John Burnside - Wie alle anderen (Start: 07.11. 2016)

  • Am Montag den 07. November starten wir unsere MLR zu John Burnsides zweitem `Memoir` >Wie alle anderen<.


    Teilnehmer bisher:
    Farast
    bittersweetlight
    taliesin


    Weitere Teilnehmer sind natürlich herzlich willkommen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • @Conor :cheers: Da freue ich mich riesig drüber! Klasse :D


    Eine Frage an euch allen, lesen wir wieder ein Kapitel pro Tag? Ansonsten wie gehabt, einfach melden, wenn es mal wieder intensiver wird oder was auch immer passieren mag.

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  • Ich habe es zwar schon gelesen, aber vielleicht fällt mir der ein oder andere Kommentar hier ein

    Wäre schön, wenn du mitlesen würdest. Ich habe es auch schon gelesen. Allerdings in der englischen Ausgabe (Waking up in Toytown) und das ist
    schon ein paar Jahre her.

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  • Nach einer stressigen Woche schaffe ich es endlich mal, mich hier blicken zu lassen. @taliesin Danke fürs Eröffnen. Ich würde mich riesig freuen, wenn Du zu uns stößt, @Conor .

    lesen wir wieder ein Kapitel pro Tag?

    Da bin ich für :thumleft:


    Ich bin schon sehr gespannt auf unseren Austausch. Bis Montag :winken:

  • Hallo zusammen,
    ich lese ja die englische Ausgabe (Waking up in Toytown) und da sind die meisten Kapitel so um die fünfzehn Seiten lang. Drei Kapitel sind
    allerdings zwischen 30 und 45 Seiten lang. Da könnten wir halt schauen, ob wir sie aufteilen. Wie sieht das denn bei der deutschen Ausgabe aus?

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  • Drei Kapitel sind
    allerdings zwischen 30 und 45 Seiten lang. Da könnten wir halt schauen, ob wir sie aufteilen. Wie sieht das denn bei der deutschen Ausgabe aus?

    Grob überschlagen so um die je 50 Seiten lang. Das können wir dann ja -je nach Inhalt und wie intensiv es sein könnte- wieder entsprechend aufteilen auf z.B. 2 Tage?

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  • Ein Kapitel am Tag, ok ... ich schließe mich der Mehrheit an. :)

    Wenn es mal von der Zeit her knapp werden könnte oder wenn wir merken das es wieder recht inhaltsreich wird, einfach "Bescheid" sagen.Beim letzten Mal hatte das sehr gut geklappt und bei unserer kleinen und feinen Runde sehe ich da nicht die geringste Schwierigkeit das Fingerchen zu heben. :) Manchmal ist der Inhalt so intensiv, dass man einfach etwas durchatmen muss.

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  • Bevor ich heute nachmittag in das erste Kapitel einsteige, möchte ich einen Ausschnitt aus einem Interview mit John Burnside posten, der
    eines seiner Grundthemen berührt. Die nicht immer festen Grenzen zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen.



    Zitat

    I always feel saddened by intelligent people who say, this can`t be true because it doesn`t work on terms of rationality. But what does?
    Inspiration? Art? Romantic love?
    Having been, as it were, mad, and lived with horror which at the moment I completely believed, I know that rationality doesn`t carry you
    all the way. Irrationality interests me more than anything. Sometimes it`s very dangerous, but it can me incredibly beautiful.

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  • Ich fange dann mal mit meinen ersten Eindrücken an :)


    Schlusswort (I)
    Ein Schlusswort als Einleitung? Aber warum nicht. Über den ersten Satz musste ich schmunzeln:


    Zitat von Seite 9

    Vor Kurzem, als ich noch verrückt war, fand ich mich in der seltsamsten Irrenanstalt wieder, die ich je gesehen hatte. Natürlich sind alle Irrenanstalten ein wenig seltsam, doch der Saal, in dem ich mich in besagtem Moment aufhielt, erinnerte mich an einen gewissen Typ Kirche, an einen jener Orte, an denen man meint, jeden Augenblick erscheine Gott oder einer seiner Lakaien mit der Frohen Botschaft, einem Vorgeschmack auf den Weltuntergang oder beidem.

