Alice Schwarzer - Die Antwort

  • Eine undurchsichtige Antwort auf die Frage nach dem derzeitigen Stand der Frauenemanzipation und des Feminismus. Eine Bilanz ?




    Karten auf den Tisch, werte Freunde. Von Alice Schwarzer habe ich nur wenig gelesen, mich wenig mit ihr beschäftigt, aber umso mehr von ihr gehört. Männerhassend, radikalfeministisch, pornographiefeindlich, DIE deutsche Feministin, etc. Das übliche. Besonders nach ihrem Buch "Damenwahl" war ich recht sehr negativ überrascht. Das Buch war einseitig, verfälschend, beschönigend und erschreckend.


    Dementsprechend ging ich auch an dieses Buch heran und erwartete Polemik und eine negative Anklage gegen mich, allein deswegen wiel ich ein Mann bin. :D Doch es kam anders. Ich war verblüfft, über die Harmlosigkeit des Buches. Es geht um "Die Antwort" (2007) von Alice Schwarzer, der wohl bekanntesten deutschen Feministin. Das Buch scheint eher ein längerer Essay zu sein, denn eine Monographie und greift diverse Themen auf. Die 11 Themen beziehen sich nicht direkt aufeinander.



    Ganz obligatorisch spricht sie über den irrsinnigen Schlankheitswahn, der durch ein verfälschendes Kleidungsideal zemetiert wird. Fast ausschließlich betrifft das junge Frauen, die auch noch mit Kleidergrößentricks und durch andere Alltäglichkeiten (Popkultur, Werbungen zB) dazu verleitet werden ("7. Ich bin viel zu dick, S. 111-118). Sehr positiv eingenommen hat mich Schwarzers Darstellung der Bedeutung des islamischen Kopftuches auf die Identität der Frauen ("3. Im Namen des Propheten", S. 53-72). Das ist ein spannendes und sehr heikles Thema. Ob es dafür eine Lösung geben kann, ist unklar. Meistens fällt das Kopftuch unter freie Religionsausübung. Tatsächlich vertritt Schwarzer eine völlig andere These. Das Kopftuch schränke seine Träger viel stärker und umfassender ein, als andere religiöse Bekleidungen. Eine Sonderregelung ist hier also vonnöten. Zusätzlich repräsentiert das Kopftuch in viel stärkerem Ausmaß die Religion des Islams, der zu einem ungewöhnlich großen Teil auf der Geschlechterhierarchisierung fußt. Das Kopftuchthema fand ich immer ziemlich schwierig und will eine klare Positionierung vermeiden, allerdings gehe ich auch eher in Richtung dieser Tendenz wie sie es hier tut.


    Positiv ist auch ihre Darstellung zur Abtreibung, die hier in Deutschland sehr religiös bestimmt zu sein scheint ("4. Abtreibung ist Mord", S. 73-86). Sie plädiert für eine stärkere Mitentscheidung für Frauen, die in einer Fristenlösung abtreiben können sollen dürfen.





    Das Buch ist also recht gewinnbringend. Von den insgesamt 11 Kapiteln sind es lediglich 2 Thesen, denen ich grundsätzlich und recht heftig widerspreche. Beide gehören zum Bereich der Sexualitäts-Auslebung. Dass Schwarzer Prostitution als Ganzes verurteilt, ist mir völlig schleierhaft ("9. Prostitution wird es immer geben", S. 138-152). Sie weigert sich davor, Prostitution als Berufsmöglichkeit anzusehen und feiert auch Ursula von der Leyen, die Freier kriminalisiert. Ganz folgerichtig stellt sie den Widerstand gegen das Ziel der Prostitionsabschaffung als rein wirtschaftlich dar (S. 144). Dass im Bereich der Prostition unfassbar viel schief läuft (Menschenhandel, Zwangsprostition, Sklaverei, Menschenraub, Vergewaltigung, finanzielle Ausnutzung, etc.), würde ich nie leugnen. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass Prostitution ALLGEMEIN schlecht und abschaffungswert ist, ist nicht richtig. Und das kann es auch gar nicht sein, weil Verallgemeinerungen fast immer nicht richtig sind. Außerdem kann ich mir eine Gesellschaft ohne Prostitution auch nur schwer vorstellen, wenn der Sexualtrieb nicht vollständig nach innen in das soziale Gefüge hineinkanalisiert wird, beispielsweise durch sozial reglementierten Geschlechtsverkehr und öffentliche Sexorgien (Brave New World von Huxley).


