Cynthia d'Aprix Sweeney - Das Nest / The Nest

  • Das geplünderte Nest


    Melody, Jack, Bea und der Draufgänger Leo sind Geschwister. Mittlerweile sind sie in ihren Vierzigern und haben sich ihr eigenes Leben aufgebaut - sind verheiratet, besitzen ein Sommerhaus oder schicken ihre Kinder auf ein gutes College.
    Allerdings bekommen sie immer mehr zu spüren, dass, gerade in Zeiten der Finanzkrise, ihr Geld nicht mehr ausreicht. Zum Glück können alle vier auf eine Erbschaft hoffen, welche ihre Probleme in Luft auflösen wird. Diese war auch stets eingeplant, denn sie erlaubte es den Geschwistern ohne Gewissensbisse über ihre Verhältnisse zu leben. Schließlich soll der Fond "Das Nest" aufgeteilt und ausgezahlt werden, sobald Melody, die jüngste, 40 Jahre alt wird - und ihr Geburtstag naht. Um ihre Erbschaft zu besprechen, treffen sie sich daher in der edlen Qyster-Bar.
    Doch dann folgt die Ernüchterung: Ihre Mutter, die nach dem Tod des Vaters mit der Verwaltung der Erbschaft beauftragt wurde, hat den Fond bereits aufgelöst und die nicht gerade unerhebliche Summe ihrem Sohn Leo zur Verfügung gestellt. Den Grund hierfür erfährt der Leser im Prolog. Der Playboy Leo hat sich, vollkommen berauscht von Alkohol und Kokain, auf einer Party an eine junge Aushilfskellnerin Mathilda rangemacht. Nachdem sie sich also in einer Abstellkammer näher kennengelernt haben, lockt er sie mit einer derart plumpen Lüge in sein Auto, dass man nur den Kopf über so viel Naivität schütteln kann. Wie er erzählt, habe er gute Freunde bei Columbia Records, die "immer auf der Suche nach neuen Talenten" sind (S.12). Da Mathilda "neunzehn, aufstrebende Sängerin" (S.10) und sich von dem Mann, der gut ihr Vater sein könnte angezogen fühlt, er sie in dem kleinen Kämmerschen wirklich angeschaut, richtig gesehen hat, ist sie für die Idee auf der Stelle vorzusingen, ganz begeistert. Also steigt sie zu Leo ins Auto und vergisst kurz darauf, dass sie eigentlich im Haus zu kellnern hat. Sie möchte ans Meer fahren, Leo stimmt zu und hat dann, nachdem er den Rückwärtsgang eingelegt hat, noch nicht mal Zeit sich anzuschnallen, schon ist der Reißverschluss seiner Hose geöffnet. Am Strand kommt es dann wie es kommen muss. Allerdings geschieht ein Unfall, bei dem das Mädchen seinen Fuß verliert - und Leo später seine Frau.
    Da sowohl die Scheidung als auch die Schmerzensgeldforderungen nicht gerade gering sind, muss Leos Mutter eingreifen. Ansonsten gäbe es wohl einen Skandal - und so etwas darf einer sehr reichen Amerikanischen Familie doch nicht geschehen.
    Nun hatten Leos Geschwister aber nun einmal fest mit ihrer großen Finanzspritze gerechnet. Manche von ihnen haben das Sommerhaus des Ehemannes verpfändet, andere haben eine geheime zweite Kreditkarte oder haben sich dem Traum des Autorendaseins hingegeben - ohne Erfolg.
    Schnell wird klar, dass eine Lösung gefunden werden muss. Für diese soll Leo zuständig sein, da er schließlich dafür verantwortlich ist, dass der Fond geplündert wurde. Dieser verspricht auch, sich etwas einfallen zu lassen.
    Doch, auch wenn er es angekündigt hatte, kümmert sich Leo nicht wirklich um die Begleichung seiner Schuld. Er, dessen Leben von Eskapaden geprägt ist, hat nämlich eine neue Flamme, die seier ganzen Aufmerksam bedarf.
    Allmählich grübeln die Geschwister auch über teilweise nicht ganz legale Wege, sich Geld zu beschaffen... Mit dem ausbleibenden Geldregen gerät die ganze Familie aus den Fugen...


