Gerd Friederich - Der Dorfschulmeister

  • 1842 in Würt­tem­berg. Der 14-jäh­rige Hans­jörg Röss­ner erfährt völ­lig über­ra­schend, dass er nicht den Hof sei­ner Eltern über­neh­men wird. Dabei ist er der älteste Sohn. Er ist fas­sungs­los, fügt sich aber sei­nem Schick­sal und beginnt ent­spre­chend dem Wunsch sei­ner Mut­ter eine Aus­bil­dung zum Dorf­schul­meis­ter. Dar­über hin­aus infor­miert ihn seine Mut­ter kurz vor ihrem Tode dar­über, dass er nicht ihr leib­li­ches Kind ist. Neben sei­ner Lehr­tä­tig­keit, für die er ein außer­or­dent­li­ches Talent besitzt, beginnt er in der Ver­gan­gen­heit nach sei­nen Wur­zeln zu for­schen…


    Die per­sön­li­che Geschichte rund um Hans­jörg ist inter­es­sant, doch die eigent­li­che Inten­tion des Autors ist, das nehme ich jeden­falls an, die Anfänge unse­res heu­ti­gen Schul­we­sens anschau­lich zu ver­mit­teln. Und das gelingt ihm sehr gut. Auch die poli­ti­schen Wir­ren der Revo­lu­tion 1848/49 wer­den the­ma­ti­siert. Mit gro­ßem Sach­ver­stand bringt Gerd Frie­de­rich, selbst ehe­ma­li­ger Leh­rer und Schul­rat, dem Leser die dama­lige Schul­form und die Bemü­hun­gen, diese zu ver­bes­sern, näher. Alle Orte in denen der Dorf­schul­meis­ter, zunächst natür­lich noch als Pro­vi­sor und dann als Unter­leh­rer, tätig ist, sind – mei­nes Wis­sens nach – fik­tiv. Jedoch sind die Orte im rea­len Würt­tem­berg unter­ge­bracht, so dass deren Nach­bar­orte (Plie­nin­gen etwa) durch­aus exis­tent sind.
    Aus dem täg­li­chen Leben der Men­schen erfährt man viel. Und es ist stets inter­es­sant. Auch der nach und nach statt­fin­dende Aus­bau der Eisen­bahn­stre­cke und die damit ver­bun­de­nen Annehm­lich­kei­ten wer­den bekommt man haut­nah mit. Man bekommt ein Gefühl dafür, was die Errun­gen­schaf­ten der Neu­zeit für die Men­schen damals bedeu­te­ten. Die bit­tere Armut, die durch viele Miss­ern­ten noch ver­schärft wurde und die damit ver­bun­dene Aus­rei­se­welle in die Neue Welt wer­den eben­so­we­nig ver­schwie­gen.


    Das eBook wurde sehr sorg­fäl­tig erstellt. Auch das Per­so­nen­re­gis­ter sowie die Erläu­te­run­gen (Glossar) sind sehr über­sicht­lich gestal­tet und gut les­bar. Ledig­lich die Über­schrif­ten sind viel­leicht einen Tick zu groß gera­ten.


    Für mich also ein abso­lut lehr­rei­ches Buch, das übri­gens kaum Län­gen ent­hält. So stelle ich mir einen his­to­ri­schen Roman vor: Eine Geschichts­stunde, ver­packt als Roman. Davon möchte ich mehr lesen. Und das werde ich auch: Fräu­lein Leh­re­rin ist gewis­ser­ma­ßen der Nach­fol­ge­band, in dem es um die Toch­ter des Dorf­schul­meis­ters geht.

  • Für mich also ein abso­lut lehr­rei­ches Buch, das übri­gens kaum Län­gen ent­hält. So stelle ich mir einen his­to­ri­schen Roman vor: Eine Geschichts­stunde, ver­packt als Roman.


