Inhalt:
Princeton University, 1980. Anna Roth ist eine junge Bibliothekarin ohne jeglichen beruflichen Ehrgeiz. Eines Tages wird sie beauftragt, die Aufzeichnungen von Kurt Gödel für die Universität zurückzuerlangen jenem Kurt Gödel, der als faszinierendster und undurchschaubarster Mathematiker des 20. Jahrhunderts gilt.
Anna soll Adele, die Witwe des großen Mannes, zähmen. Denn Adele, bekannt als notorische Kratzbürste, weigert sich beständig, die Dokumente Gödels an die Universität herauszugeben, und scheint damit einen späten Rachedurst zu stillen.
Als sie sich das erste Mal treffen, durchschaut Adele sehr bald Annas geheimen Plan. Seltsamerweise weist sie Anna trotzdem nicht ab, sondern erklärt die Spielregeln: Adele weiß, dass sie bald sterben wird. Aber sie hat eine letzte Geschichte zu erzählen eine Geschichte, die bis dahin niemand hören wollte: von Adeles gemeinsamer Zeit mit Kurt Gödel im extravaganten Wien der 1930er-Jahre bis zum Princeton der Nachkriegsjahre, vom Anschluss bis zur McCarthy-Ära, vom Ende des positivistischen Ideals bis zum Aufkommen der Atombombe entdeckt Anna das Epos eines Genies, das niemals lernte, wie man lebt, und von einer Frau, die nur wusste, wie man liebt.
Autorin:
Yannick Grannec (Jahrgang 1969) studierte Grafikdesign an der Ecole nationale supérieure de création industrielle (Fachhochschule für Industriedesign in Paris) und arbeitete als Grafikerin bis zum Erscheinen ihres ersten Romans, La Déesse des petites victoires (2012, deutscher Titel Die Göttin der kleinen Siege, 2013). Zuvor hatte sie 2003 als Jugendschriftstellerin Bleus, Rouges, Jaunes, Verts veröffentlicht. Außerberuflich ist sie eine große Mathematik-Liebhaberin. Yannick Grannec lebt mit ihrer Familie in Saint-Paul-de-Vence, einem Künstlerstädtchen oberhalb von Nizza.
Fazit:
La Déesse des petites victoires (dt. Titel Die Göttin der kleinen Siege) ist ein wunderbarer Roman, der die Lebens- und Liebesgeschichte des bedeutenden österreichisch-tschechischen Mathematikers und Logikers Kurt Friedrich Gödel (1906-1978) und seiner Frau Adele Tamara (1899-1981) erzählt. Der Titel des Buches ist genauso beschwingt wie der ganze Text trotz der Schwermut, die den Roman durchzieht.
Die junge Dokumentalistin Anna Roth bringt die kratzbürstige Witwe Kurt Gödels dazu während ihres letzten Lebensjahrs in einer Seniorenresidenz bei Princeton nochmals ihr Leben Revue zu passieren. Adele war Tänzerin in einem Wiener Nachtclub, wohnte zufällig in derselben Straße wie das junge Mathematikgenie, mit Wurzeln im Großbürgertum. Sie lernen sich kennen, er weltfremd, ganz in seiner Gedankenwelt gefangen und evangelisch, sie lebensbejahend, mit beiden Beinen fest im Leben stehend und Katholikin. Eine Mesalliance für Kurt Gödels Mutter, die zeitlebens die große Hilfe, die Adele ihrem Mann zugutetut, nicht wahrnehmen will.
Von Wien über Sibirien nach Princeton geht der Lebensweg der beiden ungleichen, liebenden Partner, wobei viele illustre Freunde ihn kreuzen. Albert Einstein und Kurt Gödel waren eng befreundet, Wolfgang Pauli gehört genauso zum engen Kreis dieser Emigranten und späteren US-Bürger wie Oskar Morgenstern und Richard Huelsenbeck, der sich in Amerika Charles R. Hulbeck nannte.
Der Roman beschreibt eindringlich wie diese Genies der Mathematik und der Physik immer empfindsamer und humaner wurden für die sie umgebenden politischen Realitäten, bewusst welche Kräfte sie halfen loszubrechen (Princeton University und das Institute for Advanced Study – IAS spielten eine führende Rolle in der Entwicklung der Kernenergie).
Kapitel um Kapitel wechselt der Roman seine Sichtweise, die ungeraden Kapitel spielen 1980 im Seniorenwohnheim und zeigen auch das Leben der Jugend in den 1970er und 80er Jahren mit Anna und ihren Freunden. Die geraden Kapitel führen in Flashbacks in das Leben des Ehepaars Gödel. Diese musikalische Kadenz im Text lässt den Leser die Geschehnisse um die Protagonisten miterleben, nicht einfach nur beobachten.
Yannick Grannec hat sich die schriftstellerische Freiheit genommen, die eine Romanbiografie erlaubt, und Figuren erfunden, was sie in einem Nachwort ausführlich dokumentiert. Diese Protagonisten lockern den Roman auf und tragen so zu seinem Gelingen bei. Dabei wird fast mit Leichtigkeit auch auf die mathematischen und philosophischen Arbeiten von Kurt Gödel eingegangen wie Unvollständigkeitssätze, Beweisbarkeitslogik, Kontinuumshypothese und den Gottesbeweis.
Es lohnt sich diesen Roman zu lesen.
Hörbuch:
Ich habe das französische Hörbuch gehört, kongenial vorgelesen von Flora Brunier, ein Name, den ich mir für die Zukunft merken werde.