Thomas Wolfe - Schau heimwärts, Engel / Look Homeward, Angel

  • Autor: Thomas Wolfe
    Titel: Schau heimwärts, Engel, übersetzt von Hans Schiebelhuth
    Originaltitel: Look Homeward, Angel, erschien erstmals 1929
    Seiten: 720 Seiten
    Verlag: Rowohlt
    ISBN: 9783499134180


    Der Autor: (von der Verlagsseite)
    Thomas Wolfe wurde 1900 in Asheville, einer kleinen Gebirgsstadt North Carolinas, geboren. Nach harter Jugend studierte er u.a. in Harvard (1916-23), anschließend 1924-29 Dozent für amerikanische Literatur. Diese Tätigkeit gab er auf, um sich ganz seinem Romanwerk widmen zu können. Nach einigen Europareisen (u.a. 1935 nach Deutschland) starb er am 15. September 1938 in Baltimore.


    Inhalt: (von der Verlagsseite)
    Einer der unvergänglichen Romane der Weltliteratur. In dem Porträt des jungen Eugene Gant, in der überbordenden Geschichte seiner Familie mit dem titanischen Vater, der allzu geschäftstüchtigen Mutter, der Schar ihrer Kinder, mit den Menschen der kleinen Stadt in North Carolina und ihren tragikomischen Verhältnissen versuchte Thomas Wolfe sehnsüchtig, hinter die Geheimnisse des Lebens zu kommen, in einem "geradezu wahnsinnigen Hunger, die gesamte menschliche Erfahrung zu verschlingen", wie er später notierte.


    Meinung:
    Bombastisch. Das ist das erste Wort, das mir bei dem Buch einfällt. Eine überladene, imposante, ausschweifende, theatralische, ausdrucksstarke, poetisch-wortschöpfende Erzählung. Nach der Lektüre war ich erstmal erschlagen, erschöpft. Thomas Wolfe erzählt nicht einfach nur eine Familiengeschichte, sondern liefert eine umfangreiche Beschreibung des Lebens im US-amerikanischen Süden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei verweilt er lange bei einzelnen Szenen, nimmt sich auch Zeit für „Randfiguren“, die er nicht nur skizziert, sondern liebevoll mit Leben füllt, selbst wenn sie später keine Rolle mehr spielen und der Roman episodenhaft ein paar Jahre überspringt. Das kann ermüden, wenn man eigentlich eine stringente Handlung erwartet, oder wenn man einzelne Figuren lieb gewonnen hat, und diese dann hunderte von Seiten gar nicht mehr auftauchen. Dafür andererseits wird man vollständig und umfassend in das Leben der Kleinstadt hineingezogen, lernt Nachbarn, Job und Umgebung kennen, liebevoll und dennoch nicht romantisch verklärt, sondern mit allen Fehlern und Missständen, die weiss Gott nicht zu knapp ausfallen. In dieser Familie möchte wohl niemand gerne aufwachsen, und jeder Funke Hoffnung wird mit einem Schicksalsschlag wieder zunichte gemacht.
    Ich habe die Übersetzung von Hans Schiebelhuth gelesen. Man merkt dem Text an, dass Schiebelhuth ein expressionistischer Schriftsteller und Dichter war. Unzählige Passagen habe ich aufgrund der poetischen Formulierungen und geistreichen Wortkreationen mehrmals gelesen. Ich kenne zwar nicht die neuere Übersetzung und habe auch keinen Vergleich zum englischsprachigen Original angestellt, aber es war einfach ein Genuss den Text zu lesen, ganz gleich wie die Handlung voranschritt.
    Ein Hinweis allerdings für Leser, die sich daran stossen: der Begriff „Neger“ taucht ständig und völlig bedenkenlos auf. Die selbstverständlich hingenommenen Rassenunterschiede und das Frauenbild von vor hundert Jahren spiegeln einfach die damalige Zeit wieder, in der die Geschichte auch geschrieben wurde. Mag sein, dass dadurch der Roman etwas veraltet wirkt und deshalb auch nicht mehr so populär ist; aber wer Freude an Familienromanen hat, in denen das damalige gesellschaftliche Leben porträtiert werden, der sollte diesen Klassiker lesen!

  • Und schliesslich noch der Hinweis auf die erweiterte Ausgabe. Thomas Wolfe musste "Schau heimwärts, Engel" so um die 60'000 Wörter kürzen, um sein Skript verlegt zu bekommen. Vor ein paar Jahren wurde sein Roman anhand seines Originalskripts in scheinbar voller Länge aufgelegt.

  • @Nungesser Wenn es dir so gut gefallen hat, dann solltest du vielleicht auch den zweiten Teil lesen, zu dem bin ich irgendwie nie gekommen. :lol:

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Wenn es dir so gut gefallen hat, dann solltest du vielleicht auch den zweiten Teil lesen,

    Ich hab ihn mal angefangen, aber mit diesem Stil bin ich damals gar nicht zurechtgekommen. Die Personen sind mir in allen ihren Handlungen und Reaktionen viel zu übertrieben vorgekommen.
    Aber wenn Dir die Sprache gefällt @Nungesser, dann dürfte auch dieser Teil etwas für Dich sein!

