• Pornographie muss nicht frauenfeindlich oder unterdrückend sein: es geht auch anders ! Das Thema benötigt definitiv mehr Offenheit und mehr Aufmerksamkeit.




    Das erste, was ich nach der Lektüre dieses Buches gemacht habe, war, "Männlichkeit" zu googeln. :D


    Nur leider ist der Wikipedia-Artikel dazu etwas unbefriedigend und meine Recherchen muss ich jetzt erstmal aufschieben. Stattdessen will ich Euch von diesem Buch erzählen. Vllt. versteht ihr dann meine Irritation ein wenig. Aber darum soll und wird es nicht in der Hauptsache gehen ! In der Hauptsache geht es um eine freie, freiwillige, gerechte und rücksichtsvolle Pornographie. Dieses Buch zeigt, wie Feminismus richtig und überzeugend gemacht wird (im Gegensatz zu Radikalfeminismus, wie Quoten oder Regenbogenlehrplänen) !
    Dieses Buch hier "The Feminist Porn Book. The Politics of Producing Pleasure" (2013), das herausgegeben wurde von Tristan Taormino, Celine Shimizu, Constance Penley und Mireille Miller-Young, hat sich auf die Fahnen geschrieben, Pornographie menschlicher, sichtbarer und diskursiver zu machen. Dieses Buch besteht aus 27 kurzen Kommentaren/Aufsätzen/autobiographischen Berichten/Erzählungen/etc, die sich in irgendeiner Form auf Pornographie und die entsprechenden sozialen Verhältnisse beziehen. Der Buchtitel ist hier vllt. ein wenig irreführend, da sich auch mehrere Artikel in der Sammlung befinden, die sich nicht primär mit Frauen beschäftigen (ich lege hier einen "Feminismus"-Begriff zugrunde, der sich hauptsächlich auf Frauenrechte oder Frauenverhältnisse bezieht, obwohl eine klare Definition nicht so einfach möglich ist). Dabei denke ich zB an den Aufsatz "Bound By Expectation: The Racialized Sexuality of Porn Star Keni Styles" (Celine Shimizu; S. 287-302), in dem sie über einen Pornodarsteller mit thailändischen Wurzeln (Keni Styles) berichtet, der trotz zahlreicher Erfolge und eines hohen Bekanntheitsgrades in einem feministischen Porno von Tristan Taormino ("Rough Sex 3: Adrianna's Dangerous Mind" - 2011) ein seltsames Verhalten an Tag legt und innerhalb des Pornos nicht gut ankommt. Er verhält sich abweisend und kann sich nicht in das Geschehen des offenen Drehbuchs integrieren (im Gegensatz zu einem russischen [?], einem schwarzen und einem weißen Pornodarsteller im selben Film). In einem komplizierten Argumentationsgang versucht Shimizu nachzuweisen, dass selbst feministische Pornos keine utopischen Werke sind, sondern auch sie rassistische Rollenerwartungen (sie sagt "racialization", S. 301) unbewusst mittragen können. Das geht mMn evtl. etwas zu weit (könnte doch auch persönliche Überforderung gewesen sein ?), zeigt aber ganz gut, dass die thematische Bandbreite weit gefächert ist.
    Ein 2. Beispiel für die weite Bandbreite (ohne primären feministischen Bezug) soll "Our Pornography" (Chistopher Zeischegg aka Danny Wylde, S. 265-269) sein. Hier verfasst der Autor (homosexueller Pornodarsteller ?) gewissermaßen eine umfassende Rezension zum Buch "Empire of Illusion: The End of Literacy and the Triumph of Spectacle" (2009) von Chris Hedges und formuliert ein Plädoyer an die Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten, sich daran zu erinnern, dass sie als Käufer und Interessenten zum Großteil selbst (neben Darstellern und Produzenten) steuern, wohin sich die Pornographie ausrichtet und wie Darsteller behandelt werden.



