Wer sind eure Protagonisten?

  • Huhu,


    mich würde mal interessieren, wie ihr eure Protagonisten zum Leben erweckt.
    Sind es Leute (wenn auch nur optisch) die ihr kennt oder mal irgendwo gesehen habt oder denkt ihr euch alles komplett selber aus?
    Oder vielleicht seid ihr ja selber indirekt eine Person im Buch und beschreibt euch selber.
    Ich bin gespannt auf eure Antworten :bounce:

  • Teils, teils. Einige Figuren haben insofern ansatzweise reale Vorbilder, als dass die Idee zu ihrer Geschichte aus kleinen Alltagsbeobachtungen entsteht, aber bei der äußerlichen Beschreibung gehe ich eh selten ins Detail, und was Lebensumstände und Charakterzüge betrifft, wäre jede Ähnlichkeit reiner Zufall. Andere Figuren sind komplett erdacht, wobei ich sicherlich auch da unwillkürlich Anleihen mache.
    Was meine eigene Anwesenheit in den Büchern betrifft, kann ich sicherlich nicht verhindern, dass mein Leben und meine Ansichten Denken und Handeln der von mir erschaffenen Charaktere beeinflussen,aber gezielt autobiografische Züge verliehen habe ich noch keinem.

  • In meinen ersten Geschichten habe ich in die eine oder andere Protagonistin sehr viel von mir selbst hineingebracht - zumindest viel von dem, wie ich mal war. In dem Roman "Hausmeisterpflichten" habe ich sogar reale Personen und ein reales Setting als Grundgerüst genommen, denen ich dann allerdings Handlungen, Ansichten und Orte untergeschoben hatte, die mit der Realität nicht übereinstimmten. Dass ich das gemacht habe, lag an meinem Mann, der meinte, ich solle doch mal einen Roman schreiben, in dem die Männer zur Abwechslung normale Männer mit normalen Berufen sind (ich schreibe Erotik und da sind üblicherweise gut betuchte, toll aussehende Männer gefragt). Hierfür bot sich seine Umgebung geradezu an :loool: Gegen Ende des Romans bekommt dann allerdings meine Wenigkeit bezüglich der Ansichten der Ehefrau des Hausmeisters auch eine kurze Erwähnung.
    Mittlerweile entwickeln sich meine Charaktere aus der Situation heraus. Natürlich hat die eine oder andere Figur auch mehr oder weniger Anteile von mir oder mir bekannten Personen, aber da ich mich viel mit Psychologie beschäftigt habe, kommen durchaus viele Personen in den Geschichten vor, die eine vollkommen eigenständige Persönlichkeit und nichts mit mir bekannten Leuten zu tun haben. Wichtig daran finde ich, dass man als Leser erkennen kann, dass sich die Personen entwickeln, denn nichts ist langweiliger als ein Protagonist, der ein ganzes Buch über auf seiner Meinung beharrt und sich nicht eines Besseren belehren lässt :wink:

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • Also bei mir ist das so, dass meine Kreativität durch Menschen angeregt wird und diese dementsprechend meinen Protagonisten werden.
    Die Geschichte, an der ich gerade schreibe, ist zum Beispiel so entstanden. Eine Freundin von mir hat mich auf einen Typen aufmerksam gemacht und nachdem ich ich ihn begutachtet hatte, war schon der Ansatz zu einem Buch im Kopf fertig. Natürlich bekommt er den Charakter usw. von mir aufgedrückt (ich kenne ihn ja nicht :loool: ) aber bildlich hab ich halt schon ihn vor den Augen.
    Nachteil an der Sache: Seit dem "ersten Mal" läuft er mir irgendwie ständig über den Weg, und ich glotze ihn regelrecht an um möglichst (optisch) noch was aufzunehmen :totlach:

  • Also bei mir ist das so, dass meine Kreativität durch Menschen angeregt wird und diese dementsprechend meinen Protagonisten werden.

    Das ist auch eine Kunst, zumindest in meinen Augen :thumleft: . Du spinnst deine Geschichten also um Menschen herum, während ich üblicherweise bestimmte Situationen nehme und die Personen dort hinein katapultiere, sodass sie gezwungen sind zu agieren.
    Optiken interessieren mich weniger, auch wenn ich die Menschen grob beschreibe - so grob, wie ich sie wahrnehme. Das mag auch daran liegen, dass ich mit Gesichtern nicht viel anfangen kann, mit der Psyche und situationsbedingten Herausforderungen dagegen schon 8)

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • Das ist auch eine Kunst, zumindest in meinen Augen :thumleft: . Du spinnst deine Geschichten also um Menschen herum

    Das stimmt, so mache ich es. Allerdings besteht hier die Gefahr, mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, was meine gesponnene Geschichte beeinflussen könnte :geek:
    Meine Nebendarsteller sind dagegen immer ausgedachte Personen mit ausgedachten Charakterzügen.

