Henning Mankell - Die schwedischen Gummistiefel / Svenska gummistövlar

  • Klappentext:
    Seit Fredrik Welin als Chirurg ein Kunstfehler unterlief, lebt er allein auf einer einsamen Insel in Schweden. Ihm ist nach dem Brand seines Hauses so gut wie nichts geblieben. Nur wenige Menschen, die ihm nahestehen: Jansson, der pensionierte Postbote, die Journalistin Lisa Modin, in die er sich verliebt, und seine Tochter Louise, die schwanger ist und in Paris lebt. Als sie wegen eines Diebstahls in Untersuchungshaft gerät, ruft sie ihn zu Hilfe. Während er in Paris über ihre Freilassung verhandelt, erfährt er, dass auf den Schären schon wieder ein Haus in Flammen steht. Mankells letzter Roman, der Nachfolger des Bestsellers „Die italienischen Schuhe“, ist ein sehr persönliches Buch und beschwört die Möglichkeit menschlicher Nähe angesichts von Einsamkeit, Alter und Tod. (von der Zsolnay-Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, Schweden, lebte als Theaterregisseur und Autor in Schweden und in Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller, u.a. Die fünfte Frau (1998) und Mittsommermord (2000). Zuletzt erschienen bei Zsolnay die Romane Daisy Sisters (2009) und Erinnerung an einen schmutzigen Engel (2012), die Krimis Der Chinese (2008), Der Feind im Schatten (2010) und Mord im Herbst (2013) sowie das Porträt Mankell über Mankell der dänischen Journalistin Kirsten Jacobsen. In seinem letzten und sehr persönlichen Buch Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein setzt er sich mit seiner schweren Krebserkrankung auseinander, der er am 5. Oktober 2015 erlegen ist. 2016 ist mit Die schwedischen Gummistiefel sein letzter großer Roman erschienen. (von der Zsolnay-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Svenska gummistövlar
    Erstmals erschienen 2015 bei Leopard Förlag, Stockholm
    Aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel
    Ich-Erzählung von Fredrik Welin
    Vier Teile, 25 durchlaufende Kapitel, Nachwort
    477 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Vorblatt: „Dies ist eine für sich allein stehende Fortsetzung des Romans Die italienischen Schuhe, der 2006 publiziert wurde. Diese Geschichte spielt acht Jahre später.“
    Auch wenn das Buch als eigenständiger Titel propagiert wird, empfehle ich, „Die italienischen Schuhe“ vorher zu lesen - immer wieder wird auf Ereignisse und Beziehungen aus dem ersten Band verwiesen -, weniger, weil man etwas nicht verstehen würde, sondern weil man ganz anders in die Geschichte eintauchen kann, wenn man deren Voraussetzungen kennt.


    Obwohl „Die italienischen Schuhe“ ein abgeschlossenes Buch ist und keine weitere Fortsetzung gebraucht hätte, wird dennoch im Verlauf der Lektüre des 2. Bandes deutlich, warum Mankell den Stoff nochmals bearbeitet hat.


    Fredrik Welin ist beinahe 70, er lebt immer noch allein auf seiner Schäre mit den wenigen Verbindungen nach außen und nur sporadischen Kontakten zu seiner Tochter Louise, von deren Leben er nach wie vor fast nichts weiß.
    Das ändert sich, als sein Haus, das er von den Großeltern geerbt hat, bis auf die Grundmauern niederbrennt zusammen mit seinem ganzen Hab und Gut, den Aufzeichnungen, den Fotos, den Erinnerungen. Fredrik muss sich neu orientieren, und der Außenwelt stellen. Dazu gehört auch, dass er nicht nur seine Insel, sondern auch sein Land verlassen muss, um seine Tochter nach ihrer Verhaftung zu unterstützen.


    Das Buch hat ein großes Thema: Alt werden, nur noch eine kleine Spanne Leben vor sich haben und dann den Tod. Dadurch und durch die Person des Protagonisten, der zurückgezogen, distanziert und ohne Freunde lebt, bekommt das Buch einen melancholisch-düsteren Anstrich. Dennoch hat es auch seine leichten, heiteren Seiten, und in manchen Phasen betrachtet Fredrik sich selbst mit ironischer Distanz.
    Das Buch ist definitiv nicht für jüngere Leser geschrieben, für die die Malaisen des Alters noch in weiter Ferne sind und die sie sich nicht vorstellen wollen.
    (Was Welins Geburtsjahr angeht, war Mankell sich anscheinend mit sich selbst uneinig. Oder er hatte keine Zeit zur Korrektur mehr. S. 222: „Ich selbst war nach dem Krieg geboren …“, S. 381: „Mein eigenes Geburtsdatum ist 1944, ehe der Krieg zu Ende war.“)


    Es scheint beinahe, als wäre Mankell zuviel gewesen, einen großen Spannungsbogen aufzubauen. (Dass er es kann, hat er oft genug bewiesen.) Immer, wenn ein Motiv eingeführt wird, das für Spannung sorgen könnte, z.B. die Suche nach dem Brandstifter, Louises Leben, der gestohlene Oldtimer, verläuft sie sich in Belanglosigkeit und vor sich hin dümpelnder Handlung.
    Denn eines hat dieses Buch sicher nicht: Eine äußere Handlung. Es passiert nicht mehr als das, was der Klappentext schon verrät.
    Man könnte sagen: Mankell hat Teilen seines Essay-Sammelbandes „Treibsand“ einen Protagonisten verschafft und einen Roman daraus gemacht.