    Und seltsam geht es dort irgendwie schon zu. Burnside beschreibt wie er sich bewusst wird wo er ist. Zu einem Pfleger (?) oder Aufpasser (?) geht und ihn anspricht, dass er wohl bei der Medikamentenausgabe vergessen wurde. Will sagen, er fühlt sich fast schon wieder in der Realität (aber eben nur fast, immerhin ruckelt der Saal, wenn er am Stuhl geruckelt hatte). Eine Frage die er schon vor 10 Minuten gestellt hätte lt. Pfleger.
    Burnsides Überlegung, wenn ich mich fühle, als wenn ich keine Medikamente mehr nehmen würde, dann gehöre ich doch eigentlich erst gar nicht hin. Und verlässt langam die Anstalt.
    Und wieder einer dieser wunderbaren Szenenwechsel in die Zukunft. Dieses kleine Licht von positivem, das immer wieder aufleuchtet. Bei Burnside wurde Apophänie diagnostiziert. Mittlerweile scheint er ja damit umgehen zu können. Wenn ich jetzt schreibe, dass es mir immer bewusster wird, wieso er so schreibt, wie er schreibt. Dazu noch das was @taliesin in seinem letzten Beitrag geschrieben hatte, klingt das vielleicht platt.
    Die Erkrankung Apophänie war mir erst in unserer letzten MLR über "Lügen über meinen Vater" begegnet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein mag, ständig diese Muster in allem zwanghaft erkennen zu müssen. (Gleichzeitig hat so ein kleiner Teil in mir gedacht, na da kenne ich eine Menge Leute die das in abgeschwächter Form auch haben. :roll: )
    Zurück zu Burnside, mittlerweile scheint er seine Erkrankung in Griff zu haben.


    Interessant seinen Gedankengängen über das Jenseits zu folgen. Und was er darüber schreibt, was mit der Seele passiert, wenn man stirbt. Unterbrochen von Erinnerungen an Kindheitstagen über das Porzelan. Das gute Porzellan, das zu besonderen Gelegenheiten gedeckt wird, bei dem jeder Angst hat, das es zerbrechen könnte. Und dem Schwenk rüber zu den Menschen, die ja auch kostbar und gleichzeitig so vergänglich sind. Und während ich Burnsides Überlegungen folge, dass die Toten "nicht bei uns bleiben und nicht über unser Leben als Erwachsene wachen" (Seite 17), bringt er mich langsam zu seinen weiteren Gedanken. Und was er da versucht zu beschreiben ist wirklich schwierig.



    Zitat von Seite 18

    Ich rede von Ideen und Vorstellungen, Mythen und Erinnerungen, kann Ihm (seinem Sohn) aber nicht sagen, woran ich wirklich glaube, dass nämlich beide die Toten die einst zu uns gehörten, und der Irre, der ich einst war, hinter einer Darstellung verschwinden, die Jahr um Jahr immer mehr einer Geschichte gleicht. Ich kann keine Worte finden, das andere zu erzählen, was ich in dieser Angelegenheit weiß, dass nämlich die Toten, die wir einst kannten, die aber nie die unseren waren, Tote, die nie irgendwem gehörten, nicht einmal sich selbst, auf immer weiterexisiteren, zumindest ein Teil von ihnen, dass sie endlos im Regen aufgehen, in den Blättern und jungen Tieren, die im ersten Morgengrauen jagen.

    Ich ende mal hier an der Stelle, wobei ich mehr zitieren könnte, aber das sprengt ja den Rahmen eines Beitrages.


    Interessant auch seine Ausführungen über "post-memory". Also wenn ich ihn richtig verstanden habe: Alle Erinnerungen sind ja nichts sicheres, ob die eigenen, die eingepflanzten oder die von anderen. Ein Ozean an Informationsfluten, doch Burnside geht da noch ein Stückchen weiter. Die bekannten Toten ziehen sich zurück und machen Platz für die Zukunft. So wie sein altes Ich (also das aus den Tagen der Irrenanstalt) sich auflöst.