    Das 2. damit zusammenhängende Thema, bei dem ich eine grundlegend andere Meinung vertrete als sie, ist Pornographie ("8. Pornografie ist geil", S. 119-137). Von der Pornographie geht ein reales Gefahrenpotenzial aus, das eine Bedrohung für unsere geschlechtsgerechte Gesellschaft darstellt. Denn die Pornographie sei nichts erotisches und nichts, was mit Nacktheit zu tun hat. Pornographie sei die manifestierte Lust an Erniedrigung und Gewalt an Frauen. Da jedoch in der Pornographie stets die Frauen die Objekte sind, produziert sie bei Männern ein ganz spezifisches Frauenbild, das ihnen vermittelt, alle Frauen sind Huren (S. 122). Das führt zu alltäglichen Fällen von Männern, die Frauen ermorden und vergewaltigen (S. 125).


    OKAY, werte Freunde. Während viele andere Kapitel dieses kleinen Bandes sehr aufschlussreich und gut sind, ist dieses Kapitel hier doch völlig absurd. Es gibt hier so viele lose Gedankenfäden, die sie nicht zu Ende denkt und so viele Alternativentwicklungen, die sie einfach ignoriert, dass ich nur ein paar Beispiele bringen. Zunächst ist es eine Dreisitgkeit, dass sie Männern in ihrer Gesamtheit die Fähigkeit der Rationalität und Abstraktion abspricht. Das furchtbare Frauenbild in der Pornographie würden sie 1:1 in die gesellschaftliche Realität ummünzen. Zum anderen ist Porno nicht deckungsgleich mit Erniedrigung und Gewalt an Frauen. Doch: Pornographie beinhaltet sehr viel Erotik. Beispielsweise kann ich aus einem Porno sehr viel Erregung ziehen, der von der berühmten Pornodarstellerin Nina Hartley mitgedreht wurde, in dem sie eine jüngere Frau sehr liebevoll verführt. Erniedrigung und Gewalt ? Fehlanzeige. Viel läuft hier schief, ja, aber es ist wieder eine fehlerhafte Verallgemeinerung.


    Noch absurder ist ihre Behauptung, dass pornografisierte Männer nach ihrem Pornographiekonsum (Musik, Pornos, allg. Filme, was-auch-immer) rausgehen und Frauen vergewaltigen. Sie sieht tatsächlich die Vergewaltigung als reale und alltägliche (!) Umsetzung der Pornographisierung an. Es findet tatsächlich eine soziale Pornographisierung unserer Gesellschaft statt. Wer würde das verleugnen ? Dazu könnt Ihr gerne mal bei "Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis" (2012) von Martina Schuegraf und Angela Tillmann reinlesen. Doch ist das nichts per se schlechtes ! Außerdem verleugnet sie damit die realexistierende positive Einstellung von Frauen und Männern gegenüber der Pornographie. Dazu wiederum könnt Ihr gerne mal reinlesen in das "Feminist Porn Book" von Tristan Taormino.




    Außerdem finde ich es auch sehr gefährlich, die "Pornographie" allgemein zu verdammen, weil es Tabus schafft, die sich anderswo ihre Kanäle suchen. So bin ich auch schon auf die Prognose/These gestoßen, dass unsere Gesellschaft kurz davor steht, ihre offene sexuelle Aktivität einzubüßen. Den Drang (Trieb ?) dahinter abzuschaffen, ist nicht möglich. Er ist ja nur menschlich ! Also könnte er sich durchaus in zunehmende Gewalt umkanalisieren. Schaut dazu doch gerne mal rein bei Volkmar Siguschs "Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit: Über Sexualforschung und Politik" (2011).




    Somit ist es dennoch ein gutes Buch, dass viele Aspekte des feministischen Thema neuaufrollt und Defizite aufzeigt, die wir noch gesamtgesellschaftlich angehen müssen !


    Oder ?