    Warum ich das Buch dennoch mit Freude und innerer Beteiligung gelesen habe?


    Weil es Mankell wie in all seinen Romanen gelingt, den Leser auf einen Protagonisten einzuschwören, mit seinen Augen zu sehen und seinen Emotionen nachzuspüren. Auch wenn man sie nicht in jedem Augenblick versteht.


    Weil eines klar wird, ohne dass es ausdrücklich gesagt werden muss: Am Ende des Lebens sind nicht alle Fragen geklärt. Vieles wird offen bleiben, und man stirbt ohne dass alle Antworten gefunden wurden.


    Weil Mankell über sich selbst schreibt ohne sich zu entblößen: „Ich fürchte, ich empfinde einen irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben, wenn ich tot bin.“ (S. 164)

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Hallo Marie
    Ich habe deine Rezension gelesen und sie gefällt mir. Ich habe von Henning Mankell Die italienischen Schuhe und Das Auge des Leoparden gelesen. Die Geschichten, die er erzählt sind sehr ideenreich. Ich habe beim Lesen von Die italienischen Schuhe nicht darauf geachtet, dass es bei diesem Buch auch ums alt werden und alt sein geht, doch es stimmt, was du schreibst, er erzählt von seiner eigenen Erfahrung mit dem Alter. Ich finde die zwei Bücher von Mankell, die ich gelesen habe, sehr gut. Möglicherweise werde ich demnächst auch noch Die schwedischen Gummistiefel von ihm lesen.
    Liebe Grüsse
    Andi alias kokosnuss
    :study: Ein geschenkter Tag vonAnna Gavalda

  • Irgendwie fällt es mir schwer, Worte für dieses Buch zu finden. Es hat mir ein klein wenig besser gefallen als der erste Band "Die italienischen Schuhe", aber beide bekamen von mir :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: und ich kann beide empfehlen. Sie sind zwar nicht spannend, aber sehr tiefgründig und bewegend.


    Es ist ein schönes Buch mit einem nicht sehr sympathischen Protagonisten und zuweilen völlig nicht nachvollziehbaren Begebenheiten und Reaktionen. Auch die Spontanität der einzelnen Charaktere ist manchmal sehr eigenartig. Fredrik hat einen sehr widersprüchlichen Charakter. Er kann sowohl sehr egoistisch als auch sehr hilfsbereit sein, aber Wärme strahlt er meines Erachtens nicht unbedingt aus. Nichtsdestotrotz ist der Schreibstil des Autoren flüssig und fesselnd, wie übrigens alle seine Bücher, die ich bisher von ihm gelesen habe. Aber man kann dennoch mit dem Protagonisten mitfühlen und die Melancholie, die das Buch ausstrahlt, ist einfach stimmig.


    Die Themen Angst vor dem Tod, Altwerden, Familie und Einsamkeit sind sehr interessant dargestellt und man fragt sich selbst, ob man vor dem Tod sozusagen alles erledigt hat. Vielleicht hat man u.a. seinen Kindern usw. noch gar nicht alles über sich erzählt.

    ☆¸.•*¨*•☆ ☆¸.•*¨*•☆ La vie est belle ☆¸.•*¨*•☆☆¸.•*¨*•☆

  • Irgendwie fällt es mir schwer, Worte für dieses Buch zu finden.

    Genauso möchte ich es auch ausdrücken :uups:


    Mankell schafft es mit Fredrik Welin einen Protagonisten zu erschaffen, der zeitweise sehr unsympathisch ist und trotzdem interessierte mich seine Geschichte. Irgendwie dachte ich immer er ist so real, so lebensnahe und authentisch.

    Wobei ich zugeben muss: zwischendurch musste ich das Buch weglegen, da es so schwerfällig und energielos war, dass ich einfach größere Pausen brauchte.

    Doch wie auch Marie schon geschrieben hat ist es ein Buch welches Fragen offen lässt, und diese Fragen sind vermutlich immer am Lebensende offen.

    Liebe Grüße
    Gabi


    "Welchen Kummer deiner Seele du auch ertränken willst,
    deine Bibliothek ist der beste Keller!"
    Jean Cocteau