    Und schon beginnt der nächste Teil seiner Überlegungen. Und jetzt verstehe ich auch seine Wahl "Schlusswort". Eine religiöse Sendung, die er mit seiner Mutter gemeinsam angeschaut hatte. Aber scheinbar keine die zu theologisch war, sondern eine, die den Glauben mit ins tägliche Leben und darauf Bezug nahm.


    Was mir an diesem Kapitel wieder extremst auffällt, wie schwer es ist, Burnsides Gedanken zu folgen. Was ich nicht als Nachteil empfinde sondern als Bereicherung. Er bringt mich arg zum nachdenken, über Dinge, die ich mir vorher so gar keine Gedanken gemacht hatte. Ich empfinde ihn als sehr nachdenklich und philosophisch. Deshalb bin ich schon sehr neugierig über eure Eindrücke von dem Anfangskapitel.

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  • zu Kapitel 1 - Schlusswort


    Vorab kurz etwas zu dem vorangestellten Zitat von Augustinus von Hippo
    My heart passionately cried out against all my phantoms, and with this one blow I sought to beat away from the eye
    of my mind all that unclean troop which buzzed around it.


    Da scheint mir, als ob Burnside immer noch gegen all die Phantome und Dämonen ankämpft die ihn verfolgen und bedrängen. Ich stelle mir die Frage, wo das erste
    Kapitel zeitlich einzuordnen ist. Liegt sein letzter Aufenthalt in der Psychiatrie nach der Erzählung dieses Memoirs und ist deshalb auch als Epilog eingeordnet, oder
    ist es Ergebnis und Schlusswort nach seinem Ausflug in die Vorstadt? Ich denke aber das wird noch geklärt.............

    Burnsides Überlegung, wenn ich mich fühle, als wenn ich keine Medikamente mehr nehmen würde, dann gehöre ich doch eigentlich erst gar nicht hin. Und verlässt langam die Anstalt.
    Und wieder einer dieser wunderbaren Szenenwechsel in die Zukunft. Dieses kleine Licht von positivem, das immer wieder aufleuchtet. Bei Burnside wurde Apophänie diagnostiziert. Mittlerweile scheint er ja damit umgehen zu können.

    Da habe ich so meine Probleme mit, denn Burnside wirkt hier schon sehr desorientiert, als käme er nach einem psychotischen Schub langsam wieder zurück in die
    Welt des Rationalen. Sehr gefallen hat mir seine Beschreibung der Straße, die ihn an einen Kindheitstraum erinnert und die in eine jenseitige Welt führte, gleichzeitig
    erinnert ihn das wiederum an die Straße die er nach seinem letzten Aufenthalt in der Psychiatrie entlang ging. Ein endgültiger Abschied, ein Hinweis darauf, dass er er
    nun mit seiner Krankheit umgehen kann, oder nur ein Wunsch?
    Seine Gedanken nachts an dieser Straße zu stehen, in die Stille zu lauschen und über eine jenseitige Welt nachzudenken sind wunderschön zu lesen.


    Zitat

    There`s never any traffic here at night, and I can stand out under the moon, listening to the quiet - and, if there were such a thing as a trancendent order
    if the afterlife really did exist, the way to get there would look something like this: a road, a meadow, dusk at the fence line, maybe a fox on its early-
    morning rounds in the whitening grass.

    Ich fühle mich bei solchen Beschreibungen immer als würde ich gerade dabeistehen und mit Burnside zusammen die Szene betrachten.


    Und schon beginnt der nächste Teil seiner Überlegungen. Und jetzt verstehe ich auch seine Wahl "Schlusswort". Eine religiöse Sendung, die er mit seiner Mutter gemeinsam angeschaut hatte. Aber scheinbar keine die zu theologisch war, sondern eine, die den Glauben mit ins tägliche Leben und darauf Bezug nahm.

