Greg Woolf - Rom. Die Biographie eines Weltreichs (ab 24.09.2016)

  • Die Einleitung ist etwas unerwartet, muss ich sagen. Sehr interessant ist nämlich, dass er nicht einfach noch eine weitere römische Geschichte schreiben will. Stattdessen will er dem Phänomen "Weltreich" nachforschen. Und da ist das römische Weltreich natürlich ein gutes Beispiel ! Dabei greift er auch auf die alte Charakterisierung zurück, die ein Weltreich als lebenden Organismus sieht. Früher wurde Rom ja oft mit einer Blüte verglichen: Wachstum, Blütezeit, verwelken und Verfall. Sein Bild der vampirischen Fledermaus klingt nach der marxistischen Sklavenhaltergesellschaftstheorie. :D Schön, dass er das durch das Lawinenbild ersetzt.
    Vielversprechend klingt auch sein Versprechen, Vergleiche mit in sein Buch einzuarbeiten. Normalerweise schrecken Forscher davor zurück, weil verschiedene Zeitebenen, verschiedene Weltregionen, ineinander Übergehen, etc. Aber mit genügend Vorsicht bieten sich ja viele Vergleiche bestens an: Altes China, British Empire, Alexanderreich und die USA heute. Zu letzterem habe ich noch ein Buch von Peter Bender hier rumfliegen. Das soll recht bescheiden sein, reizt mich aber trotzdem. :D Das ist das untenstehende Buch !


    Das 1. Kapitel ist die kürzeste und weitreichendste Zusammenfassung römischer Geschichte, die ich je gelesen habe. Etwa 1400 Jahre Geschichte auf 16 Seiten komprimiert ! :D Vieles spricht er dabei an, aber vieles muss dabei natürlich auch unerwähnt oder nur angedeutet bleiben. Bemerkenswert ist seine Besprechung des Endpunktes des römischen Weltreiches. Früher galt in der Forschung 476 als DAS Endjahr des Reiches. Hier wurde der letzte römische Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt. Dieses Jahr kommentiert er lediglich in einem kurzen erläuternden Satz als für die Zeitgenossen wahrscheinlich unbedeutend. :D Dagegen ist die islamische Expansion schon wirklich bedeutender.


    Bin gespannt auf seine Ausführungen zu all den Andeutungen ! Allerdings. Kommt es nur mir so vor, oder wirkt sein Schreibstil wirklich ein klein wenig chaotisch und zäh ? :>

