this, let us pass over innumerable boring stories: the rise and fall of empires, sagas of heroism, ballads of tragic love. Let us hurry forward to the only tale of any real importance." His smile broadened. "Mine." (Kvothe in The Name of the Wind)

    2019: :study: 11 Bücher mit 3.997 Seiten

    :musik:12 Hörbücher mit 18.360 Minuten

  • ging mir auch so :lol:

    Ihr seid ja klasse!!! :totlach::totlach::totlach:Mein Kiefer war zwar runtergesackt, als ich das erste Mal die Bescherung sah, als ein riesen Ast von der Kiefer auf unser Metallzaun gefallen war (und ihn an der Stelle locker zusammengedrückt hatte), aber aufsammeln musste ich ihn (meinen Kiefer) dann doch nicht :lol: Gestern wurde die Kiefer (die ist ziemlich hinüber gewesen) dann gefällt und ich habe nur noch ein paar kleinere rübergefallene Äste aufgehoben.




    Insgesamt fand ich es wieder überragend, wie sich im letzten Teil eines Dickens Roman die Ereignisse überschlagen können. Wo man am Anfang von Band 2 noch dachte: "Jetzt wird's ruhiger.", konnte man das in Band 3 wirklich nicht mehr sagen.

    Oh ja! Das ging wirklich turbulent zu und die Ereignisse haben sich ganz schon überschlagen.


    Als sich die Frage nach Pips Gönner geklärt hat, war ich zunächst hin und hergerissen. Zum einen dachte ich mir, Pip wirkt echt undankbar, aber zum anderen konnte ich seine Emotionen irgendwie auch verstehen. Sein Gedankenkonstrukt um eine mögliche Zukunft mit seiner geliebten Estella stürzt in sich zusammen. Zudem die wieder aufkommenden negativen Emotionen aus seiner Kindheit. Pip merkt hier auf einmal, dass man sich abhängig von der Person macht, die einen aushält und dass das nicht immer positiv sein muss. Solange er noch dachte, dass es sich bei der Person um Miss Havisham handelte, hatte er kein Problem mit dem Arrangement, schließlich wären mögliche Zukunftspläne auch in seinem Interesse gewesen. Jetzt muss er sehen, dass er all die Jahre falsch gelegen hat und sieht sich auf einmal in einer Situation, in der er sich völlig neue Gedanken darüber machen muss, bezüglich dem Plan seines Gönners für ihn und dass ihm dieser Plan möglicherweise gar nicht so zusagt. Aber jetzt hängt er schon mittendrin.

    Sehe ich auch so. Da war sein ganzer Gedankenkonstrukt in sich zusammengefallen.


    Ich fand übrigens auch eure Gedanken zu Estella sehr hilfreich! So wurde sie dann nicht mehr ganz so biestig in meiner Vorstellung.



    Hier mal meine ersten Gedanken zu dem was noch alles passiert war und mir besonders im Gedächtnis geblieben war. Das wird jetzt ziemlich durcheinander, aber ich hoffe ihr blickt halbwegs durch:


    Sehr interessant war es wie sich Pips Einstellung zu seinem Gönner geändert hatte und er gegen Schluss sogar ständig seine Hand gehalten hatte. Es war sehr berührend gewesen zu lesen, wie sehr sich Pip um Magwitch kümmerte und sorgte. Gegen Schluss hatte ich ziemlich viel in meinen Augen gehabt. Sterbeszenen halte ich sehr schlecht aus :cry:
    Und so wie sich seine Einstellung zu Magwitch geändert hatte, so änderte sich seine Einstellung zum Geld. Gegen Schluss zu verdient er es sich sogar bei seinem Freund Herbert.
    Da hatte sich Pips Erwartungen übertroffen. Dachte er erst am Anfang, dass Herbert geschäftlich nichts durchziehen würde, hatte er die Erkenntnis gehabt, dass er -Pip- es selbst ist, der nichts durchziehen konnte. Und mit Herberts Hilfe tritt er als Angestellter in der Firma ein und verdient sein Geld selbst.



    Jetzt weiß ich auch, wieso Wemmick so darauf bestanden hatte, den "beweglichen" Besitz von Magwitch zu sichern. Das hatte etwas mit dem damaligen Gesetz, dass der Besitz vom Gericht beschlagnahmt werden konnte, zu tun und macht im Rückblick gesehen Sinn.