    Das hat mir gefallen. Eine religiöse Sendung, die ohne die Warnung vor Hölle oder Verdammnis und ohne den erhobenen Zeigfinger auskommt. Umwerfend fand ich seine
    Beschreibung der Sehnsucht nach diesem Gott seiner Kindheit, oder genauer dem Heiligen Geist wie er ihn sich vorstellt, als unerklärliche Präsenz.


    Zitat

    I had the Holy Ghost all to myself, a private mystery to carry out into the fields and the woods, a subtlety in the shadows of the water houses or the unroofed barn
    at the far end of the old Perth Road - and I suppose, as I climbed the hill this morning, He or maybe It was with me still, going along with me through the frozen
    world, a slightly animal presence in spite of His or Its catechismal invisibility, my one dogged companion, on the way to the afterlife of here and now.

    Wie @Farast schon geschrieben hat, habe auch ich ein paar Probleme hier im ersten Kapitel die Stellen, die Gedanken herauszustellen, die mich besonders beeindruckt haben.
    Da ist immer so viel, über das man nachdenken kann und das macht die Auswahl schwer. Mir geht es da manchmal wie dem Autor Thomas Glavinic, der in einer TV-Sendung
    gesagt hat, dass er Burnside nicht liest sondern förmlich einatmet.
    Bin gespannt auf eure Eindrücke.


    lg taliesin

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  • Ein endgültiger Abschied, ein Hinweis darauf, dass er er nun mit seiner Krankheit umgehen kann, oder nur ein Wunsch?

    Unterbrochen von Erinnerungen an Kindheitstagen über das Porzelan. Das gute Porzellan, das zu besonderen Gelegenheiten gedeckt wird, bei dem jeder Angst hat, das es zerbrechen könnte. Und dem Schwenk rüber zu den Menschen, die ja auch kostbar und gleichzeitig so vergänglich sind.

    Aber sicher wäre ein endgülter Abschied eher ein fragiler, da jederzeit die Krankheit wieder ausbrechen könnte?
    Auf S. 16. erwähnt Burnside Sonntagnachmittage, wo die Familie zusammensaß und sich Tee in Porzellantassen einschenkte und Porzellan als Wort gerne wiederholt wurde als "etwas selten Schönes und Fragiles..." (S. 16); etwas, was entzwei gehen kann.
    Vielleicht etwas weit hergeholt, dieser Vergleich Porzellan - Vergänglichkeit (Gesundheit/Leben) ?


    Auf S. 10 zitiert Burnside "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" von Dostojewski - sicher nicht ganz unbeabsichtigt.


    Ansonsten sind mir eigentlich die gleichen Passagen aufgefallen wie euch, Farast und taliesin.

  • Auf S. 10 zitiert Burnside "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" von Dostojewski - sicher nicht ganz unbeabsichtigt.

    Danke für den Link. Ja, das passt hervorragend, denn da geht es wohl auch um einen Erzähler der sich in ein selbstgewähltes Exil zurückzieht. Bei Dostojewski
    ist der Grund wohl, der Ekel vor der herrschenden Gesellschaft, bei Burnside vielleicht der Ekel vor sich selbst und für ihn die einzige Möglichkeit zu überleben.


    Die Gründe für Burnsides Entscheidung sich nach Surbiton zurückzuziehen, erfahren wir dann detailliert im zweiten Kapitel.

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  • Hallo zusammen :winken: ,


    nicht wundern, wenn ich so spät schreibe. Von 7 bis 17 Uhr bin ich auf Arbeit, bis ich dann auf den heimischen PC komme, dauert es ein wenig.