    Der Silberburg Verlag scheint für gehobene Qualität zu stehen, ich habe kürzlich aus diesem Verlag "Zeuglesweber" gelesen, das sich ebenfalls sehr positiv aus der Masse historischer und pseudo-historischer Romane abhebt.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • "Der Dorfschulmeister" ist ein außergewöhnlicher Roman, der mich sehr gefesselt hat. Der Rezension von @beedaddy möchte ich mich anschließen.
    Hier werden fiktive Figuren sehr gut in einen gründlich recherchierten, realen historischen Kontext gestellt. Sehr interessant sind die Informationen über die Anfänge eines geordneten Schulwesens und einer reglementierten Lehrerausbildung, auch wenn ich vermute, dass die hier porträtierten Lehrer und Pfarrer etwas aufgeschlossener und psychologisch feinfühliger sind als es den tatsächlichen Gegebenheiten der Zeit entsprach.
    Der Leser erfährt nicht nur Wissenswertes über das frühe Schulwesen, sondern auch allgemein über die politische und gesellschaftliche Lage im Württemberg Mitte des 19. Jahrhunderts und über technische Neuerungen, die sich auf viele Bereiche des Lebens auswirkten (Eisenbahn, Beginn regulärer Nahverkehrsangebote durch Pferdeomnibusse, Vermittlung spezieller landwirtschaftlicher Methoden auf Ackerbauschulen etc.)
    Auch ein Familiengeheimnis und Ermittlungen in einem alten Kriminalfall geben der Handlung zusätzlich Würze.
    Das Zusatzmaterial (Landkarte Würrtemberg um 1850, Personenverzeichnis und umfangreiche Erläuterungen) erleichtern die Orientierung und das Verständnis.
    :arrow: Ein sehr lesenswerter Roman, dessen Folgeband "Fräulein Lehrerin" ich unbedingt auch noch lesen möchte!

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Du meinst wohl Vorgängerband

    Bist Du sicher? "Fräulein Lehrerin" spielt ab 1871, "Der Dorfschulmeister" in den 1840ern/1850ern. Ich war der Meinung, dass die Sophie aus dem Folge(?)roman die Tochter von Hansjörg und Helga sei.

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    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Da mich nach den sehr gut geschriebenen Beiträgen diese Bücher interessierten habe ich mich im Internet "schlau" gemacht und tatsächlich ist "Fräulein Lehrerin" der zweite Band.
    Kann man auch nachlesen im Vorwort des Buches "Der Dorfschulmeister" dass "Fräulein Lehrerin" der Folgeband wäre.
    Gerd Friederich

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Ich habe das Buch jetzt gelesen und bin etwas zwiegespalten. Es ist auf jeden Fall ein informatives Buch, man erfährt eine Menge über die Zeit in der es spielt. Es erhellt die Entwicklung der Pädagogik und zeigt auch schön die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung in Württemberg. Das ist alles sehr gut und schön. Insofern hat sich die Lektüre auch schon mal gelohnt. Dass das Buch kaum Spannung hat, kann man ihm nicht vorwerfen, es sollte ja kein Thriller werden. Wohl aber die teilweise doch recht hölzerne phrasenhafte Sprache. Immer wieder steht jemand mit offenem Munde da, schlägt sich auf Schenkel oder lacht schallend über einen kleinen Witz. Auch die Dialoge waren meist sehr schablonenhaft. Das hat mich beim Lesen sehr gestört. Bei den Personenbeschreibungen hätte ich oft etwas mehr Tiefe gewünscht (oder man hätte die Personen evtl. einfach noch weiter in den Hintergrund gesetzt und die Geschichtliche Entwicklung noch mehr in den Vordergrund, das hätte ich ideal gefunden.) Dass am Schluss noch ein Mordfall gelöst wurde, war ein etwas aufgesetzter Gimmik, der aber doch noch ein wenig für Unterhaltung sorgte. Das Happy End war wie aus einem Film der 50er Jahre.

    Mein Fazit: Ein Buch, das auf nette Weise Wissen vermittelt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.