    Jaggers bleibt für mich der Pontius Pilatus. Wenn er sich auch in seinem Amt als Anwalt bewegt. Ich glaube fast schon, dass Dickens keine Anwälte mag und das er sie deshalb immer sehr kritisch darstellt.(Oder gab es mal einen Anwalt, den er positiv darstellte? :-k ) Immerhin hatte er eine Zeitlang das Treiben auf einem Gericht beobachten können. Wobei ich auch hier über ein Hauch von Menschlichkeit bei Jaggers überrascht wurde. Was er über Estella (Dritter Band, Kapitel XII - Kapitel 51) gesagt hatte, war für diese Zeit sehr folgerichtig. Im Anhang wird noch ein wenig mehr über das damalige Gesetz geschrieben:

    Zitat von Anmerkung für Seite 583 / dtv-Ausgabe

    Der Juvenile Offenders Act von 1847 war der erste Schritt zu einem Jugendstrafgericht in Großbritannien; bis dahin wurden Kinder und Jugendliche wie Erwachsene verurteilt und bestraft, wenngleich Kinder bis zum Alter von 7 Jahren als nicht strafmündig und im Alter von 7 bis 14 Jahren als gewissermaßen bedingt strafmündig galten, wobei es im Ermessen des einzelnen Staatsanwalts und Gerichts lag, dennoch Strafmündigkeit zu attestieren (oder "Kindheit" als strafmindernd bis zum Erreichen der Volljährigkeit zu definieren, wenn man dies für geraten hielt). Die Anzahl der Kapitaldelikte wurde im frühen 19. Jahrhundert reduziert (weil es seit 1787 die Möglichkeit der Deportation nach Australien und Tasmanien gab), und die Todesturteile für Kinder wurden von da an in den meisten Fällen in Verbannung umgewandelt.


    Stichwort Orlick: Was war ich überrascht, dass er es gewesen war, der Pip in die Falle gelockt hatte um ihn umzubringen. Das war der reinste Krimi :lechz: Jetzt wissen wir auch, wer den brutalen Überfall auf Pips Schwester verursacht hatte. Wobei das ja irgendwie klar war. Orlicks Schicksal wurde besiegelt, trotz seiner gelungenen Flucht. Nach einem Einbruch und Überfall auf Pumblechook wurde er verhaftet. Witzig auch, dass Trabbs Junge (mittlerweile Mann :loool: ) bei der Befreiung Pips eine Rolle spielte. So fügen sich wieder ein paar neue Fäden zusammen.



    Das sich nach Pips Erkrankung und Zusammenbruch ausgerechnet Joe um ihn kümmerte, hatte mich seltsamerweise nicht so sehr überrascht.Auch nicht, dass er die Gläubiger ausbezaht hatte. Denn der treue Joe ist Pip immer zur Stelle, wenn es hart auf hart kommt.



    Richtig gut fand ich, dass sich Pip eigenverantwortlichst um den Rest seiner Angelegenheiten kümmerte. Und das Angebot von Herbert bei ihm arbeiten zu wollen erst mal nicht rundweg ablehnte. Zunächst wollte er aber bei Joe als Schmied wieder arbeiten. Und bekam einen letzten Anfall von Überbeheblichkeit als er sich ausmalte, wie er und Biddy ein Paar werden könnte. Davon wurde er aber vor Ort gründlichst geheilt :loool: Denn Hochzeit lag wieder in der Luft, diesmal die von Joe und Biddy! Ein passendes Paar :D
    Endgültig auf den Boden aller Tatsachen gebracht und mit sich im reinen wurde Pip dann Angestellter in Herberts Firma.



    Estella hätte ich fast verdrängt vergessen. Auch ihr Lebenslauf lief nicht so wie gewünscht. Hätte man noch geglaubt, dass sie Drummle um den Finger wickeln könnte, stellte es sich heraus, dass er ein äußerst brutaler Ehemann wurde. Wenn man es so nimmt, war seine Strafe dann sein Tod als er vom Pferd fiel. Ihre Sühne war dann wohl die Ehe mit diesem Kerl.



    Überrascht war ich von den beiden möglichen Enden die Dickens schrieb. Zu welchem Ende tendiert ihr eher? Ich mag sein neueres lieber. Das ergab mehr Sinn und war auch von der beschriebenen Atmosphäre her sehr positiv. Wobei mir das eine oder andere beim ursprünglichen Ende auch gefallen hatte. Es war mir allerdings etwas zu abrupt.



    Ich bin ganz hin- und hergerissen vor Begeisterung über dieses Buch. Die Grundthemen Schuld - Strafe - Sühne wurden toll herausgearbeitet. Dickens Humor und seine soziale Kritiken hatten mir wieder sehr gefallen! Es war spannend zu lesen und ich habe mich keine Sekunde gelangweilt. :applause::pray::applause:


    Und es gibt bestimmt noch eine Menge um sich auszutauschen :)

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Überrascht war ich von den beiden möglichen Enden die Dickens schrieb. Zu welchem Ende tendiert ihr eher? Ich mag sein neueres lieber. Das ergab mehr Sinn und war auch von der beschriebenen Atmosphäre her sehr positiv. Wobei mir das eine oder andere beim ursprünglichen Ende auch gefallen hatte. Es war mir allerdings etwas zu abrupt.

    in meiner Originalfassung gibt es nur ein Ende :-k

  • in meiner Originalfassung gibt es nur ein Ende :-k

    Bei mir gibt's auch nur ein Ende, das macht mich jetzt neugierig.