    Burnsides Stil hat mich gleich wieder gefangen. Es hat immer etwas Surreales, etwas Vertrautes und doch etwas distanziert Fremdes. Ich habe bei ihm immer das Gefühl, dass ich unter Wasser tauche, dann an die Oberfläche gelange und eine völlig andere Wahrnehmung habe. Eine, die aus der Distanz betrachtet, die aber gleichzeitig wie ein Magnet sehr eng an dem Kern der Sache liegt. Mir kommt es vor, als führe er nicht nur unseren Geist, sondern auch unseren Körper an seine Orte etc. Für mich stellt er stets einen persönlichen Bezug her, er hält einem immer den Spiegel vor. Selbst wenn man die Situation nicht kennt, ist die Verbindung zu Persönlichem präsent. Die Betrachtung quasi schärfer gestellt.


    Hoffentlich versteht man so halbwegs, was ich meine...


    Auf mich macht Burnside im ersten Kapitel - auch fast am Ende - den Eindruck als wäre er noch nicht am Ziel, hat aber den anfänglichen Pfad gefunden.


    The Epilogue ist ja die Fernsehsendung. Ich dachte mir, der Titel verweist sozusagen von der Wirkung der Sendung ausgehend auf die innere Mitte, das Zentrierte das alles zusammenhält. Wie das Porzellan, das nur im Ganzen funktioniert. Für Burnside ist die Mitte die Straße.


    Hach, man könnte wahrlich das ganze Kapitel zitieren :drunken: Am besten gefallen hat mir die Beschreibung der Straße und Burnsides Vorstellung vom Jenseits und was nach dem Tod mit den Seelen passiert. Gänsehaut.


    Einen schönen Abend noch :winken:

  • Eine, die aus der Distanz betrachtet, die aber gleichzeitig wie ein Magnet sehr eng an dem Kern der Sache liegt. Mir kommt es vor, als führe er nicht nur unseren Geist, sondern auch unseren Körper an seine Orte etc. Für mich stellt er stets einen persönlichen Bezug her, er hält einem immer den Spiegel vor. Selbst wenn man die Situation nicht kennt, ist die Verbindung zu Persönlichem präsent.

    Da bin ich ganz bei dir, vor allem was den Spiegel betrifft den Burnside da dem Leser vorhält, oder ihm zumindest die Möglichkeit gibt hineinzuschauen und so die Dinge
    hinter den Dingen zu erkennen. Ein Blick in diese Welt hinter unserer Realität, oder wie er es manchmal nennt, die Anderwelt.
    Diese Fähigkeit Situationen und auch Gefühlszustände, die abseits unserer eigenen Erfahrungswelt liegen, dem Leser nahezubringen, zeigt sich auch sehr deutlich im
    zweiten Kapitel, wo er in einer sehr beklemmenden Passage seine Erinnerungen an einen psychotischen Schub und seinen Versuch wieder an die Obetrfläche zu kommen
    beschreibt. Es ist schon beinahe schmerzhaft das zu lesen. Hierzu dann aber morgen; ich muss mich noch sammeln.

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  • Schlusswort (I)

    Da scheint mir, als ob Burnside immer noch gegen all die Phantome und Dämonen ankämpft die ihn verfolgen und bedrängen.

    Sehe ich auch so!

    Da habe ich so meine Probleme mit, denn Burnside wirkt hier schon sehr desorientiert, als käme er nach einem psychotischen Schub langsam wieder zurück in die
    Welt des Rationalen.

    Auch da bin ich bei dir. Ich habe schon darauf gewartet, dass ihn irgendjemand zurückruft.
    Wenn ich das jetzt gerade schreibe, als Bild ist das auch wunderbar. Es zeigt doch einen Weg in die Zukunft, gerade weil er das zurückgehen in die Klinik nicht mehr beschrieben hatte.


    Seine Gedanken nachts an dieser Straße zu stehen, in die Stille zu lauschen und über eine jenseitige Welt nachzudenken sind wunderschön zu lesen.

    Ja, die Straße! Eine ganz wunderbare Beschreibung!

    Das hat mir gefallen. Eine religiöse Sendung, die ohne die Warnung vor Hölle oder Verdammnis und ohne den erhobenen Zeigfinger auskommt. Umwerfend fand ich seine Beschreibung der Sehnsucht nach diesem Gott seiner Kindheit, oder genauer dem Heiligen Geist wie er ihn sich vorstellt, als unerklärliche Präsenz.