    Doch der Mammutanteil des Buches ist entweder von Frauen geschrieben oder thematisiert Frauen in der Pornobranche. Der erste Aufsatz von Betty Dodson ("Porn Wars", S. 23-31) gewährt einen interessanten Einblick in die Verhältnisse des Feminismus als gesellschaftliche Strömung. Sie selbst bezeichnet sich als "sex-positive" und völlig aufgeschlossen in sexueller Hinsicht. Sie befürwortet Pornographie und weibliche Selbstbefriedigung und trat auch mit der Produktion von Videoanleitungen persönlich öffentlich dafür ein. Und sie schildert die internen Kontroversen innerhalb der feministischen Frauenschaft um die Pornographie aus der persönlichen Erfahrungswelt. Sie berichtet von einem Besuch auf einer Feministenverantaltung, die strikt gegen Pornographie war, und es prinzipiell als männliche Machtausübung über das weibliche Geschlecht ansah. Laut Dodson eine Gruppe von Radikalfeministen, die durch mehr oder weniger traumatische Erlebnisse aufgehetzt waren und in ihrer freien sexullen Selbstentfaltung gehindert worden sind. Ein Name, der in diesem Sinne immer wieder das gesamte Buch hindurch Erwähnung findet, ist (u.a.) Gail Dines (zB im Aufsatz "Emotional Truths and Thrilling Slide Shows: The Resurgance of Antiporn Feminism" von Smith/Attwood, S. 41-57), die wohl als Paradebeispiel des antipornographischen Feminismus gelten kann. Ich bin nicht bewandert im Thema des Feminismus, doch scheint das deutlich zu machen, dass der Feminismus diesbezüglich alles andere als geschlossen ist (und ich denke, das ist auch gut so. Es wäre ziemlich traurig, wenn die gesamte Gruppe der Feministen generell gegen Pornographie wäre. Und andererseits sind viele Pornos tatsächlich suppressiv und erniedrigend).


    Ein weiteres Thema, das immer wieder Erwähnung findet, sind schwarze Pornodarstellerinnen, die nicht nur viel mit Sexismus zu kämpfen hatten, sondern zusätzlich auch noch mit Rassismus. In dieses Thema fällt zB der teilw. autobiographische Bericht von Sinnamon Love ("A Question of Feminism", S. 97-104), die von ihrem pornodarstellerischen Weg zum Feminismus erzählt. Ursprünglich hatte sie sich nie darüber Gedanken gemacht, ob ihre Tätigkeit als Pornodarstellerin als feministisch zu betrachten sei oder nicht. Sie habe es erst im Laufe ihrer Tätigkeit (seit 1993 ?) als feministisch aufgefasst, da sie oftmals wegen ihrer Hautfarbe in diskriminierende Untergattungen der Pornos eingeteilt wurde.






    Eben merke ich, dass ich noch gar nicht auf die vorgegebene Struktur des Buches in seiner Gesamtkonzeption eingegangen bin. >.<
    Die ersten 6 Aufsätze sind nämlich unter der Überschrift "Making Porn, Debating Porn" eingetragen. Hierzu gehört der bereits erwähnte Aufsatz von Betty Dodson ("Porn Wars", S. 23-31), aber auch die sehr interessanten und persönlichen Berichte von Ms. Naughty aka Louise Lush ("My Decadent Decade: Ten Years of Making and Debating Porn for Women", S. 70-78) und von Candida Royalle ("What's a Nice Girl Like You...", S, 58-69) über ihren Eingang in die Pornographie als Darstellerinnen und Produzentinnen. Der 2. Teil des Buches "Watching and Being Watched" enthält 7 Aufsätze zT über schwarze Frauen in der Pornographie (Sinnamon Love: "A Question of Feminism", S. 97-104; Mireille Miller Young: "Interventions: The Deviant and Defiant Art of Black Women Porn Directors", S. 105-120) oder auch über die verspätete Akzeptanz von Transgender Frauen im Feminismus und in Pornos (Tobi Hill-Meyer: "Where the Trans Women Aren't: The Slow Inclusion of Trans Women in Feminist and Queer Porn", S. 155-163). Der Zusammenhang der 7 Aufsätze im 3. Teil ("Doing it in School") ist mir nicht vollends klar geworden. Es geht wohl um die gesellschaftliche Wirkung auf die Pornographie und welche Verantowrtung damit einhergeht, damit die Pornographie nicht diskriminierend ist/wird/bleibt. Die Titelwendung "... in School" irritierte mich ziemlich, Zunächste dachte ich da an eine Art Regebogenlerhplan wie in Stuttgart. Gott sei Dank findet etwas Vergleichbares keine Erwähnung. Hier gehört auch der Aufsatz von Christopher Zeischegg ("Our Pornography" , S. 265-269) rein. Der letzte Teil der Bucheinteilung ("Part IV. Now Playing: Feminist Porn") zeigt einige separate Perspektiven unterschiedlichster Frauen, die im Pornobusiness Aufnahme fanden, oft mit nur mit großer Mühe. April Flores beschreibt in einem sehr kurzen Abschnitt ("Being Fatty D: Size, Beauty, and Embodiment in the Adult Industry", S. 279-283) ihren beschwerlichen Weg in das Business. Der Titel verrät es bereits: sie ist etwas dick und entspricht damit nicht gerade der "Norm" in den Mainstreampornos. Ihre Geschichte beschreibt sie, um anderen Frauen zu zeigen, dass Selbstbewusstsein und ein zielgerichteter Wille wichtiger sind, als den reinen optischen Richtlinien der Pornoindustrie zu entsprechen. In eine ähnliche Richtung geht auch der Kurzbericht von Buck Angel ("The Power of My Vagina", S. 284-286), eine geborene Frau, die sich als Mann fühlte und seine Vagina behielt. Damit war er auch als Darsteller erfolgreich, wovon der sehr kurze, aber sehr selbstbewusste Aufsatz zeugt.