    "I see you laugh. Very well, for simplicity’s sake, let us assume I am the center of creation. In doing this, let us pass over innumerable boring stories: the rise and fall of empires, sagas of heroism, ballads of tragic love. Let us hurry forward to the only tale of any real importance." His smile broadened. "Mine." (Kvothe in The Name of the Wind)

    2019: :study: 11 Bücher mit 3.997 Seiten

    :musik:12 Hörbücher mit 18.360 Minuten

  • Interessant ist vielleicht auch, dass sich ja nicht nur Pips Einstellung ändert - es ist auch Magwitch selbst, der sich verändert und milder wird. Ich habe beim Lesen gedacht, dass sich die Szene gewissermaßen wiederholt: so wie Pip zum Ende Magwitchs Hand hielt, so war danach Joe bei ihm, um ihn zu stützen.


    Es war wohl tatsächlich so, dass Dickens Anwälte nicht mochte :wink: Ich habe hier einen kleinen Artikel zu diesem Thema gefunden. Ich musste schon an dieser Stelle grinsen:

    Zitat von NY Times

    Lawyers appear in 11 of his 15 novels. Some of them even resemble humans.

    Mir hat das Buch auch wirklich gut gefallen :applause: Viele Figuren, allen voran Wemmick und Havisham, werden mir im Gedächtnis bleiben. Gerade die Nebenfiguren sind enorm fein gezeichnet. Auch einige besonders atmosphärische Szenen haben sich mir eingeprägt. Das Englisch ist wunderbar und gleichzeitig leichter und schwerer zu lesen als ich anfangs dachte - der Lesefluss ist besser als in manch anderem Klassiker, aber durch Ironie und Anspielungen ist der Text doch anspruchsvoll. Mit dem Abschluss bin ich auch zufrieden, Dickens hat alle Fäden gekonnt zusammengeführt und zu einem runden Ende gebracht. Einzig Pip wird wohl nicht mein liebster Protagonist; ich empfand die anderen Figuren als stärker und konnte seine Entwicklung in ihrer Sprunghaftigkeit nicht immer ganz nachvollziehen - gerade darauf kommt es ja aber an, immerhin wird "Great Expectations" als Bildungsroman angesehen. Wahrscheinlich ist das aber nur mein Eindruck :)
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: von mir.


    Ganz uneingeschränkt hat es mir sehr viel Spaß gemacht, mit euch in dieser Leserunde das Buch gemeinsam zu erschließen. "Great Expectations" ist ungelogen die Nummer 1 auf meinem SuB gewesen, und ohne den Thread hätte es vermutlich noch länger dort gelegen :uups: So habe ich mich konsequent fast jeden Abend hingesetzt und darin gelesen. Und durch die Diskussionen habe ich manches viel bewusster wahrgenommen. Ich hoffe, es gibt weitere Klassiker-Leserunden in Zukunft... Ich habe noch sooo viel aufzuholen, was englische Klassiker betrifft!

    Bei mir gibt's auch nur ein Ende, das macht mich jetzt neugierig.

    Ich habe einen Anhang, der "The Ending As Originally Conceived" überschrieben ist. Schade, dass nicht alle Ausgaben wenigstens in einer Anmerkung darauf hinweisen. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr hier und hier etwas zu den beiden Enden nachlesen - im Grunde unterscheiden sie sich darin, wie Pip und Estella verbleiben.

  • Es war wohl tatsächlich so, dass Dickens Anwälte nicht mochte Ich habe hier einen kleinen Artikel zu diesem Thema gefunden.

    Das ist ja klasse! Dankeschön :D

    Ich habe einen Anhang, der "The Ending As Originally Conceived" überschrieben ist. Schade, dass nicht alle Ausgaben wenigstens in einer Anmerkung darauf hinweisen. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr hier und hier etwas zu den beiden Enden nachlesen - im Grunde unterscheiden sie sich darin, wie Pip und Estella verbleiben.

    Vielen lieben Dank dafür! :friends: Dann können @Squirrel und @Anni2412 die entsprechende Version nachlesen. Wirklich schade, dass nicht in jeder Ausgabe wenigstens ein Hinweis darüber zu finden ist.


    Gerade die Nebenfiguren sind enorm fein gezeichnet.

    Das bewundere ich immer sehr bei Dickens.

    Viele Figuren, allen voran Wemmick und Havisham, werden mir im Gedächtnis bleiben.

    Wie könnte man die Beiden jemals wieder vergessen :lol: Vor allem Letztere wird mir ewig in Verbindung mit einer gewissen Torte im Gedächtnis bleiben.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Da schwenke ich die weiße Fahne und ruckzuck war bei mir dann selbst die Zeitnot da. Deshalb nur ein kurzes Lebenszeichen, denn ich bin müde und es passiert doch noch so viel in den letzten Seiten, dass ich dem jetzt nicht gerecht würde. :uups: Am Samstag in Ruhe geht das besser, es wäre schade, jetzt durch den Rest der Geschichte zu galoppieren.