    Der Teil hatte mir in vielerlei Hinsicht auch sehr gut gefallen!


    Vielleicht etwas weit hergeholt, dieser Vergleich Porzellan - Vergänglichkeit (Gesundheit/Leben) ?

    Das ist nicht weit hergeholt. Burnside schreibt -glaube ich mal - nie etwas ohne Absicht. Mir kam das auch schon in den Sinn, aber irgendwie habe ich den Gedankengang verloren. Als ich das gerade bei dir gelesen habe, ist es mir wieder eingefallen.



    Auf S. 10 zitiert Burnside "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" von Dostojewski - sicher nicht ganz unbeabsichtigt.

    Danke für den Link! :D


    Burnsides Stil hat mich gleich wieder gefangen. Es hat immer etwas Surreales, etwas Vertrautes und doch etwas distanziert Fremdes. Ich habe bei ihm immer das Gefühl, dass ich unter Wasser tauche, dann an die Oberfläche gelange und eine völlig andere Wahrnehmung habe. Eine, die aus der Distanz betrachtet, die aber gleichzeitig wie ein Magnet sehr eng an dem Kern der Sache liegt. Mir kommt es vor, als führe er nicht nur unseren Geist, sondern auch unseren Körper an seine Orte etc. Für mich stellt er stets einen persönlichen Bezug her, er hält einem immer den Spiegel vor. Selbst wenn man die Situation nicht kennt, ist die Verbindung zu Persönlichem präsent. Die Betrachtung quasi schärfer gestellt.

    Du beschreibst das ganz herrlich :drunken:


    Auf mich macht Burnside im ersten Kapitel - auch fast am Ende - den Eindruck als wäre er noch nicht am Ziel, hat aber den anfänglichen Pfad gefunden.

    Ein schönes Bild!


    Da bin ich ganz bei dir, vor allem was den Spiegel betrifft den Burnside da dem Leser vorhält, oder ihm zumindest die Möglichkeit gibt hineinzuschauen und so die Dinge hinter den Dingen zu erkennen. Ein Blick in diese Welt hinter unserer Realität, oder wie er es manchmal nennt, die Anderwelt.

    Das gefällt mir gut, wie du das ausdrückst. Ich beschreibe das für mich immer so: Es ist als wenn man mit den Augen blinzelt und plötzlich ist alles verändert, surrealer. Als wenn man einen Blick hinter einem Nebelschleier wirft, alles bekommt eine tiefe und mystische Bedeutung, Zusammenhänge tun sich auf, die man vorher gar nicht gesehen hätte. Und beim nächsten Augenblinzeln ist alles wieder völlig normal.
    Dann haben wir seinen wunderbaren Büchern wohl auch der Tatsache seiner Krankheit geschuldet, wenn ich darüber nachdenke :|

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  • Kapitel 2 - Surbiton (Teil1)


    Die Erkenntnis etwas vorzutäuschen das man nicht empfindet steht am Anfang dieses, wie ich finde, sehr schwierigen Kapitels. Burnside beginnt mit seiner
    Teilnahme an Antialkoholiker Treffen und seine Einstellung dazu wird schnell klar. Er weiß, dass er irgendwo beginnen muss und das er es alleine, ohne den
    Einfluss einer `Höheren Macht`, nicht schaffen kann. Das Problem ist jedoch, dass er die Zugehörigkeit nur vortäuscht. Schon der sattsam bekannte Satz:
    "Hi, my name is John and I am an alcoholic" beinhaltet für ihn die ersten Fallstricke. Wie er diesen ersten Satz dann verändert, ausbaut und letztlich zu diesem
    Ergebnis kommt, ist schonn beinahe humorvoll geschrieben und hat auch wieder diese scheinbare, leicht ironische Distanz die @bittersweetlight schon erwähnt
    hat. Der Satz hört sich nach ein paar Veränderungen dann zuerst einmal so an.