  • Hallo, liebe Mitleser! Nun geht es also los, und ich habe es auch geschafft, pünktlich (heute morgen bei Kaffee und Müsli im Bett) anzufangen. Vielen Dank nochmals für Eure Kooperationsbereitschaft, das war wirklich sehr nett von Euch!
    Der Start war schon mal gut, die vielen Fragen machen neugierig darauf, wie es weitergeht, und wie die Antworten ausfallen werden:
    Wie ist Rom gewachsen? Wie überstand es Niederlagen und Siege? Warum war Rom erfolgreich, wo seine Feinde versagten? Wie überstand die Reichsherrschaft Krisen und konnte chaotische Eroberungszüge in stabile Verhältnisse überführen? Welche Umstände und technische Fähigkeiten ermöglichten die Schaffung und Erhaltung eines Weltreiches gerade in diesem Teil der Welt und gerade zu jener Zeit?
    Die Geschichte Roms erstreckt sich schließlich über eineinhalb Jahrtausende. Wie konnte etwas von so langer Dauer sein? Das ist natürlich eine interessante Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten sein wird, denke ich mal.
    Den Vergleich mit dem Vampir finde ich doch ganz gut, Cato. Die Römer saugten nun mal den Lebenssaft aus Bauern und Sklaven, auf deren Arbeitskraft das Reich sich gründete. Aber auch die Bilder von Flutwelle und Lawine sind zutreffend, da hast Du schon Recht; etwas beginnt klein und gewinnt an Substanz, bis es seine Kraft verströmt.
    Dass die Geschichte Roms nur ganz kurz abgehandelt wird, habe ich mir schon erwartet. Der Autor wird sein Augenmerk ja sicher auf andere Aspekte legen wollen und nicht der 1000. Geschichte Roms noch die 1001. hinzufügen. Und doch wird er ohne den historischen Hintergrund auch weiterhin nicht auskommen. Da bin ich wirklich schon sehr gespannt, wie er das anlegt.
    Für mich war bisher auch immer die Jahreszahl 476 mit dem Untergang des Römischen Reiches verbunden, eben mit der Absetzung des letzten Kaiser des Westreiches. Wie Greg Woolf schreibt, und man sich ja auch gut vorstellen kann, ist es da aber mit einer Jahreszahl sicher nicht getan. Wann dieses Reich tatsächlich unterging, lässt sich wohl kaum festlegen. Zumindest ist es um 640 auf 1/3 seiner einstigen Ausdehnung geschrumpft. Der Autor bezweifelt ja auch, dass Byzanz einen Anspruch darauf hatte, als Erbe Roms zu gelten, und setzt die Krönung Karls des Großen im Jahre 800 als Endpunkt des Römischen Reiches fest. Das war - jedenfalls für mich - ein neuer Gesichtspunkt. Meine Schulzeit liegt zwar schon sehr lange zurück, ich habe aber auch in der Zwischenzeit nichts dergleichen gehört oder gelesen. Oder ist Euch das geläufig?
    Mit dem Stil komme ich derweil noch ganz gut zurecht, Cato. Ich denke, bei so einem Thema ist der Einstieg immer schwierig. Wir werden ja bald sehen, wie er es weiter auf- und ausbaut.
    Was ich jetzt nicht mehr weiß, ist, ob wir pro Tag jeweils ein Kapitel lesen oder mehr oder immer einen Tag Lesepause machen? Irgendwo haben wir das ja besprochen, aber in der Eile habe ich nichts gefunden. :scratch:

  • Einleitung......

    Sein Bild der vampirischen Fledermaus klingt nach der marxistischen Sklavenhaltergesellschaftstheorie. Schön, dass er das durch das Lawinenbild ersetzt.

    Den Vergleich mit dem Vampir finde ich doch ganz gut, Cato. Die Römer saugten nun mal den Lebenssaft aus Bauern und Sklaven, auf deren Arbeitskraft das Reich sich gründete. Aber auch die Bilder von Flutwelle und Lawine sind zutreffend, da hast Du schon Recht; etwas beginnt klein und gewinnt an Substanz, bis es seine Kraft verströmt.

    Ich muss auch sagen, das ich das nebeneinander stellen der 2 unterschiedlichen Therorien "Vampir" oder "Flutwelle" eher interessant fand :thumleft: Wobei ja Herr Woolf die Flutwellen/Lawinentheorie favorisiert. Mal sehen, was wir bzw. ich nachdem lesen das Buches sagen werde dazu Vampir oder Flutwelle.


    Eins muss ich noch zu dem Einleitungkapitel anmerken. Ein klein wenig hat mich diese ICH - Haltung des Autors schon genervt und muss man schon während der Einleitung so viel Dank aussprechen?

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Was ich jetzt nicht mehr weiß, ist, ob wir pro Tag jeweils ein Kapitel lesen oder mehr oder immer einen Tag Lesepause machen? Irgendwo haben wir das ja besprochen, aber in der Eile habe ich nichts gefunden.

    Wir hatten ein Kapitel pro Tag + einen Tag dazwischen zum diskutieren :wink: Mir würde es sehr entgegen kommen, wenn wir dies so beihalten könnten.

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Wir hatten ein Kapitel pro Tag + einen Tag dazwischen zum diskutieren :wink: Mir würde es sehr entgegen kommen, wenn wir dies so beihalten könnten.

    Ich bin flexibel und pass mich Euch an - wichtig ist für mich nur, dass wir Ende Oktober fertig sind. Aber das sind wir auch mit den Pausentagen dazwischen :wink: und jetzt mach ich mich endlich ans Lesen, ich war ungeplant heut noch unterwegs :uups:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Ich finde die Einleitung sehr gut, denn Woolf stellt hier klar, wie er das Buch konzipiert hat, welchen Gedanken er nachspüren will, was er erreichen und belegen möchte und und und… das fand ich sehr informativ und spannend und wir wissen so sehr genau, wohin er uns mitnimmt auf die Reise 2000 Jahre vor unserer Zeit. :wink:

    Stattdessen will er dem Phänomen "Weltreich" nachforschen.

    Ich freu mich drauf, denn eine reine Geschichte des Römischen Reichs finde ich in vielen anderen Büchern - auch bei mir im Schrank :wink: Und Weltreiche gab es viele...

    Vielversprechend klingt auch sein Versprechen, Vergleiche mit in sein Buch einzuarbeiten.

    … weswegen ich auf diese Vergleiche sehr gespannt bin - was für Gemeinsamkeiten gibt es, welche Unterschiede und kann man daraus evtl. Grundzüge herausarbeiten, die unbedingt vorliegen müssen um ein Weltreich zu formieren. Lauter spannende Fragen :)


    Das 1. Kapitel ist die kürzeste und weitreichendste Zusammenfassung römischer Geschichte, die ich je gelesen habe. Etwa 1400 Jahre Geschichte auf 16 Seiten komprimiert !

    Die habe ich auch nötig, denn ich hab schlicht und ergreifend keine Ahnung mehr vom Römischen Reich :pale:

    Meine Schulzeit liegt zwar schon sehr lange zurück, ich habe aber auch in der Zwischenzeit nichts dergleichen gehört oder gelesen. Oder ist Euch das geläufig?

    Denn mir geht es wie Dir: meine Schulzeit liegt immerhin über 30 Jahre zurück und in der Mittelstufe hatte ich keinen reinen Geschichtsunterricht. Wir hatten so ein Mischfach namens "Gesellschaftslehre", in dem Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde etc zusammengefasst war. Entsprechend lückenhaft ist da meine Kenntnis der Römerzeit. 8-[ Deswegen hab ich auch keine Ahnung über Endpunkte oder ähnliches.

    Bemerkenswert ist seine Besprechung des Endpunktes des römischen Weltreiches. Früher galt in der Forschung 476 als DAS Endjahr des Reiches. Hier wurde der letzte römische Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt.

    Wobei ich mich schon frage, wie man für eine solches Imperium von so langer Dauer einen definitiven Datums-abhängigen Endpunkt setzen kann? Find ich ziemlich krass und käme mir jetzt nie in den Sinn. Das Römische Reich kann doch nicht einfach an einem Dienstag existiert und an einem Mittwoch nicht mehr existiert haben…. :scratch:


    Hallo, liebe Mitleser!

    Hallo meine Liebe, schön, dass Du wieder bei uns bist. Ich hoffe, Dein "Urlaub" hat Dir das gegeben, was Du Dir von ihm erhofft hast. :friends:


    die Bilder von Flutwelle und Lawine sind zutreffend

    Die finde ich auch gut, wobei ich die Welle irgendwie noch passender finde - wobei ich dann an Flutwellen über die Ozeane denke, lange dauernd und nicht so abrupt. Das Bild des Vampirs dagegen ist mir zu einseitig. Klar hat das Römische Reich Menschen und Völker missbraucht und ausgeblutet zum eigenen Nutzen, aber das wirft mir doch einen zu eindimensionalen Blick auf das Ganze. [-(

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Wenn sich ein - nicht ganz so stiller - Mitleser mal kurz einmischen darf: eine dritte Theorie über das Ende des Römischen Reiches besagt, dass dieses vom "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" fortgeführt wurde, welches erst mit der Abdankung des letzten Kaisers endete, nachdem dieser von Napoleon besiegt wurde *klugscheiß-Modus aus*.