    Ich habe da bei Estella das Gefühl, dass sie in Pip den einzigen sieht, der weiß wieso sie so ist wie sie ist.

    Das ist ein guter Gedanke und ich kann mir das gut vorstellen. :wink:

    Pip merkt hier auf einmal, dass man sich abhängig von der Person macht, die einen aushält und dass das nicht immer positiv sein muss. Solange er noch dachte, dass es sich bei der Person um Miss Havisham handelte, hatte er kein Problem mit dem Arrangement, schließlich wären mögliche Zukunftspläne auch in seinem Interesse gewesen. Jetzt muss er sehen, dass er all die Jahre falsch gelegen hat und sieht sich auf einmal in einer Situation, in der er sich völlig neue Gedanken darüber machen muss, bezüglich dem Plan seines Gönners für ihn und dass ihm dieser Plan möglicherweise gar nicht so zusagt. Aber jetzt hängt er schon mittendrin.

    So hab ich das noch nicht gesehen, aus diesem Blickwinkel. Klingt logisch. :-k

    Jaggers bleibt für mich der Pontius Pilatus. Wenn er sich auch in seinem Amt als Anwalt bewegt. Ich glaube fast schon, dass Dickens keine Anwälte mag und das er sie deshalb immer sehr kritisch darstellt

    Und da Jaggers nicht mehr weiter auftaucht, bleibt er für mich das gleiche - zwiespältig und sich hinter den Argumenten verschanzend, immer unangreifbar bleiben und nichts zugeben. Der Hauch Menschlichkeit, der in seinem Erinnern aufglimmte, ist damals wohl auch erloschen.
    Nein, Dickens mochte ganz sicher keine Anwälte [-(

    Ich habe einen Anhang, der "The Ending As Originally Conceived" überschrieben ist. Schade, dass nicht alle Ausgaben wenigstens in einer Anmerkung darauf hinweisen. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr hier und hier etwas zu den beiden Enden nachlesen - im Grunde unterscheiden sie sich darin, wie Pip und Estella verbleiben.

    Danke für die Links, das lese ich mir noch in Ruhe durch. :)

  • So, ich hole hier langsam auf. Den Rest schaffe ich auch noch! :rambo:

    2. Ist es eine Form der Rache an der Gesellschaft - "Seht her, Ihr habt mich verachtet, in der Gosse gehalten, keine Chance gegeben - aber ich, ICH kann einen Jungen zum Gentleman machen." klingt das abwegig?

    Das habe ich so noch gar nicht gesehen, aber ich finde, das klingt schlüssig.

    Na, unser Pip hat aber schon auch in die falsche Richtung überlegt, wenn ich alles richtig verstanden habe

    Jetzt wo du's sagst, ich meine auch so etwas herausgelesen zu haben. Aber ich nehme das Pip im nachhinein nicht übel. Für ihn war das ein ziemlicher Schock und nur einmal den Gedanken zu haben, heißt ja noch lange nicht das auch in die Tat umzusetzen. Das ist wahrscheinlich ein sehr menschlicher Zug.

    Bei Dickens musst Du mit allem rechnen - der hat nichts und niemanden ohne Grund in die Geschichte geschrieben.

    Das stimmt und das unterscheidet ihn sehr stark von anderen Autoren. Gerade Nebencharaktere sind in den meisten Büchern in irgendeiner Form austauschbar. Da ist nicht die Person an sich für die Handlung wichtig, sondern nur irgendwas bestimmtes, was zur Hauptperson gesagt werden muss, oder so ähnlich. Hier hat wirklich jeder seine ihm zugedachte Rolle.

    Ich habe Dickens nun auch endlich auf dem Schirm und bin bei der nächsten MLR wieder sehr gern dabei. "Great Expectations" habe ich 1998 (meine Güte ist das lange her ) in der Verfilmung mit Gwyneth Paltrow und Ethan Hawke gesehen und werde ich mir nach dieser MLR auf jeden Fall noch einmal zu Gemüte führen.

    Ich bin bei einem weiteren Dickens auch sehr gerne wieder mit dabei. Die Verfilmung von Bleak House steht bei mir auch noch im Regal und spätestens wenn der Umzug durch ist und sich alles etwas beruhig hat, werde ich mir die auch mal endlich ansehen. :)

    Pips Erklärungen an Estella und Miss H geraten doch sehr dramatisch um nicht zu sagen, er gibt die Drama Queen.

    :totlach: Ja Drama Queen passt wirklich gut.

    Allerdings bin ich mir über Miss Hs Reaktionen nicht ganz schlüssig. Erkennt sie evtl. tatsächlich, wie sehr sie Pip hat leiden lassen? Dringt es vielleicht doch ein wenig zu ihr durch, dass sie da einen Menschen sehr gequält hat mit ihrem Verhalten? Auf der einen Seite mag ich es nicht glauben, aber es erweckt den Anschein, wie ich finde.