    Moment. Tatsächlich kann meine Kritik noch nicht beendet sein, da mir im Nachhinein zum Buch noch aufgefallen ist, dass trotz all der versöhnlichen Töne gegenüber Kritikern und Männern auch viele subtilere Aussagen im Buch auftauchen. So ein Beispiel ist Schwarzers verallgemeinerte "Männergesellschaft", die für die Misere mit dem Schlankheitswahn verantwortlich ist. Ihre Quantifizierung der Anzahl von Freiern ist mir ebenfalls aufgefallen. 2/3 aller Männer sind nämlich Freier. Auch neigte sie in der Einleitung dazu, oft von "DEN" Frauen und von "DEN" Männern zu reden.
    Bei aller Relativierung ihrerseits reproduziert Schwarzer hier dennoch seltsame Bilder von geschlechtlichen Stereotypen, die oft nicht auf die Realität passen oder sogar bedrohlich sind. Einen Großteil der Männer als Freier anzusehen, kommt einer Rundumanklage ans andere Geschlecht gleich. Noch bedenklicher wird es, wenn sie auf die Theorie zu sprechen kommt, nach der Krieg eine Perversion des männlichen Prinzips ist. Dass hier größere Forscherdebatten und Thesen dahinter stehen, kann ich nur vermuten.


    Außerdem ist ihre Darstellung des Feminismus als Kampf merkwürdig, wobei sie dann jedoch folgerichtig gegen Altkanzler Schröder wetteifert, der bei der Wahl Merkels damals ausgerufen hat: "Die kann das nicht !". Ob sich das allein darauf bezieht, dass Schröder Merkel als Frau nicht ernst nimmt, wird mir überhaupt nicht ersichtlich. Generell ist mir ihre scheinbare Bewunderung von Merkel etwas suspekt. Denn nur weil Merkel eine Frau ist, macht sie das noch lange nicht bewunderungswert.


    Doch der größte Kritikpunkt ist definitiv Schwarzers Vorgehensweise. Sie haut Zitate raus, Zahlen und Aussagen. Fakten, Theorien und Verallgemeinerungen.
    Und belegt von diesen nicht eine einzige.





    Alles in allem kann ich sagen, dass "Die Antwort" viele interessante Aspekte aufmacht und Denkanstöße für die Zukunft gibt. Allerdings habe ich dabei ziemlich umfassende Bedenken. Denn das Buch muss mMn mit allergrößter Vorsicht gelesen werden, weil hier nicht einfach zwischen Theorie, Tatsachen und Meinungsäußerungen unterschieden werden kann.
    :bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Vorweg: ich werde das Buch nicht lesen. Nicht nur wegen Deiner Rezension, sondern weil mich an dieser Autorin so manches stört. Hauptsächlich, dass sie offensichtlich nicht wirklich recherchiert, sie geht davon aus, zu wissen. Das muss wohl reichen.
    Zweitens kann sie offensichtlich nicht von ihrer eigenen Sicht abstrahieren. Das aber halte ich bei Sachbüchern für immens wichtig, ja für eine Grundvoraussetzung.
    Drittens ist mir meine Zeit zu schade, Bücher von Bild-Kolumnisten zu lesen. (Ihre Rolle im Kachelmann-Prozess wirft ein abstoßendes Bild auf diese Autorin)

  • Zweitens kann sie offensichtlich nicht von ihrer eigenen Sicht abstrahieren.

    Das finde ich auch, obwohl weiblich! Mir ist diese Frau überhaupt viel zu einseitig in ihrer Betrachtungsweise. Nur Frau (oder Mann) zu sein, sagt ja noch nichts über die menschlichen Qualitäten aus.
    Sicher gab und gibt es viel, was im Argen liegt. Es ist auch gut, dass es Frauenrechtlerinnen gegeben hat, die klar gemacht haben, dass Frauen nicht dümmer sind als Männer, dass sie ganz problemlos studieren und wählen können, aber irgendwann ist die gerechte Sache der Emanzipation wohl aus dem Ruder gelaufen und zu einer Bewegung geworden, die ich nicht ernst nehmen kann.
    Ich persönlich mag ja nette und kluge Männer lieber als affektierte und ungebildete Frauen, obwohl man das im Angesicht der Alice wahrscheinlich nie sagen dürfte. :eye: