Marcia Zuckermann - Mischpoke!

  • Über die Autorin:
    Marcia Zuckermann wurde 1947 in Berlin geboren. Ihr jüdischer Vater überlebte den Holocaust als politischer Gefangener im KZ Buchenwald, ihre protestantische Mutter war als Kommunistin im Widerstand aktiv. 1958 musste die Familie, die sich in Ost-Berlin niedergelassen hatte, als Dissidenten aus der DDR fliehen. In West-Berlin absolvierte Marcia Zuckermann eine Ausbildung als Werbewritin im Verlagswesen und wurde zur Mitbegründerin und Geschäftsführerin einer bis heute erfolgreichen Berliner Zeitschrift. Sie lebt in Berlin.
    (Quelle: Klappentext)


    Buchinhalt:
    Samuel Kohanim, Oberhaupt einer der ältesten jüdischen Familien in Westpreußen, ist durchschnittliches Unglück gewöhnt. Seine Frau Mindel, schroff und wortkarg von Natur, gebar ihm sieben Mädchen. Die „sieben biblischen Plagen“, wie die Kohanim-Töchter im Dorf genannt werden, strapazieren die väterliche Geduld: Selma, die mit ihrem religiösen Spleeen alle meschugge macht, Martha, die am laufenden Band haarsträubende Lügengeschichten erfindet, Fanny, die nicht unter die Haube zu bringen ist, der Wildfang Elly, Jenny, Flora – und Franziska, „die Katastrophe auf Abruf“, bildschön, stolz und eigenwillig.
    Nach dem Ersten Weltkrieg sucht die Familie Zuflucht in Berlin. Während Martha in gehobene Berliner Kreise einheiratet und ihr Mann Leopold zum Christentum konvertiert, lässt sich Franziska mit dem ebenso charismatischen wie unzuverlässigen jüdischen Gelegenheitsarbeiter und Glücksritter Willy Rubin ein und lebt fortan im „roten Wedding“. Auch die revolutionäre Oda, deutsch-russische Adlige wider Willen und Freundin der Familie, hat es in die Hauptstadt verschlagen. Im Laufe der Jahre verbindet sich ihr Schicksal endgültig mit jenem der Familie Kohanim, deren Stammbaum die unterschiedlichsten Triebe ausbildet, jüdische wie nicht-jüdische, nationalistische wie kommunistische.
    (Quelle: Klappentext)


    Die gebundene Ausgabe von 2016 umfasst 445 Seiten, danach eine Danksagung und ein kurzes Glossar zu verwendeten Begriffen. Im Einband vorn und hinten ist der Familienstammbaum abgebildet, bei dem die beiden Hauptstränge, um die sich das Buch dreht, rot unterlegt sind.
    Erzählt wird abwechselnd von der Erzählerin in der Ich-Perspektive sowie von ihr als allwissender Erzählerin, sobald es die Familie betrifft.


    Meine Meinung:
    Wie so oft ist der Klappentext etwas irreführend, aber er verfälscht nicht komplett. In der Hauptsache dreht sich die Erzählung um Franziska „Fränze“ Kohanim-Rubin und ihren ältesten Sohn Walter, sekundäre Protagonisten sind Oda Hanke und ihre Tochter Hella, der Rest der Familie spielt nur eine untergeordnete Rolle, erst recht in der zweiten Hälfte des Buches. Das war aber bei der Abbildung des Stammbaums schon zu erwarten, sonst wären diese Familienzweige kaum so hervorgehoben worden. Auch siedelt nicht die Familie nach Berlin um, sondern nur ein Teil der Töchter – warum, das ergibt sich aus der Geschichte heraus. Mehr vom Inhalt der Geschichte will ich auch nicht vorweg nehmen.


    Die „Familiengeschichte“ entpuppt sich also als Geschichte von Teilen einer jüdischen Familie, beginnend mit der Erzählerin in der Gegenwart, deren kurze Episode als eine Art Klammer fungiert und das Buch auch beendet. Dazwischen liegt die Geschichte der Großfamilie Kohanim in West-Preußen, die wohlhabend und nicht ohne Einfluss seit Jahrhunderten dort lebt und erst mit den auf den Ersten Weltkrieg zusteuernden Ereignissen aus ihrem ruhigen Leben gerissen wird. Dreh- und Angelpunkt bleibt die Tochter Franziska, erst allmählich taucht dann Oda als zweite Protagonistin auf. Wer wie ich eine abgerundete Familiengeschichte mit starkem Tiefgang und Einblick in Familienpsychogramme sowie die Geschehnisse der Zeit wie in Nino Haraschtiwilis „Das achte Leben“ erwartet, der wird leider enttäuscht. Zwar kann Marcia Zuckermann wirklich spannend und unterhaltsam mit viel Humor erzählen, aber dem gesamten Buch fehlt der Tiefgang in die Familie und ihre Konflikte sowie in die jeweiligen Begleitumstände der Zeit. Da wird zwar viel angerissen und kurz erzählt, aber nie ausführlich oder deutlicher. Nur in dem Part, der Walters und Odas bzw. Hellas Geschichte während der NS-Herrschaft und danach erzählt, ist erkennbar, dass in diesen Roman viel eigene Geschichte der Familie Zuckermann eingeflossen sein muss. Diese Teile sind m.E. auch die ernsthaftesten in Bezug auf die Ereignisse.


    Abgesehen von den Episoden um die Erzählerin in der Gegenwart, die immer wieder eingestreut sind, verläuft die Erzählung in der ersten Hälfte chronologisch. In der zweiten Hälfte fängt die Autorin dagegen an, immer wieder Zeitsprünge einzubauen zwischen der Zeit der DDR und der NS-Herrschaft. Einen Grund dafür konnte ich nicht erkennen und halte es auch für überflüssig – die Geschichte hätte genauso gut weiterhin chronologisch erzählt werden. Auch hat die persönliche Geschichte der Erzählerin in der Gegenwart keinen erkennbaren Bezug zur Familie außer vielleicht eine gewisse Charaktereigenschaft als familiär herauszustellen. Auch dieser Teil – so amüsant zu lesen er auch war trotz seinem letztlich politischen Bezug – trägt nicht wirklich zur Geschichte bei, da er ohne Zusammenhang 50 Jahre später im Raum steht.


    So bleibt eine weitestgehend amüsant zu lesende Geschichte mit ernsthaften Episoden, die mir auf jeden Fall unterhaltsame Lesestunden beschert hat, aber die nicht alles halten konnte, was sie laut Klappentext und ihrem Anfang versprochen hat. Aber für Liebhaber von Familiengeschichten kann ich dennoch eine Leseempfehlung aussprechen, denn insgesamt hat mir das Buch schon Spaß gemacht.

    viele Grüße vom Squirrel



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