    Das Gefühl hatte ich aber auch.

    aber genau darum dreht es sich doch - er handelt nicht wirklich moralisch, weist von vornherein stets jede Schuld von sich obwohl er in vielem die Fehler sieht und erkennt. Ob es rechtens ist, dass er mit Magwitch einen Vertrag schloss, weiß ich nicht mit Sicherheit - da Magwitch aber lebenslang nach Australien verbannt wurde, hege ich da gewisse Zweifel. Und wirklich moralisch ist die Sache nicht, auch wenn Magwitch vom Grundgedanken her nichts Böses beabsichtigt. Und aus Nächstenliebe oder dem Gefühl, jemandem helfen zu wollen, agiert Jaggers niemals - denk zurück an die ersten Szenen mit ihm.

    Eure Diskussion war echt schön zu verfolgen. :) Ich kann beide Seiten verstehen, aber ich bin doch etwas mehr auf der Argumentationsseite von @Squirrel. Gerade in den Szenen, wo man anfangs gezeigt bekommen hat, wie Jaggers mit seinen Mandanten umgeht, wurde er mir sehr unsympathisch. Ich erinnere mich gerade daran, wie Pip zum ersten Mal in London bei Jaggers ist und ein Mandant vorspricht. Da ging es darum, dass dieser einen "Augenzeugen" vorzeigen sollte. Ziemlich schnell war klar, dass dieser Zeuge in irgendeiner Form gekauft war. Jaggers sollte nun begutachten, inwiefern dieser Zeuge was taugt. Dafür durfte die fragliche Person draußen vor dem Fenster vorbei spazieren. Ich finde, alleine diese Szene zeigt uns komplett wie Jaggers tickt. Er geht nicht immer legale Wege, aber immer ohne Risiko auf seiner Seite. Das Risiko können andere tragen.

    Nein, kann man in meinen Augen nicht. Wemmick ist in einem Abhängigkeitsverhältnis Jaggers gegenüber und er braucht den Job, denn er hat ja neben sich selbst auch noch seinen Vater zu ernähren. Also kann er den Job nicht riskieren und trennt strikt zwischen privat und beruflich. Privat jedoch tut er alles, um Pip zu helfen - erst bei dessen Unterstützung von Herbert (die er durchaus nicht gutheißt, aber lieber hilft als dass der naive Pip endgültig alles in den Sand setzt) als auch noch später. Insofern tut er was er kann ohne seine eigene Existenz zu gefährden und handelt dennoch moralisch für mich.
    Um den von @taliesin ins Spiel gebrachten Vergleich fortzuführen, so ist Wemmick jemand, der Angst genug hat, nicht offen gegen das Regime vorzugehen, aber doch noch soviel Mut beweist, um im Stillen zu handeln. Davon gab es viele Menschen und ich kann niemandem den Vorwurf machen, nicht offen gegen eine Macht (hier Jaggers als sein Vorgesetzter) vorzugehen, wenn diese Macht einem selbst schaden kann. Ich habe keine Ahnung, wie ich in solchen Umständen handeln würde, ich kann mir nur wünschen, dass ich wenigstens soviel Mut und Selbstrespekt aufbringen würde, um wenigstens im Stillen zu handeln. Wemmick erinnert mich an ein Buch über Rechtsanwälte im 3. Reich - es ist ein Buch über Menschen, die sich auch nicht trauten, offen zu handeln aus Angst um die eigene Existenz, die aber wenigstens im Stillen agierte, sei es auch nur indem sie eine Akte von ganz oben wieder nach ganz unten im Stapel steckten.
    Jaggers aber ist einer, der handelt und gleichzeitig seine Hände immer in Unschuld wäscht - und er weiß ganz bestimmt, dass er das nicht immer ist. Auch zwar beauftragte, aber eben ausführende und daran verdienende Organe tragen eine Mitschuld wenn es einem anderen in irgendeiner Art schadet. Insofern gehe ich mit taliesin konform in meiner Sicht auf Jaggers.

    Ich weiß gerade leider gar nicht mehr genau, was ich alles dazu sagen wollte. :-k Hmm, auf jeden Fall stimme ich dir bezüglich Wemmick zu. Gerade solche Leute, die im Stillen agieren sind besonders wichtig. Die meisten würden viel weniger erreichen, wenn sie offen versuchen würden was zu ändern. Auch wenn das noch mehr zu respektieren wäre.

    Wemmick's Schreiben "Don't go home" ist ein gemeiner Cliffhanger, aber ich werde trotzdem erst morgen weiterlesen

    Also ich hab das nicht ausgehalten. Ich weiß noch es war schon ziemlich spät, aber etwas weiterlesen musste ich schon noch. :loool:

    Irgendwie verstehe ich diesen Ratschlag nicht, meint Wemmick, Pip solle alle Barmittel von Provis übernehmen, damit Pip noch etwas davon hätte, falls Provis gefunden unt verurteilt würde? Das hätte ich Wemmick gar nicht so zugetraut.

