Devakumaran Manickavasagan - Im Glashaus gefangen zwischen Welten

  • Die Buchrückseite:


    »Im Glashaus gefangen zwischen Welten« bietet einen Einblick in das Leben von Migranten, die ihre Heimat verlassen haben, um im Exil einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Am Beispiel der Jugend der in Deutschland lebenden Exil-Tamilen, zu denen er selbst gehörte, beschreibt der Autor Probleme und Hindernisse, die mögliche Gründe für eine verfehlte Integration sind. Von der einen Kultur in die andere gestoßen und ihren Gefühlen verletzt, wissen sie oft nicht, wie ihr weiterer Weg verlaufen soll. Der Blick hinter die Kulissen ermöglicht betroffenen Migranten eine andere Sichtweise auf die Dinge und zeigt mögliche Wege auf.

    Der erste Satz:


    Armut und Elend begleiten den Alltag und man sieht der Zukunft hoffnungslos entgegen.


    Meine Meinung:


    Im Glashaus der gefangenen Emotionen


    Dem Leben mutig und selbstbewusst (sich seiner SELBST bewusst) entgegen zu gehen, das ist schon für viele in unsere Kultur Hineingeborene nicht immer leicht. Für Menschen fremder Kulturen, ganz besonders für die hier bei uns lebende tamilische Gesellschaft aus Sri Lanka und Teilen Indiens, ist es noch viel schwerer, vor allem, weil deren Leben und Persönlichkeiten ganz stark von kulturellen Zwängen eingeschränkt sind. Man darf sich an dieser Stelle aber nicht vorstellen, dass es im vorliegenden Buch rein um das Zurechtkommen der Migranten in Deutschland geht, nein, vorrangig - und das ziemlich intensiv - gewährt uns Deva hierin einen Einblick in das Seelenleben tamilischer Jugendlicher, die zwischen ihrer eigenen Kultur (bzw. der ihrer Eltern) und der deutschen Mentalität hin- und hergerissen sind und infolgedessen leiden. Es ist sehr oft die Rede von verletzten Gefühlen (die scheinbar für fast jedes schwerwiegende Problem der Grund/Auslöser sein sollen) und Verletzungen der Seele, dessen sich die Exil-Tamilen gar nicht bewusst sind und den psychischen Folgen davon.


    ~ Ein Leben in Lügen und Zwängen ist eine dauerhafte Folterkammer! ~
    (S. 156)


    »Im Glashaus gefangen zwischen Welten« ist das Lebenswerk des Autors und deswegen kann man sich vorstellen, dass auch einige autobiografische Sequenzen darin zu finden sind.
    Deva berichtet von Teilen seiner bisherigen Lebensreise und aus seiner Vergangenheit, die nicht immer so rosig war. Er erzählt, wie (negativ) er damals das Miteinander seiner Eltern und deren Kindererziehung erlebt hat und was das mit ihm gemacht hat bzw. wie seine Gefühle dadurch verletzt wurden und was er in weiterer Folge daraus für seine Zukunft lernen konnte. Ziemlich eindrucksvoll und erstrebenswert fand ich persönlich in diesem Zusammenhang folgendes Zitat: ~ An oberster Stelle galt für mich damals, anderen Menschen nichts Schlechtes anzutun, unabhängig davon, was sie einem selbst angetan hatten. ~ (S. 88)


    Obwohl auch eine deutliche Kritik an Eltern tamilischer Kinder bezüglich der Kindererziehung bzw. dem Umgang mit den Gefühlen ihrer Kinder herauslesbar ist, zeigt Deva in anderen Abschnitten wiederum ein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen, wenn es um verschiedene Aussagen mancher Menschen geht und kann scheinbar trotzdem großes Verständnis für deren diverse emotionale Verletzungen aufbringen - was mitunter bestimmt daran liegt, dass der Autor selbst sehr intensiv und lange mithilfe therapeutischer Unterstützung an sich gearbeitet hat und seine innere Gefühlsdynamik gut kennenlernen konnte.