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • eine dritte Theorie über das Ende des Römischen Reiches besagt, dass dieses vom "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" fortgeführt wurde

    wobei dieses "Reich" nie ein derart einheitliches Reich war - der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war ja immer abhängig von seinen Gefolgsleuten, nie so ganz frei in seinen Entscheidungen, musste viele Rücksichten nehmen…. ich kenne die Theorie schon auch, aber ich seh doch viele Unterschiede. Bin gespannt, ob Woolf in seinem Buch darauf eingeht. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Ich hoffe, Dein "Urlaub" hat Dir das gegeben, was Du Dir von ihm erhofft hast.

    Auf jeden Fall war es eine interessante Erfahrung, allerdings wird die Meditation kein fixer Bestandteil meines Lebens werden. (Ich gestehe :uups: , dass ich in dieser Zeit lieber ein gutes Buch lese, wie etwa unser LR-Buch).

    eine dritte Theorie über das Ende des Römischen Reiches besagt, dass dieses vom "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" fortgeführt wurde

    Da war wohl mehr der Wunsch, dass es so sein möge, Vater des Gedankens. Aber auch andere Nationen waren vom imperialen Vorbild sehr angetan. Nicht umsonst gibt es in Washington ein Kapitol. Allerdings denke ich, dass das Römische Reich nirgendwo weiterlebte, obwohl Elemente daraus natürlich von anderen Völkern übernommen wurden.
    Das Römische Reich wird wohl tatsächlich ab 476 oder - wie vom Autor favorisiert - ab 800 nicht mehr existiert haben.

  • Die habe ich auch nötig, denn ich hab schlicht und ergreifend keine Ahnung mehr vom Römischen Reich

    Ich musste Kapitel 1 auch zweimal lesen, um meine grauen Zellen wieder zu aktivieren :uups: Aber schön das es nicht nur mir alleine so ging
    :friends:

    Das Römische Reich kann doch nicht einfach an einem Dienstag existiert und an einem Mittwoch nicht mehr existiert haben….

    Vllt hilft uns hier zum besseren Verständniss heraus zu finden, was kam hinter her, was passierte nach dem Tag als der Kaiser abgesetzt wurde? Oder denken wir hier zu eng? Müssen wir das nicht auf Tag sondern her auf Jahr sehen? :-k

    wobei ich dann an Flutwellen über die Ozeane denke, lange dauernd und nicht so abrupt.

    Ich stelle mir eher mehrer kürzere Flutwellen vor :uups: Denn hat der Autor nicht von einem stetigen Auf und Ab des Römischen Reiches gesprochen? Wobei so ganz abwegig finde ich den Vergleich mit einem Vampir auch nicht, das aussaugen bis auf den letzten Tropfen Blut.

    Allerdings denke ich, dass das Römische Reich nirgendwo weiterlebte, obwohl Elemente daraus natürlich von anderen Völkern übernommen wurden.

    Ist es nicht die Regel der Geschichte bzw. des Lebens das bestimmte Dinge/Elemente von den späteren Generationen übernommen werden, ob nun gut oder böse. Das man sich doch Vorbilder geschaffen hat, an denen man sich orientiert für das eigene Leben.

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Ist es nicht die Regel der Geschichte bzw. des Lebens das bestimmte Dinge/Elemente von den späteren Generationen übernommen werden,

    Ja, ganz sicher! Aber ich denke, dass es im Falle des Römischen Reiches doch so war, dass eher der imperialistische Grundgedanke in anderen Nationen überlebt hat. Nach dem Ende des Weströmischen Reiches rollte ja die Völkerwanderungswelle über Europa hinweg. Diese Zeit stelle ich mir sehr chaotisch vor. Da hat sich sicher keiner Gedanken gemacht, welche Elemente von Rom überleben oder nicht. Schließlich ging es um die eigene Existenz, der Sippe oder des Volkes.
    Das Schwierige an der Geschichte generell ist meiner Meinung nach, dass wir ja erst im Nachhinein draufschauen können. Und erst rückblickend setzt dieses Ordnen ein. Ich kann mir schon nicht vorstellen, wie die Generation von Historikern, die im Jahre 2100 leben wird, unsere Zeit sehen und bewerten wird, in welchen Kontext unsere momentane Gegenwart dann eingebettet werden wird. Um wie viel schwieriger ist das erst für eine so ferne Vergangenheit, über die wir hier lesen. Mich wundert da schon eher, dass wir überhaupt etwas wissen ...