    Doch so habe ich das verstanden. In der Hinsicht scheint Wemmick sehr praktisch veranlagt zu sein.

    Ich frage mich nur, wer die wilde Molly "gezähmt" hat (vielleicht doch "Shade of Jaggers"? )

    :totlach:

    und die Spinnentorte gibt es nicht mehr.

    Aber einen letzten Auftritt hatte sie noch. :loool:

    Spannend finde ich es im Augenblick an mir selbst zu beobachten, wie es Dickens gelingt meine Einstellung zu Magwitch zu ändern. War er in meinen Augen ein harter Typ, bekommt er immer weichere Züge an sich. Er wird mir fast schon sympathisch (stelle ich gerade fest ). Das finde ich in schrifststellerischer Hinsicht einfach großartig gemacht.

    Ja, das war bei mir ähnlich. Was ich an Dickens echt bewundere, ist die Ausarbeitung seiner Charaktere. Ich finde, man erlebt es selten, dass die Menschen in einem Roman so dermaßen lebendig und individuell dargestellt werden. In vielen Büchern lernt man Charaktere kennen, die gut ausgearbeitet sind, aber trotzdem ihre Grenzen zeigen. Viele sind ähnlich charakterisiert und einzelne Abstufungen in den Charakterzügen sind da meistens nicht vorhanden. Bei Dickens bin ich wirklich immer sprachlos, wie gut er gerade die Charakterausarbeitung beherrscht. Ohne das es langweilig wird.

    "I see you laugh. Very well, for simplicity’s sake, let us assume I am the center of creation. In doing this, let us pass over innumerable boring stories: the rise and fall of empires, sagas of heroism, ballads of tragic love. Let us hurry forward to the only tale of any real importance." His smile broadened. "Mine." (Kvothe in The Name of the Wind)

    2019: :study: 11 Bücher mit 3.997 Seiten

    :musik:12 Hörbücher mit 18.360 Minuten

  • so, Wochenende und nachdem mit ein ekliger Hustenanfall bereits vor drei Stunden aus dem Bett geworfen hat, kann ich doch die Zeit nutzen :wink:


    Dickens legt im Abschluss ein immenses Tempo vor und gibt Pips Geschichte noch Züge eines Krimis, als er ihn nach Hause fahren lässt, um dem Schreiber der ominösen Zeilen zu begegnen. Ganz kann ich es nicht nachvollziehen, denn was haben sie wirklich zu befürchten? Der Schreiber würde ja mindestens bis zu ihrer Flucht auf Pip warten und die Flucht ist organisiert? Ein bisschen kam ich mir vor wie in so manchen Geschichten, in denen Du denkst "Mensch, mach doch nicht so einen Schwachsinn" :loool: Aber Dickens hat es ja absichtlich so geschrieben, denn auch in diesem Teil fügen sich Fäden zum großen Ganzen und wir erfahren, wer wirklich hinter dem Anschlag auf Pips Schwester steckt. Vermutet hatten wir es ja. Auch die plötzliche Rettung und Rückkehr nach London passt in dieses Schema - Dickens führt die Handlungsstränge unerbittlich, aber ohne Logikfehler, zusammen.
    Die so gut organisierte Flucht bricht in sich zusammen als Compeyson auftaucht - bei ihm bin ich mir gar nicht sicher, ob er jetzt auch eine Art Gefangener der Polizisten oder nur derjenige ist, der Magwitch identifizieren soll? :-k Was mich ein wenig überrascht hat ist die Tatsache, dass es damals wohl üblich war, noch auf dem Fluß auf einen Dampfer aufzusteigen. Dickens hätte wohl nichts als Mittel genutzt, was damals nicht üblich gewesen wäre. Davon hatte ich noch nie gehört. In der Szene begegnen wir wieder dem Schuld-Sühne-Thema, denn Compeyson bezahlt für seinen früheren und jetzigen Verrat mit dem Leben - Magwitch allerdings auch, wenn auch langsamer. Und auch Pip leistet seine Sühne, seine Abbitte an dem Mann, der ihm den Traum eines Lebens als Gentleman erfüllen wollte und den er anfangs so abgrundtief verachtete und fürchtete. Der weich gewordene Magwitch, der sich klaglos in sein Schicksal ergibt, wird von Pip bis zu seinem Tod begleitet.


