Ulf Miehe - Ich hab noch einen Toten in Berlin

  • Der Autor (dtv und Wikipedia): Der am 11. Mai 1940 in Wusterhausen geborene Ulf Miehe war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur. Er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Robert Artner. Er wuchs in Berlin auf, absolvierte eine Buchhändlerlehre in Bielefeld und arbeitete nach einem Verlagsvolontariat als Lektor in Gütersloh. Während dieser Zeit entdeckte er Guntram Vesper, dessen Band Gedichte er 1965 betreute. Außerdem verdiente er sich sein Auskommen als Synchronsprecher, Statist, Übersetzer, freier Schriftsteller und Regisseur und erhielt mehrere Stipendien. 1968 erschien „Die Zeit in W und anderswo“. Mit Volker Vogeler schrieb er 1971 das Drehbuch zu „Jaider – Der einsame Jäger“ (Bundesfilmpreis in Silber) und mit Walter Fritzsche das Drehbuch zu dem Film „John Glückstadt“ nach einer Theodor-Storm-Novelle, bei dem er 1975 selbst Regie führte. Dafür erhielt er den Bundesfilmpreis für Regie. Ab 1974 war er Mitglied des P.E.N.-Zentrums. Mit Marius Müller-Westernhagen trat er 1972 in der WDR-Satire-Sendung „Express“ auf. Esther Ofarim sang auf ihrer LP „Complicated Ladies“ mehrere seiner Songtexte. In den 1980er-Jahren verfasst er außerdem auch einige Drebuchbücher zu den TV-Serien "Tatort" und "Der Fahnder". Miehe war einst mit Gertrud Höhler liiert. Mit seiner Frau Angelika lebte er bis zu seinem Tod bei München. Er starb am 13. Juli 1989 mit 49 Jahren an einer Gehirnblutung.


    Sein drei Noir-Romane gehören zum Besten, was die deutsche Kriminalliteratur zu bieten hat:

    • 1973 - Ich hab noch einen Toten in Berlin: Der Roman wurde in elf Sprachen übersetzt, hatte in den USA eine Auflage von 200.000 Exemplaren, erhielt in Bayern den „Staatlichen Förderpreis für Literatur“ und wurde 1974 von Michael Fengler mit Lou Castel und Bernd Herberger in den Hauptrollen unter dem Titel Output verfilmt (Q: Wikipedia). Die letzte Auflage erschien 2006 als Band 17 der SZ-Kriminalbibliothek.
    • 1976 - Puma: Der Roman erhält im November 2016 eine Neuauflage im Rahmen der SZ Krimi-Noir-Edition.
    • 1981 - Lilli Berlin: Der Roman wurde im September 2014 vom Rotbuch-Verlag noch einmal ausgegraben.

    Klappentext (dtv): Zwei Filme haben Benjamin, der Autor, und Gorski, der Regisseur, auf herkömmliche Weise miteinander gedreht, als ihnen die Idee zu einem Kriminalfilm kommt, der einmal mit völlig unkonventionellen Arbeitsmethoden entstehen sollte. Den entsprechenden Tipp für den großen Coup haben sie von Sparta, einem Mann mit Beziehungen zur Berliner Unterwelt. Es soll ein Film hart an der Wirklichkeit werden, und dazu gehören eingehende Milieustudien; dazu gehört, dass sich Autor und Regisseur auf illegale Weise Pistole und Revolver beschaffen, natürlich auch falsche Pässe. Der Ablauf des Geschehens, von der Landung der US-Maschine, die zweimal monatlich die Gelder für die amerikanischen Soldaten in Berlin bringt, dem Verladen der beiden Geldsäcke in den Transportwagen, der von zwei Jeeps eskortiert zum Hauptquartier fährt, bis zu einem bestimmten Bahnübergang – alles wird genaustens recherchiert, ein exakter Zeitplan aufgestellt. Doch dann wird aus dem Drehbuch unversehens Wirklichkeit …


    Klappentext (SZ Krimibibliothek): Der Drehbuchautor Benjamin und der Regisseur Gorski kommen mit einer ganz besonderen Idee nach Berlin. Von Horst Sparta, einer zwielichtigen Gestalt aus der Berliner Unterwelt, haben sie eine tolle Story aufgetischt bekommen, die sich hervorragend für einen harten Thriller eignet: Alle zwei Wochen landet eine US-Maschine in der geteilten Stadt, an Bord prall gefüllte Dollarsäcke mit dem Sold für die dort stationierten amerikanischen GIs. Das Geld wird in einen gepanzerten Wagen umgeladen und dann mit einer Eskorte zum Hauptquartier gefahren. Wem ein Überfall auf den Transport gelingen sollte, der wäre ein gemachter Mann. Sparta selbst traut sich den Überfall nicht zu, aber er hilft den beiden in der Unterwelt unerfahrenen Filmemachern bei ihrer Recherche. Er zeigt ihnen, wo man illegal an Waffen kommt, wie man Pässe fälscht und noch so manch anderen Ganoventrick. Doch auch wenn die Nachforschungen voranschreiten, haben Benjamin und Gorski kein Glück bei den Produzenten. Niemand will ihren Film finanzieren. Da kommt ihnen die Idee, das Ding selbst zu drehen - und zwar nicht als Film, sondern in der Realität...