  • Nach dem Ende des Weströmischen Reiches rollte ja die Völkerwanderungswelle über Europa hinweg. Diese Zeit stelle ich mir sehr chaotisch vor. Da hat sich sicher keiner Gedanken gemacht, welche Elemente von Rom überleben oder nicht. Schließlich ging es um die eigene Existenz, der Sippe oder des Volkes.

    Aber denkst du nicht das man sich gerade bei der Völkerwanderung, die *höheren/gelehrten* Leute darüber Gedanken gemacht haben:
    Wem man sich anschliesst :arrow: Wer könnte einen von nutzen sein :arrow: Wo läßt man sich nieder
    Diese ganz einfachen Elemente eben

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Ja, könnte ich mir schon vorstellen, maiglöckchen! Schließlich muss diese Völker ja auch jemand gelenkt haben. Aber man weiß so wenig, und wenn ich mich in die Rolle der ganz einfachen Leute hineinzuversetzen suche, dann versagt meine Vorstellungskraft. (Es gibt da ein sehr gutes Buch über die "Vandalen". Das muss ich mir demnächst mal vornehmen, vielleicht lichtet sich dann das Dunkel ein wenig.)
    Außerdem denke ich, dass die meisten keinen Überblick über die Zeit hatten, in der sie lebten. Denk mal, wie wenig Informationen aus entfernteren Gegenden es gab oder wie lange es dauerte, bis überhaupt eine Nachricht irgendwohin kam. Und wenn, dann hat der Bauer Kunz davon sicher nichts erfahren.
    Ich nehme jetzt mal ein ganz konkretes Beispiel aus der Gegenwart. Im letzten Jahr waren die Medien voll von Berichten über die Flüchtlingsströme. Ebenfalls aus den Medien weiß ich, dass auch in unserer kleinen Stadt einige Unterkunft erhielten. Persönlich gesehen habe ich allerdings keinen einzigen, und auch sonst hatte ich absolut keinen Kontakt zu den vielen, die durch unser Land kamen. Gäbe es die Nachrichten nicht, wüsste ich nichts davon. Und wahrscheinlich würden das viele meiner Nachbarn bestätigen können.
    Ohne diesen ungeheuren Informationsfluss der unsere Zeit dominiert, und den wir für selbstverständlich halten, wäre unser Leben ganz anders, und so war es wohl für die, die vor 1500 Jahren durch Europa zogen

  • Allerdings denke ich, dass das Römische Reich nirgendwo weiterlebte, obwohl Elemente daraus natürlich von anderen Völkern übernommen wurden.

    Nicht als Reich, das ist sicher - aber viele der funktionierenden Systeme wurden ja einfach übernommen. Woolf erwähnt das ja selbst, dass z.B. das Steuersystem oder gewisse Bürokratien von den nachfolgenden Eroberern weitergeführt wurden. Bestimmt wurden auch einige Gesetze übernommen, weil sie als praktisch und wirksam empfunden wurden. Nur hat das niemand per se irgendwo aufgeschrieben und dokumentiert. DAS ist das Hauptproblem, wenn wir von heute zurückschauen - es gibt für die Zeit des Niedergangs und Übergangs in die nachfolgenden Reiche wohl wenig explizite Niederschriften der Eroberer außer vielleicht im arabischen Raum :-k

    Das Römische Reich wird wohl tatsächlich ab 476 oder - wie vom Autor favorisiert - ab 800 nicht mehr existiert haben.