    Und die zweite Sühne wird Pip aufgezwungen als ausgerechnet Joe an seine Seite eilt und ihm aus Krankheit und finanzieller Not hilft. Eines hab ich bei so alten Romanen jedoch nie so ganz verstanden: warum werden die handelnden Personen oft soooooo krank? Okay, Pip hat es nicht leicht gehabt in der letzten Zeit und viele Sorgen, aber solchen Zusammenbrüchen begegnet man ja öfter. :-k:scratch: Pip zieht tatsächlich seine Lehren aus den Vorkommnissen nachdem er einem letzten Hirngespinst - einer Hochzeit mit Biddy - nachgegangen ist und von der Realität überholt wurde, er schaltet seinen Verstand ein, lernt für sich selbst zu sorgen und ein eigenständiges, gutes Leben zu führen. Die Großen Erwartungen, die er hatte, haben sich ja dann tatsächlich erfüllt - anders als gedacht, aber trotzdem haben sie ihn aus der Schmiede hinaus in ein gänzlich anderes Leben geführt, wenn auch mit mächtigen Umwegen. Seine eigentlichen Erwartungen wurden jedoch zunichte gemacht, wie es häufig der Fall ist mit großen Träumen.


    Das Ende - wie deuten wir nun das Ende? Die Großen Erwartungen von Pip und Estella haben sich nicht erfüllt, keiner der beiden lebt das Leben, dass er sich mal erträumte oder für Realität hielt. Ich persönlich denke, dass Estella den härteren Preis bezahlen musste - erst wurde sie als Kind in einer gewissen Weise von Miss Havisham als Racheobjekt missbraucht, und dann ganz handgreiflich von ihrem Ehemann - @taliesin hat mit seiner Befürchtung ja Recht behalten. Aber beide empfinden ihr Leben jetzt als in Ordnung, beide haben das Gefühl, dass es sie zu besseren Menschen gemacht hat. Deuten wir das Ende nun als Happy End oder ein angenehmes, freundschaftliches Ende ohne Hochzeit? Das bleibt uns Lesern überlassen, Dickens legt sich nicht fest. Und bei der ganzen Grundtendenz des Buches, dass die großen Erwartungen an das Leben sich eben in aller Regel nicht erfüllen, tendiere ich doch zu zweiterem. :wink:

  • Sehr interessant war es wie sich Pips Einstellung zu seinem Gönner geändert hatte und er gegen Schluss sogar ständig seine Hand gehalten hatte. Es war sehr berührend gewesen zu lesen, wie sehr sich Pip um Magwitch kümmerte und sorgte. Gegen Schluss hatte ich ziemlich viel in meinen Augen gehabt.

    Pip hat sich wirklich sehr loyal gegenüber Magwitch verhalten, was mich sehr beeindruckt hat. Auch dass er sich nach der Verurteilung noch so richtig reinkniet und Bittgesuche schrieb, fand ich sehr gut. Bemerkenswert war in der Abschiedsszene, dass Magwitch Pip durchaus durchschaut hat, dass Pip ihn anfangs nicht mochte und dahaben wollte. Magwitch hat über Pips Abneigung Bescheid gewusst, sie hingenommen und freute sich zum Schluss umso mehr, dass der Junge nun von sich aus und freiwillig an sein Sterbebett kommt. Total rührend war Pips Enthüllung über Magwitchs Tochter - da hatte ich wirklich Gänsehaut. :cry:

    Dachte er erst am Anfang, dass Herbert geschäftlich nichts durchziehen würde, hatte er die Erkenntnis gehabt, dass er -Pip- es selbst ist, der nichts durchziehen konnte.

    :totlach: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung und Pip hat in den letzen Kapiteln so manche Wahrheit über sich selbst erfahren und wahrgenommen.

    Das sich nach Pips Erkrankung und Zusammenbruch ausgerechnet Joe um ihn kümmerte, hatte mich seltsamerweise nicht so sehr überrascht.Auch nicht, dass er die Gläubiger ausbezaht hatte. Denn der treue Joe ist Pip immer zur Stelle, wenn es hart auf hart kommt.

    Das war so toll, dass Joe sofort zu Pip geeilt ist und ohne großes Aufhebens für ihn sorgt und ihm aus seinen finanziellen Nöten hilft. Joe ist einer der besten und gutherzigsten literarischen Charaktere, die mir jemals untergekommen sind, ohne einfältig, naiv oder gutgläubig zu wirken. Auch wie er Pip erklärt, wieso er ihn nicht besser vor Mrs. Joe geschützt hat, einfach damit sie nicht noch aggressiver auf den Jungen wird. Ich weiß noch, wie wir uns zu Anfang gefragt haben, wieso er ihr nicht einmal zeigt, wer der Herr im Hause ist - im Prinzip schafft es Dickens auch hier, die Frage zum Ende hin zu beantworten. Als Joe sich nach Pips Genesung wieder zurückzieht hatte ich solche Angst, dass ihm etwas zustößt und Pip nach seinem Zögern gar nicht mehr die Chance haben wird, ihm zu danken und seine Liebe zu zeigen.

    Dickens hat alle Fäden gekonnt zusammengeführt und zu einem runden Ende gebracht.