    Zitat

    Hi. My name is John and I`m an alcoholic, sort of. A bit of a dope fiend, too, at the end of the day. Any port in a storm, when it comes down to it -


    Aber auch das passt nicht, denn damit folgt er auch nur der Methode die er sein ganzes Leben lang angewendet hat, um sich aus schwierigen Situationen heraus-
    zuwinden. Stereotypen, die seine wahren Gefühle verbergen sollen.
    Die Szene, in der ein Teilnehmer ihn anspricht und die in ihm eine Erinnerung an seine Zeit als fünfzehnjähriger Junge weckt, ist auch noch auf diese leicht flapsige Art
    beschrieben, birgt aber schon Hinweise auf seinen Gefühlszustand zu dieser Zeit. (Seite 16/Toytown)


    Zitat

    I think I was hoping to die, not necessarily in a beautiful way, like some Romantic hero out of a book, but with a modicum of colour and satisfaction. I was
    fifteen I think. I liked Mussorgsky and foreign books and the colour brown and I wasn`t very good company.

    Wunderbar auch die Unterhaltung mit der hübschen Ärztin die seine Ablehnung des Autors D.H. Lawrence mit einem Lächeln quittiert. Aber dann ändert sich die Stimmung
    sehr deutlich. Burnside zerstört mit ein paar Sätzen die ganze vorher leichte Stimmung. Jetzt kommt die andere, die dunkle Seite zum Vorschein. Zwei Zitate hierzu: (S.18)


    Zitat

    I wanted time to stop, I wanted to linger forever over some small and local act of destruction, a wounding, say, or a slow, drawn-out torture, my own, or another`s,
    it didn`t matter. My own, or her`s.

    Dann schägt Burnside ein letztes Mal den Bogen zu seiner Vorstellung und dem Satz zur Begrüßung der Teilnahmer beim AA Treffen und er stellt sich vor, wie er die volle
    Wahrheit sagt. Es ist pure Angst die ihn trinken lässt. Angst vor diesem "something else" am Ende des dunklen Korridors, Angst davor hineingezogen zu werden in eine
    schreckliche, aber für ihn auch verlockende Welt. Da bekomm ich Gänsehaut beim lesen.


    Zitat

    Alcohol is a substitute for something else, but I can`t give it up because, if I do, I`ll remember that something else, and that something else is an unbearable, and at
    the same time impossible desire, and the only thing that stops me from remembering that desire, that brown room with the crimson lights at the end of that dark
    corridor, is a drink, and no matter what happens, no matter what idiocies I inflict upon myself, nothing is as bad, or as beguiling, as that room -

    So, bevor ich dann auf den Rest dieses Kapitels eingehe, der beschreibt, wie er auf die Idee kam, oder besser, welcher Zustand dieser Idee nach Surbiton zu gehen und
    ` wie alle anderen` zu leben zugrunde liegt, brauche ich eine Pause.

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  • Kapitel 2 - Surbiton (Teil 2)


    So, ich versuche dann den Rest des Kapitels zu kommentieren ohne allzuviel Zitate einzuflechten, obwohl mir das schwerfällt. So wie der Mann schreibt, lockt
    mich das immer diese teils wunderbaren, teils erschreckenden Passagen zu zitieren.


    Die Entscheidung in die Vorstadt zu ziehen und dort unter all den normalen Leuten wieder zurückzukommen aus seiner eigenen, chaotischen und schlicht un-
    kontrollierbaren Welt erscheint beim ersten Lesen ziemlich abwegig. Wenn man aber sieht, dass das für ihn der einzige Weg ist nicht zu versinken wie ein Stein,
    klingt der Versuch zumindest einleuchtend.


    Zitat

    The only hope I had left was to disappear into normality and hope nobody from the old world followed me down the tunnel. So I went to the suburbs.