    Den letzten Aufsatz des Buches von Loree Erickson ("Out of Line: The Sexy Femmegimp Politics of Flaunting It!", S. 320-328) habe ich tatsächlich als einzigen nicht vollständig gelesen. Erickson berichtet nämlich von ihren negativen Erfahrungen als rollstuhlfahrende Kleinwüchsige. Das ist erstmal ja natürlich nicht schlimm, doch zählt sie direkt am Anfang die Hilfsbereitschaft Fremder zu ihren Negativerlebnissen, da es sie ständig daran erinnert, dass andere sie als "hilfsbedürftig" ansehen. Das hat sie mir sofort so unsympathisch gemacht, dass ich sofort aufhörte, den Artikel zu lesen.





    Doch lasst mich noch ein paar Worte zum Buch in seiner Gesamtheit sagen. Zunächst einmal ist es eine sehr interessante Themenstellung, dass der Feminismus so intensiv mit Pornographie in Verbindung gebracht wird. Ich denke, hier ist der "sex-negative" Radikalfeminismus (diese Wortwahl findet sich in den Aufsätzen passim) eher im gesellschaftlichen Raum präsent, als diese aufgeschlossene Strömung. Anstatt Pornos grundlegend abzulehnen, werden hier zahlreiche Einstellungen und Zustände innerhalb der Pornoindustrie und in der gesellschaftlichen Sicht angeprangert. Die sexuelle Unterwerfung von Frauen ist an sich kein Problem. Facials ebensowenig. Solange die Frau (aber auch umgekehrt der Mann !) einverstanden ist und Lust dabei empfindet. Entgegen des antipornographischen Radikalfeminismus wird hier die Entscheidung über die Tabus also der Gesellschaft als Ganzes zT abgesprochen und in die privaten Übereinkünfte verlagert. Finde ich sehr vorbildlich. Die Gesellschaft wird jedoch auch als Ganzes nicht völlig von der Verantwortung losgesprochen. Denn da die Pornoindustrie noch immer ein kapitalistischer Wirtschaftsbetrieb mit Angebot- und Nachfrageprinzip ist, ist es auch Aufgabe der Pornokonsumenten darauf zu achten, erniedrigende und unfaire Pornos zu boykottieren. Im Gegenteil: das ganze Buch könnte auch als Plädoyer verstanden werden, Frauen als Individuen mit freiem und selbstbestimmten Willen als Produzenten, Darstellerinnen und auch als Pornokonsumenten ernst zu nehmen und einzubinden. Dazu haben die Autorinnen, die auch Pornodarstellerinnen oder Pornoproduzentinnen (oder beides) sind, viel beigetragen.





    Die Aufsatzmethodik schwankt sehr interessant zwischen allen Polen: einige Aufsätze sind wissenschaftlich (zB Smith/Attwood: "Emotional Truths and Thrilling Slide Shows: The Resurgence of Antiporn Feminism", S. 41-57), andere essayistisch (zB Lee: "Cum Guzzling Anal Nurse Whore: A Feminist Porn Star Manifesta", S. 200-214), wieder andere sind autobiographisch (zB Royalle: ""What's a Nice Girl Like You..."", S. 58-69).
    Angenehm überraschend ist auch die (für mich unerwartete !) Einbeziehung der männlichen Sicht. Zwar kommen nur wenige Männer zu Wort und die Sichtnahme bleibt stark eingeschränkt und marginal, doch erwartete ich, um ehrlich zu sein, dass der "Mann" als aktiver oder passiver Teilnehmer an Pornos ausgeklammert wird. Doch tatsächlich wurden hin und wieder die Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein der Männer durch stereotypisierte Männer (und andere Aspekte) in Pornos angesprochen.




    Ein wirklich gutes Buch.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: :bewertungHalb:




    PS
    Eben merke ich, dass ich zum Thema "Männlichkeit" doch nichts mehr geschrieben habe. Ich weiß auch gar nicht mehr, wieso mich das Thema vorhin beschäftigte...
    Ich lass die Fragmente dennoch im Fließtext. Vielleicht komme ich nochmal drauf und schreibe dann hier einen Edit darunter oder dazu.

  • Mario

    Hat den Titel des Themas von „Tristan Taormino et al. - The Feminist Porn Book. The Politics of Producing Pleasure“ zu „Tristan Taormino u.a. - The Feminist Porn Book“ geändert.