Daniel Wolf - Das Salz der Erde

  • Worum es geht
    Nach dem Tod seines Vaters kehrt der junge Kaufmannslehrling Michel de Fleury aus Mailand in seine Heimatstadt Varennes-Saint-Jacques zurück, um mit seinem Bruder Jean die Geschäfte zu übernehmen. Die Bewohner der Stadt stöhnen nicht nur unter der Steuerlast durch den habgierigen Bischof Ulman, auch ihr weltlicher Herr, der brutale Ritter Aristide de Guillory, macht ihnen das Leben durch immer neue Zölle schwer.
    Schließlich wollen die Kaufleute Varennes diese Belastungen, die sich auch auf den Handel ungünstig auswirken, nicht mehr hinnehmen. Michels Freund Gaspard Caron glaubt, dass dem Bischof nur mit Gewalt beizukommen sei, während de Fleury zu Besonnenheit und einer überlegten Vorgehensweise rät. Diese grundlegenden Meinungsverschiedenheiten gefährden nicht nur das gute Einvernehmen der beiden Kaufleute, sondern beeinflussen auch Michels Verhältnis zu Gaspards Schwester Isabelle.


    Wie es mir gefallen hat
    Der Handlungsbogen dieses wunderbaren Mittelalterepos erstreckt sich über mehr als 30 Jahre, und beginnt anno 1173 mit der Flucht eines leibeigenen Bauern. Dieser Auftakt hat mich zwar gleich in seinen Bann gezogen, weil Daniel Wolf mitreißend und spannend zu erzählen versteht, und doch war ich mit der Konstruktion nicht ganz einverstanden. Abgesehen davon, dass derartiger Wagemut wohl selten gewesen sein wird, konnte es ein entflohener Analphabet aus dem Bauernstand innerhalb weniger Jahre kaum zu einem angesehenen Kaufmann bringen. In der mittelalterlichen, einem strengen Ständesystem unterworfenen Gesellschaft wären solche "Karrieren" gewiss nicht möglich gewesen.
    Ein weiblicher Charakter, der mir anfangs ebenfalls nicht gefallen hat, war Isabelle Caron. Die junge Kaufmannstochter kam mir mit ihren lockeren Sprüchen und Verhaltensweisen gar nicht wie ein Kind ihrer Zeit vor.
    Mit diesen beiden Punkten ist meine Kritik aber auch schon erschöpft, denn im weiteren Handlungsverlauf hat Daniel Wolf Großartiges geleistet, und auch jedes Aufbegehren meinerseits bereits im Keim erstickt. Es ist ihm nicht nur gelungen, eine äußerst spannende Geschichte zu erzählen, in der es keine Längen und Ermüdungserscheinungen gab, sondern auch sehr glaubwürdige Charaktere zu schaffen.
    Besonders gut gefallen hat mir jedoch die authentische Darstellung des historischen Hintergrundes. Der Hörer erfährt unglaublich viel Wissenswertes über das Wesen der Kaufmannsgilden, über den Handel in einer mittelalterlichen Stadt, über Zölle und Steuern, über das Verrufen von Münzen, in diesem Falle von Bischof Ulman voller Willkür betrieben. Wir sprechen mit Michel aber auch am Hoftag bei Kaiser Friedrich Barbarossa vor, brechen mit Jean de Fleury zum Kreuzzug ins Heilige Land auf, verspüren die Schikanen des brutalen Aristide de Guillory an seinen Untergebenen, sind bei der Vollstreckung eines Todesurteiles auf dem Rad mit dabei, erfahren, welches Urteil einen der Sodomie Überführten erwartete, und tun Buße mit einer ehrlosen Ehebrecherin.
    Wofür dem Autor meinerseits höchstes Lob gebührt ist die Kunst, seinem Publikum die Grausamkeiten der mittelalterlichen Welt zwar höchst lebendig und drastisch vor Augen zu führen, aber dennoch in einem - auch für empfindsamere Seelen - erträglichen Ausmaß.
    Die Protagonisten in Wolfs Roman, einschließlich vieler Nebenfiguren, haben mich einerseits durch ihre persönliche Entwicklung, wie etwa Isabelle, aber auch durch ihr Erstarren in vorgegebenen Denk- und Verhaltensmustern, beispielsweise Aristide, beeindruckt. Sehr gut gefallen hat mir Michel de Fleury, vielleicht ein klein wenig zu gut für diese grausame Welt, aber immerhin ein Mann mit Verstand und Prinzipien.
    Die Bürden, die dem einfachen Volk auferlegt wurden, hat der Autor ebenfalls ganz ausgezeichnet darzustellen vermocht. Die Angst vor der Obrigkeit, die Verzweiflung vor drohenden Hungersnöten, allgegenwärtiger Gewalt und unberechenbarer Willkür sind für den Hörer spürbar, und doch beherrscht keine finstere Grundstimmung den Roman. Immer wieder gelingt ein gutes Werk, werden Zeichen der Versöhnung gesetzt.
    Bis zum Ende gelingt es Daniel Wolf die Spannung aufrechtzuerhalten, unerwartete, aber keineswegs unrealistische Wendungen herbeizuführen, und seine Leser bzw. Hörer bis zur letzten Seite zu begeistern. Großes historisches Wissen in gewählter Ausdrucksweise und dennoch mitreißend erzählt unters Volk zu bringen, ist meiner Meinung nach eine fulminante Leistung, für die ich gerne mehr als die volle Punktezahl vergeben hätte.
    Ein besonderes Lob gebührt aber auch dem Schauspieler Johannes Steck für seine beeindruckende Darstellung sämtlicher Charaktere. Besonders gut hat er mir in der Rolle des rüden Aristide gefallen.
    Ich habe mir die ungekürzte Hörbuchfassung von 33 Stunden zu Gemüte geführt, und jede Unterbrechung nur den Zwängen des Alltags unterworfen.
    Pflichtlektüre für mich werden natürlich auch die Folgebände sein: "Das Licht der Welt" und "Das Gold des Meeres".