  • Meine erste Protagonistin und ihre Geschichte beruhten auf einer wahren Person.
    Später stand zu Beginn eine Frage, der ich nachspüren wollte und dazu suchte ich mir eine Figur, die es im wahren Leben geben könnte. Die restlichen Protagonist*innenen, die im Lauf der Geschichte dazu kommen, sind meist ungeplant. Sie kommen und gehen wie sie wollen, und ich muss mich dann mit ihnen irgendwie arrangieren.
    Und ich denke so einiges von mir selbst ist in den verschiedenen Protagonist*innen auch wiederzuerkennen.

  • Geschichten werden von den Entscheidungen der Hauptfiguren getragen. Die Erschaffung eines Protagonisten hängt daher für mich eng mit der Handlung zusammen. Je nachdem, was in meinen Vorstellungen zuerst beginnt, Form anzunehmen, kann die Grundfrage entweder lauten "Was muss das für ein Mensch sein, der diese Geschichte erleben könnte?" oder aber "Was muss das für eine Geschichte sein, die dieser Mensch erleben könnte, von dem ich schon eine Grundvorstellung habe?" So oder so muss beides aufeinander abgestimmt werden.


    Passen die Persönlichkeit und ihre Rolle in der Handlung zusammen, stehen zwei weitere Aufgaben an: Der Figur eine Vergangenheit zu gestalten, die erklärt, wie sie wurde, wie sie ist und ihr eine Zukunft in der Geschichte zu geben (also die Befassung mit der Frage, in welche Richtungen sich diese Persönlichkeit entwickeln kann und muss).


    Auf einer solchen Basis arbeite ich die Protagonisten weiter aus. Die dabei zu berücksichtigenden Fragen sind Legion, die wichtigsten davon hängen aber teils vom Grundkonzept ab. Mimik, Gestik, Sprechweise, Marotten, Hobbys, Fehler, Schwächen, Stärken, Wünsche, Sehnsüchte, Moral, mögliche Interaktionen mit anderen Protagonisten usw. existieren nie gänzlich unabhängig davon (und voneinander). Erst, wenn ich auch das Weltbild eines Charakters (in einer Welt, die in meinem Genre oft nicht die Erde ist und mit einer Person, die nicht unbedingt ein Mensch sein muss) verstehe, kann ich den Entwurf als annähernd fertig ansehen. All das kann nicht einfach Punkt für Punkt abgehandelt werden, denn jede Entscheidung zu einem Charakter und seiner Entwicklung hat Auswirkungen auf andere Protagonisten und den Handlungsverlauf.


    Aus dem bisher Gesagten ergibt sich schon, dass der Versuch, existierene Personen zu kopieren für mich nicht zielführend wäre. Alle einzelnen "Bauteile" und ihre Zusammenhänge bei realen Personen zu studieren gehört dagegen zum Handwerkszeug. Direkte persönliche Erfahrung würde mir allerdings auch nicht genügen, um einen Roman mit lebendigen, rollengerecht eingesetzten Leuten zu füllen. Zu einzelnen Sachfragen, die auch die Persönlichkeit betreffen müssen gezielte Recherchen angestellt werden und der Fundus der persönlichen Beobachtungen findet seine Ergänzung in den Darstellungen in anderen Büchern und Filmen. Das reine Äußerliche ließe sich natürlich oft 1:1 von einem echten Menschen übernehmen, allerdings hatte ich nie das Bedürfnis dazu.

  • Sehr interessant mal zu lesen, wie ihr das so macht. - Danke für die Frage!


    Also bei mir war es bisher so, dass ich sowohl Aussehen als auch Charakter meiner Protagonisten aus mehreren Einzelelementen verschiedener realer Personen zusammengesetzt habe. Das heißt einzelne Wesenszüge und Verhaltensweisen, die mir irgendwie auffallen oder die mich beeindrucken, notiere ich mir, um sie in meiner eigenen Kombination in einer Geschichte einem Protagonisten zu verleihen. Natürlich kombiniere ich nicht alles wild, das wäre dann sicher nicht stimmig. Ich denke, das geht so in die Richtung, was Martin in seinem letzten Abschnitt auch geschrieben hat. Ein Quentchen Fantasie kommt da sowieso immer dazu - also eigene Vorstellungen und Ansichten, sicher auch geprägt von dem, was ich bewusst oder unbewusst aus vielen anderen Quellen aufnehme. Manchmal ergibt sich dann Aussehen und Kleidung der Figur passend zum Charakter, jedenfalls teilweise. Aber natürlich kann der äußere Schein auch täuschen, und ein Protagonist, der sich sehr edel kleidet und gebildet ist, kann auch nur ein armer Handwerkerbursche auf Wanderschaft sein (zum Beispiel ein tapferes Schneiderlein ...) Gerade so ein scheinbarer Widerspruch kann eine Figur sehr spannend machen, finde ich, zumindest wenn man bewusst und sparsam mit solchen Gegensätzen arbeitet.