    Dann kommt die Passage, die ich gestern schon erwähnt habe. So wie Burnside diesen psychotischen Schub und seine Auswirkungen beschreibt lief mir eine Gänsehaut
    nach der anderen über den Rücken. Der Trick diesen Zustand dem Leser so zu vermitteln, dass er zumindest in etwa nachvollziehen kann liegt für Burnside wohl auch
    darin, diese Person die er einmal war, einfach in der dritten Person zu beschreiben. Aus dem alten `Ich` wird ein `Er` und somit schafft er eine gewisse Distanz aus der er
    schreiben kann ohne sich selbst wieder zu verlieren.
    Was für ein Albtraum! Als ich über den Schutzzauber las (die Methode mit den Flaschen und Federn) konnte ich mir sofort vorstellen in welcher Not er war, welche Angst-
    zustände er aushalten musste. Die Beschreibung der Auflösung seines Ich`, seiner Realität und dann auch aller Realitäten dieser Welt, die eben nicht mit einem großen
    Knall enden, sondern mit einem Wimmern nach langsamer, schmerzhafter Auflösung, ist schon genial und macht irgendwie auch Angst. Das Schlimmste ist für ihn aber
    zu fühlen, dass damit auch die Anderwelt, die Welt an deren Grenzen er sich oft bewegt und die ihm irgendwie auch tröstlich erscheint, weil er dort am Ende noch einmal
    von den Verstorbenen aufgenommen und begrüßt wird, das auch diese Welt im großen Nichts verschwindet.


    Zitat

    The afterlife. And this, I think is what troubles him most, that person who used to be me: that the afterlife will be discontinued, along with everything else,
    and he will never see the light of a new morning, where the dead wait to welcome us like ushers at a wedding , guiding us to our appointed places as the
    organist takes his seat and the congregation falls silent for all eternity.

    Schrecklich und zugleich schön und tröstlich. Es gibt nicht viele Autoren, die so etwas so direkt vermitteln können, dass man erst einmal tief Luft holen muss.


    Irgendwo schreibt Burnside, dass er in einem Zustand war, in dem ihm nur noch die Gnade helfen kann und die kommt praktisch in letzter Sekunde von einer guten Freundin,
    die ihn aus seinem "Gefängnis" herausholt. Sie sorgen für alles, für eine Wohnung, Geld und sogar einen Job. Das Abenteuer Vorstadt kann beginnen, auch wenn es noch
    so abwegig erscheint. Die letzte Passage muss ich dann zitieren, weil da endlich wieder ein kleines Licht der Hoffnung aufflackert.


    Zitat

    Of course they knew enough to see that my Surbiton was a Surbiton of the mind, a dreamscape that I was constructing around a soi-disant outsider`s
    confusion of the normal and the banal, but they also knew enough to see that I would sink like a stone if I didn`t grab on to something. Maybe that something
    was a fantasy, but it was better than nothing. So they put me on the train and waved me off, in the hope that, even though the Surbiton I was headed for didn`t
    actually exist, I might still end up somewhere safe.

    Ich bin sehr gespannt, ob Burnsides Vorstellung von einem Leben wie alle anderen sich mit der Realität in der Vorstadt messen kann.


    lg taliesin :winken:

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  • Ich beschreibe das für mich immer so: Es ist als wenn man mit den Augen blinzelt und plötzlich ist alles verändert, surrealer. Als wenn man einen Blick hinter einem Nebelschleier wirft, alles bekommt eine tiefe und mystische Bedeutung, Zusammenhänge tun sich auf, die man vorher gar nicht gesehen hätte. Und beim nächsten Augenblinzeln ist alles wieder völlig normal.
    Dann haben wir seinen wunderbaren Büchern wohl auch der Tatsache seiner Krankheit geschuldet, wenn ich darüber nachdenke


    Der Trick diesen Zustand dem Leser so zu vermitteln, dass er zumindest in etwa nachvollziehen kann liegt für Burnside wohl auch
    darin, diese Person die er einmal war, einfach in der dritten Person zu beschreiben. Aus dem alten `Ich` wird ein `Er` und somit schafft er eine gewisse Distanz aus der er
    schreiben kann ohne sich selbst wieder zu verlieren.

    Mein ganzer Beitrag ist irgendwie weg :computer::computer: