Von dem Autor habe ich vor einiger Zeit "Was vom Tage übrigblieb" gelesen. Es hat mir gut gefallen, und als ich "Der begrabene Riese" in einer Buchhandlung entdeckte und den Klappentext las, dachte ich, das könnte auch was für mich sein.
Nun habe ich die ersten vierzig Seiten gelesen und bin etwas zwiespältig, was den ersten Eindruck angeht. Kazuo Ishiguro schreibt flüssig und angenehm lesbar. Die Schilderungen zu Beginn, wie und wo Axl und Beatrice, die beiden Protagonisten leben, machen neugierig. Vieles wird nur angedeutet, bleibt aber im Ungewissen. Das Dorf, die Leute im Dorf, die Vergangenheit von Axl und Beatrice - alles erscheint nur schemenhaft, wie im Nebel. Das stört mich aber nicht weiter beim Lesen, im Gegenteil, ich möchte mehr erfahren und bin gespannt darauf, wie sich die Geschichte entwickelt.
Was mich hingegen sehr irritiert hat, sind manche Kleinigkeiten, von denen ich nicht weiß, ob sie möglicherweise auf Übersetzungsunzulänglichkeiten zurückgehen. Das Ganze spielt in Britannien, im 5. Jahrhundert. Eine Zeit also, die man nicht modern nennen kann und von der wir nicht wirklich viel wissen. Soviel dürfte jedoch klar sein, es handelt sich nicht um die Steinzeit, und im 5. Jahrhundert in Britannien lebten auch keine Neandertaler oder andere steinzeitlichen Menschen. Diesen Eindruck könnte man jedoch gewinnen, wenn man liest, wie die Behausungen aussehen, in denen Axl, Beatrice und die anderen "Dorf"-Bewohner leben. Ich zitiere wörtlich aus dem Buch: "Behausungen, die teils tief in die Hügel gegraben und durch unterirdische Gänge ... miteinander verbunden waren. Unser älteres Paar lebte mit rund sechzig weiteren Bewohnern in einem solchen Bau." (S. 10) Diese Beschreibung löst in mir eher Assoziationen an die Hobbits im Auenland aus, als an Britannien im 5. Jahrhundert. Es ist die Rede von "Menschenfressern", die in der Gegend hausen. Menschenfresser verorte ich in Fantasyromanen. Ist "Der begrabene Riese" ein Fantasyroman? Ist er ein Roman, der in einer realen Zeit spielt? Ich weiß es nicht. An einer anderen Stelle heißt es, dass Axl von seinem Weg abgewichen ist, "auch auf die Gefahr hin, die Geduld seiner Kollegen auf eine harte Probe zu stellen" (S. 25). "Kollegen"??? Im 5. Jahrhundert nach Christus? Sehr sonderbar. Möglicherweise aber beruht das auf einem Übersetzungsmißverständnis. Dann heißt es, Sonntag sei der Ruhetag im Dorf gewesen, und es ist von dem "Pfarrer" die Rede. (S. 29) Dieser Passus hat mich nun wirklich gestört. Im 5. Jahrhundert n.Chr. war Britannien nicht christianisiert, und selbst wenn man das annimmt, hätte es keine "Pfarrer" gegeben, sondern Priester, heilige Männer, oder Mönche. Pfarrer ist die amtliche Bezeichnung für einen angestellten katholischen Priester, noch nicht einmal für einen evangelischen, denn der würde Pastor genannt werden, und all das, die Amtskirche, Pfarrer und Pastoren, existierte damals noch nicht einmal ansatzweise, sondern erst in ferner Zukunft. Es ist also Unfug, solche modernen Begriffe in eine Zeit zu setzen, wo es hinten und vorne nicht passt. Bewohner in Erdhöhlen, Menschenfresser, Kollegen und Pfarrer. Nein, sowas kann ich nicht einfach überlesen, sondern es ärgert mich einfach und ich frage mich, ob der Übersetzer unfähig war oder ob Ishiguro einen Roman einer Literaturgattung geschrieben hat, die ich nicht kenne - Fantasy mit Elementen aus Steinzeit und Neuzeit?
Weiterlesen werde ich trotzdem. Mal schauen, ob noch mehr solcher - für mich - Ungereimtheiten auftauchen, die mir den Spaß am Lesen ein wenig verderben.
P.S.: Ich weiß, dass es einen Rezensionsthread zu dem Buch gibt. Hätte ich meine Leseeindrücke eher dort anfügen sollen? Oder gar nicht, weil es ja schon rezensiert ist? Noch so eine ungeklärte Frage. Bitte verschieben oder auch löschen, wenn der Beitrag fehl am Platze ist.