    Ich glaube, unser Wunsch nach einem fixen Datum, einem absoluten Eckpunkt, folgt einfach dem Wunsch nach Ordnung. Römer: von x bis y, Vandalen von y bis z, Mauren von a bis b… und so weiter. Aber es war doch stets ein fließender Übergang / Niedergang und nur sehr selten ein absolut abruptes Ende wie z.B. beim Reich Qatna. :wink:


    Nach dem Ende des Weströmischen Reiches rollte ja die Völkerwanderungswelle über Europa hinweg. Diese Zeit stelle ich mir sehr chaotisch vor. Da hat sich sicher keiner Gedanken gemacht, welche Elemente von Rom überleben oder nicht. Schließlich ging es um die eigene Existenz, der Sippe oder des Volkes.

    Das denke ich mir auch und in dieser chaotischen Zeit hat man halt übernommen, was funktionierte. Dadurch entstand - in meiner Vorstellung - eine Art Mischmasch aus römischen, aber auch aus neuen Regeln, die irgendwie miteinander und nebeneinander bestanden. 8-[

    Wem man sich anschliesst Wer könnte einen von nutzen sein Wo läßt man sich nieder
    Diese ganz einfachen Elemente eben

    Ich glaube, in der Zeit der Völkerwanderung war eher die Frage: wo kommen wir an und ist da schon jemand, der uns wieder vertreibt. Manche Völker wurden eher regelrecht von anderen vor sich her getrieben und mussten fliehen. Ich glaube nicht, dass diese Wanderungen absolut geordnet und geregelt abliefen - die Stämme waren ja auch oft in kleine Clans und Gruppen zergliedert, die nicht notwendigerweise mitienander zogen, sondern dann, wenn sie mussten. Heute sehen wir auf Karten der Völkerwanderung, welche Volksgruppen wohin zogen. Aber das dürfen wir uns wohl nicht als geordnete "Umzüge" vorstellen. :scratch: Auch hier ist wohl unser Wunsch nach "Ordnung" der Grund, warum wir uns das so einfach und logistisch geordnet aufschreiben und denken….

    Außerdem denke ich, dass die meisten keinen Überblick über die Zeit hatten, in der sie lebten. Denk mal, wie wenig Informationen aus entfernteren Gegenden es gab oder wie lange es dauerte, bis überhaupt eine Nachricht irgendwohin kam. Und wenn, dann hat der Bauer Kunz davon sicher nichts erfahren.

    Genau - die Informationen flossen zwar bestimmt auf vielen Wegen und ganz anderen, als wir uns heut vorstellen können. Aber trotzdem war der Informationsfluss eben ein viel langsamerer, zumal viele Stämme der Völkerwanderung ja auch verfeindet waren und sich während dieser Zeit bekriegten anstatt sich zu helfen. Ich stelle mir die Zeit als eine schlimme für die "normalen" Menschen vor, also für Bauern etc. Die Krieger hatten Hochkonjunktur, aber der Rest?

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • aber viele der funktionierenden Systeme wurden ja einfach übernommen. Woolf erwähnt das ja selbst, dass z.B. das Steuersystem oder gewisse Bürokratien von den nachfolgenden Eroberern weitergeführt wurden. Bestimmt wurden auch einige Gesetze übernommen, weil sie als praktisch und wirksam empfunden wurden.

    Dadurch entstand - in meiner Vorstellung - eine Art Mischmasch aus römischen, aber auch aus neuen Regeln, die irgendwie miteinander und nebeneinander bestanden.

    Aber genau das meinte ich doch O:-) mit meiner Aussage, nur das ich sie versucht habe auf ein Minimum runter zu brechen. Ich wollte einfach mal nicht im *Großen* sondern nur im ganz Kleinen denken :pale:
    Einfach, das hat schon im römischen Reich funktioniert, das übernehme ich mal so

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Ich glaube, in der Zeit der Völkerwanderung war eher die Frage: wo kommen wir an und ist da schon jemand, der uns wieder vertreibt. Manche Völker wurden eher regelrecht von anderen vor sich her getrieben und mussten fliehen. Ich glaube nicht, dass diese Wanderungen absolut geordnet und geregelt abliefen - die Stämme waren ja auch oft in kleine Clans und Gruppen zergliedert, die nicht notwendigerweise mitienander zogen, sondern dann, wenn sie mussten.

    Das hast Du ganz vortrefflich formuliert, liebe Squirrel!