    ~ Lernt man seine eigenen Gefühle zu entdecken und zu verstehen, so kann es gelingen, dass man die Gefühle und Gedanken anderer versteht. ~
    (S. 175)


    Zu dem Stehen, was man ist


    Deva hält seine Leser dazu an - und das finde ich nicht nur für die tamilische Gesellschaft sehr wertvoll -, selbst zu denken, alles Gehörte, Gesehene und im Laufe seines Lebens von Älteren Beigebrachte/Vermittelte zu hinterfragen und sich nicht mundtot machen zu lassen. Oft merkt man gar nicht oder oft ist es einem gar nicht bewusst, dass man etwas für sich angenommen hat, das auf Dauer unglücklich macht - sei es jetzt ein gewisses Denken oder beispielsweise eine Verhaltensweise.
    Aus dem eigenen Glashaus auszubrechen ist in vielen Fällen gar nicht so einfach, besonders die (Exil-)Tamilen, von denen Deva spricht, haben es in meinen Augen noch viel schwerer als die Menschen in unserer Kultur. Wenn man mit seinem Leben unzufrieden ist - völlig gleich, ob Tamile oder nicht - braucht es eine Menge innere Stärke und Energie, das eigene Ich und die damit verbundenen existierenden Wünsche anzuhören. Auch ein wenig Übung gehört dazu, denn wenn man nie auf seine wahren Gefühle gehört hat, funktioniert es im ersten Moment vielleicht gar nicht so gut, diese auch wahrzunehmen.


    Jedenfalls hofft Deva, dass er mit seinem Buch, in dem er uns teilweise ja auch auf seine ganz persönliche Reise nach der eigenen Erkenntnis mitnimmt, seinen tamilischen Lesern (aber nicht ausschließlich) Mut zu machen und Unterstützung für ihren eigenen Lebensweg anbieten zu können.


    (Weitere lesenswerte Buchzitate findet ihr HIER!)


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  • Mein Fazit:


    Auch wenn sich Devan auf die tamilische Kultur bezieht, so kann man seine Sichtweise und Erfahrung auch auf andere streng-konservative Kulturen auslegen, die nichts mit den westlichen Werten gemein haben. Somit ist dieser Ratgeber nicht nur etwas für die tamilische Gesellschaft im Exil geeignet, sondern auch für andere. Denn die Schnittpunkte sind klar: Migranten bauen sich ihre eigene Welt auf, um ihre Kultur fern der Heimat zu bewahren. Es zählt nicht das emotionale Bündnis zur Familie, sondern der Status: Wer mehr Geld, mehr Reichtum hat, ist etwas.
    Unverarbeitete traumatische Ereignisse lassen mitunter die Gewaltsituation in den Familien eskalieren, aber es wird als normal hingenommen. Die Kinder bleiben dabei oft auf der Strecke, denn gerade sie benötigen den Zuspruch und Liebe der Eltern. Aber sie sind damit beschäftigt, den Status zu erhöhen. Zusätzlicher Druck wird auf die Berufswahl ausgeübt. Nur Akademiker sind offensichtlich gut genug, andere Berufszweige können die Kinder und Jugendliche nicht wählen.


    Mädchen haben es da besonders schwierig, denn es gilt nicht das Vertrauen in ihre Tugend, sondern der äußere Schein und der ist unter allen Umständen zu wahren. Daher dürfen viele Migranten-Mädchen nicht das machen, was ihre „westlichen“ Freundinnen tun dürfen und für sie eigentlich selbstverständlich ist. Es ist zuweilen erschütternd, wie sehr die Kinder unter diesen zwei verschiedenen Welten zu leiden haben und welche Folgen daraus entstehen. Diese Schilderungen beruhen entweder auf eigene Erfahrung oder Berichte von anderen Betroffenen und machten mich zuweilen betroffen und erschütternd.


    Devan geht dabei selbst mit seiner eigenen Kultur ziemlich hart ins Gericht, ohne sich selbst dabei zu verleugnen. Er hat keine Scheu, jene Betroffene zu ermutigen, sich in Therapie zu begeben, wenn sie mit den vielen emotionalen Verletzungen nicht mehr allein umgehen können, ohne andere zu gefährden. Es gab mir einen tiefen Einblick in eine andere Welt und sorgte sowohl für Unverständnis für die andere Kultur (weil ich ja freiheitlich aufgewachsen bin) als für Verständnis für die Menschen, die vielleicht anders sein wollen, aber oftmals gar nicht anders sein können.


    Die 195 Seiten sind schnell durchgelesen und werden von zuweilen sehr eindringlichen Bildern begleitet. Ich empfehle es allen, die in zwei verschiedenen Kulturen aufwachsen mussten und sehr viele innere Konflikte sie belasten, von mir gibt es vier Sterne und ein großes Dankeschön an den Autor, der mir das Buch nebst einer sehr schönen Signierung zur Verfügung stellte.