  • Hier der Link zum amerikanischen Original

    Ich weiß nicht, ob das Buch etwas für mich ist, siehe rot markierte Attribute,


    Eine überladene, imposante, ausschweifende, theatralische, ausdrucksstarke, poetisch-wortschöpfende Erzählung.

    aber das Cover der amerikanischen Ausgabe finde ich bildschön.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • @taliesin las bestimmt im Original und kann vielleicht mein Urteil mildern (oder bestätigen)?

    Es könnte natürlich sein, dass das Original "besser" ist, so geht es mir immer mit Ruth Rendell, deren Romane ich im Original gern und in der Übersetzung ungern lese. Andererseits darf eine gute ÜS stilistisch nicht zu weit vom Original abweichen, deshalb müsste Letzteres auch "ausschweifend" und "poetisch" sein, was dann nicht so mein Fall wäre.
    Ich warte erstmal ab, ob und wie @taliesin sich äußert.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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  • @€nigma Was auch noch eine Möglichkeit wäre, zieh dir doch einfach eine Leseprobe runter. Dann kannst du dir selbst einen ersten Eindruck verschaffen, ob das Buch was für dich wäre oder nicht. Ich habe dir mal die günstigste eBook-Ausgabe die ich finden konnte verlinkt.

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  • @Farast
    Danke für den Tipp. Aber ich habe es damit nicht eilig. Ich habe ja gerade wieder einen Großeinkauf in London getätigt und möchte mich diesen Büchern in den nächsten Monaten vorrangig widmen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Hallo zusammen. Ich schreibe morgen etwas dazu, Thomas Wolfe ist einer meiner Favoriten, da muss ich auf jeden Fall etwas zu schreiben.
    Hatte die Rezension doch glatt verpasst........... :uups:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • @Nungesser Ich wollte mich ja noch für deine schöne Rezi bedanken. Diesmal kannst du mir das Buch aber nicht mehr auf die Wunschliste setzen, ich habe es ja schon zu Hause. Jetzt brauch ich nur noch Zeit es zu lesen :uups:


    Ich habe ja gerade wieder einen Großeinkauf in London getätigt und möchte mich diesen Büchern in den nächsten Monaten vorrangig widmen.

    Oh ja! Das kann ich gut verstehen, du hast da ja wirklich kräftig zugeschlagen. So ein Großeinkauf muss einfach herrlich sein :drunken:

    Hallo zusammen. Ich schreibe morgen etwas dazu, Thomas Wolfe ist einer meiner Favoriten, da muss ich auf jeden Fall etwas zu schreiben.
    Hatte die Rezension doch glatt verpasst........... :uups:

    Ich bin schon sehr neugierig darauf, was du über Wolfe schreiben wirst!

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  • Oh ja! Das kann ich gut verstehen, du hast da ja wirklich kräftig zugeschlagen. So ein Großeinkauf muss einfach herrlich sein

    Das kann man wohl sagen. Nächstes Jahr geht es übrigens nicht nach London, sondern nach Stockholm. Aber ich bin zuversichtlich, dass man dort auch das eine oder andere englischsprachige Buch auftreiben kann... :mrgreen:

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    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Andererseits darf eine gute ÜS stilistisch nicht zu weit vom Original abweichen, deshalb müsste Letzteres auch "ausschweifend" und "poetisch" sein, was dann nicht so mein Fall wäre.

    Die Übersetzungen kann ich nur bezüglich seines Romans >You can`t go home again< (Es führt kein Weg zurück) beurteilen. Seine anderen Romane habe ich nur im
    Original gelesen. Das ist sehr nah am Text und die poetische Sprache, die Wolfes Werke durchgehend auszeichnen ist wirklich überbordend und wirkt oft wie von allen
    Leidenschaften dieser Welt angetrieben. Das gefällt nicht jedem Leser, aber ich lasse mich da sehr gerne mit fortreißen, denn es ist wirklich brillant was der Mann mit
    Worten ausrichten kann.
    Eine feste und klare Handlungsstruktur, die jeden Handlungsfaden verknüpft darf man bei Wolfe nicht erwarten. Ich habe das aber nie als großes Manko empfunden, denn
    seine Beschreibungen des Kleinstadtlebens, sein Versuch die amerikanische Seele zu entdecken und wiederzugeben haben mich immer fasziniert.


    Es fält mir schwer jemanden von Wolfes Werken abzuraten, ich würde also vorschlagen einen Versuch zu starten. Ich schätze, man stellt recht schnell fest, ob man damit
    klarkommt oder nicht. Hier ein kleines Textbeispiel: (das ist aus einer Sammlung der poetischen Textstellen und Gedichten von Wolfe)


    Was it not well to leave all things as he had found them,
    In silence, at the end?
    Might it not be that in this great dream of time
    In which we live and are the moving figures
    There is no greater certitude than this;
    That, having met, spoken
    Known each other for a moment,
    As somewhere on this earth we were hurled onward
    Through the darkness between two points of time,
    It is well to be content with this,
    To leave each other as we met,
    Letting each one go alone to his appointed destination,
    Sure of this only, needing only this -
    That there will be silence for us all
    And silence only,
    At the end

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • @taliesin
    Danke für Deine Erläuterungen. Dadurch hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass die Bücher von Thomas Wolfe für mich eher ungeeignet sind.

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    (Francis Bacon)
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