    Als ich mit dem Lesen begann, hätte ich am liebsten schon wieder aufgehört... Denn mir sagte der Playboy, der nach den ersten paar Sätzen schon in der Abstellkammer verschand, und der die Drogen durch seine Adern fließen spürte so gar nicht zu. Auch habe ich mich über Mathilda aufgeregt, die ich am liebsten einmal durchgeschüttelt hätte. Welches Mädchen fällt denn bitteschön auf einen solchen Typen und auf derart unterirdische Sprüche herein?
    Allgemein scheinen mir die meisten Charaktere realitätsfremd zu sein und ihren Verstand gebrauchen sie wohl auch nicht so häufig. Wie kann man denn ein Leben lang über seine Verhältnisse leben, weil man zu wissen glaubt, dass eine Erbschaft die, sobald die jüngste Schwester vierzig Jahre alt wird, ausgezahlt wird, alle Schulden begleichen wird? Die Charaktere sind doch alle schon erwachsen.
    Die Figuren werden sehr detailreich gezeichnet und man merkt beim Lesen, dass die Autorin den Figuren mit all ihren Schwächen durchaus Sympathie entgegenbringt. Ich konnte mit den Charakteren jedoch kaum etwas anfangen.
    Mich hat die neureiche Familie eher abgestoßen und von ihrem Selbstverständnis war ich verblüfft. In meinen Augen ist es auch etwas ungeschickt, direkt mit der Party und Leos Unfall zu beginnen, da - selbstverständlich kann ich da nur für mich sprechen - die Leselust doch genommen wird.
    Zum Glück wird die Erzählung im Verlaufe des Buches noch spannender, allerdings hat "Das Nest" immer wieder seine Längen.
    Immerhin wurden die Figuren sehr genau beschrieben und der Umgang der Geschwister miteinander ist recht interessant, da sich die Einstellungen der einzelnen ja im verlaufe der Geschichte auch ändern könnten...?

  • Allgemein scheinen mir die meisten Charaktere realitätsfremd zu sein und ihren Verstand gebrauchen sie wohl auch nicht so häufig.

    Ich glaube eher, dass Sweeney gerade sehr überzeichnete Charaktere darstellt und das bewusst. Zumindest laut dem, was meine Kollegin darüber erzählt hatte. Man muss das Buch mit einem Augenzwinkern lesen und es geht wohl eher in Richtung Satire. Ich überzeug mich aber bald selber davon, ich freu mich schon drauf :lechz:
    Jedenfalls danke für die Rezi!

  • Die Plumbs sind eine Familie wie viele andere auch: Ausser der zufälligen Verwandtschaft hat man nur wenig gemeinsam und so beschränken sich die Zusammentreffen auf die eher seltenen Familienfeiern. Doch was die vier Geschwister verbindet, ist die Vorfreude auf das in Bälde auszuzahlende Erbe (das das Nest genannt wird): An Melodys 40. Geburtstag sollen alle 500.000 $ erhalten, die jede/r von ihnen teils schon seit Jahren fest verplant hat. Doch kurz vor diesem Termin verschuldet Leo, der Lebemann unter den Geschwistern, einen entsetzlichen Unfall und die Mutter der vier verwendet den Großteil des Geldes, um die Schäden so gering wie möglich zu halten. In dieser aussergewöhnlichen Situation finden sich die drei restlichen Geschwister zusammen, um einen Weg zu finden, doch noch an das Erbe zu gelangen. Denn Leo, der für sein verantwortungsloses Verhalten berühmt-berüchtigt ist, soll nicht ungeschoren davon kommen.
    'Das Nest' ist eine wirklich schöne und unterhaltsame Familiengeschichte mit überaus differenziert und liebevoll beschriebenen Charakteren. Schwarz-Weiß-Schemata gibt es praktisch nicht (sieht man von der Mutter ab, die aber nur eine Randfigur darstellt) und sämtliche Personen haben ihre guten wie auch schlechten Seiten, selbst der egoistisch-narzisstische Leo. Die Autorin schildert überzeugend und nachvollziehbar, wie Menschen ihr ganzes Dasein darauf ausrichten, in einer bestimmten Zeit einen bestimmten Geldbetrag in Händen zu halten. Aber als dieses scheinbar bald erreichte Ziel sich buchstäblich in Nichts auflöst, brechen ganze Lebensentwürfe zusammen. Doch statt dass die Welt 'untergeht', kommt sich die Familie näher; es entstehen neue Möglichkeiten und manche/r muss feststellen: Es sind nicht die Schlechtesten ;-)
    Ein ebenso lesenswertes, amüsantes wie mutmachendes Buch, das jedoch mal wieder mit einem Klappentext versehen ist, den man auch weglassen könnte. Ja, die Geschwister müssen Geld auftreiben, aber diesen Antrieb empfand ich während des Lesen eher nebensächlich. Und auch das Bild der Autorin hat ein derart historisches Alter, dass die Aussagekraft gegen Null geht. Doch wer liest schon Klappentexte (ausser mir) ;-) ?

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Klappentext:
    Melody, Jack, Bea und Leo sind Geschwister. Sie sind in ihren Vierzigern, stehen mitten im Leben und sie haben immer gewusst, sie würden eines Tages erben. Aber was, wenn die Erbschaft ausbleibt? Ein warmherziger, humorvoller und scharfsinniger Roman darüber, wie der Kampf ums Geld Lebensentwürfe und Familien durcheinanderbringen kann.


    Autorin:
    Cynthia D'Aprix Sweeney hat in New York als PR-Beraterin gearbeitet, bevor sie zum Schreiben kam. Sie lebt mit Mann und Kindern in Los Angeles.


    Allgemeines:
    Erscheinungsdatum: 29. Oktober 2016
    Seitenanzahl: 417
    Originaltitel: The Nest


    Eigene Meinung:
    Auf einer Buchausstellung habe ich viel von diesen Buch gehört und es machte mir die Geschichte wirklich schmackhaft. Als das Buch dann auf netgalley angeboten wurde, habe ich mein Glück versucht und es wurde bestätigt.
    Ich habe etwas länger für die Geschichte um die vier Geschwister, die ein Erbe erwarten gebraucht. Dies lag zum Teil daran, dass es nicht mein übliches Genre ist und ich mich erst ein wenig darauf einlassen musste. Der Anfang war mir auch ein wenig wirr, doch das legte sich später.
    Ich fand allerdings schade, dass die Charaktere bei allen Problemen, die sie haben, doch eher blass wirkten. Jetzt, ein paar Tage später könnte ich sie kaum wirklich noch beschreiben. Allerdings zeigt dieser Roman auf, was passieren kann, wenn man mit einem Geld plant, was noch nicht vorhanden ist. So hat jedes der Geschwister entweder eine Hypothek aufgenommen oder das teuerste College für die Töchter in Aussicht, denn das Erbe, welches am 40. Geburtstag der Jüngsten ausgezahlt werden soll, ist ja nicht mehr fern.
    Dumm nur, dass Leo unter Drogen und Alkohol einen Unfall baut, bei dem eine Kellnerin den Fuß verliert und das ganze Erbe aufgrund dieser Geschichte futsch ist.
    Auch hier schien mir vieles nicht nachvollziehbar, gerade auch die Gedankengänge von Leo, der den Unfall verursachte und tatsächlich die Chance gehabt hätte, das Ganze hin und her zu verhindern.
    Der bitterböse Ton, von dem man in Verbindung mit diesem Buch gerne hört, blitzt leider nur bedingt durch, dann ist er aber durchaus gelungen. Die Autorin bedient sich dafür für mich an etwas zu vielen Klischees, um die Charaktere noch glaubhaft wirken zu lassen.
    Dafür finde ich das Cover durchaus gelungen, symbolisieren die Vögel doch die vier Geschwister und das Erbe, welches von ihnen auch „Das Nest“ genannt wird, wird durch ebenjenes dargestellt.
    Alles in allem hat mich der Roman doch gut unterhalten und war nett zu lesen, als ich mich darauf einlassen konnte. Dennoch hätte sicherlich mehr Potenzial drin gesteckt.


    Fazit: Ein Roman um vier Geschwister mit Geldproblemen, der zeitweise durchaus unterhalten konnte, mir allerdings zu viele Klischees aufwies um wirklich glaubwürdig zu sein. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Die vier Plumb-Geschwister Leo, Beatrice, Jack und Melody stehen sich nicht besonders nahe, doch eins haben sie alle gemeinsam: die sehnsüchtige Erwartung von Melodys 40. Geburtstag. Denn wenn die Jüngste diese magische Grenze erreicht, wird das "Nest" für alle zugänglich, eine beträchtliche Geldsumme, die die Eltern im Laufe der Jahre beiseite gelegt haben und dann zu gleichen Teilen an die vier auszahlen wollen.


    Doch kurz vor dem großen Tag beruft die Mutter (der Vater ist inzwischen verstorben) den Familienrat ein und gesteht, dass das Nest lange nicht so gut gefüllt ist wie erwartet. Zu verdanken haben sie das Leo, der sich mit einer neunzehnjährigen Kellnerin im Schlepptau von einer Familienfeier abgesetzt hat und dabei in einen folgenschweren Unfall verwickelt wurde, was ihn finanziell teuer zu stehen kam.


    Verständlicherweise sind die anderen drei alles andere als begeistert, dass für die Konsequenzen von Leos Seitensprung ein Gutteil ihres Erbes draufgegangen ist. Vor allem der in zwielichtige Geschäfte verwickelte Jack und Melody, die um jeden Preis ihr heißgeliebtes, aber viel zu kostspieliges Haus halten möchte, sind entsetzt, haben sie sich doch auf das erkleckliche Sümmchen verlassen, um ihre persönlichen Finanzen in Ordnung zu bringen.


    Anfangs wurde ich mit keiner der Figuren richtig warm, die alle wie verwöhnte Society-Sprösslinge wirkten, für die Prestige, Geld und der schöne Schein wichtiger sind als alles andere. Doch mit dem Paukenschlag der Enthüllung, wie es tatsächlich um das "Nest" bestellt ist, kommt eine regelrechte Lawine von Ereignissen in Bewegung, die mich dann doch sehr gefesselt hat. Am Ende ist im ohnehin schon wackeligen Familiengebäude kein Stein mehr auf dem anderen - was aber nicht heißt, dass alles zerstört ist. Zwar geht einiges zu Bruch, es entstehen auch neue Bindungen und neue Perspektiven, und dass am Ende nicht alle Fragen bis ins kleinste Detail beantwortet werden, hat mir auch ganz gut gefallen, weil es viel lebensnäher wirkt als einen allzu saubere Auflösung sämtlicher Problemstellungen.


    Das Buch ist letztendlich auch mehr als eine bloße Familiengeschichte - es ist auch ein Spiegel der New Yorker Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Deren Lebensrealität mag zwar weit entfernt von Otto Normalverbraucher sein, doch die bewegten Zeiten zwischen dem 11. September und der Finanzkrise machen auch vor den (vermeintlich) Wohlhabenden und Erfolgsverwöhnten nicht halt, wie hier sehr schön gezeigt wird.

  • Nun ja................ich habe es jetzt auch gelesen. Vieles wurde hier schon gesagt, von wegen unrealistisch, zu klischeehaft etc, dem ich durchaus zustimme. So die ganz tiefere Bedeutung will mir dann aber nicht so erscheinen, ausser das es mir teilweise schon etwas schwer im Magen liegt. Ich sehe es leider nicht ganz so positiv wie einige meiner Vorredner. ( Wobei ich schon erkenne das die Familienmitglieder zusammen rückten ).


    Der Schreibstil ist wirklich gut, so das es sich flüssig liest. Allerdings brauche ich jetzt erstmal was ganz anderes zu lesen, etwas leichtes :)