Über die Autorin:
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Parallel dazu Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig bis zum Jahr 2000.
Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015). Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit engagiert sich Juli Zeh auch politisch.
(Quelle: Homepage der Autorin, Wikipedia)
Buchinhalt:
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf “Unterleuten” irgendwo in Brandenburg. Als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …
(Quelle: Homepage zum Roman)
Der Roman umfasst 640 Seiten und ist unterteilt in sechs Teile, die wiederum in viele kleine Kapitel unterteilt sind. Kapitelüberschriften sind jeweils die Namen derjenigen Personen, aus deren Sicht das Kapitel die Geschehnisse im Dorf schildert. Zum Teil sind diese Kapitel sehr kurz und umfassen nur wenige Seiten.
Meine Meinung:
Ich finde es grad etwas schwierig, das Buch zu beurteilen. Gelesen habe ich es nicht ganz freiwillig, da sich mein Lesekreis 5:1 dafür als nächste Lektüre entschieden hat. Ratet, wer die eine Gegenstimme war. Nach meiner ersten Begegnung mit Juli Zeh und ihrem Roman „Spieltrieb“ vor vielen Jahren wollte ich eigentlich nie wieder ein Buch von ihr lesen, da ich die Geschichte einfach nur als ein fürchterliches, überzogenes, verquastes Machwerk empfinde. Vor 4 Jahren dann las ich „Nullzeit“ und das war schon besser. Bei „Unterleuten“ muss ich sagen, Juli Zeh hat sich schriftstellerisch wirklich entschieden weiterentwickelt, zumindest meiner persönlichen unmassgeblichen Meinung nach.
Sie erschafft das Dorf Unterleuten (ein durchaus passendes Wortspiel) im Jahr 2010 mit all seinen unterschiedlichen Menschen in einer hervorragend dichten Art und Weise, so dass man – selbst ohne einen Blick auf die Homepage des Buches, die ich erst jetzt entdeckte – das Gefühl hat, mit den Menschen durch ihr Dorf und die Umgegend zu laufen. Da die Autorin seit 9 Jahren im Havelland lebt, hat sie wohl die Gegend und die Menschen dort ganz gut kennen gelernt und kann das sehr bildhaft transportieren ohne in den verquasten, überladenen Schreibstil von „Spieltrieb“ zu verfallen. Im Gegenteil, sie schreibt leicht und locker und sorgt dafür, dass man, ohne es zu merken, Seite um Seite liest, weil man wissen will wie es weitergeht mit diesem Konflikt, dessen eigentliche Gründe viele Jahre zurück in der Vergangenheit liegen. Die Menschen erscheinen bildhaft vor dem geistigen Auge, sie bekommen Gestalt und Gesicht und die Charaktere sind schnell eindeutig und erkennbar. Die Charaktere bestimmen dann auch den Verlauf der Geschichte, denn der von der Landesregierung geplante und geforderte Windpark ist nur der Auslöser, um alte und neue Wunden wieder aufbrechen zu lassen. Dazu gehört nicht viel, es hätte weniger gereicht, denn die Konflikte sind nie verschwunden, sondern nur notdürftig unter der Oberfläche versteckt, da diverse Charaktere der Alteingesessenen sie nie haben wirklich ruhen lassen.
So weit, so gut – es hat schon wirklich Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Doch jetzt kommt das Aber, denn leider konnte die Autorin ihrem Hang zum Überladen doch nicht so wirklich widerstehen. Hat sie diesen Hang sprachlich im Griff, so ist sie ihm leider bei der Zahl der Charaktere und den Klischees, die sie verkörpern, wieder verfallen. Wir finden
- die Wessi-Heuschrecke, die einfach mal ganze Landstriche aufkauft, einfach weil sie es kann
- den Wessi-Besserwisser, ein gescheiterter Uni-Professor, der sich jetzt im Naturschutz austobt, um ein paar seltene Vögel zu schützen und am Ende meint, das Spiel der Dorfbewohner mitspielen zu können mit fatalen Folgen
- seine viel jüngere Frau, seine Ex-Studentin, frisch gebackene Mama, die jedes Klischee der hormongesteuerten Übermutter kurz nach der Geburt verkörpert
- die zielstrebige, Erfolgs-orientierte und -indoktrinierte Wessi-Yuppie, die meint, ihren Willen immer durchsetzen und alle manipulieren zu können
- ihren erfolglosen Freund, das Weichei, der alles tut um sie zu halten und doch nicht glücklich ist, da er auch immer die falsche Entscheidung trifft
- den Wendegewinner, der dadurch auch nicht glücklicher wird, obwohl er die Macht im Dorf verkörpert, und am Ende ganz am Ende ist
- seine angebliche Geliebte, kleinwüchsig und abergläubisch, die das Haus nicht mehr verlassen kann und dort messi-artig Katzen hortet
- den Wendeverlierer, der doch gar nicht so viel verloren hat, aber das nicht begreift und das ewige Opfer verkörpert; er ist der Ewig-Gestrige mitsamt seinem Gefolge an Verlierern
- seine Tochter, die sich nicht aus der Umklammerung des Dorfs und des Vaters befreien kann
- ihren Mann, den erfolglosen Pseudo-Schriftsteller, der auf ihre Kosten lebt
- das hysterische, verzogene Kind der beiden
- den brutalen Schläger, der am Ende die Rechnung präsentiert bekommt
Auch in weiteren Kleinigkeiten wie z.B. dem Ortsnamen Groß Väter für ein Nachbardorf zeigt sich dieses Zuviel. Es hätte eindeutig weniger gereicht, um die Geschichte genauso spannend zu erzählen. Und auch das Ende hat eindeutig zuviel Dramatik für meinen Geschmack und ich glaube nicht, dass die Autorin damit den Menschen in ihrer neuen Heimat wirklich gerecht wird oder gar einen Gefallen tut. Dieses Überladene an Klischees ist mir sofort ins Auge gefallen und hat mich durchgängig gestört – zwar nicht so sehr, dass es meinem gleichzeitigen Gefallen am Fortgang der Geschichte im Weg gestanden hätte, aber es ist der Grund dafür, warum ich dem Buch vier und nicht fünf Sterne gebe.
Mein Fazit:
Ein lesenswertes Buch, das sehr gut erzählt ist trotz der Überladenheit an Klischees. Es interessiert mich, wie jemand die Geschichte empfindet, der in der ländlichen DDR aufgewachsen ist und dort die Wende erlebt hat – wie stark verändert der eigene persönliche Hintergrund die Wahrnehmung von Juli Zehs Roman über die Bewohner eines nach der Wende abgehängten Dorfs.