    Der Roman entstand nach Motiven eines Drehbuchs von Volker Vogeler und Ulf Miehe. Die Erstausgabe erschien 1973 bei R. Piper & Co. in München. Unter anderem folgten ein Jahr später Übersetzungen ins Dänische, Finnische und Schwedische, 1976 als "A Dead One In Berlin" - übertragen von Sophie Wilkins - ins Englische und 1978 ins Niederländische und Spanische. In der ungekürzten Taschenbuchausgabe bei dtv vom Juni 1975 umfasst der Roman 207 Seiten. Vorangestellt ist ein Bob-Dylan-Zitat: Forget the dead you've left, They will not follow you.



    Ach, gäbe es nur mehr so präzise Kriminalschriftsteller in Deutschland! Der früh verstorbene Ulf Miehe war ein Autor mit genauem Blick dafür, was „echt“ und was „aufgesetzt“ ist. Auch in seinem ersten Roman geht es nicht darum, eine bis in alle Ritzen abgedichtete Krimihandlung zu stricken, sondern zu zeigen, was Kriminalität im Leben zweier Figuren bewirken kann. Es soll nicht die xte Variante eines der drei, vier möglichen - das heißt der vom lahmen Durchschnittsleser abgesegneten - Story-Schemata erzählt werden. Nein, Miehe versucht sich schlichtweg an der gemeinhin "undenkbaren" fünften Variante, in der die Verbrecher mit ihrem „Größer-als-das-Leben“-Coup durchkommen; in dieser Geschichte wohlgemerkt „Verbrecher“, bei denen es sich einfach nur um Stinknormalos handelt, die auch einmal ein großes Stück vom Kuchen abbekommen wollen, die sich nicht ihr ganzes Leben lang immer nur abstrampeln möchten.


    Und im Grunde wäre das doch auch genau das, was man gerne lesen würde: Dass ein Plan auch mal gelingt. Warum es nicht also einmal versuchen... :) Und wenn es dann noch so konzentriert und rechtschaffen - womit ich meine: seinen Figuren, dem Milieu, der Zeit und dem Thema gegenüber treu ergeben, das Einfache suchend, aber das Schwierige nicht scheuend - aufbereitet wird, dann halte zumindest ich einen Page-Turner in meinen Händen. Und nur weil „wir alle“ zu Berufs-Zynikern verkommen sind (anstatt am Amateurstatus in Sachen Sarkasmus zu feilen, was viel intelligenter wäre) ist der negative Ausgang einer Geschichte, der Rückschlag für hochfliegende Träume nicht auch gleich die wahrscheinlichere Alternative. Nein, das ist nicht naiv oder unlogisch, das ist Literatur! :P


    Dieser Roman, der auf eine authentische und detaillierte Weise diverse Möglichkeiten, wie der Überfall auf den Geldtransport der alliierten Militärgehälter im Westberlin der 1970er-Jahre ausgehen könnte, während der Phase der Planung durch die beiden Filmschaffenden, die zu Verbrechern werden könnten, die entweder einen wirklichkeitsgetreuen Film drehen oder einen erfolgreichen Überfall hinlegen, durchspielt, der die Schwierigkeit abbildet, zu einer Entscheidung zu kommen, ob man aus einem normalen Leben heraus die Grenze in die Illegalität überschreiten möchte, der erst einmal abklärt, ob man sich „kriminelle“ Selbstermächtigungsträume überhaupt leisten kann, ob man „Manns genug“ ist, diesen Schritt zu vollziehen, ist eine literarische Wohltat, weil im Grunde sowieso die Art und Weise, wie Kriminelle Verbrechen begehen und wie sie danach geschnappt werden, viel uninteressanter ist, als die Frage, was einen Kriminellen zu seinen Verbrechen befähigt. In diesem Fall heruntergebrochen auf die Frage: Will ich nur das, was ich darf – und vermag ich das, was ich will?


    Keine halben Sachen: Klare Höchstwertung! :applause: Wer die französischen Gangsterfilmballaden von Jean-Pierre Melville, Henri Verneuil oder José Giovanni liebt und wessen Herz bei Autoren wie David Goodis oder Jean-Patrick Manchette lauter klopft, kann hier bedenkenlos zugreifen.


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  • Der Einband der gebundenen Erstauflage beim Piper-Verlag sah so aus.

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  • Das Cover der US-amerikanischen Ausgabe im Bantam-Verlag in New York, gestaltet von Mitchell Hooks, ist einfach zu schön! Da nicht bei "Amazon.de" gelistet, hier ein Link.

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  • Das ist die dänsiche Übersetzung unter dem Titel "En million i Berlin".

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  • Die spanische Übersetzung als "Un muerto en berlin".

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