    Das fand ich total super, alles war so schlüssig und rund. Selbst der Lehrjunge Trabb bekommt noch seinen Auftritt, bei dem mir der Spruch "man sieht sich immer 2 Mal im leben" :twisted: in den Kopf kam. Und Pumblechook bekommt auch noch eine Ansage von dem viel reiferen Pip, der nicht mehr das unmündige Kind ist, sondern dem aufgeblasenen Gockel Widerworte gibt. :applause: (Obwohl diese relativ zahm waren - Jaggers hätte an dieser Stelle viel bissiger reagiert :twisted: ). Auch das Schicksal der buckeligen geldgierigen Verwandtschaft von Miss Havisham wird erwähnt - jeder von ihnen bekommt das vererbt, was er verdient. :totlach: Wir erfahren selbst den Namen von Mrs. Joe - "nach ihrer eigenen Mutter Georgiana Maria" benannt.

    In der Szene begegnen wir wieder dem Schuld-Sühne-Thema, denn Compeyson bezahlt für seinen früheren und jetzigen Verrat mit dem Leben -

    Ich hatte ja zuerst den Verdacht, dass der Tote Orlick wäre und Compeyson irgendwie entkommen ist - war sogar total froh, als sich herausstellte, dass es wirklich Compeyson war und Orlick im Gefängnis sitzt.

    nachdem er einem letzten Hirngespinst - einer Hochzeit mit Biddy - nachgegangen ist und von der Realität überholt wurde, er schaltet seinen Verstand ein, lernt für sich selbst zu sorgen und ein eigenständiges, gutes Leben zu führen.

    Bei der Szene musste ich so grinsen, das war schon ziemlich peinlich für ihn. :loool: Wie Pip auch meinte, dass Biddie für ihn alle lebenswichtigen Entscheidungen fällen sollte. #-o So schmerzhaft und peinlich es ihm dann auch war, ist er doch endlich aufgewacht und fing an, eigene Entscheidungen zu fällen und Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Interessant war, dass Pip die beiden um Vergebung bittet - genau so, wie Miss Havisham seinerzeit Pip um Vergebung gebeten hat.

    Deuten wir das Ende nun als Happy End oder ein angenehmes, freundschaftliches Ende ohne Hochzeit?

    Ich habe es als angenehmes, freundschaftliches Ende ohne Hochzeit gedeutet. Fand ich einen Moment lang irgendwie blöd, nach einigem Nachdenken passt es aber viel besser zur Grundstimmung im Buch. Wir hatten ja ein paar Hochzeiten (die total zufällige Heirat :totlach: zwischen Wemmick und Miss Skiffins, Herbert und Clara, Joe und Biddy :love: ), da wären "Pip und Estella in Love" vielleicht zu viel des Guten und zu kitschig gewesen. Jane Austen hätte das - vielleicht :-k - machen können, aber zu Dickens hätte so ein Happy End bei so einer komplizierten Person wie es Estella war unglaubwürdig gewirkt. Er hätte ja noch ein weiteres Buch schreiben können, wie Estella langsam lernt, sich auf Pip einzulassen und ihn zu lieben. :mrgreen:


    Das war mein erster Dickens und mit Sicherheit nicht mein letzter. :pray: Mir hat das Buch sehr gut gefallen, atmosphärisch, düster, herrlich ironisch, bissig, spannend, aufregend - ganz großes Erzählkino. :applause: Von mir gab es für das Buch die vollen :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Und die MLR mit euch war wirklich Klasse :applause: und hat mir sehr viel Spaß gemacht. :friends: Bei der nächsten Dickens-MLR wäre ich sehr gern wieder dabei.
    Ich habe in dieser Woche diese Verfilmung gesehen und es war schon irgendwie witzig, dass z. B. Magwitch anstelle der Feile nach einem Bolzenschneider verlangt :loool: oder die Schwester zwar nicht rumprügelt, dafür aber hippiemäßig mit jedem im Ort rummacht. Dafür gab es zwischen Finn (so heißt Pip im Film) und Estella einige ganz nette Szenen. :geek::lol:

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

    :study: Taylor Jenkins Reid - Daisy Jones & The Six

  • Total rührend war Pips Enthüllung über Magwitchs Tochter - da hatte ich wirklich Gänsehaut.

    Hier geschah die Enthüllung ja auch aus dem richtigen Grund: Pip gibt dem sterbenden Magwitch ein Stückchen Glück zurück. Als er früher darüber nachdachte, da stellte Jaggers zu recht die Frage "Wem dient diese Enthüllung, wem hilft sie?" Damals hätte sie nur geschadet, ausnahmslos allen - aber in diesem Moment war es passend. :wink:

    Interessant war, dass Pip die beiden um Vergebung bittet - genau so, wie Miss Havisham seinerzeit Pip um Vergebung gebeten hat.

    Er hat ja auch allen Grund dazu

    da wären "Pip und Estella in Love" vielleicht zu viel des Guten und zu kitschig gewesen.

    Absolut - es passt einfach nicht, wäre definitiv falsch für mein Empfinden.