  • Ich mache mir anfangs nicht so viel Gedanken über den Protagonisten. Die Geschichte steht im Vordergrund. Erst beim überarbeiten überlege ich mir einen Charakter und wie dessen Leben auch außerhalb der Geschichte aussehen könnte. Dann stelle ich mir vor, wie so ein Mensch sich mit den Erlebnissen der Geschichte entwickeln könnte.
    Bei meinem ersten Buch ist die Protagonistin ersteinmal mutig, aufgeschlossen, lebensfroh. Im Laufe der Geschichte wird sie immer hilfloser und ängstlicher, was in Anbetracht der Geschehnisse verständlich ist.


    Für das Aussehen habe ich meine eigene Methode entwickelt. Ich gebe bei Google Haarfarbe usw. ein und schaue mir dann die Bilder an, welche Person am ehesten dazu passt. Und dann beschreibe ich mithilfe dieses Bildes die Person.
    (Liegt wahrscheinlich daran, dass ich keine Gesichter vor meinem geistigen Auge hervorrufen kann)

  • Ich würde auch sagen, von allem etwas. Optisch denke ich mir das meiste aus. Charakterlich kriegen sie immer zumindest ein bisschen etwas von mir mit. Und dann sind da ja noch die ganzen anderen Figuren, die zu einer Geschichte gehören. Da nehme ich mir gerne reale Personen als Vorbild. Aber meistens entwickelt das Ganze plötzlich eh ein Eigenleben. Da bin ich oft selbst gespannt, in welche Richtung sich alle entwickeln.

  • Ich würde auch sagen, von allem etwas. Optisch denke ich mir das meiste aus. Charakterlich kriegen sie immer zumindest ein bisschen etwas von mir mit. Und dann sind da ja noch die ganzen anderen Figuren, die zu einer Geschichte gehören. Da nehme ich mir gerne reale Personen als Vorbild. Aber meistens entwickelt das Ganze plötzlich eh ein Eigenleben. Da bin ich oft selbst gespannt, in welche Richtung sich alle entwickeln.

    Das mit den Entwicklungen kenne ich auch sehr gut. Meistens mit der ganzen Geschichte. Am Anfang weiß ich selbst nicht, wie sich die Geschichte entwickelt oder sogar endet.
    Das erinnert mich immer an einen Film, in dem die Geschichte des Autors sich verwirklicht. Ich weiß jetzt aber nicht mehr, wie der heißt.

  • Mir fällt ein, dass man die Eingangsfrage vielleicht noch um eine Variante erweitern kann: Sind die Figuren ein Gegenentwurf zu irgendeiner realen Person? So war es nämlich bei meinem Buch Pfiff!: Ich war als Zuschauer bei einem Hallenturnier, bei dem mir unter den Schiedsrichtern eine junge Frau unangenehm aufgefallen ist, weil sie selbstsicheres Auftreten mit Arroganz verwechselt hat und mit übertrieben herrischen Gesten und Ansprachen verbergen wollte, dass sie in Wahrheit die Hosen gestrichen voll hatte. Ich hab dann schon auf der Tribüne angefangen, die Geschichte zu entwickeln, die dem eine junge Schiedsrichterin entgegensetzt, die die Spieler nicht als Gegner betrachtet und ihnen deshalb fest, aber respektvoll entgegentritt.


    (Und bevor mir jetzt jemand vorwirft, als Sofa-Experte pauschale Schiedsrichter-Schelte zu betreiben: Ich kenne beide Seiten des Zauns aus eigener Erfahrung, und ich betrachte die beschriebene Schiedsrichterin für sich, nicht als typisches Beispiel für alle.)

  • Mir fällt ein, dass man die Eingangsfrage vielleicht noch um eine Variante erweitern kann: Sind die Figuren ein Gegenentwurf zu irgendeiner realen Person?

    Als kompletter Gegenentwurf zu einer realen Person entstehen meine Charaktere auch nicht. Trotzdem kommt das meiner Methodik schon näher als die Eingangsfrage. Denn damit, dass jemand in einem bestimmten wichtigen Aspekt nicht ich selbst (oder nicht jemand anderes, den ich genügend kennen würde, um ihn treffend zu charakterisieren) ist, lässt sich einiges entwickeln. Dabei nutze ich aus, dass ich meine übrigen Eigenschaften ganz gut kenne und ableiten kann, wie sie wohl von der Änderung beeinflusst würden ohne aber immer die gleiche Person neu zu erschaffen.